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BERICHT/161: Rückblick - 50 Jahre Zentralstelle KDV (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 13 - I/2007
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

"Das Erreichte ist zu wenig"
Ein Rückblick auf 50 Jahre Zentralstelle KDV

Von Ulrich Finckh


Der Rückblick ist eigentlich einfach. Früher verfemte Kriegsdienstverweigerer werden problemlos anerkannt. Aus Drückebergern sind liebe Zivis geworden. Die neun Zusatzmonate Ersatzdienst sind weg. Statt 11 gibt es 26 Mitgliedsverbände. Wir können feiern. Es ist unglaublich, fast unheimlich, wenn man sich erinnert.


Eine Geschichte der Verfolgung und der Suche nach Frieden

1868 wanderten Tausende Mennoniten aus, weil durch die Wehrpflicht des Norddeutschen Bundes in Preußen ihr teuer erkauftes Privileg der Freiheit von militärischen Aushebungen abgeschafft wurde. Im Ersten Weltkrieg galten Kriegsdienstverweigerer als verrückt. 1933 wurden Pazifisten von den Nationalsozialisten sofort brutal verfolgt, in KZs gequält, die Geflohenen ausgebürgert, ihre Literatur aus den Bibliotheken entfernt und als undeutsch verbrannt. Die Menschen wurden in Uniformen gesteckt und 1935 die Wehrpflicht zur Kriegsvorbereitung wieder eingeführt. Führerprinzip, Befehl und Gehorsam, Freund-Feind-Denken militarisierten das Land. Im Krieg wurden Zehntausende, die nicht bedingungslos mitmachten, zum Tode verurteilt, Ungezählte wurden hingerichtet, bestenfalls zu Zuchthausstrafen begnadigt und in den Strafbataillonen der Wehrmacht schwersten Schikanen und Gefahren ausgesetzt.

Nach den Schrecken und unerhörten Verbrechen des Zweiten Weltkrieges gab es ein Umdenken, und der Parlamentarische Rat schuf ein Grundgesetz mit friedensstaatlicher Ausrichtung, um "dem Frieden der Welt zu dienen" (Präambel), nannte Menschenrechte "Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt" (Art. 1, 2 GG), garantierte Gleichheit und Glaubensfreiheit (Art. 3 und 4 GG), machte Kriegsdienstverweigerung zum Grundrecht (Art 4, 3 GG). Hinzu kam die Achtung des internationalem Rechts (Art. 24 - 26 GG). Doch Adenauer hielt sich nicht an die Entmilitarisierung. Heute - Sprache ist verräterisch - "bekennt" man sich zur Bundeswehr trotz ihrer kriegerischen Interventionen in aller Welt.


Eine Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerer - Antwort auf die Wehrpflicht

Nicht alle folgten Adenauers Remilitarisierung. 1949 gründeten Pazifisten auf Initiative des aus der Emigration heimgekehrten Professors Dr. Friedrich Siegmund-Schultze vom Versöhnungsbund zunächst die Arbeitsgemeinschaft deutscher Friedensverbände und 1953 den deutschen Ausschuss für Fragen der Wehrdienstverweigerung. Als die Wehrpflicht wieder eingeführt wurde, organisierte der Ausschuss Beratungsstellen und Informationsschriften und am 2. März 1957 - heute vor 50 Jahren - beschloss er in Dortmund einstimmig die Gründung einer deutschen "Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen e.V.". Die Delegierten der elf Mitgliedsverbände wählten gleich den ersten Vorstand. Präsident wurde Professor Dr. Siegmund-Schultze, erster Stellvertreter der spätere Präsident Oberkirchenrat Dr. Heinz Kloppenburg. Die Arbeit fing klein und ehrenamtlich an. Die ersten Haushalte umfassten trotz EKD-Zuschuss nur 12.000 Mark im Jahr.

Die Gründerväter suchten in der heiklen Situation des Kalten Krieges ein gutes Verhältnis zu den staatlichen Stellen. Sie verboten sich die Werbung für Kriegsdienstverweigerung und beschränkten sich auf die rechtliche und politische Unterstützung der Verweigerer. Die Wehrverfassung wurde politisch entschieden abgelehnt, gefordert wurden Friedensdienste. Eine Verfassungsbeschwerde von zwei SPD-Abgeordneten wurde zwar mit Sympathie begleitet. Doch als das Bundesverfassungsgericht die Wehrpflicht 1960 für international üblich und im Grundgesetz vorgesehen erklärte, war die Sache erledigt. Es wurde nicht weiter diskutiert, dass die Wehrverfassung für die Betroffenen fast alle Grundrechte aufhob oder deren Wesensgehalt radikal beschnitt - gegen Art. 19, 2 GG.

Kaum problematisiert wurde die Gewissensprüfung. Dabei war Professor Siegmund-Schultze gewarnt. Er hatte vor den angehenden Prüfungsvorsitzenden referiert und berichtete dem Vorstand, diese sähen ihre Aufgabe darin, vom Verweigern abzubringen. Die Atmosphäre sei aggressiv gewesen. Man forderte daraufhin eine faire Gesetzesanwendung. Dass in den Prüfungsgremien vor allem Leute sitzen würden, die selbst Soldaten oder gar Kriegsrichter unter Hitler waren und jede Verweigerung als persönlichen Angriff empfanden, machte man sich anscheinend nicht klar. Gutgläubig hoffte man auf bessere Information der Prüfenden und wollte den Kriegsdienstverweigerern helfen, ihre Gewissen zu erklären. Nur Hans de Boer wies auch auf die radikale Position totaler Kriegsdienstverweigerer hin und fragte, was man für die tun wolle, die Kriegsdienst für ein Verbrechen halten, für das man keinen Ersatz leisten kann. Sein Votum blieb ohne Echo, ebenso später ähnliche Vorstöße von Professor Nikolaus Koch.


Die Wehrpflicht entschuldigt Verbrechen

Die militärische Seite begründete die Wehrpflicht mit dem Zitat von Theodor Heuß "die Wehrpflicht ist das legitime Kind der Demokratie", m. E. nicht wie bei Heuß für eine Grundsatzdiskussion sondern als fatale Rechtfertigung der Wehrmacht. Etwa 18 Millionen Deutsche hatten im Zweiten Weltkrieg Militärdienst geleistet. Sie hatten den Angriffs-, Eroberungs- und Vernichtungskrieg geführt und andere Staaten überfallen. Sie hatten zahllose Verbrechen mitbekommen oder gar verübt. Sie waren mitverantwortlich, wenn aus den eroberten Ländern Menschen verschleppt und ermordet wurden. Norbert Blüm hat das charakterisiert: "Solange die Front hielt, wurde in Auschwitz gemordet."

Wenige Jahre nach Kriegsende sollten nun Hitlers Generäle, die die Feldzüge geplant und geführt hatten, wieder Militär aufbauen. Sie machten Unschuldserklärungen zur Bedingung und bekamen sie. Verteidigungsminister Blank sprach von der "sauberen Wehrmacht", die von der politischen Führung "missbraucht" worden sei. Der an deutschen Soldaten interessierte US-Präsident Eisenhower und Bundeskanzler Adenauer gaben ähnliche Erklärungen ab. Zusätzlich muss man wohl sagen: War Wehrdienst eine demokratische Pflicht, konnte man niemand vorwerfen, dass er dieser Pflicht nachgekommen war. Die Verantwortung für die Verbrechen wurde auf die politische Führung und Nazi-Einheiten wie die Waffen-SS abgeschoben.

Dass es keine demokratische Pflicht sein kann, andere Staaten zu überfallen, jegliches Recht zu missachten, Menschen wie Ungeziefer zu ermorden, wurde verdrängt, und die Beteiligten schwiegen. Erst die umstrittene Wehrmachtausstellung hat vielen die Augen geöffnet. Von heute aus gesehen, ist es schwer verständlich, dass die Pazifisten zwar generell gegen Krieg und Kriegsdienst waren, aber die wieder eingeführte Wehrpflicht nicht gezielter angriffen. Die Wehrpflicht war Hitlers Mittel der Kriegsvorbereitung und nun verharmloste sie die Beteiligung an den Kriegsverbrechen.


Beweisen, was nicht zu beweisen ist

Hart traf die Wehrgesetzgebung die Kriegsdienstverweigerer. Nicht, etwa ein Gesetz zum Schutz der Gewissensfreiheit, sondern das Wehrpflichtgesetz regelte das Nähere nach Verwaltungsrecht. Als Antragsteller muss der Verweigerer beweisen, dass sein Gewissen ihm die Kriegsdienstverweigerung gebietet. Aber innere Vorgänge sind nicht zu beweisen. Zweifel gehen zu Lasten des Verweigerers, der schlechter dasteht als ein Angeklagter, dessen Grundrechte nur eingeschränkt werden dürfen, wenn schuldhaftes Verhalten zweifelsfrei erwiesen ist. Außerdem wurde Kriegsdienstverweigerung auf die generelle Ablehnung von Krieg eingeschränkt. Viele, die um ihres Gewissens willen aufbegehrten, die "Weiße Rose", die "Rote Kapelle", die Leute vom 20. Juli, könnten heute nicht als Kriegsdienstverweigerer anerkannt werden, weil sie nicht gegen jeden Krieg waren, sondern nur gegen den verbrecherischen Krieg Hitlers.

Eigentlich müsste ich jetzt lange von den Erfahrungen mit diesen Verfahren berichten. Von dem Studenten, der sein Studium als Taxifahrer finanzierte und nicht anerkannt wurde, weil er im Straßenverkehr auch jemand töten könnte. Von dem Soldaten, der bei einer Geburtstagsfeier auf seiner Stube mitgeulkt hatte und mit den anderen in langer Unterhose, Koppel umgeschnallt, Drillichjacke an und Stahlhelm auf singend durch das Kasernengelände gezogen war. Er musste bis vors Bundesverwaltungsgericht gehen, um anerkannt zu werden, obwohl er - angeblich gewissenlos - mit Uniformteilen scherzen konnte. Oder von den Verfahren, bei denen die Prüfenden vor der Fensterfront saßen und 10 Stunden einen einzigen Verweigerer in die Mangel nahmen, der ständig gegen das Licht schauen musste. Oder von dem Soldaten, der sich gerade erst für vier Jahre verpflichtet hatte und dann in eine Flugabwehreinheit kam, die über atomare Sprengköpfe verfügte. Die Explosion eines solchen "Nuk-päckchens" über einer der benachbarten Großstädte war für ihn so undenkbar, dass er verweigerte. Aber die Prüfenden ritten auf seiner erst vor kurzem erfolgten Verpflichtung herum. Über die Bescheide, die einfach erklärten, Abscheu gegen Krieg sei normal und kein Grund zur Kriegsdienstverweigerung. Oder über die zahllosen Ablehnungen mit der einfachen Begründung "er vermochte nicht zu überzeugen". Und, und, und. Aber das würde den Rahmen sprengen, und das Unrecht ist vielfach dokumentiert.

Hinzu kam, dass nicht einmal die Formalien korrekt eingehalten wurden, z. B. nicht selten verweigererfeindliche Beisitzer häufiger zu den Sitzungen geholt wurden. In Bremen konnte ich das direkt beobachten, weil meine Frau zwei Amtszeiten in der Prüfungskammer war und zufällig bei der Auslosung der Reihenfolge für die Einladung zu den Sitzungen einmal die Nummer 1 und einmal die Nummer 2 erhalten hatte. Solange sie an jeder Sitzung teilnahm, konnte also niemand häufiger geladen sein als sie. Einige alte Herren, die ausgesprochen gegen Kriegsdienstverweigerer eingestellt waren, waren aber bald häufiger als sie geladen. Auf Beschwerden hin gab es dann faule Ausreden. Die seien bei Ausfällen leichter zu erreichen und als Rentner auch jederzeit abkömmlich gewesen. Da meine Frau als Hausfrau auch fast immer erreichbar und abkömmlich war, waren das offensichtlich nur Ausreden. Solche Vorfälle gab es aber nicht nur in Bremen sondern leider verbreitet.

Genauso ist natürlich auf die höchstrichterliche Rechtsprechung hinzuweisen, die manchmal geradezu lächerlich wirkte. Wer nur einen möglichen Atomkrieg ablehnt, darf nicht als Verweigerer anerkannt werden, denn er lehnt ja nicht jeden Krieg ab. Wer dagegen wegen der Möglichkeit eines Atomkrieges jeden Krieg ablehnt, ist als Verweigerer anzuerkennen. Solche Spitzfindigkeiten gab es vielfach, etwa auch in der Frage eines deutschen Bruderkrieges oder sonst im Blick auf bestimmte Kriege. Richtig grundgesetzwidrig war die Behauptung, die Wehrpflicht sei eine grundlegende staatsbürgerliche Pflicht, obwohl sie im Grundgesetz nur als Möglichkeit nachträglich eingefügt wurde, während das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung von Anfang an garantiert ist. Geradezu ein Eiertanz war stets die Frage, wie eine Gewissensentscheidung zu erkennen und zu werten ist. Die spitzfindige Rechtsprechung war deshalb so problematisch, weil viele Kriegsdienstverweigerer im Grunde nicht jeden Krieg ablehnten sondern wegen der A-, B- und C-Massenvernichtungsmöglichkeiten eben jeden Krieg heute. Es kam aber darauf an, das so zu formulieren, dass jeder Krieg hier und heute verweigert wurde. Im Gegensatz zu den meisten anderen Problembereichen war das Bundesverfassungsgericht für Kriegsdienstverweigerer wenig hilfreich.

Die Bilanz der Prüfungsverfahren war verheerend. Mit Sicherheit kamen weit über eine Million Kriegsdienstverweigerer zunächst nicht zu ihrem Recht und Hunderttausende überhaupt nicht. Der Staat organisierte Unrecht und junge Menschen wurden durch die Rechtsprechung hoffnungslos überfordert. Zahllose Verweigerer wurden letztlich nicht anerkannt. Auch wenn viele über erneute Anträge, andere Dienste oder Dienstausnahmen doch noch dem Wehrdienst entkamen, war das katastrophal. Über 100.000 flohen nach Berlin, Tausende ins Ausland, Ungezählte wurden krank, Einzelne nahmen sich aus Verzweiflung das Leben. Hunderte verweigerten den Militärdienst auch ohne Anerkennung trotz Schikanen und Freiheitsstrafen. Begleitet war die Missachtung des Grundrechtes von ständigen Diffamierungen, Vorwürfen der Drückebergerei und Angriffen auf Beratungsstellen unter Berufung auf das Rechtsberatungsmissbrauchsgesetz aus der NS-Zeit. Es ehrt die Zentralstelle KDV, dass sie im Gegensatz zu vielen staatlichen Stellen nie das Vertrauen in die Kriegsdienstverweigerer aufgegeben hat, sondern immer an ihrer Seite stand.


Bundesklagemauer unerwünscht

Auch das Ersatzdienstgesetz missachtete das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung mit neun Zusatzmonaten gegenüber dem Wehrdienst. Die Zentralstelle KDV konnte zunächst nur erreichen, dass die Zusatzzeit nicht gleich an den Grunddienst angehängt wurde. Doch verlangte sie immer wieder, die Ersatzdienstleistenden nicht schlechter zu stellen als die Wehrdienstleistenden. Zudem informierte sie die Wehrpflichtigen und ihre Berater umfassend. Inzwischen läuft die Information weitgehend über das Internet. Zu Tausenden haben sich junge Männer Rat und Hilfe geholt und sich beschwert, wenn ihre Anträge zu Unrecht abgelehnt oder sie im Dienst überfordert wurden. Die Zentralstelle KDV wurde für sie zur Bundesklagemauer. In vielen Fällen hat sie helfen können, oft im Einzelfall geraten oder Beistand vermittelt, mit den Behörden verhandelt und die Öffentlichkeit alarmiert, manchmal auch generelle Verbesserungen erreicht - übrigens gelegentlich auch für Wehrpflichtige. Aber natürlich konnte sie das generelle Unrecht nicht ausgleichen, auch wenn sie immer wieder protestierte.

Die Hilfe für Verweigerer war unerwünscht. Als 1971 Ersatzdienststellen gesucht wurden, hatten die Zentralstelle KDV und die Evangelische Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer je eine Stelle eingerichtet. 1977 wurde der Bundesbeauftragte Iven darauf aufmerksam und hat die Stellen gestrichen: "Ich wäre doch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn ich mir eine solche Laus in den Pelz setzen würde. Es geht doch nicht, dass der Staat Leute bezahlt oder unterstützt, die gegen seine Interessen arbeiten." Einsatz für ein Grundrecht als Arbeit gegen den Staat! Später wurde dem Sozialen Friedensdienst Bremen die Zuweisung von Dienstleistenden ein Jahr lang verweigert, weil er eine vernünftige Einführung in den Dienst und fachliche Praxisbegleitung anbot. Schließlich ist es für junge Männer nicht leicht, plötzlich mit Behinderungen, Dauerleiden, Alter, Sterben, Tod und Trauer konfrontiert zu werden. (Nebenbei: Heute gilt die Begleitung als vorbildlich, Teile dieses Konzeptes sind gesetzlich vorgeschrieben und alle wollen Zivildienst zum Lerndienst machen.) Die Akten, die bei einem Prozess zugänglich wurden, zeigten, dass hinter den unsinnigen Angriffen auf den Sozialen Friedensdienst Bremen, der die Praxisbegleitung anfing und durchsetzte, der Ärger über dessen Mitgliedschaft in der Zentralstelle KDV stand.

Andererseits kamen die staatlichen Stellen nicht darum herum, die Zentralstelle KDV ernst zu nehmen. So konnte diese nach dem Zivildienstgesetz ab 1974 ein Drittel der Mitglieder des Beirates für den Zivildienst vorschlagen und wurde mehrfach vor Ausschüsse des Bundestages geladen. Lustig war das im Verteidigungsausschuss, als ein Richter des Bundesverwaltungsgerichtes der Wehrverwaltung die Leviten las, ihre Informationen für die Prüfungsgremien in Grund und Boden verdammte und vorschlug, die Informationen der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft zu verteilen, die seien im Gegensatz dazu korrekt und verständlich. Tatsächlich meinte er die Infos der Zentralstelle KDV.


Zivis - nützlich und problematisch

Anfangs wurden die Dienstleistenden misstrauisch beäugt, brachten aber auch frischen Wind in manche Einsatzstellen mit menschenunwürdigen Zuständen. Da haben Ersatzdienstleistende sich an die zuständigen Aufsichtsbehörden gewandt oder die Öffentlichkeit alarmiert und Verbesserungen erreicht. Die Zentralstelle KDV musste dann mehr als einmal gegen ungerechte Repressalien helfen. Das negative Bild vom Drückeberger verschwand mit den guten Erfahrungen. Als die Dienstzeit 20 Monate betrug, wurden die Zivis fast Stammpersonal, weil Praktikantinnen und Freiwillige des Sozialen Jahres viel kürzer mitarbeiteten. Heute gibt es bei den kurzen Dienstzeiten weniger Kritik, da wird die Zeit halt "abgerissen" wie beim Bund, wo sich auch vor allem die, die länger dienen, mit Beschwerden an den Wehrbeauftragten wenden. Wahrscheinlich wirkt sich auch aus, dass Kriegsdienstverweigerer nicht mehr um ihr Recht kämpfen müssen und weniger kritisch in ihren Dienst gehen.

Natürlich gab es auch erhebliche Kämpfe um den Ersatzdienst. Der Bundesbeauftragte Iven versuchte, Dienstleistende zu kasernieren. Der erste Versuch in Schwarmstedt ging völlig daneben. Von einem eingezäunten militärischen Munitionslager wurde ein Teil abgetrennt, und in den Baracken sollten Zivis wohnen, die 40 Kilometer entfernt in Hannover in Kliniken arbeiteten. Das führte zu einem Streik, der nur zu berechtigt, aber natürlich gesetzwidrig war. Die Streikenden wurden von allen Seiten, natürlich auch von der Zentralstelle KDV, unterstützt, die Bilder von dem eingezäunten Militärbereich in den Zeitungen taten ein Übriges, die "Verböserung" - so nannte Iven das - musste aufgegeben werden. Ähnlich erging es ihm mit einem weiteren Versuch auf dem Vinckehof, einem Lehrlingsheim, das aufgegeben worden war, weil es nicht mehr normalen Ansprüchen genügte.

Zwiespältig war und ist der Einsatz von Zivis in der ambulanten Arbeit. Der ermöglicht alten und behinderten Menschen, den Heimaufenthalt hinauszuschieben oder gar zu vermeiden. Das ist für sie wichtig und hilfreich. Aber für die Altersheime bedeutet das, dass ihre Klientel immer schwächer und pflegebedürftiger wird. Die Heime wurden in einem doppelten Sinn "der letzte Ort", in dem das Personal, auch die Zivis, überfordert werden. Das ursprüngliche Ziel, mit dem ambulanten Einsatz neue Berufsfelder für gering Qualifizierte zu erschließen, wurde längst aufgegeben, weil die billigen und willigen Zivis so praktisch sind, vom Bund wegen der Wehrpflicht subventioniert werden und in Deutschland mehr Geld für die Reparatur kaputter Autos als für auf Hilfe angewiesene Menschen zur Verfügung steht. Schließlich wurden die Zivis zur angeblichen Lösung des Problems, das ihr Einsatz in sozialen Aufgaben durch Verdrängen hauptamtlicher Kräfte erst geschaffen hatte. Die Zentralstelle KDV hat die Problematik diskutiert, wusste aber auch keine Lösung, solange das nötige Geld fehlt.


Schmutzige Statistiktricks

Tarnen und Täuschen gehört zur militärischen Taktik. Aber wie weit darf man das? Im Nachhinein wissen wir, wie oft die Öffentlichkeit und sogar das Bundesverfassungsgericht im Interesse des Militärs betrogen wurden. Anfangs verweigerten angeblich jedes Jahr nur einige Tausend Wehrpflichtige. Professor Siegmund-Schultze sprach die unglaubwürdigen Zahlen in einem offenen Brief an Bundespräsident Heuß an und verwies auf Manipulationen bei den Zurückstellungen, von denen die Berater und Verweigerer berichteten. Das Misstrauen führte aber nicht zur Frage, warum immer so umständlich von den "registrierten Anträgen" gesprochen wurde. Heute wissen wir: Es wurde noch viel mehr manipuliert. Viele Verweigerer wunderten sich, wie leicht sie untauglich geschrieben wurden. Ebenso fiel weg, wer nicht verfügbar war, auch das wurde großzügig gehandhabt. Das hielt die Zahlen klein. Nur die trotzdem verbliebenen Tauglichen und Verfügbaren wurden schließlich "registriert" und öffentlich gemeldet.

Die Manipulation erlaubte der Regierung, die Verweigerer als winzige Gruppe von Außenseitern und Sektierern hinzustellen, als Drückeberger und "Ohne-Mich-el". Als das Lazarettschiff "Helgoland" nach Vietnam entsandt wurde und viele verweigerten, ging das nicht mehr. Da schalteten die Regierenden im Zuge des Kalten Krieges um auf "5. Kolonne des Ostens" oder behaupteten, es würde nicht aus "Gewissensgründen" sondern aus "gewissen Gründen" verweigert, weil der zivile Ersatzdienst leichter als der Wehrdienst sei. Der Schwindel mit den manipulierten Registrierungen flog erst auf, als die Union gegen die weitgehende Aussetzung der mündlichen Prüfungen 1977 in Karlsruhe geklagt hatte. Während des Prozesses wurde die Statistik heimlich umgestellt. Nun wurden alle, selbst unsinnige Anträge von Rentnern oder für Babys, gezählt und eine Verweigererflut vorgetäuscht. Den Betrug konnte die Zentralstelle KDV erst aufdecken, als der Leiter eines Kreiswehrersatzamtes berichtete, dass er widersprochen habe: "Wenn das herauskommt, wird man es uns als Betrug um die Ohren hauen". Schließlich habe er förmlich remonstriert, sei aber angewiesen worden, so zu verfahren. Für sich habe er weiter im alten Stil registriert und festgestellt, dass sich fast nichts geändert hatte.

Das Verfassungsgericht ist auf den Betrug hereingefallen, hat aber festgelegt, dass die Bundeswehr als Wehrpflicht- oder als Freiwilligenarmee organisiert werden kann, dass Wehrpflicht allerdings wegen Art. 3 GG "Wehrgerechtigkeit" voraussetzt. Davon kann bekanntlich derzeit keine Rede sein. Von den über 440.000 jungen Männern eines Jahrganges braucht die Bundeswehr nur 15 Prozent. Nicht einmal die Hälfte wird einschließlich aller anderen gesetzlichen Dienste einberufen und hat erhebliche Nachteile. Die Ungleichbehandlung wird dadurch organisiert, dass in den letzten Jahren ca. 80.000 gar nicht gemustert und von den Gemusterten über ein Drittel untauglich eingestuft wurden. Da inzwischen Verwaltungsgerichte die Ungleichbehandlung kritisieren und in Karlsruhe vorgelegt haben, wird das Thema wohl im nächsten Jahr das Bundesverfassungsgericht beschäftigen. Wir können nur hoffen, dass es bei seiner Rechtsprechung bleibt und sich nicht wieder von den Militärpolitikern in die Irre führen lässt.


Auch beim Ersatzdienst wurde statistisch betrogen

Ein anderer Schwindel war, der Ersatzdienst müsse zum Ausgleich von Wehrübungen länger als der Grundwehrdienst sein. Dabei gab es nie mehr als durchschnittlich zwei Wochen Wehrübungszeit, weil zwar Einzelne längere Übungen leisten mussten, viele aber gar keine. 1972 wurde bei der sozialliberalen Regierung erreicht, dass aus den zusätzlichen neun Ersatzdienstmonaten, die noch kaum eingefordert worden waren, nur einer je angefangener Monat tatsächlicher Wehrübungszeit der wehrpflichtigen Soldaten wurde. Der Weg dahin ist eine eigene Abhandlung wert von der schwierigen Anhörung, bei der allein die Erwähnung der Verfolgung von Pazifisten in der NS-Zeit als Skandal gewertet wurde, über den Widerstand der Unionsparteien und ihren Versuch, das Thema im Wahlkampf hochzuziehen, bis hin zur Billigung durch Stimmenthaltung der unions-regierten Länder nach verlorener Wahl. Das 1973 verabschiedete Zivildienstgesetz trat am 1. Januar 1974 in Kraft. Doch 1984 verlängerte die christlich-liberale Koalition den Zivildienst wieder um ein Drittel gegenüber dem Grundwehrdienst. Erneut wurde das Verfassungsgericht belogen, als die SPD gegen das Gesetz klagte. Um die Zusatzmonate zu rechtfertigen, wurden die Wehrübungen angeführt, dabei aber die freiwilligen Übungen und die der Freiwilligen mitgezählt, die für den Vergleich mit Zivildienstleistenden ohne jede Bedeutung sind. Außerdem sollten die Übungen angeblich verdreifacht werden. Sie wurden nach dem Urteil aber sofort verringert.

Der krasseste Betrug war der statistische Vergleich der wöchentlichen Dienstzeiten. Im Zivildienst zählt allein die echte Arbeitszeit vergleichbarer Beschäftigter laut Tarifvertrag, bei Bereitschaftsdienst nur der Anteil der im Durchschnitt anfallenden Arbeit. Tätigkeiten in der Dienstunterkunft zählen bis zu zwei Stunden täglich gar nicht. Dagegen rechnete die Bundeswehr alles, was auf dem Dienstplan stand, selbst Aufstehen, Waschen und Anziehen. Zusätzlich gab es Zeitgutschriften von 24 Stunden pro Tag im Manöver, auf dem Truppenübungsplatz, auf See und im Wachdienst. Soldaten konnten im Extremfall auf dem Truppenübungsplatz 60 Stunden an einem Tag ableisten: 12 Stunden Dienst laut Dienstplan, 24 Stunden laut Gutschrift für den Übungsplatz und bei Wachdienst nochmals 24 Stunden. Das wurde natürlich nicht aufgeschlüsselt, sondern gelogen, die Dienstzeiten seien bei Soldaten und Zivildienstleistenden gleich berechnet. Auch diesen Betrug konnte die Zentralstelle KDV erst nachträglich aufzeigen, als ein Kompaniechef die Art der Dienstzeitberechnung erläutert hatte. Dabei war man misstrauisch, weil der "Spiegel" kurz vorher berichtet hatte, dass selbst Feiern und freiwillige Lehrgänge als Dienst gewertet wurden. Aber der ganze Betrug war selbst ihm entgangen.

Ob die Minister von dem Betrug wussten, ist schwer zu sagen. Bei Minister Leber hatte ich 1978 den Eindruck, dass auch er hintergangen wurde. Bei Dr. Geisler fällt es mir schwer anzunehmen, dass er den Schwindel nicht durchschaut hat. Er hat 1985 im Prozess auffallend geschwiegen und andere die Lügen vortragen lassen.


Kampf gegen Inquisition und Kriminalisierung

Noch einmal etwas zurück. Gegen die Diffamierungen und Diskriminierungen hat die Zentralstelle KDV stets den Verweigerern geholfen. Sie informierte die Kriegsdienstverweigerer und ihre Berater zeitnah. Sie war Lobby in Gesetzgebungsverfahren und bei den zuständigen Behörden. Ab 1974 konnten die Vertreter im Beirat mitwirken, manches verhindern und wichtige Informationen bekommen. Zudem lieferten Anwälte und Beistände laufend viele Informationen, die dann weitergeben werden konnten. Aber die generelle Situation blieb katastrophal.

Vorrangig wurde der Protest gegen die Prüfungsverfahren, die als Inquisition angegriffen wurden. Die Mitgliedsverbände machten das mit eindrücklichen Karikaturen, Flugblättern, Infoständen, Demonstrationen und Kongressen. Wie fatal die Prüfungen waren, kann nur ermessen, wer sie erlebt hat. Es gab keine Zusammenkunft von Beiständen und Anwälten der Kriegsdienstverweigerer, bei der nicht zuerst das gegenseitige Berichten der letzten Gemeinheiten und die Betroffenheit über die Folgen für abgelehnte Verweigerer die Aussprache bestimmten oder erzählt wurde, wie sich überstimmte Mitglieder der Prüfungsgremien bei Anwälten und Beistanden ausweinten. Die letzte Instanz, das Bundesverwaltungsgericht forderte hilflos eine "wohlwollende" Beurteilung der Anträge. Der Appell ans Wohlwollen des Gerichtes ist das Letzte, wenn ein Anwalt nichts zur Entlastung eines Angeklagten vorbringen kann. Für den Schutz eines Grundrechtes ist das keine geeignete Kategorie.

Ein Beispiel für den Protest gegen die Willkür nach dem fatalen Karlsruher Urteil von 1978 war 1981 der Kongress der Zentralstelle KDV "Menschenrecht Gewissensfreiheit" in Köln, der letzte Versuch, die sozial-liberale Koalition zur Abhilfe zu bewegen. Doch wurde sich die Koalition nicht einig. Erst die christlich-liberale Koalition erließ das Kriegsdienstverweigerungsneuordnungsgesetz. Das erleichterte ab 1984 viele Prüfungsverfahren, aber verlangte eben einen um ein Drittel verlängerten Zivildienst.

1982 feierte die Zentralstelle KDV ihr 25-Jahre-Jubiläum. Neben der anhaltenden Empörung über das fatale Urteil von 1978 kam die Kriminalisierung der totalen Verweigerung stärker in den Blick. Die Zeugen Jehovahs hatten damit schon länger zu tun, hielten sich aber von der Zentralstelle KDV fern, wohl wegen der kirchlichen Beteiligung. Sie ertrugen die Freiheitsstrafen als Martyrium für ihren Glauben. Doch jetzt gab es radikale politische Verweigerer, die erklärten: "Für das Nichtbegehen eines Verbrechens leiste ich keinen Ersatz". Sie beriefen sich öffentlich auf die Gewissensfreiheit in Art. 4, 1 GG und argumentierten, dass sie niemand schaden, sondern im Gegenteil es gerade ablehnen, andere Menschen zu töten oder zu verkrüppeln. Das Bundesverfassungsgericht hatte zwar seine anfängliche Billigung mehrfacher Verurteilungen korrigiert, lässt aber eine einmalige Bestrafung und Arreststrafen der Bundeswehr von vier mal 21 Tagen trotz des Verbotes von Doppelbestrafungen (Art. 103, 3 GG) zu. Das Engagement der Zentralstelle KDV für die Totalverweigerer hat bisher nur dazu geführt, dass die Behörden möglichst auf Einberufungen von Totalverweigerern verzichten, weil sie die Berichte und die öffentliche Empörung fürchten.


Fortschritte

Nach der erwähnten Verlängerung des Zivildienstes um ein Drittel gelang es, die Zusatzzeit peu à peu wieder zu kippen. Die Koalition hatte 1988 beschlossen, den Grundwehrdienst von 15 auf 18 Monate zu verlängern, sobald nicht mehr genug Wehrpflichtige verfügbar sind. Für den Zivildienst hätte das 24 Monate, sechs Zusatzmonate, bedeutet. Diesmal wurde der statistische Schwindel durchschaut. Als man das Gesetz in Kraft setzen wollte, standen nämlich noch 700.000 Wehrpflichtige zur Verfügung. Ein Tipp an die "Frankfurter Rundschau", die das meldete, mobilisierte die Abgeordneten. Nach einigem Hin und Her musste das Ministerium klein beigeben. Der Zusammenbruch des Ostblocks sorgte sogar dafür, dass die Dienstzeit verkürzt wurde, so dass der Erfolg nicht auffiel. Weil Verteidigungsminister Stoltenberg in der Pressekonferenz zur verkürzten Dienstzeit vorrechnete, dass 12 Monate plus ein Drittel 15 Monate Zivildienst ergeben, fiel dabei ein erster Zusatzmonat weg.

Der Wegfall der Feindbilder des Kalten Krieges und die Erleichterung der Anerkennungsverfahren entschärften das Thema Kriegsdienstverweigerung, der Zivildienst trat wieder in den Vordergrund. An die Stelle der Absage an Krieg und Rüstung trat faktisch eine Art Dienstpflicht der Männer, die in der Bundeswehr, im Zivildienst oder in anderen Ersatzdiensten erfüllt werden konnte. Immer wieder forderten Politiker eine solche Dienstpflicht. Aber internationale Konventionen und Art. 12, 2 GG verbieten generelle Zwangs- und Pflichtdienste, ausgenommen sind allein die Wehrpflicht und gegebenenfalls der Ersatzdienst. In vielen Diskussionen hat die Zentralstelle KDV darauf hingewiesen. Politiker, die heute noch eine allgemeine Dienstpflicht fordern, zeigen nur, dass sie keine Ahnung vom Grundgesetz und den internationalen Verpflichtungen Deutschland haben.

Nach der Wende in der DDR half die Zentralstelle KDV, die Zivildienstverordnung zu erstellen. Sie wurde durch die deutsche Einheit überholt, und plötzlich sollte das westliche Recht im Gebiet der ehemaligen DDR gelten. Nun war in Bonn zu erreichen, dass die Bausoldaten und Zivildienstleistenden der DDR als Kriegsdienstverweigerer übernommen wurden. Andererseits war "drüben" zu erklären, wie das aus dem Westen übergestülpte Recht funktioniert. Dass man sich auf Rechte berufen kann, dabei aber Formalien Ernst nehmen muss, war dort fremd, wo es lange nur auf Linientreue und Beziehungen ankam. Tausendfach wurden Infos gedruckt und verteilt, ehe die staatlichen Stellen zu Potte kamen.

Interessant war, welche Bedeutung die Zentralstelle KDV in den Augen der Stasi gehabt hatte. Die DDR hielt sie für einen Handlanger des Westens, der sie angeblich wehrlos machen wollte. Im Westen war es umgekehrt. Nur die Aufforderung "geht doch nach drüben!" gab es lediglich auf dieser Seite der Mauer. Andererseits wurde auch deutlich, wie viele Verweigerer in der DDR auf die Zentralstelle KDV geschaut hatten.

Fortschritte brachte die rot-grüne Regierung. Sie kostete zwar die Präsidentin, weil die Nachfolgerin von Dr. Simon, Bundestagsvizepräsidentin Renate Schmidt, für den Zivildienst zuständige Ministerin wurde. Doch gelang es, als neue Präsidentin die Landesbischöfin Dr. Margot Käsmann zu gewinnen. Nach und nach wurden die Zusatzdienstzeiten vollends gekippt, teils mit Hinweisen auf die Kosten, teils mit Druck der zum Protest aufgerufenen Zivis.

Ebenso wurden Vorschriften für die Einweisung in den Zivildienst erlassen, die halfen, den Schock der plötzlichen Konfrontation mit Leiden und Sterben abzumildern. Die Prüfungsverfahren wurden inzwischen dem Bundesamt für den Zivildienst übertragen und praktisch sehr erleichtert. Die Stimmung war längst umgeschlagen. Aus dem Drückeberger des Anfangs war seit der "Schwarzwaldklinik" der beliebte und fast unentbehrliche Zivi geworden, und später hat der Bundesbeauftragte Hackler seiner Partei, der CDU, deutlich gemacht, dass viele ihrer Söhne verweigerten. So gab es zwar noch 1991 Aufregung, als über 150.000 Anträge gestellt wurden, aber kaum Aufregung, als die Zahl der Verweigerer weiter stieg.


Das Erreichte ist zu wenig

Weil die Bundeswehr nur noch wenige einberuft und faktisch zur Freiwilligenarmee geworden ist, werden jetzt die Zivis missbraucht, um die fehlende Wehrgerechtigkeit etwas zu verringern und die Wehrpflicht zu retten. Kriegsdienstverweigerer werden leichthin tauglich geschrieben, großzügig anerkannt und stärker zum Dienst herangezogen als die zum Wehrdienst Bereiten. Die Bundeswehr ist längst eine Freiwilligenarmee geworden mit nur noch ca. 30.000, demnächst angeblich 35.000 willkürlich für neun Monate zum Grundwehrdienst Einberufenen unter 250.000 Soldatinnen und Soldaten, auch wenn das Weißbuch sie Wehrpflichtarmee nennt. Geblieben ist lediglich die Diskriminierung der Kriegsdienstverweigerer durch die stärkere Heranziehung zum Dienst.

Immerhin ist die Situation besser als vor 50 Jahren, besser - aber nicht gut. Dass die Zentralstelle KDV ohne jede Möglichkeit, Vorteile zu gewähren, viel erreicht hat, ist schön. Doch das Grundproblem ist nicht gelöst. Solange Anträge gestellt werden müssen und nicht der Grundrechtsträger sondern staatliche Stellen über die Zuteilung des Grundrechtes urteilen, können die Prüfungen jederzeit wieder in Willkür ausarten. Dazu reicht eine einfache Änderung des Gesetzes oder der Zuständigkeiten. Ein Grundrecht hat man aber, wenn es wirklich ein Grundrecht ist, ohne staatliche Überprüfung, und es darf nur eingeschränkt oder gar entzogen werden, wenn Missbrauch zweifelsfrei bewiesen wird.

Die Zentralstelle KDV beruft sich auf das in der Verfassung garantierte Recht. Das ist typisch beim Eintreten für Menschenrechte und gibt Kraft. Die vergangenen 50 Jahre machen Mut, dass noch mehr erreicht werden kann. Wie nötig das Nein zum Töten ist, zeigen die katastrophalen Folgen der kriegerischen Einsätze in Somalia, im völkerrechtswidrig angegriffenen ehemaligen Jugoslawien, in Afghanistan und im Irak, sowie die mörderischen Kollateralschäden der Luftangriffe. Dass Kriege mit Lügen begründet wurden, macht die Sache natürlich nicht besser, erklärt allenfalls, wie leicht es auch in einer Demokratie ist, Kriege anzuzetteln. Bedrückend ist allerdings, dass fast alle Soldatinnen und Soldaten auch noch mitmachen, wenn die Lügen und der Bruch des Völkerrechts offensichtlich sind. Doch unter der Hand zweifeln inzwischen selbst die Militärs am Nutzen kriegerischer Interventionen und im kleinen Kreis werden Politiker vorsichtiger. Nur traut sich keiner der "tapferen" Militärs und Militärpolitiker, das öffentlich zu sagen, weil man Angst vor den Verbündeten hat. Die pazifistischen Gründungsväter sind aus gutem Grund für das Recht der Kriegsdienstverweigerung und Alternativen zu Krieg und Militär eingetreten.


Dank und Bitte

Wer das Friedensengagement und so viel Hilfe für Bedrängte unterstützt, hat Dank verdient, und dem dient ja auch dieser Tag. Der Dank gilt zuerst den Gründervätern und dann allen, die im Vorstand, in der Geschäftsstelle, als Mitglieder, als Spender, mit rechtlichem Rat und mit Hinweisen in diesen 50 Jahren geholfen haben. Ganz besonders zu danken ist den Kriegsdienstverweigerern, die sich von den Schikanen der Prüfenden und allen Diffamierungen und Diskriminierungen nicht haben irre machen lassen. Sie haben entscheidend dazu beigetragen, dass Zivi zum positiven Begriff geworden ist und die Öffentlichkeit aufmerkt, wenn totale Verweigerer verfolgt werden. Beachtenswert ist auch, dass die Mitgliedsverbände, von denen sich manche um Kriegsdienstverweigerer wie um Soldaten kümmern, andere vor allem Totalverweigerer vertreten, trotz mancher weltanschaulichen Unterschiede immer gut zusammen gearbeitet haben. Das ist nicht selbstverständlich.

Dem Dank muss die Bitte folgen, in der Unterstützung der Zentralstelle KDV nicht müde zu werden; denn es ist noch viel zu tun. Es geht um die volle Verwirklichung des Grundrechtes und dafür brauchen wir die Zentralstelle. Wie in den traditionellen Demokratien muss die Wehrpflicht fallen und jeder Mensch das Recht haben, das Töten zu verweigern, selbst wenn er schon Soldat ist. Solange kriegerische Interventionen auf das Recht - eigentlich das Unrecht - der Stärkeren setzen, bleibt die Aufgabe der Zentralstelle KDV unverzichtbar: Das Eintreten für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen.


Ulrich Finckh, Pastor i. R. und Jahrgang 1927, war von 1971 bis 2003 Vorsitzender der Zentralstelle KDV. Dieser Text wurde von ihm als Vortrag bei der 50-Jahre-Feier der Zentralstelle KDV am 2. März in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin gehalten.


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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 13, I/2007, S. 11-17
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
Pazifismus, Friedenspädagogik und Völkerverständigung PAX AN
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juli 2007