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BERICHT/251: Computer, Spiel, Krieg - Beobachtungen bei der "GamesCom" in Köln (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 4 - September 2009
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Computer, Spiel, Krieg

Beobachtungen bei der "GamesCom" in Köln

Von Stephan Möhrle


"Denn Köln ist die Film- und Fernseh- sowie Gamingmetropole Deutschlands." So die Begründung des Oberbürgermeisters der Domstadt Köln, Fritz Schramma, weshalb die "GamesCom" in Köln stattfinden müsse. Damit hat er nicht einmal unrecht. Zwar ist "Electronic Arts" seit der Fusion von "Vivendi-Games" und "Activision" nur noch der zweitgrößte Entwickler und Publisher von Computerspielen, aber die Deutschland-Zentrale liegt zufälligerweise in Köln. Die Stadt, in welcher die "GamesCom" stattfindet, nach eigener Darstellung die "weltweit größte Messe für interaktive Spiele und Unterhaltung".

Wenn man im nicht-öffentlichen Begleitkatalog für Spieleentwickler und Fachbesucher ein wenig schmökert, fällt einem der sogenannte GamesCom-Beirat auf. Ein Beirat, der mehr ein Who-is-who der Computerspielebranche ist. Allen voran "Electronic Arts" (EA). Ob das die Begründung ist, warum die Spiele-Schmiede bei der Messe Ende August eine ganze Halle für sich allein bekommt?

Köln ist in jeder Hinsicht prägend für die Computerspielbranche. Wenn wir an die Fachhochschule Köln denken, fällt uns sofort das Projekt "Spielraum" ein. Das ist eine unter anderem mit Geldern von EA-Games ermöglichte Informationsstelle innerhalb der Fachhochschule. Diese Informationsstelle ist bemüht, "den Fokus auf Computerspiele neu einzustellen".

Zu Informationsveranstaltungen des "Spielraums" werden häufig Spielentwickler geladen, besonders EA-Games schickt seine Vertreter gerne. So sagt Jörg Trouvin von EA-Games Deutschland: "Grundsätzlich muss man sagen, dass Computerspiele sehr viele positive Wirkungen haben, ich behaupte sogar: Spielen macht schlau, denn ich kann darin sehr viel lernen; ich kann lernen, mich in dreidimensionalen Welten zurechtzufinden, und ich lerne eben auch genau, mit Sieg und Niederlage und mit Frustration oder auch Erfolg sehr viel besser umzugehen, denn das erlebe ich."

Diese Meinung wird von den Wissenschaftlern der FH-Köln geteilt. So behauptet Professor Jürgen Fritz in einem Interview mit dem ZDF-Magazin "Frontal 21" beispielsweise: "Es ist mehr so eine Art Gehirnjogging, das heißt die grauen Gehirnzellen werden in Schwung gehalten, aber dass das, was da gelernt wird, einen unmittelbaren Transfer in die reale Welt hat, im Positiven nicht und im Negativen auch nicht, ist, denke ich, Stand der derzeitigen Forschung."

Dem schließt sich auch sein Kollege Professor Winfried Kaminski an: "Intensiv spielen ist etwas, was sozusagen sehr human ist, das Sich-auf-eine-Sache einlassen. Wir können nicht immer kritisieren, die [Jugendlichen] können sich nicht mehr konzentrieren, denn dabei konzentrieren sie sich."

Wie viel Geld in diese FH-interne Informationsstelle geflossen ist, will man nicht preisgeben. Aber man versichert, dass man darauf achte, sich nicht von der Industrie korrumpieren zu lassen.


Während in Köln wissenschaftliche Studien beweisen, dass Computerspiele den Umgang mit Problemen, Aggressionen, Frustrationen, Sieg- und Niederlagesituationen trainieren, hört man von anderen Unis und Instituten ganz anderes.

Prof. Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Instituts Niedersachsen, hat in der europaweit bisher größten Erhebung zu diesem Thema die Zusammenhänge von Medienkonsum und Gewalt bzw. schulischem Erfolg erforscht und kommt zum Ergebnis. "Unabhängig von der Mediennutzung werden 8,6 Prozent der Mädchen und 25,1 Prozent der Jungen gewalttätig. Bei Jugendlichen, die regelmäßig indizierte Spiele spielen, steigt der Anteil bei Mädchen auf 24,5 und bei Jungen auf 38 Prozent."

Diese Ergebnisse sind nahezu deckungsgleich mit denen, die der Ulmer Hirnforscher Prof. Manfred Spitzer zu Tage gefördert hat. Spitzer geht allerdings noch einen Schritt weiter und stellt eine verlangsamte bzw. rückständige Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen fest, die viel Zeit vor dem Bildschirm verbringen. Darüber hinaus stellt er in seinem Buch "Vorsicht Bildschirm" noch folgende These auf. "Aufgrund der Bildschirm-Medien wird es in Deutschland im Jahr 2020 etwa 40.000 Todesfälle durch Herzinfarkt, Gehirninfarkt, Lungenkrebs und Diabetes-Spätfolgen geben; hinzu kommen jährlich einige hundert zusätzliche Morde, einige tausend zusätzliche Vergewaltigungen und einige zehntausend zusätzliche Gewaltdelikte gegen Personen".


Grundsätzlich unterscheidet man in der Medienwirkungsforschung unter vier möglichen Theorien, welche alle durch Untersuchungen wissenschaftlich gesichert sind. So gibt es die Inhibitionstheorie, nach der Gewaltdarstellungen in Medien Angst erzeugen können, und dann durch diese Angst die Aggressionsbereitschaft hemmen; die Stimulationstheorie, die davon ausgeht, dass Gewaltdarstellungen die Aggressionsbereitschaft fördern; die Habitualisierungstheorie, nach der Gewalt in Medien abstumpfend und gewöhnend wirken kann, und die Katharsistheorie - vertreten zumeist von Spielern und der Industrie -, nach der Gewaltdarstellungen in Medien Spannungen abbauen und die Gewaltbereitschaft mindern können.

Doch auch, wenn es verschiedenste Thesen, Behauptungen und Vermutungen zu dieser Thematik gibt, die aus verschiedenen Quellen mit unterschiedlichen Hintergründen kommen, wäre es doch voreilig, daraus den Schluss zu ziehen, es gebe keine sich in eine klare Richtung verdichtenden Schlüsse. Im wissenschaftlichen Rahmen gibt es nicht den "endgültigen eindeutigen Beweis" an und für sich, der das Ende einer Diskussion besiegelt. Zu jedem Zeitpunkt jedoch können die bis dahin existierenden Forschungsarbeiten in so genannten Metaanalysen zusammengefasst, analysiert und interpretiert Werden.

Wer sich die Ergebnisse einiger Metaanalysen ansieht, stellt fest, dass diese einen Zusammenhang zwischen dem Konsum gewalthaltiger Computerspiele und realer Aggression attestieren. Allerdings variiert die Stärke dieses Zusammenhang je nach Studie von "schwach positiv" bis "sehr stark positiv".


So weit die Theorie - und die Praxis auf der Messe? Auf der Suche nach gewaltfreier Konfliktlösung landete ich sehr schnell an einem Stand, der mir durchaus bekannt vorkommt. Ein Stand des Personalamtes der Bundeswehr - oder vielmehr ein mobiles Feld-Hauptquartier. Von einem großen Aufklärungspanzer herab befiehlt ein als an den Schulterstücken zu erkennender Hauptmann den vorbeigehenden Jugendlichen, am Gewinnspiel teilzunehmen, um "tolle" Preise zu gewinnen.

Ich begehe mich zu einem herumstehenden Gefreiten, der gleich versucht, mich zur Teilnahme am Gewinnspiel zu animieren, dafür aber meine Fragen über "moralische Bedenken" sofort abblockt. Nach der Bemerkung dass ich nicht vorhabe, mit ihm zu spielen, sondern ernste Fragen hätte, werde ich dem zuständigen Oberstleutnant vorgestellt. Auf meine Fragen bekomme ich überraschend ehrliche Antworten von ihm.

Auf die wichtigste, was die Bundeswehr auf einer Spielemesse zu suchen hat, bekomme ich die Antwort: "Wir stellen die Ausbildungen vor". Das war schon richtig, aber über die Risiken oder moralischen Bedenken hat man lieber nicht gesprochen. Auf die Frage, ob sie nach Jugendlichen suchen, die Computerspiele à la "Counter-Strike" spielen, wurde nur lächelnd der Kopf geschüttelt. Allerdings gab man offen zu, das man es durchaus begrüße, dass die heranwachsende Generation mit dem Bildschirm förmlich aufwachse, da im "Battlefield of the future" die Technik eine viel wichtigere Rolle bekommen würde als der eigentliche Kampfeinsatz; schon heute werden weite Teile der Feldaufklärung von UAVs (Unbemannten Flugdrohnen) übernommen - und die Steuerung der Drohnen geschehe nun mal am Bildschirm.

Am nächsten Tag sieht das jedoch wieder völlig anders aus, der dieses Mal informierende Hauptmann antwortet auf dieselben Fragen gänzlich anders. Wenn er überhaupt antwortet. Technisch sicherlich sehr fit gibt er auf Fragen über das Mehrfach-Artillerie-Raketen-System die knappe Antwort: "Das kommt in der Grundausbildung sowieso nicht vor". Und auf die Frage, weshalb er überhaupt hier sei, sagt er entgegen der am Tag davor vertretenen Meinung von der "Vorstellung von Ausbildungen bei der Bundeswehr": um "Jugendliche anzuwerben". Fragen über ethische Vertretbarkeit werden dann schlicht und einfach ignoriert. Am dritten Tag schließlich ist der informationelle Tiefpunkt und der personelle Höhepunkt erreicht: Mehr Jugendliche als je zuvor, dafür keinerlei Informationen mehr.


Aber natürlich gibt es auch die zivilen Messestände, die sich nicht mit Krieg beschäftigen. "K2" beispielsweise stellt den großen Hit 2010 vor: "Mafia 2", ein Gangsterepos vom Feinsten. Zwei Stunden anstehen allein für die Präsentation. Die gezeigten Szenen? Alles für den kleinen Schwerverbrecher, es geht nur um das Sprengen von einigen Autos. Und einer Fabrikhalle. Und unzähliger Polizeiwagen. Unterwegs müssen wir selbstverständlich Prüfungen bestehen, diese werden aber meist von unserer ".38er Magnum" gelöst. Manchmal reicht es, nur zu drohen. Wenn drohen nicht mehr hilft? Tja, dann folgt das Unvermeidliche. "Aber er wollte es doch so, er hätte ja wegrennen können." Und es geschieht ja auch im größeren Zusammenhang. Schließlich steht er zwischen mir und dem Missionsziel. Ich muss das Lager des Autolieferanten sprengen, schließlich will er sein Schutzgeld nicht bezahlen.

Aber natürlich ist nicht alles an der "GamesCom" schlecht, böse, gewalttätig. Wir sprechen hier schließlich von der europa- oder gar weltweit größten Messe für interaktive Unterhaltungselektronik. Und diese setzt neue Akzente. Wie wir der Messe-Homepage entnehmen können, beginnt hier eine neue Ara für Aussteller und Gamer. Aber nicht nur für diese, auch für Eltern ist Raum vorgesehen, die "Eltern-LAN" für Lehrer und Eltern, die sich mit dem Thema beschäftigen möchten.

Raum für diese "Eltern-LAN" bietet die "GamesCom" mit Hilfe des "Institutes Spielraum" der Fachhochschule Köln und des Spieleratgebers-NRW vom ComputerProjekt Köln e.V. Am Samstag, den 22. August, pünktlich um 11 Uhr erklären auf der GamesCom medienerfahrene Pädagogen die Welt der Computerspiele und diskutieren mit den Teilnehmern über Jugendschutz und das Mediennutzungsverhalten ihrer Kinder. Unterstützung für das Pädagogenteam bietet zudem "Turtle Entertainment", Marktführer im Bereich des elektronischen Sports (eSport) in Europa, der das Equipment für die Spielerfahrung zur Verfügung stellt. Die interessierten Eltern und Lehrer werden in das viel diskutierte Spiel "Counter-Strike" und in das Autorennspiel "Trackmania Nations Forever" eingeführt.

Die Suchtpräventionsstellen, welche durch eine apathische Arbeitsweise glänzen, sind die einzigen Stände, wo man nicht länger als zwei Stunden anstehen musste, um ein Programm zu sehen. Allerdings ist selbst hier eine objektive Berichterstattung weniger vertreten als die Pauschalaussage die man in Köln an allen Enden hören kann: "Das ist doch alles nicht so schlimm, wie alle sagen"... - was vielleicht gefehlt hat, war der Nachsatz: "Es ist viel schlimmer".


Stephan Möhrle ist verantwortlich für die Jugendarbeit im DFG-VK-Landesverband Baden-Württemberg.


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 4 - September 2009, S. 14-15
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2009