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BERICHT/250: FREIeHEIDe bewirkt halbes Wunder (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 4 - September 2009
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

FREIeHEIDe bewirkt halbes Wunder
Erfolg nach 17 Jahren gewaltfreien Widerstands gegen das "Bombodrom"

Von Roland Vogt


Am 9. Juli verkündete der Bundesminister der Verteidigung, Franz Josef Jung auf einer Pressekonferenz "... dass die Bundeswehr auf die Nutzung von Wittstock als Luft-Boden-Schießplatz verzichten wird". Damit war ein 17 Jahre nach allen Regeln der Kunst geführter ziviler Widerstand von Erfolg gekrönt. David, so schien es, hatte Goliath abermals in die Knie gezwungen.


Schweinrich, Kreis Ostprignitz-Ruppin/Land Brandenburg, am 23. August, Siegesfeier der Bürgerbewegung für die Freie Heide auf der Festwiese am Dranser See: "Ist das nicht ein Wunder?" ruft Pfarrer Reinhard Lampe immer wieder in die Menge. Er zählt alle Elemente des Widerstands gegen das "Bombodrom" auf und skandiert jedesmal im Refrain: "Ja, das ist ein Wunder!". 17 Jahre zuvor war am gleichen Ort die Bürgerinitiative FREIeHEIDe gegründet worden. Den Namen der Bürgerinitiative und seine besondere Schreibweise hat ihr erster Sprecher, Reinhard Lampe, "erfunden", damals Pfarrer in der Gemeinde Dorf Zechlin, wie Schweinrich Anliegergemeinde des "Bombodroms".

FREIeHEIDe liest sich wie Freiheit. Freiheit war eines der Hauptziele der DDR-Wendebewegung. Reinhard Lampe hatte in ihr eine aktive Rolle gespielt. Freiheit nun auch für die Kyritz-Ruppiner Heide. Freiheit vom Bombenterror, gefahrloser, freier Zugang zur (nun wieder!) militärisch abgeriegelten Heidelandschaft. Der Geistesblitz "FREIeHEIDe" bannte das Programm des erwachenden regionalen Volkswiderstands und die Sehnsucht einer ganzen Region in ein griffiges Leitmotiv.

Die Bürgerinitiative nahm sich nichts weniger vor, als den Luft-Boden-Schießplatz zu verhindern, den der Bundesminister der Verteidigung, damals Volker Rühe, in der Kyritz-Ruppiner Heide errichten wollte. Auf dem 142 Quadratkilometer großen Areal hatten die sowjetischen Streitkräfte jahrzehntelang Bombenabwürfe geübt, weshalb nun auch das Projekt der Bundeswehr von den Menschen der Region einfachheitshalber "Bombodrom" genannt wurde. Nicht minder vereinfachend bezeichneten die Bundesminister der Verteidigung, mit Jung vier an der Zahl, ihr Übungsgelände zwischen den Städten Wittstock, Neuruppin und Rheinsberg, "Truppenübungsplatz (TÜP) Wittstock".


Wie konnte es gelingen, dass einfache Bürgerinnen und Bürger in einer dünn besiedelten Region 17 Jahre lang ihre Heimat gewaltfrei und schließlich erfolgreich gegen ein Großprojekt des Staates zu verteidigen wussten? Dass sie dabei Macht entfalteten? Denn wenn Macht die Fähigkeit ist, einen Anderen gegen seinen Willen zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen zu bringen, dann haben die Bürgerinitiative FREIeHEIDe und ihre Bündnispartner Macht ausgeübt. Nach meiner Beobachtung waren entscheidend für den Erfolg dieser "Macht von unten" mehrere Komponenten: ein klares Ziel, eine gekonnte gewaltfreie Strategie, Inspiration, Führung und Integration durch herausragende Persönlichkeiten.

Entscheidend war auch die Selbstorganisation der BI durch ein verlässliches Team über all die Jahre, wodurch die Unabhängigkeit der Bewegung gewahrt werden konnte. Innovative Aktionsformen sorgten dafür, dass die BI FREIeHEIDe zunehmend Sympathien in ganz Deutschland und immer neue Bündnispartner gewann: über 100 Protestwanderungen zum Truppenübungsplatz, kunstvoll aus Baumstämmen gefertigte Mahnsäulen, die nach einigen Jahren das Bombodrom wie Totempfähle umzingelten. Der Durchbruch zum abschließenden Erfolg ist allerdings der politischen Lobbyarbeit und der Prozessführung durch begnadete Verwaltungsrechtsanwälte zu verdanken.

Maßgeblich in der politischen Lobbyarbeit war m.E. die Unternehmerinitiative pro Heide, die 2004 den CDU-Wirtschaftsminister Junghanns davon überzeugte, dass ein Luft-Boden-Schießplatz die in der seen- und waldreichen Region aufstrebende Tounismusbranche beschädigen würde. Junghanns vollzog daraufhin für das Wirtschaftsministerium, das bis dahin im TÜP Wittstock einen Wirtschaftsfaktor gesehen hatte, einen Kurswechsel. Damit gab er auch der brandenburgischen CDU das Signal zum Umdenken. Das war "Zivilcourage im Amte", denn der brandenburgische CDU-Vorsitzende hieß Jörg Schönbohm, und Junghanns riskierte sein Ministeramt. Da aber Landtagswahlen bevorstanden und das Bombodrom in Brandenburg höchst unbeliebt war, drehte selbst Schönbohm bei und mit ihm die Landes-CDU. Das war schon mal ein kleines Wunder, mit dem kaum jemand gerechnet hatte.

Die Rechtsanwälte Geulen und Klingen gewannen für die Bombodromgegner, in der Vertretung von Anrainergemeinden und Betrieben, einen Verwaltungsrechtsstreit nach dem anderen gegen den jeweiligen Bundesminister der Verteidigung. Als der letzte im Bunde, Franz Josef Jung, schließlich auch noch vor dem Berlin-Brandenburger Oberverwaltungsgericht verlor, hatte er zu entscheiden, ob er in Revision beim Bundesverwaltungsgericht gehen oder aufgeben sollte. Kurz vor Ablauf der Rechtsmittelfrist warf er schließlich mit seiner Erklärung vom 9. Juli das Handtuch.


Genau besehen ist das, was Minister Jung da verkündet hat, zunächst nur ein Achtungserfolg auf dem Weg zur freien Heide, ein halbes Wunder sozusagen. Über die Frage, ob die Bundeswehr den Truppenübungsplatz Wittstock" gänzlich aufgibt, will die Bundeswehr erst nach der Bundestagswahl vom 27. September entscheiden. Wenn es bei dem Verzieht auf das Üben von Luft-Boden-Einsätzen bleibt, hat die FREIeHEIDe-Bewegung immerhin erreicht, dass in der Kyritz-Ruppiner Heide keine Luftangriffe auf Bodenziele mehr geübt werden.

Ausgerechnet in einem Beitrag zur Bombardierung der zwei Tanklaster bei Kundus ("Verhängnisvoll loyal", "Frankfurter Rundschau" vom 8. September) meint Thomas Kröter, Jung habe mit seinem Einlenken beim Bombodrom "der darbenden Friedensbewegung einen Erfolg beschert". Ist das nicht eine Herausforderung, aus dem halben Wunder ein ganzes zu machen?


Roland Vogt war Konversionsbeauftragter im Wirtschaftsministerium des Landes Brandenburg und Mitinitiator der Bürgerinitiative FREIeHEIDe.


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 4 - September 2009, S. 8-9
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2009