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BERICHT/173: Entwicklungshelfer in Uniform? (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 4 - September/Oktober 2007
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Entwicklungshelfer in Uniform?
Die Auslandseinsätze der Bundeswehr, die Friedensdienste und die Entwicklungshilfe

Von Siegfried Pater


Der 7. November 2001 war ein schwarzer Tag in der deutschen Geschichte und Demokratie. Doch längst vergessen sind die Bilder von den friedlichen Demonstranten vor dem weiträumig abgesperrten Bundestag. Drinnen hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder den Auslandseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan mit der Vertrauensfrage seiner Person verbunden und so die Zustimmung des Parlaments faktisch erzwungen. Genau einen Monat zuvor hatte George Bush in Afghanistan seinen weltweiten Krieg gegen den Terror begonnen - mit einem vernichtenden Resultat.

Hatte 2001 der deutsche Auslandseinsatz der Bundeswehr noch die Gemüter erregt und eine öffentliche Debatte entfacht, so sah es schon vier Jahre später anders aus. Begleitet nur von einzelnen kritischen Stimmen, beschloss das Parlament die Erweiterung des Mandats. Und dann in diesem Jahr am 9. März den "Tornado"-Einsatz. Bis auf eine Klage der Linkspartei erregte das kaum jemanden. Das Interesse setzte erst wieder ein, als kürzlich drei Bundeswehrsoldaten am Hindukusch ihre Leben ließen - insgesamt sind es nun 21.

Dabei wäre es mehr als überfällig, darüber zu diskutieren, in welchem Verhältnis die Mittel für das Militär zu dem Geld stehen, das die zivilen Friedensdienste erhalten. Die "Verteidigung Deutschlands am Hindukusch" kostet den Steuerzahler allein in diesem Jahr 500 Millionen Euro. 1,2 Millionen erhalten die 40 im Forum ziviler Friedensdienst zusammengeschlossenen Organisationen in diesem Jahr insgesamt. 3.000 deutsche Soldaten sind in Afghanistan im Einsatz und lediglich 10 Friedensfachleute. In anderen Regionen sieht es nicht anders aus. Während 135 ausgebildete MitarbeiterInnen zurzeit in den Krisenregionen der Welt tätig sind, beteiligt sich Deutschland mit 9.000 Soldaten an Einsätzen im Ausland. In der Öffentlichkeit aber ist das so gut wie kein Thema.

Für den brasilianischen Bischof Dom Helder Camara war Entwicklung gleich Frieden und Unterentwicklung gleich Krieg. Während aber die weltweiten Militärausgaben innerhalb der letzten fünf Jahre um 25 Prozent auf über eine Billion US-Dollar pro Jahr gestiegen sind - circa 700 Milliarden US-Dollar verbuchen die G8-Staaten - stagniert die weltweite Entwicklungshilfe.

Die reichsten Industrieländer - darunter auch Deutschland - halten nicht einmal ihre Entwicklungshilfezusagen ein. Der Direktor des Internationalen Zentrums für Konversion (BICC), Peter Croll, stellte kürzlich in Bonn fest: "Das Verhältnis von Militärausgaben in den Industrieländern zu den Gesamtausgaben für die globale Entwicklungszusammenarbeit lag 2005 bei erschreckendes sieben zu eins."

Seit der Gründung des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) im Jahre 1963 haben mittlerweile 15.000 Frauen und Männer ihren Dienst für den Frieden in Übersee geleistet. In den letzten 15 Jahren übernahm die Bundeswehr aber immer mehr die angebliche "Friedenssicherung". Es begann 1992 mit dem damaligen Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU), der angesichts der Ablehnung von Kriegseinsätzen in der Bevölkerung mahnte: "Es geht nicht nur darum, die Soldaten, sondern die ganze Gesellschaft auf diese neuen Aufgaben vorzubereiten."

Dies geschieht seitdem medienwirksam durch die feierliche Verabschiedung und Rückkehr der Bundeswehrsoldaten nach dem Auslandseinsatz. Kehren sie in Zinksärgen zurück, werden ihnen höchste Ehren zuteil. Verteidigungsminister Jung forderte angesichts der Heimführung der vorläufig letzten drei Soldaten aus dem Afghanistaneinsatz "die Schaffung eines Ehrenmals". Bei aller Trauer um die Opfer sei erlaubt zu fragen, warum es nie eine nur annähernd ähnliche Ehrung des Einsatzes von EntwicklungshelferInnen oder auch FriedensfacharbeiterInnen gibt. Ob tot oder lebendig, FriedensarbeiterInnen in entwicklungspolitischer Mission werden fast nicht wahrgenommen. Immerhin 83 von ihnen haben allein beim DED während ihres Einsatzes das Leben verloren, 35 durch Unfälle und Gewaltverbrechen, ein Entwicklungshelfer wurde durch die rhodesische Luftwaffe erschossen. Sie alle sind in Zinksärgen heimgekehrt, aber ohne eine ihnen doch wohl zustehende öffentliche Ehrung. Die Propaganda löst "Frieden schaffen ohne Waffen" durch "Frieden schaffen mit Waffen" ab.

Eines der gravierendsten Beispiele dafür ist der Nahe Osten. Dort findet der konfliktschürende Einsatz der Bundeswehr im Libanon statt. Im Unterschied zu den FriedensfacharbeiterInnen vor Ort, die von der Gleichwertigkeit der Konfliktpartner ausgehen, vertritt die Bundeswehr die Interessen Israels. Hinzu kommen die völlig unterschiedlichen Unterstützungsleistungen. Die palästinensischen Gebiete sind mit rund 1.000 US-Dollar Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf im Jahr ein "Entwicklungsland" und erhalten bilateral und über die EU multilateral Entwicklungshilfe. Die Schwerpunkte der deutsch-palästinensischen Entwicklungszusammenarbeit sind Beschäftigungsförderung, Auf- und Ausbau des Wassersektors sowie Stärkung der palästinensischen Institutionen.

Israel hingegen gilt mit 20.000 US-Dollar BIP pro Kopf im Jahr nicht als Entwicklungsland und kann deshalb von Deutschland keine Entwicklungshilfe erhalten. Wegen der besonderen Beziehungen werden aber viele andere Kanäle für eine Zusammenarbeit genutzt, zum Beispiel über das Bundesministerium für Bildung und Forschung oder über das Auswärtige Amt. Vor allem aber gibt es eine intensive wirtschaftliche Zusammenarbeit im militärischen Bereich. Israel bekommt U-Boote, die Menschen in den palästinensischen Gebieten humanitäre Hilfe. Es liegt auf der Hand, dass dies den Konflikt eher verschärft als entspannt.

Jugendliche aus den palästinensischen Gebieten und aus Israel empfanden während eines gemeinsamen Seminars in der Ethik- und Kulturwerkstatt Mariposa auf Teneriffa gerade diese zweigleisige Vorgehensweise Deutschlands als Spaltung. Sie wünschten sich nur trilaterale Projekte, wie im Wasserbau oder in der Bildung, denn die würden den Friedensprozess zwischen Palästinensern und Israelis wirklich fördern.

Ginge es nach dem Wunsch einiger Generäle der Bundeswehr, so würden die SoldatInnen für ihre Auslandseinsätze zusammen mit EntwicklungshelferInnen ausgebildet. Bei der Ausbildungsstätte "Internationale Weiterbildung und Entwicklung" (INWENT) in Bad Honnef liegen diesbezügliche Anfragen vor. Die Krankenschwester des DED würde dann mit dem Bundeswehrsoldaten für den gemeinsamen Einsatz ausgebildet. Der Soldat würde dann die Krankenschwester in Afrika beschützen, diese wiederum würde den Bundeswehrsoldaten medizinisch versorgen. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) wehrt sich dagegen. Wie lange noch?

In den letzten Jahren sind zwei sich ergänzende Trends zu beobachten: Auf der einen Seite wird das Militär in Nachkriegssituationen immer öfter für zivile Aufgaben eingesetzt; auf der anderen Seite arbeiten zivile, vor allem entwicklungspolitische, AkteurInnen immer stärker in den Bereichen Kleinwaffenkontrolle, Demobilisierung von ehemaligen KämpferInnen sowie der Reform des Sicherheitssektors. Analog zum Engagement des Militärs in der zivilen Konfliktbearbeitung kann eine zunehmende sicherheitspolitische Legitimation von Entwicklungszusammenarbeit festgestellt werden. Angesichts des Engagements der Streitkräfte in "ihrem" Metier sorgen sich nun Einrichtungen der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) um die Qualität der Entwicklungspolitik. Militärische Einheiten seien nicht ausreichend qualifiziert, um entwicklungspolitische Projekte durchführen zu können, wie Diana Burghardt und Tobias Pietz vom Bonn International Center for Conversion (BICC) feststellten ("Themenbereiche und Konfliktfelder zivil-militärischer Beziehungen", November 2006). Fest steht indessen, dass die Zielsetzung der Streitkräfte (Erfüllung des militärischen Auftrags, Force Protection etc.) zu einem stärkeren Fokus auf Quick Impact Projects führt als dies bei der klassischen EZ der Fall ist. Der Zeithorizont des Militärs ist in der Regel kürzer als bei der EZ. Es wird häufig kritisiert, dass die Streitkräfte für ihre zivilen Projekte - zum Teil in Konkurrenz zu Einrichtungen der EZ - auch Mittel von zivilen Geldgebern einwerben. Dadurch würde das Militär eigene Gelder schonen und zivile Gelder würden stärker in kurz- statt langfristig angelegte Projekte fließen. Dadurch bestehe die Gefahr, dass die klassische EZ, die geprägt ist von Prinzipien wie Langfristigkeit, Nachhaltigkeit und Local Ownership, zunehmend zugunsten von kurzfristigen (sicherheits-)politischen Überlegungen zurückgestellt werden könnte. Das Engagement von Militärs in zivilen Bereichen und die dadurch erfolgende entwicklungspolitische und humanitäre Legitimation von militärischen Interventionen kann schließlich dazu führen, dass die Schwelle für Militäreinsätze herabgesetzt wird. Raschen militärischen Eingriffen könnte der Vorzug vor langfristigen bzw. präventiv angelegten zivilen Maßnahmen zur Verhinderung und Deeskalation von Gewalt gegeben werden.

Was ist zu tun? Eine öffentliche Debatte über Militärausgaben, Militäreinsätze wie auch über die Ausgaben zur Entwicklungshilfe ist überfällig. Vor allem aber müsste sie transparent gemacht werden. Warum stagnieren in Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt, ausgerechnet die Ausgaben für Friedenseinsätze und Entwicklungshilfe, also für Einsätze, die Kriege schon im Vorfeld verhindern könnten?

Zudem dürfte es keine Diskussionen im Bundestag über Auslandseinsätze der Bundeswehr geben, ohne gleichzeitig den Einsatz und die Finanzierung von Friedensfachkräften zu beschließen. Warum gibt es nur Bundeswehrhochschulen, aber keine Hochschulen für Friedensdienste? Die permanente Unterfinanzierung der Friedensdienste muss ein Ende haben. Vor allem aber müssen sie aus ihrem Schattendasein ins Licht der öffentlichen Debatte gehoben werden.


Siegfried Pater ist Journalist, Buchautor und Filmemacher und seit Jahrzehnten Mitglied der DFG-VK. Er war Entwicklungshelfer in Brasilien, Gründungsmitglied zahlreicher Dritte-Welt-Initiativen und unternahm über 30 Recherchereisen in Krisengebiete Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. 2003 erhielt der "unbeugsame Publizist" den Oscar-Romero-Preis: "Seit mehr als 30 Jahren widmet Pater einen großen Teil seines Lebens dem Engagement für eine gerechtere Welt. Zu seinen größten Stärken zählt, dass er immer wieder schonungslos skandalöse Verhältnisse und Entwicklungen in der so genannten Dritten Welt aufdeckt, für die Akteure aus den nördlichen Industrieländern verantwortlich zeichnen."

Weitere Informationen:
Siegfried Pater "Entwicklungshelfer in Uniform?"
Bonn 2007, 32 Seiten, ISBN 978-3-931988-20-3
zu beziehen gegen 5 Euro in Briefmarken bei:
Retap Verlag, Bonner Talweg 317, 53129 Bonn
Internet: www.retap-verlag.de


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 4 - September/Oktober 2007, S. 26-27
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
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Erscheinungsweise: zweimonatlich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. November 2007