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BERICHT/171: Freiwillige SPD-Wehrpflicht (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 15 - III/2007
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Der schwarze Schimmel: freiwillige SPD-Wehrpflicht
Zivildienst und Notwendigkeit zur KDV-Antragstellung nach Art. 4 Abs. 3 GG fielen bei Realisierung weg

Von Stefan Philipp


"Wer noch alle Tassen im Schrank hat, kann angesichts dieser terminologischen Chimäre nur noch in schallendes Gelächter ausbrechen." Mit solch beißendem Spott kommentierte Jürgen Rose, Oberstleutnant der Bundeswehr und seit Jahren der härteste Kritiker der Wehrpflicht innerhalb der Armee, den Beschluss des SPD-Vorstandes über die "freiwillige Wehrpflicht". Eine solche soll - und wird wohl - der Ende Oktober in Hamburg stattfindende SPD-Parteitag entsprechend dem Leitantrag "Gesellschaftliche Verankerung der Bundeswehr erhalten - Freiwilligkeit stärken" des Parteivorstands beschließen.

Was kann man sich unter dieser ominösen Verbindung von Freiwilligkeit und Zwang vorstellen. Die SPD erklärt das in ihrem Leitantrag so: "Wir streben an, zum Dienst in den Streitkräften künftig nur noch diejenigen einzuberufen, die sich zuvor bereit erklärt haben, den Dienst in der Bundeswehr leisten zu wollen."

Übersetzt heißt das: Die Wehrpflicht bleibt im Grundsatz bestehen, eine Grundgesetzänderung soll es nicht geben. In der Verfassung heißt es in Artikel 12a: "Männer können ... zum Dienst in den Streitkräften ... verpflichtet werden." Erhalten bleiben soll auch die zivile Wehrverwaltung, die über die Kreiswehrersatzämter die Musterungen durchführt, denn diese Untersuchungen des ganzen männlichen Jahrgangs sollen "beibehalten" werden. Was wegfällt, ist die zwangsläufige Einberufung zum Grundwehrdienst - und zwar dann, wenn sich genügend freiwillig für die Dienstleistung melden.

Am Prinzip Wehrpflicht würde sich also nichts ändern, in der Praxis wäre hingegen fast alles anders. Weil niemand mehr damit rechnen müsste, gegen seinen Willen zur Bundeswehr einberufen zu werden, müsste niemand mehr einen KDV-Antrag stellen - der Zivildienst fiele also weg, würde bzw. ebenfalls zu einer rein freiwilligen Veranstaltung umgewandelt werden.

Warum präsentiert die SPD-Führung einen solchen Vorschlag? Sie reagiert damit auf die seit Jahren anhaltende innerparteiliche Diskussion, in der sich mittlerweile zwei annähernd gleich große Lager gegenüberstehen. Das eine will - aus den unterschiedlichsten Gründen - an der Wehrpflicht festhalten, während das andere die Bundeswehr in eine reine Freiwilligenarmee umwandeln will. Die Abstimmung über einen Antrag auf Abschaffung der Wehrpflicht wäre deshalb eine Zerreißprobe. Das Gerede von einer "intelligenten Weiterentwicklung der Wehrpflicht" ist also der klassische Formelkompromiss, der es beiden Seiten erlaubt, das Gesicht zu wahren - die Wehrpflicht bleibt grundsätzlich erhalten, faktisch wird die Bundeswehr zur Freiwilligenarmee.

Ein weiterer Vorteil dieser Lösung: Man müsste als Regierung nicht mehr lügen. Denn in der Realität ist die Bundeswehr längst eine Armee. in der die Wehrpflichtigen bedeutungslos sind. Von 250.000 SoldatInnen sind nur 30.000 Grundwehrdienstleistende. Daneben gibt zwar noch ca. 20.000 so genannte FWDL, freiwillig Wehrdienstleistende, die den neunmonatigen Grundwehrdienst bei besserer Bezahlung auf bis zu insgesamt 23 Monate verlängert haben, faktisch sind das aber Freiwillige und keine Wehrdienstleistenden. Bei somit 40.000 zwangsweisen Einberufungen pro Jahr über die Wehrpflicht und Jahrgängen, die ca. 400.000 junge Männer umfassen, stellt sich das Gerechtigkeitsproblem.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1978 klar entschieden: Dem Staat steht es frei, ob er die Bundeswehr über die Wehrpflicht oder als Freiwilligenarmee organisiert. Wenn er sich für die Wehrpflicht entscheidet, dann muss diese wegen des Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 GG "gerecht" durchgeführt werden, es dürfen also nicht einzelne oder ganze Gruppen willkürlich von der Verpflichtung zur Wehrdienstleistung befreit werden, weil beispielsweise der Personalbedarf geringer ist als die Zahl der zur Verfügung Stehenden.

Genau eine solche Situation existiert aber seit Jahren, weshalb beim Verfassungsgericht bereits eine Vorlage des Verwaltungsgerichts Köln zur Entscheidung anhängig ist, das die "Wehrgerechtigkeit" nicht mehr gewährleistet sieht und deshalb die Wehrpflicht für nicht mehr verfassungsgemäß hält. Die Regierung geht diesem Gerechtigkeitsproblem bislang aus dem Weg und trickst mit allen Mitteln. So sind z.B. die Tauglichkeitskriterien so verändert worden, dass im ersten Halbjahr mehr als 46 Prozent aller Gemusterten für untauglich erklärt wurden - dass die Hälfte der Bevölkerung krank ist, kann aber niemand ernsthaft glauben.

Das Gerechtigkeitsproblem stellt sich auch noch in einer weiteren Frage. Während die Bundeswehr trotz der Tauglichkeitstricksereien nur noch den geringsten Teil der eigentlich zur Verfügung Stehenden einberuft, werden alle anerkannten Kriegsdienstverweigerer zum Zivildienst einberufen. Damit ergibt sich die absurde Lage, dass es weit mehr Zivis als Grundwehrdienstleistende gibt, soll doch der Zivildienst von der Grundgesetzsystematik her lediglich Ersatz für den verweigerten Wehrdienst sein. KDV-Organisationen raten deshalb seit Jahren dazu, mit der KDV-Antragstellung abzuwarten, bis man tatsächlich einen Einberufungsbescheid erhält. Die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer ist mittlerweile so problemlos geworden, dass praktisch jeder, der sich ernsthaft darum bemüht, dem Militärdienst entgehen kann.

Wie sehen die Realisierungschancen der freiwilligen SPD-Wehrpflicht aus? In dieser Legislaturperiode wird sich gar nichts verändern, weil sich die große Koalition auf die Wehrpflicht festgelegt hat und die CDU/CSU bislang daran nicht rütteln will. Nach der nächsten Bundestagswahl könnte sich die Lage allerdings völlig anders darstellen, weil alle drei jetzigen Oppositionsparteien für eine Abschaffung der Wehrpflicht eintreten. Es sind also keine Koalitionen denkbar, in der nicht mindestens ein Partner für eine Veränderung eintritt.

Bleibt die Frage, wie eine "freiwillige Wehrpflicht" aus pazifistisch-antimilitaristischer Sicht zu bewerten ist. Krieg ist ein Verbrechen, die Dienstleistung dafür ebenfalls, also auch der Zwang zu einer solchen Kriegsdienstleistung. Daraus folgt als Hauptforderung die nach der Abschaffung der Armee, daneben aber mindestens die nach der Abschaffung des Kriegsdienstzwangs, der Wehrpflicht. Insofern wäre die freiwillige SPD-Wehrpflicht ein erster kleiner Schritt.


Stefan Philipp ist Redaktionsleiter von 'Forum Pazifismus' und stellvertretender Vorsitzender der Zentralstelle KDV.


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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 15, III/2007, S. 17-18
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2007