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BERICHT/175: Konfliktverhalten und Gruppenzugehörigkeit (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 15 - III/2007
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Der Einfluss der Gruppenzugehörigkeit auf das Konfliktverhalten
Die Wahl von Konfliktstrategien in Abhängigkeit von Status und Salienz der Gruppe

Von Jessica Roese


Konflikte gehören zu unserem Alltag. So weit man in die Geschichte der Menschheit auch zurückgeht, trifft man auf Konflikte sowohl zwischen Individuen als auch zwischen Gruppen. Als ein Beispiel für einen der größten und langwierigsten Konflikte zwischen Gruppen kann der Nahostkonflikt angeführt werden. Er besteht seit dem 19. Jahrhundert und hat bis heute eine erschreckende Brisanz.(1)

Dies ist nur ein Beispiel von unendlich vielen kleinen und großen Konflikten zwischen Gruppen. Grundlage für eine Vielzahl dieser Konflikte stellen ethnische oder religiöse Unterschiede dar. Aber auch die Zugehörigkeit zu verschiedenen Parteien, Völkern, Berufsgruppen oder Fußballmannschaften kann zu Konflikten zwischen den Gruppenmitgliedern führen. Von praktischer Relevanz ist nun die Fragestellung, wie diese und andere Konflikte zwischen Gruppen minimiert oder konstruktiv gelöst werden können.

Hierzu stellt sich zuerst die Frage, wie Personen ihre Gruppenzugehörigkeit wahrnehmen und auf welche Weise sie dadurch beeinflusst werden. Seit 1936 untersuchten Psychologen den Einfluss der Gruppe auf die Wahrnehmung von Personen.(2) Unter dem Begriff Social Identity Approach werden einige Theorien zusammengefasst, die sich mit dem Verhalten von Personen in Gruppen beschäftigen Forschungsergebnisse zu diesem Thema haben gezeigt, dass die Definition über die eigene Gruppenmitgliedschaft Einfluss auf Einstellungen, Gefühle und Verhaltensweisen von Personen hat.(3) Ob das Verhalten einer Person durch die Gruppe beeinflusst wird, hängt davon ab, ob man sich mit einer Gruppe identifiziert oder ob eine Gruppe in einer Situation bedeutsam ist. Verschiedene Einflussvariablen, die sich auf das Verhalten von Personen in Gruppen auswirken, konnten bereits identifiziert werden. Der Status einer Gruppe spielt hierbei eine zentrale Rolle.

Ein Konflikt zwischen Gruppen wird als Intergruppenkonflikt bezeichnet und stellt eine spezielle Form von Intergruppenbeziehungen dar. Hierzu nahmen Psychologen bereits 1951 an, dass übergeordnete Ziele Intergruppenkonflikte effektiv reduzieren.(4) Verschiedene Studien zur Dual Identity Theory(5) können zeigen, dass Konflikte minimiert werden, wenn für die beteiligten Personen einerseits die untergeordnete Gruppe (Subgroup) und andererseits die übergeordnete Gruppe, bestehend aus der Eigengruppe und der Fremdgruppe (Superordinate Group), salient ist. Salienz nennt man die subjektive Bedeutsamkeit eines spezifischen Gruppenkontextes in einer bestimmten Situation. Insgesamt wurde der Einfluss der Gruppenzugehörigkeit auf das Verhalten der Gruppenmitglieder bereits eingehend untersucht.

Unabhängig von diesen Untersuchungen zum Gruppenverhalten beschäftigten sich Pruitt und Rubin mit der Frage, welche Strategien Personen in Konflikten anwenden, und entwickelten 1986 das Dual Concern Model. Dieses Modell macht Vorhersagen für konkrete Verhaltensstrategien in Verhandlungssituationen zwischen Konfliktparteien. Je nachdem, wie groß das Interesse einer Person an dem eigenen Ergebnis und an dem Ergebnis der anderen Konfliktpartei ist, kann vorhergesagt werden, welchen von vier Konfliktstilen (dominating, integrating, avoiding, obliging) die Person am ehesten anwenden wird. Jedoch fehlen zu diesem Modell bislang konkrete Untersuchungen, die sich auf den Einfluss des Gruppenkontextes beziehen.

Es bleibt also offen, wie sich der Einfluss der Gruppenzugehörigkeit auf die Wahl von Konfliktstrategien auswirkt. Dementsprechend wird folgende Fragestellung in dieser Forschungsarbeit geklärt: Auf welche Weise beeinflusst die Gruppenzugehörigkeit das intergruppale Konfliktverhalten?

Die Untersuchung setzt also bei der Frage an, welche Variablen in welcher Weise intergruppales Konfliktverhalten beeinflussen. Dazu werden die Gruppenvariablen Status und Salienz näher untersucht. Ziel ist es herauszufinden, wie der Status einer Gruppe, die Salienz einer Subgroup bzw. Superordinate Group und die Identifikation mit der jeweiligen Gruppe sich auf die Wahl von Konfliktstrategien gemäß dem Dual Concern Model auswirken.

Ein übergeordnetes Ziel ist es herauszufinden, welche Bedingungen dazu führen, dass Gruppenmitglieder keine konkurrierenden, sondern kooperative Konfliktstrategien anwenden und dadurch Konflikte konstruktiv lösen. Deshalb liegt der Fokus besonders darauf, welche Variablen zu konstruktiven Konfliktlösungsstrategien führen und was dazu führt, dass Gruppen diese konstruktiven Konfliktlösstrategien anwenden.

Um den Einfluss der Variablen 'Status' und 'Salienz' auf die Konfliktstile testen zu können, sollten jeweils zwei Abstufungen der Variablen in die Untersuchung eingehen. Bezüglich des Status meinte dies hoch versus niedrig und bezüglich der Gruppensalienz Subgroup versus Superordinate Group. Die Versuchspersonen (N = 123) der Untersuchung waren Mitglieder in einem von zwei statusungleichen Orchestern (Status: hoch vs. niedrig) und wurden anhand eines Fragebogens untersucht. Eine Coverstory zu Beginn des Bogens beschrieb einen Konflikt zwischen den Orchestern. Die Manipulation innerhalb des Bogens sollte für die eine Hälfte der Personen die untergeordnete Gruppe der beiden Orchester mit Statusunterschied salient machen und für die andere Hälfte die übergeordnete Gruppe der Musiker (Salienz: Subgroup vs. Superordinate Group). Das bedeutet, dass jeweils die Hälfte der Versuchspersonen aus den beiden Orchestern eine Fragebogenvariante bekam, die den Konflikt aus der Subgroup-Perspektive erscheinen ließ und die jeweils andere Hälfte bekam eine Fragebogenvariante mit allgemeiner Musikerperspektive. Aus den Faktoren Status und Salienz ergab sich somit ein 2 x 2 Design. Die Ergebnisse dieser empirischen Untersuchung basieren auf einer Analyse mit SPSS.


Problemlösender Konfliktstil

Bei der Untersuchung des Einflusses der Gruppenvariablen auf die Konfliktstile zeigten sich folgende Zusammenhänge: Die Gruppenvariablen haben einen Einfluss auf die Wahl der Konfliktstrategien. Personen, die sich in einer statusniedrigen Gruppe befinden, wählen eher die Konfliktstile dominating und integrating, als Personen der statushohen Gruppe. Sie tun folglich alles, um der Bedrohung ihrer sozialen Identität durch den niedrigen Status entgegenzuwirken. Personen, für die eine übergeordnete Gruppe, bestehend aus der Eigen- und der Fremdgruppe, bedeutsam ist, wählen eher den Konfliktstil 'integrating' als Personen, für die die Subgroup salient ist. Sie interessieren sich demnach auch für das Ergebnis der eigentlichen Fremdgruppe und wollen ein gutes Ergebnis für alle erzielen. Welchen Konfliktstil man in einem bestimmten intergruppalen Konflikt anwendet, wird also durch die Gruppenzugehörigkeit beeinflusst.

An dieser Stelle soll betont werden, dass Konflikte nicht zwangsläufig negativ sind, sondern dass sie durchaus konstruktiv sein können. Durch Konflikte kommen Probleme an die Oberfläche und haben - auf lange Sicht betrachtet - eine stabilisierende und integrative Funktion für eine Beziehung.(7) Wenn es gelingt, Konflikte konstruktiv zu lösen, bedeutet das eine Weiterentwicklung und verhindert den Stillstand einer Gesellschaft. Voraussetzung hierfür ist die Auseinandersetzung mit Konflikten.

Die zugrunde liegende Untersuchung hat in Bezug auf die Gruppensalienz gezeigt, dass eine Dual Identity dazu beiträgt, dass ein Interesse am Ergebnis der Anderen entsteht. Interessiert man sich nicht nur für den eigenen Erfolg sondern auch für die Ergebnisse der Anderen, wird eher ein problemlösender Konfliktstil gewählt. Viele Studien(8) haben bereits nachgewiesen, dass der problemlösende Konfliktstil die besten Ergebnisse für beide Gruppen zur Folge hat. Die Dual Identity ist folglich ein Mechanismus, der zur konstruktiven Konfliktlösung beiträgt.

Weiterhin haben die Ergebnisse in Bezug auf den Gruppenstatus gezeigt, dass die Wahrnehmung von Bedrohung der sozialen Identität durch einen niedrigen Status der Gruppe einerseits zu einem problemlösenden Konfliktstil führen kann und andererseits zu einem Konfliktstil, der durch ein hohes Interesse am eigenen Ergebnis und geringes Interesse am Ergebnis der Anderen geprägt ist, nämlich dominating. Da der dominierende Konfliktstil nicht zum bestmöglichen Ergebnis für beide Konfliktparteien führt, liegt es nahe, die Bedrohungswahrnehmung durch den Gruppenstatus möglichst zu minimieren, um einen dominierenden Konfliktlösungsstil zu vermeiden. Da die Bedrohungswahrnehmung (niedriger Status) jedoch auch zur Anwendung des problemlösenden Konfliktstils führt, kann ein generelles Fazit aus den Ergebnissen nicht abgeleitet werden. Um genauer feststellen zu können, welche Faktoren auch bei niedrigem Gruppenstatus zu einer konstruktiven Konfliktbearbeitung führen, müssten weitere Untersuchungen folgen.

Auf der Grundlage dieser Untersuchung kann man sich für eine praktische Anwendung deshalb bislang nur auf die Ergebnisse der Gruppensalienz beziehen. Diese legen nahe, dass die Förderung der Wahrnehmung einer Dual Identity zur Verbesserung intergruppaler Kontliktregelung führt.

Um die Möglichkeiten zur konstruktiven Bearbeitung von intergruppalen Konflikten zu verbessern ist es demnach notwendig, sich auch in weiteren Untersuchungen mit den Auswirkungen der Dual Identity und dem Einfluss der Gruppe zu beschäftigen. Es wäre wünschenswert, das Verhalten von Personen in Konflikten stärker in den Fokus der wissenschaftlichen Forschung zu rücken, da man durch die Kenntnis der Mechanismen, die im Rahmen von Konflikten von Bedeutung sind, Konflikte konstruktiver nutzen kann.


Jessica Roese ist Dipl.-Psychologin und Mitglied im Bund für soziale Verteidigung. Dieser Artikel ist ein leicht überarbeiteter Auszug der Diplomarbeit "Die Wahl von Konfliktstrategien in Abhängigkeit von Status und Salienz der Gruppe" (August 2006), die InteressentInnen auf Anforderung per eMail zugeschickt wird.


Anmerkungen:

(1) Zur genaueren Information: Woyke, W. (2004). Handwörterbuch Internationale Politik. 9., völlig überarbeitete Aufl. (Bd. 404). Bonn:bpb.

(2) vgl. Wagner, U. & Christ, 0. (2004). Sozialer Einfluss. In: Sommer, G. & Fuchs, A. (Hrsg.), Krieg und Frieden. Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie. Weinheim: Beltz Verlag.

(3) Hogg, M. A. (2001). A social identity theory of leadership, Personality and Social Psychology Review, 5, 184-200.

(4) Vgl. Wagner, U. & Stellmacher, J. (2004). Intergruppenprozesse. In: Sommer, G. & Fuchs, A. (Hrsg.), Krieg und Frieden. Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie. Weinheim: Beltz Verlag.

(5) Hornsey, M.J. & Hogg, M. A. (2000). Assimilation and Diversity: An Integrative Model of Subgroup Relations.Personality and Social Psychologie Review, 4, 143-156

Schaubild "Konfliktstile des Dual Concern Models" Rahim (1992)(6) (6) Rahim, M. A. (1992). Managing conflict in organizations. (2. Aufl.). Westport, Conn: Praeger

(7) Deutsch, M. (1973). The resolution of conflict. New Haven: Yale University Press.

(8) Ben-Yoav, O., Pruitt, D. G. (1984). Resistance to Yielding and the Expectation of Cooperative Future Interaction in Negotiation. Journal of Experimental Social Psychology, 20, 323-335. DeDreu, C., Weingarten, L., Kwon, S. (2000). Influence of social Motives on Integrative Negotiation: A Meta-Analytic Review and Test of Two Theories. Journal of Personality and Social Psychology, 78, 889-905


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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 15, III/2007, S. 26-28
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
Pazifismus, Friedenspädagogik und Völkerverständigung PAX AN
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2007