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BERICHT/214: Praktizierte Solidarität gegen Kriminalisierung (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 4 - September 2008
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Praktizierte Solidarität gegen Kriminalisierung
Der Carl-von-Ossietzky-Fonds der DFG-VK leistet wichtige Unterstützung

Von Felix Oekentorp


Am 23. Mai 1993 wurde in Osnabrück von den DFG-VK-Landesverbänden Niedersachsen/Bremen und Nordrhein-Westfalen der Carl-von-Ossietzky-Fonds gegründet und mit einer finanziellen Einlage ausgestattet, die als Starthilfe für konkret zu leistende Hilfe angesehen wurde. Am 44. Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes wurde aus aktuellem Anlass - die seinerzeitige Kriminalisierungswelle des Tucholsky-Zitats "Soldaten sind Mörder" (übrigens erstmals in der von Ossietzky herausgegebenen Weltbühne publiziert) - das Gründungstreffen abgehalten und damit eine wichtige neue Solidarisierung neben der seit Jahren erfolgreichen Arbeit der Roten Hilfe installiert.

Namensgeber des Fonds ist Carl von Ossietzky, der als Pazifist und Demokrat 1931 zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt wurde wegen der Aufdeckung der Aufrüstung der Reichswehr. Ende 1932 wurde Ossietzky vorzeitig aus der Haft entlassen. In der Nacht des Reichstagsbrandes im Februar 1933 wurde er erneut verhaftet und bis 1936 im KZ schwer misshandelt. Während seiner Haftzeit startete eine Nobelpreiskampagne, die erfolgreich war: 1936 wurde ihm rückwirkend für 1935 der Friedensnobelpreis zugesprochen. Diesen konnte er jedoch nicht persönlich entgegennehmen da ihm die Ausreise nach Norwegen verwehrt wurde.

Schon in den 1970er Jahren hatten Politiker und Staatsanwälte in einer großangelegten Aktion versucht, die Arbeit der ehrenamtlichen KDV-BeraterInnen zu kriminalisieren wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz, das im Juli 2008 durch ein Rechtsdienstleistungsgesetz ersetzt wurde. Auch dieses sieht für ehrenamtliche Rechtsdienstleistungen grundsätzlich Bußgelder vor, allerdings "erst" im Wiederholungsfall wenn zuvor das "weitere Erbringen von Rechtsdienstleistungen untersagt" wurde. In den 1980ern gab es zahlreiche Blockaden von Raketenstandorten, in den 1990ern wurden Aufrufe an Soldaten zu verweigern oder zu desertieren als Aufforderung zu Straftaten kriminalisiert.

Immer wieder gab es in der Bundesrepublik juristische Auseinandersetzungen wegen politischen Engagements. Der Carl-von-Ossietzky-Fonds ist aktiv und genau deshalb braucht er dringend finanziellen Nachschub. Zurzeit wird er pragmatischerweise durch den DFG-VK-Landesarbeitsausschuss NRW verwaltet, das Prinzip der Entsendung von Delegierten für regelmäßige Vergabetreffen ruht seit einigen Jahren.

War bei Gründung des Fonds ausschließlich an Hilfe gegen Kriminalisierung gedacht, so hat der Fonds in den letzten Jahren immer wieder über den Tellerrand hinaus gedacht und gearbeitet. Nur die Unterstützung totaler KDVer wurde wegen des speziell dafür zuständigen DFG-VK-Fonds für TKDVer nicht vom Carl-von-Ossietzky-Fonds geleistet.

So wurde 1998 für die Vertretung von Osman Murat Ülke vor dem Europäischen Gerichtshof eine Teilfinanzierung der Kosten beschlossen, die politische Bedeutung des Verfahrens für KDV in Europa war ausschlaggebend für die Entscheidung. Im gleichen Jahr wurde Unterstützung geleistet gegen das Bußgeldverfahren wegen so genannter Verstöße gegen das Rechtsberatungsgesetz. Dieses untersagte Nichtjuristen die "gewerbsmäßige" Unterstützung vor Gericht, in diesem Fall die Unterstützung der TKDV-Ini für totale Kriegsdienstverweigerer. In beiden Fällen waren die Antragsteller über den Carl-von-Ossietzky-Fonds hinaus von einem breiten Bündnis unterstützt worden, so vom Republikanischen Anwältinnenverein, Amnesty International, der Roten Hilfe und andere.

Der jüngste vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen verhandelte Fall ist ein weiteres klares Beispiel für die Praxis des Fonds, über den Tellerrand hinauszuschauen:

Im Juni 2008 ging es dort um behördliche Schikanen gegen den Anmelder mehrerer Demonstrationen insbesondere im antifaschistischen Bereich. Helmut Manz war im Zusammenhang der antifaschistischen Demo am 1. Mai 2007 durch unwahre Behauptungen des Dortmunder Polizeipräsidenten sowie durch Schikanen auf der Demo an der Ausübung seines Grundrechts auf Demonstrationsfreiheit erheblich behindert worden. Während der gesamten Demo war er aus nächster Nähe dauerhaft vom Beweissicherungstrupp der Polizei in stigmatisierender Weise gefilmt worden.

Obwohl Helmut Manz nachweislich nichts mit der Demoleitung einer im Vorjahr stattgefundenen Demo zu tun hatte, behauptete Polizeipräsident Hans Schulze auf der Pressekonferenz nach der Demo am 1. Mai 2007 dies mit dem Ziel. ihm als Demoleiter Unzuverlässigkeit zu unterstellen. Diese nachweislich unwahre Behauptung wurde als Indiz missbraucht für den auf der Pressekonferenz ebenfalls erhobenen Vorwurf, es sei eine Taktik von Helmut Manz, Demonstrationen sehr früh aufzulösen, um den Autonomen das Ausbrechen erst zu ermöglichen.

Ohne Kenntnis des soeben in Bayern beschlossenen und ab 1. Oktober dort geltenden Versammlungsgesetzes mag man diese Vorwürfe abtun als unnötiges Geschwätz eines für seine besondere Behandlung von Antifaschisten weit bekannten Polizeipräsidenten. So aber besitzt dies eine besondere Brisanz, die auch für den Carl-von-Ossietzky-Fonds ein Einschreiten notwendig machte.

Gewerkschaften, Verbände und Initiativen hatten heftig gegen die Vorlage des bayerischen Innenministeriums für dieses Versammlungsgesetz gekämpft. Die vorgebliche Begründung der Landesregierung Bayerns - "Kampf gegen Neonazis" - führte tatsächlich zu einer weitreichenden Einschränkung der vom Grundgesetz garantierten Versammlungsfreiheit, von der beispielsweise AntifaschistInnen mindestens ebenso bedroht sind. Tatsächlich ist das "bayerische Versammlungsgesetz" in weiten Teilen Polizeirecht, das zudem der Versammlungsleitung Ordnungsaufgaben überträgt.

Die Polizei wird künftig nach kaum nachvollziehbaren Kriterien bestimmte Demos oder Teile davon als "militant" bezeichnen können, die VeranstalterInnen zum Abbruch der Aktion oder Ausschluß der "Militanten" drängen und schließlich selbst auflösen können. VersammlungsleiterInnen müssen sich generell auf noch mehr juristische Auseinandersetzungen einstellen, als ohnehin in letzter Zeit stattfinden.

Im Artikel 13.5 dieses bayrischen Versammlungsgesetzes heißt es wörtlich: "Die zuständige Behörde kann den Leiter ablehnen, wenn er unzuverlässig ist oder ungeeignet ist, während der Versammlung für Ordnung zu sorgen, oder tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass durch seinen Einsatz Störungen der Versammlung oder Gefahren für die öffentliche Sicherheit entstehen können."

Wehret den Anfängen war hier das Gebot der Stunde, damit nicht unwidersprochen derlei Schikanen bei einer nicht undenkbaren Änderung auch des NRW-Versammlungsgesetzes möglich sind. Zunächst blieb in der Verhandlung strittig, ob die Äußerung tatsächlich so auf der Pressekonferenz gefallen war; die Wiedergabe in der Presse wurde als möglicherweise freie Wiedergabe durch die Journalisten angenommen. Erst nachdem als Beweisantrag die Ladung des bei der Pressekonferenz anwesenden Journalisten gestellt war, entschied das Gericht nach kurzer Beratung, davon auszugehen, dass diese Äußerung so gefallen sei. Damit war die notwendige Voraussetzung für die Bewertung einer solchen Aussage auf einer Pressekonferenz geschaffen.

Diese Bewertung fiel dann aber zu Lasten der klagenden Partei aus: Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung decke auch solche Äußerungen von Amtspersonen in Ausübung ihrer Aufgaben. Diese Äußerung sei nicht zu beanstanden, da sie die freie Meinung des Polizeipräsidenten darstelle.

Ähnlich skurril war das Ringen um die Feststellung der dauerhaften Filmerei durch die Beweissicherungstrupps der Polizei. Es konnte nicht gerichtsfest festgestellt werden, ob es Bänder von der Filmerei des Demonstrationsleiters gegeben habe, der als Zeuge geladene Beamte des Staatsschutz verwies auf die Zuständigkeit des Beweissicherungstrupps, deren Leiterin sich derzeit für ein halbes Jahr im Ausland aufhalte und deshalb nicht als Zeugin befragt werden könne. Der bei der Demo anwesende Staatsschutzbeamte konnte sich angeblich nicht daran erinnern, wo er selber sich auf der fraglichen Demo aufgehalten habe und war deshalb nicht in der Lage, aus eigener Erinnerung über die dauerhafte Filmerei Auskunft zu geben.

Die kontinuierliche weitere Möglichkeit der Unterstützung gewaltfreier politischer Aktivitäten gegen juristischen Widerstand bedarf einer gefüllten Kasse, um nicht erst mit Beginn einer Auseinandersetzung die notwendigen Mittel sammeln zu müssen. Diese müssen durch Spenden und freiwillige Förderbeiträge sichergestellt werden:

Spendenkonto:
Carl-von-Ossietzky-Fonds der DFG-VK,
Bank für Sozialwirtschaft, Kontonummer 8104606, BLZ 37020500

Anschrift:
Carl-von-Ossietzky-Fonds c/o DFG-VK NRW, Braunschweiger Str. 22, 44145 Dortmund


Felix Oekentorp ist Sprecher des DFG-VK-Landesarbeitsausschuss NRW und Geschäftsführer des Carl-von-Ossietzky-Fonds.


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 4 - September 2008, S. 24-25
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
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Einzelheft: 2,00 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2008