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BERICHT/159: Kein Mercedes - Boykottiert Streumunition! (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 2 - April 2007
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

"Wir kaufen keinen Mercedes. Boykottiert Streumunition!"
Start der Kampagne mit der Daimler-Hauptversammlung

Von Jürgen Grässlin


Zur Daimler-Chrysler-Hauptversammlung am 4. April 2007 startete die DFG-VK in enger Kooperation mit den Kritischen AktionärInnen Daimler-Chrysler und weiteren renommierten Friedensorganisationen die Kampagne "Wir kaufen keinen Mercedes. Boykottiert Streumunition!" Die Mercedes-Car-Group ist Teil des Daimler-Konzerns, der seinerseits Anteile am Rüstungsriesen EADS hält. Dieser ist an der Produktion der menschenverachtenden und völkerrechtswidrigen Streumunition beteiligt. Unser Ziel ist, den Daimler-Vorstand und -Aufsichtsrat durch eine aktionsorientierte öffentliche Imagekampagne zur Aufgabe der Erforschung, Entwicklung und Produktion von Streumunition bzw. Streumunitionswerfern zu veranlassen. Die Chancen dafür stehen gut.

Neben den A-, B-, C-, E- und S-Klasse-Fahrzeugen, dem Smart und dem Maybach von Mercedes produziert und exportiert Daimler-Chrysler auch - zivil wie militärisch einsetzbare - Dual-Use-Fahrzeuge. Schlimmer noch: Über seine Aktienbeteiligung am europäischen Rüstungsgiganten European Aeronautic Defence and Space Company (EADS N.V.) ist der Daimler-Konzern auch direkt an der Waffenproduktion und Rüstungsexporten beteiligt. Das Unternehmen preist sich selbst als "Europas führendes und weltweit zweitgrößtes Luftfahrt-, Raumfahrt- und Verteidigungsunternehmen". Sitz der im Juli 2000 aus dem Zusammenschluss der früheren Unternehmen Daimler-Chrysler Aerospace AG (Dasa), Aerospatiale Matra und Construcciones Aeronautics S.A. (Casa) gegründeten EADS ist Amsterdam. Insgesamt belief sich der EADS-Auftragsbestand Ende 2005 im so genannten Verteidigungsgeschäft - gemeint sind Rüstung und Rüstungsexporte - auf satte 52 Milliarden Euro. Allein bei Eurocopter - dem weltweit fahrenden Produzenten militärischer und ziviler Hubschrauber - betrug der Auftragsbestand fast 10 Milliarden Euro. Über die EADS-Beteiligung ist der Daimler-Konzern in die Produktion von Kampfbombern, Militärhelikoptern und Trägersystemen für Atomwaffen sowie in die Produktion von Streumunition bzw. Streumunitionswerfern involviert. Das selbst gesetzte Ziel ist klar definiert: "Die Steigerung seiner Fähigkeiten und Umsätze im Verteidigungsbereich ist für den EADS-Konzern von hoher strategischer Priorität", hieß es auf der Hauptversammlung im Mai 2006. (Eine umfassende Darstellung der Daimler-Waffenproduktion und -Rüstungsexporte findet sich in dem Beitrag "Erfolgversprechende Friedensarbeit in der Höhle des Löwen", ZivilCourage Nr. 3/2006, S. 12ff.)

Mit dem Streumunitionswerfer MLRS bzw. GLMRS ist Daimler-Chrysler einer der Konzerne, die vom Geschäft mit Streumunition profitieren. Diese Verwicklung konnte auf der internationalen Rüstungsmesse Eurosatory in Paris dokumentiert werden. Am Stand des rüstungsproduzierenden Unternehmens MBDA, an dem Daimler/EADS zu 37,5 Prozent beteiligt ist, erfolgte die Präsentation des Streumunitionswerfers Multiple Launch Rocket System (MLRS) sowie dessen Streumunitionsraketen. Mit der technisch optimierten Version des MLRS, dem so genannten "Guided" MLRS-System, wird diese Waffe über eine noch größere Reichweite verfügen, soll zudem zielgenauer treffen und wesentlich effizientere Munition besitzen.

Die Herstellung von MLRS- bzw. GLMRS-Lenkraketen erfolgt im Rahmen eines Kooperationsprogrammes von Lockheed Martin, Diehl und Daimler/EADS/MBDA. Bereits jetzt wurde angekündigt, dass MLRS-Raketen in immenser Stückzahl gefertigt werden sollen. Dieser Streumuntionswerfer soll mit einer Salve rund 8.000 Bombletmunitionen auf einem Gebiet bis zu einem Quadratkilometer verteilen können. Die im Jahr 2006 von der israelischen Armee im Libanon-Krieg eingesetzte MLRS-Streumunition besitzt eine den Landminen vergleichbare Wirkung. Durch die extrem hohe Zahl von Blindgängern, deren Zahl bis zu 40 Prozent der abgeschossen Raketen erreichen kann, werden ganze Landstriche mit Streumunition verseucht. Das Aktionsbündnis 'landmine.de' bewertet den Einsatz von Streumunition als Verstoß gegen die Genfer Konvention, die wahllose Angriffe auf Zivilisten verbietet. Mit der 19-prozentigen Beteiligung an der Diehl BGT Defence sowie über die 50-prozentige Beteiligung am Rüstungskonzern TDA profitiert Daimler/EADS erneut am Geschäft mit Streumunition. So produziert die Diehl Bodensee-Gerätetechnik den Raketenwerfer RM 70 inklusive Streumunitionsraketen, unter anderem für die Streitkräfte der Slowakei. Die TDA offeriert verschiedene Raketen mit Streumunition, beispielsweise für den EADS-Kampfhubschrauber Tiger.

Besonders unglaubwürdig macht sich die EADS, wenn der Rüstungsriese im Programm Corporate Social Responsibility seine "Verantwortung in der Gesellschaft" lobt und zugleich behauptet, dass die eigenen Produkte und Dienstleistungen "die Sicherheit vieler Nationen" erhöhen würden. Die Realität sieht anders aus: Opfer von Streumunition sind zu 98 Prozent unschuldige Zivilistinnen und Zivilisten - entweder durch den direkten Einsatz der Bombletts oder durch die spätere Explosion der Blindgänger.

Zu den Erfolgen der internationalen Friedensbewegung im Einsatz gegen Streumunition zählt die Tatsache, dass Belgien im Februar 2006 als erstes Land Streumunition verboten hat. Von der mutigen Entscheidung der belgischen Regierung direkt betroffen ist die Firma Forges Zeebrugge, die Streumunitionsraketen vom Typ 70mm FZ101 für den EADS-Kampfhubschrauber "Tiger" herstellt. Kein Wunder also, dass Forges den Versuch unternommen hatte, das neue Gesetz in Belgien zu verhindern. Als hundertprozentige Tochter der TDA ist Forges Zeebrugge zu 50 Prozent ein EADS-Tochterunternehmen. Damit ist Daimler/EADS vom belgischen Streumunitionsausstieg direkt betroffen. Bei der Streumuntionskonferenz, die im Februar 2007 in Oslo stattfand, konnte Norwegens Außenminister Jonas Gahr Store zum Abschluss verkünden, dass sich beachtliche 46 der 49 Teilnehmerstaaten auf eine gemeinsame Erklärung für ein rechtlich bindendes Verbot einigten. Das entsprechende Abkommen soll bis zum Jahr 2008 entstehen. Als einzige Teilnehmerstaaten votierten Polen, Rumänien und Japan gegen das Verbot, wobei die größten Streubombenproduzenten und -verwender - Russland, China, die USA und Israel - erst gar nicht gekommen waren. Sean McCormack ließ für das US-Außenministerium verlautbaren, die USA lehnten ein Verbot von Streubomben ab.

Noch vertritt auch die Bundesregierung eine eher zwiespältige Position. Auf der einen Seite verliehen Außenminister Franz-Walter Steinmeier und Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul ihrer Hoffnung auf ein Verbot von Streumunition Ausdruck. Auf der anderen Seite verwies das Bundesverteidigungsministerium auf die laufenden Waffenkontrollverhandlungen in Genf Windigerweise wiesen Deutschland und andere Staaten, die weiterhin über ein Arsenal an Streubomben verfügen, auf ihre technisch neue Waffengeneration hin. Deren Blindgängerquote betrage "nur" drei Prozent und würden sich nach einigen Tagen selbst entschärfen. Das Argument ist zynisch. Denn auch diese Streubomben würden beim Kampfeinsatz und über weitere Blindgänger Menschen - allen voran Zivilisten - durchsieben. Aus diesem Grund tritt die DFG-VK für ein Totalverbot jeglicher Form von Streumunition und Streumunitionswerfern ein.

Beim Gründungstreffen der Kampagne am 20. Februar erklärten neben der DFG-VK auch die Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler (KADC), Ohne Rüstung Leben (ORL), das RüstungsInformationsbüro (RIB e.V.) und die Werkstatt für gewaltfreie Aktion (WfgA) ihre aktive Mitarbeit. Die humanitäre Hilfsorganisation handicap international, die sich seit Jahren engagiert gegen Streumunition einsetzt, hat zudem ihre Unterstützung signalisiert. Im Laufe der Diskussion einigte man sich auf den Kampagnenslogan "Wir kaufen keinen Mercedes. Boykottiert Streumunition!". Drei zentrale Forderungen werden an die Daimler-Führung gerichtet: der Ausstieg aus der Streumunition, die Herstellung von Räumgeräten statt Raketenwerfern und die Einrichtung eines Fonds für Opfer von Streumunition. Auf zwei Pressekonferenzen verkündeten im Vorfeld der Daimler-Hauptversammlung Anfang April VertreterInnen der Kritischen Daimler-Aktionäre den Start der Kampagne. Mit Transparenten und Protestpostkarten wurden Tausende von Daimler-AktionärInnen vor der Messe Berlin mit den Forderungen nach dem Ausstieg aus der Streumunition und der Gründung eines Opferfonds konfrontiert. In miteinander abgestimmten Gegenanträgen (siehe hierzu Gegenantrag zur Hauptversammlung von Paul Russmann auf der DaimlerChrysler-Website http://www.daimlerchrysler.com/dccom/0-5- 716280-49-716309-1-0-0-716296-0-0-135-7164-0-0-0-0-0-0-0.html), Redebeiträgen und Fragen konfrontierten die Kritischen AktionärInnen und die DFG-VK die Vorstände und Aufsichtsräte persönlich mit der Kampagne.

Bei den Aktionsformen bieten sich viele verschiedene Ansatzpunkte. Per Protestpostkarte - digital oder in der klassischen Papierform - soll einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht werden, dass die Daimler-Chrysler nicht nur Mercedes-Fahrzeuge herstellt, sondern über Firmenbeteiligungen in die Produktion von menschenverachtender Streumunition sowie Streumunitionswerfern involviert ist.

In Scheibenwischer-Aktionen könnten die Postkarten massenhaft an die Windschutzscheiben von Mercedes-Fahrzeugen vor Niederlassung des Auto- und Rüstungskonzerns, auf den Parkplätzen vor dem Mercedes-Museum oder Produktionswerken, vor der Hauptverwaltung in Stuttgart-Untertürkheim oder dem Stuttgarter Hauptbahnhof angebracht werden. Anlässe zum "Abwurf" bzw. "Auslegen" von Protestpostkarten könnten neben den Daimler- und EADS-Hauptversammlungen unter anderem Sponsoring- und Medienevents des Konzerns bieten. Auch der Deutsche Bundestag, der zukünftig über das totale Verbot von Streumunition entscheiden muss, soll mit den Forderungen der Mercedes-Streumunitionskampagne konfrontiert werden.

Mit zunehmender Intensität der Imagekampagne werden sich der Daimler-Vorstand und -Aufsichtsrat ernsthaft mit der Frage des Ausstiegs aus dieser menschenverachtenden Rüstungsproduktion beschäftigen müssen. Zum einen wird die Kampagne über eine Vielzahl von Aktionen, Pressekonferenzen und Friedenskongressen immer bekannter werden. Zum anderen werden im Laufe der Zeit immer mehr Protestpostkarten bei der Daimler-Führung eingehen. Weitere Aktivitäten, wie ein Filmclip etc., sind in Planung und werden bei ihrer Realisierung den Druck auf die Konzernspitze erhöhen.

Gerade Imagekampagnen in der Antoindustrie bieten einen äußerst effektiven Ansatz, die Konzernführung über das Kaufverhalten massiv mit den positiven wie negativen Folgen ihrer Geschäftspolitik zu konfrontieren. So können beispielsweise Autokunden ihre persönliche Weigerung zum Kauf eines Fahrzeugs bei einem Hersteller erklären und auch praktizieren, der beispielsweise in der Rüstungsproduktion tätig ist oder besonders unökologische Fahrzeuge fertigt. Zugleich besteht für jede Kundin und jeden Kunden die reale Möglichkeit, von Vorstand und Aufsichtsrats sofort den Ausstieg aus der Streumunition zu fordern und - falls diese verweigert wird - den eigenen Missmut durch den Kauf eines Fahrzeugs eines anderen Autokonzerns zu zeigen.

Die sich im Aufbau befindliche Website www.wir-kaufen-keinen-mercedes. de, die von der DFG-VK eingerichtet und betreut werden wird, soll zukünftig einen optimalen Ansatzpunkt bieten, das eigene Käuferverhalten weithin bekannt zu machen und zu begründen. Auf dieser Website wird man sich über die Hintergründe der Daimler/ EADS-Streumunition und über die aktuellen Gegenaktionen informieren sowie Kampagnenmaterial bestellen können. Nach dem Vorbild der Aktion "Gesicht zeigen" von amnesty international soll sich ab Sommer 2007 jede/r Unterstützer/in mit einem Passfoto und dem Anklicken einer oder mehrerer Forderungen öffentlich zu den Kampagnenzielen bekennen können.

Mit dieser Imagekampagne wird der Druck hin zur Umstellung der Rüstungsproduktion auf eine sinnvolle zivile Fertigung, die Rüstungskonversion, nachhaltig wachsen. Angesichts des massiven Drucks auf nationaler wie internationaler Ebene gegen Streumunition stehen die Chancen gut, Daimler/EADS letztlich zum vollständigen Verzicht auf die Produktion von Streumunition zu bewegen. Damit wäre - nach der erfolgreichen Daimler-Minenkampagne - ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zur Entrüstung der DaimlerChrysler AG und letztlich zum vollständigen Stopp der Streumunitionsproduktion in Deutschland getan.


Jürgen Grässlin ist Bundessprecher der DFG-VK;
Kontakt: graesslin@dfg-vk.de, Telefon 0761-7678208

Literaturtipp: Anfang April erschien das neue Taschenbuch von Jürgen Grässlin "Abgewirtschaftet?! Das Daimler-Desaster geht weiter" (Droemer Verlag München, ISBN 3-426-77977-3, 9,95 Euro) mit einem völlig neuen Kapitel zum "Rüstungs-Desaster" sowie einer umfassenden Darstellung des Streumunitionsherstellers Daimler/EADS.


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 2 - April 2007, S. 9-11
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
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Erscheinungsweise: zweimonatlich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2007