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BERICHT/184: "Ein wahrer Held der heutigen Kriege" (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 1 - Februar/März 2008
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

"Ein wahrer Held der heutigen Kriege"
US-Deserteur Agustín Aguayo erhielt Stuttgarter Friedenspreis

Von Roland Blach


"Warum nicht weitere Friedenspreise wie den Aachener Friedenspreis?" titelte die letzte Ausgabe der ZivilCourage. In der Tat - es werden nicht viele Preise in Deutschland für ein breit gefächertes Engagement zur Überwindung von Gewalt und Kriegen und zur Anstiftung zum Frieden vergeben. Der Aachener Friedenspreis ist mit Sicherheit der bekannteste dieser Art. Doch auch im Süden tut sich etwas.

Bereits zum fünften Mal verliehen die AnStifter um den Stuttgarter Kabarettisten Peter Grohmann am 21. Dezember den Stuttgarter Friedenspreis in Höhe von 5000 Euro im Rahmen einer großen Friedensgala. 800 Menschen wohnten auch an diesem Abend der Preisverleihung im Stuttgarter Theaterhaus bei. Die Initiative für ein Deserteur-Denkmal in Stuttgart beteiligte sich aktiv daran. Ihr war es zu verdanken, dass vor dem Theaterhaus drei Monate zuvor das Deserteur-Denkmal eingeweiht wurde.

Es war eine sehr bewegende Gala, die sich auch musikalisch um das Wirken des Preisträgers Agustín Aguayo drehte. Der 35-jährige US-Soldat und Sanitäter verweigerte sich dem erneuten Einsatz im Irak und floh am 2. September 2006 aus der Armee. Er hatte in den drei Jahren zuvor vergeblich darum gekämpft, als Kriegsdienstverweigerer anerkannt und aus der Armee entlassen zu werden.

Seine Flucht aus dem Militär war der erste öffentlich bekannte Fall eines in Deutschland stationierten GIs, der seine Verlegung in den Irak verweigert. Er stellte sich am 26. September 2006 in Fort Irwin in Kalifornien der Armee. Auf Verlangen seiner Einheit in Schweinfurt wurde er am 3. Oktober 2006 nach Deutschland zurückgebracht. Am 6. März 2007 wurde er wegen "Desertion" und "Verpassen der Verlegung der Einheit" zu einer Haftstrafe von acht Monaten verurteilt. Am 18. April wurde er aus der Haft entlassen und am 10. Mai kehrte er in die USA zurück.

Jochen Faber, einem Ludwigsburger Werbefachmann, war es zu verdanken, dass zu Anfang des Abends ein Filmporträt über Aguayos wichtigste Lebensstationen zu sehen war mit dem Titel "Niemand darf gegen sein Gewissen". Der Film steht auf der Webseite von Connection e.V. zum Download bereit (www.connection-ev.de/Media/film/aguayo.mov). Der Laudator Andreas Zumach griff eine wichtige und provozierende Frage des Films auf, wie es nämlich sein könne, "dass ein US-Staatsbürger wegen seiner Verweigerung des Kriegsdienstes auf deutschem Boden verhaftet und zu einer achtmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt wird, wo doch die deutsche Verfassung in Artikel 4 Absatz 3 das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung garantiert".

In seiner Antwort erkannte Zumach einen "rechtspolitischen Skandal". So gelte das "Grundgesetz in weiten Teilen nur für deutsche StaatsbürgerInnen, nicht aber für Ausländer." Artikel 4 Absatz 3 beziehe sich "nur auf die Verweigerung des Kriegsdienstes in der Bundeswehr, nicht aber in Streitkräften anderer Länder." Überdies seien Festnahme, Verurteilung und mehrmonatige Haft nicht "auf deutschem Boden, sondern in US-Militäreinrichtungen in Schweinfurt und Mannheim" erfolgt. "Diese Einrichtungen liegen zwar auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, aber sie sind ja praktisch extraterritorial, da die deutschen Gesetze und auch das Grundgesetz hier keine Gültigkeit haben. Die Militärgerichtsbarkeit der USA könnte auf diesen Einrichtungen Todesurteile verhängen und diese sogar vollstrecken - obwohl die Todesstrafe in Deutschland seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes im Jahre 1949 abgeschafft ist. Selbst wenn die USA auf ihren Militäreinrichtungen in Deutschland gegen die Genfer Konventionen und andere Bestimmungen des Völkerrechts verstoßen würden - wie sie das seit Jahren in ihrer auf Kuba gelegenen Basis Guantanamo tun - ließe sich damit unter Berufung auf das Grundgesetz und deutsche Gesetze nichts machen", führte Zumach dazu weiter aus. (Anmerkung der Redaktion: Elsa Rassbach vertritt in ihrem Beitrag die gegenteilige Ansicht. Jürgen Rose, Autor in dieser ZivilCourage, kritisiert die Interpretation Zumachs ebenfalls; sein Beitrag wird zusammen mit einer rechtlichen Analyse des Rechtsanwalts Eberhard Kunz und dem gesamten Text von Andreas Zumachs Laudatio in der Ende März erscheinenden Ausgabe von Forum Pazifismus veröffentlicht.)

Zumach beschreibt die Umstände Aguayos im Militär und deren Hintergründe, bevor er sich ausführlich dem Begriff Deserteur nähert. So sei dieses Wort "in den USA - ähnlich wie in Deutschland - bis vor nicht allzu langer Zeit ein Negativattribut" gewesen. "Deserteure und Kriegsdienstverweigerer galten als Drückeberger, Feiglinge, ja Vaterlandsverräter. Angesichts der aktuellen Kriegsdesaster im Irak und in Afghanistan erfahren die Kriegsdienstverweigerer und Deserteure in den USA inzwischen von immer mehr Menschen Achtung und aktive Solidarität."


Doch was wäre Aguayo - der "wahre Held der Kriege" (Zumach) - ohne seine Frau Helga? Zumach beschreibt sie als "wichtigste Stütze". Nicht nur wegen der "vorbehaltlosen" Unterstützung, sondern auch wegen ihres Engagements für aktuelle Kriegsdienstverweigerer und Deserteure - in politischer, juristischer, finanzieller und seelsorgerischer Hinsicht mit dem Ziel, dass sich "möglichst viele US-Frauen der Entsendung ihrer Lebenspartner, Söhne, Ehemänner oder Väter nach Irak widersetzen".

Andreas Zumach wäre nicht der bekannt kritische Kommentator, wenn er nicht die Verbindung zur deutschen Militarisierung hergestellt hätte. "Und fragen wir uns einmal selbstkritisch: Wo sind die deutschen Deserteure und die Kriegsdienstverweigerer in der Bundeswehr, seit Deutschland wieder aktiv Krieg führt?" Er unterstrich die herausragende Gewissensentscheidung Florian Pfaffs für seine Verweigerung der Beteiligung am Irak-Krieg. Pfaff wurde degradiert und schließlich durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Juli 2005 freigesprochen. Zumach: "Das ist eine der wichtigsten höchstrichterlichen Entscheidungen der gesamten deutschen Rechtsgeschichte seit 1949. Es gehörte als Lehrstoff in die erste Ausbildungsstunde eines jeden deutschen Soldaten. Stattdessen wird dieses Urteil von der Bundeswehrführung und dem Militärministerium gegenüber den Soldaten systematisch verschwiegen."

Zumach schließt seine Laudatio mit den Worten: "Möge das mutige Verhalten von Agustín Aguayo und der Preis, den er dafür heute erhält, dazu beitragen, dass sich das sehr bald ändert; dass der 86-jährige Ludwig Baumann und die Handvoll weiterer wahrer Helden des Zweiten Weltkrieges nicht die letzten noch lebenden deutschen Deserteure bleiben; und dass die AnStifterInnen bei der Friedensgala in zwei, drei Jahren vielleicht die ersten neuen Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aus den Reihen der Bundeswehr auszeichnen können."


Erster Gratulant des Abends war Ludwig Baumann. "Lieber Agustín, es ist mir eine große Freude, dass ich Dir zu diesem schönen und bedeutendem Preis gratulieren darf Ich denke: Desertion damals und heute hat viele Gemeinsamkeiten. Ich meine nicht, dass man die Nazi-Verbrechen relativieren soll. Ich habe Diktatur erlebt, und Demokratie ist für mich ein hohes Gut. Aber sehen wir uns die westlichen Demokratien einmal an: Der UNO-Beauftragte für Ernährung, Prof. Jean Ziegler, beschuldigt unsere reichen Länder des millionenfachen Mordes an den Armen, weil unsere Länder zu ihrem Vorteil der übrigen Menschheit eine Weltwirtschaft aufzwingen, bei der jeden Tag bis zu Hunderttausend Menschen elendig verhungern. Das muss auch verteidigt werden. Wie soll es da denn Frieden geben? Ganz egal, ob im Irak oder überall in der Welt. Es ist doch ein Wahnsinn. Wenn ich einen Menschen töte, gelte ich als Mörder, wenn es mir befohlen wird, gelte ich als Held. Du, Agustín, hast Zeichen gesetzt dafür, dass wir uns niemals mehr von denen da oben dazu missbrauchen lassen sollen, Menschen, andere Völker und uns selber umzubringen."

Der sehr zurückhaltende, fast schon schüchtern wirkende Aguayo bedankte sich "für diesen wundervollen Moment". Die wichtigste Erfahrung in den vergangenen fünf Jahren sei für ihn gewesen: "Wir können unserem Gewissen nicht entkommen." Aguayo weiter: "Wir werden als Kriegsdienstverweigerer geboren. Es ist uns von der Natur gegeben, gegen den Krieg zu sein. Wenn wir als Kriegsdienstverweigerer geboren werden, dann können wir auch den Weg zurück zu unserer Natur finden."

Am Ende seiner knappen Dankesrede bat er das Publikum nachzudenken. "Als ich im Gefängnis war, habe ich Hunderte von Briefen bekommen. Es waren die glücklichsten Momente meines Lebens im Gefängnis: die hoffnungsvolle Erwartung auf diese Briefe. Ein Deutscher hat mir etwas geschrieben, und ich möchte Sie bitten, wenn sie heute Abend wieder zu Hause sind, daran zu denken: Stell Dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin."


"Arsch hoch. Gesagt, getan", so wirbt die Webseite der AnStifter für den Stuttgarter Friedenspreis. Damit "anerkennen die Stifterinnen und Stifter Zivilcourage und das besondere Engagement für Frieden, Solidarität und Gerechtigkeit. Ausgezeichnet werden sollen vor allem anstiftende, beispielhafte Initiativen." Vor Agustín Aguayo bekamen den Preis das Komitee für Grundrechte und Demokratie, die palästinensische Schülerin Lama Tarayra, die Journalistin Giuliana Sgrena sowie Wolfram Hülsemann.

Die Mittel für den Friedenspreis kommen von 100 AnStiftern, die wiederum jedes Jahr 100 neue AnStifter suchen. Da alle Arbeit ehrenamtlich erfolgt, können Überschüsse aus Spenden in einen Fonds für die Stiftung Stuttgarter Friedenspreis fließen, die am 8. Mai 2006 gegründet wurde.

Vorschläge für den Stuttgarter Friedenspreis kann jeder machen. Eine geografische Grenze gibt es nicht. Eigenbewerbungen sind möglich, Vorschläge bitte bis 31. März jedes Jahres (mit maximal 2.000 Zeichen Begründung, falls möglich Verweis auf eine Website) an Die AnStifter einzusenden. Über die Preisträgerin/den Preisträger entscheiden mit Stimmenmehrheit in offener Wahl alle SpenderInnen. Im November 2008 wird der nächste Friedenspreis verliehen.


Kontakt: Peter Grohmann, Koordination der AnStifter, Kulturprojekte, Kabarett, Olgastraße 1A, 70182 Stuttgart;
eMail: Peter-Grohmann@Die-Anstifter.de, Telefon: 0711-248 5677, Internet: www.die-anstifter.de

Roland Blach ist Geschäftsführer des DFG-VK-Landesverbandes Baden-Württemberg.


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 1 - Februar/März 2008, S. 9-10
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2008