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STANDPUNKT/141: Aufstehen und gemeinsam handeln! (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 1 - März/April 2016
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Aufstehen und gemeinsam handeln!
Denkschrift zur Erneuerung des politischen Pazifismus

Von Tobias Damjanov und Heinrich Häberlein


"Der Pazifismus der DFG-VK verlangt dauerhaftes politisches Handeln mit dem Ziel, Bedingungen für eine Welt ohne Krieg und Unterdrückung zu schaffen", heißt es im aktuellen Programm der DFG-VK. Diese Denkschrift zielt darauf, aus diesen Worten Taten werden zu lassen.

Aufstehen!

Bei allen Einzelerfolgen, bei allen tapferen Bemühungen: Gemessen an ihren Zielen und Ansprüchen liegt die DFG-VK darnieder. Der übergroße Teil ihrer Mitglieder ist, verbandsbezogen, inaktiv; es ist nicht verstanden worden, die vergleichsweise einmalige emanzipatorische Paarung von Individualismus (der individuelle Akt der KDV) und gemeinsamem Politikverständnis (politischer Pazifismus statt Gesinnungspazifismus) nach Abschaffung von Anhörungsverfahren und Aussetzung der Wehrpflicht auch nur annähernd adäquat weiter zu entwickeln; dem Epochen-Wandel von 1989/90, der mehr Krieg und Elend hervorgebracht hat als zuvor, hat die DFG-VK bis heute keine Neubestimmung ihres politischen Pazifismus als Antwort entgegengesetzt.

Aufstehen für eine neue Radikalität des politischen Pazifismus

Wir haben Sachkompetenz und Überzeugungskraft. Was wir uns erobern müssen, sind Medienrelevanz, Deutungshoheiten, unsere Alleinstellungsmerkmale - kurz: eine Politikbefähigung des Gesamtverbandes, die sich nicht über Einzelprojekte und -personen, sondern über ein Gesamtverständnis des Gesamtzieles (WRI-Grundsatzerklärung und Programm der DFG-VK) definiert und so auch praktiziert wird.

Wir wollen das gut Begonnene fortführen. Aber dazu müssen wir aus dem Alltagstrott heraustreten, die über Jahre eingefahrenen Aktionsroutinen kritisch überdenken, uns bewusst machen, was fehlt: Was heißt es heute, politischer Pazifist zu sein? Unser bisheriger politischer Pazifismus ist weitgehend veraltet. Wo sind unsere Antworten auf eine Welt, die fast nur noch von Verteilungskämpfen kapitalistischer "Global Player" bestimmt wird? Wieso entwerfen wir nicht mit aller Kraft und Fantasie die Alternative der anderen Welt, die sich von Kriegen und zerstörerischer Gewalt lossagen kann? Wir haben Sachkompetenz, wir haben Überzeugungskraft. Wenn wir dafür radikal aufstehen, können wir daraus eine neue Qualität des politischen Pazifismus entstehen lassen.

Aufstehen gegen die Entmutigung

Als auch KDV-Organisation hat die DFG-VK einen unschlagbaren Erkenntnisvorteil: Tausende haben sich dank der politisch-pazifistischen Unterstützung des Verbandes nicht entmutigen lassen und haben, zum Teil gegen nachgerade bizarre Umstände bis hin zu Berufsverboten geradlinig und aufrecht jeder Diskriminierung widerstanden. Dazu haben wir beigetragen - und dazu müssen wir auch jetzt wieder beitragen! Politischer Pazifist zu sein ist keine Schwäche, sondern eine Stärke. Das müssen wir, das muss die DFG-VK, neu lernen zu vertreten - öffentlich, ständig, überall.

Denn das ist notwendiger denn je, weil unsere politischen Gegner, die Kriegsbefürworter und -verharmloser, raffinierter geworden sind, um Meinungen zu manipulieren und Fakten, Kriegsursachen, zu verschleiern. Ihr könnt doch eh nichts machen, lautet die Botschaft der permanenten Entmutigungsabsicht. Das müssen wir entkräften, enttarnen, enttäuschen - aber mit Mitteln und Methoden von heute. Statt wie gewünscht nur zu jammern, wie wenig wir ernst- und wahrgenommen werden, sollen wir sehen, welche Potenziale es gibt: Die riesigen Demonstrationen gegen Pegida und andere Umtriebe, die bürgerliche Mitte immer näher an den rechtsextremen Rand zu führen, wie auch der breite Aufstand gegen Flüchtlingshasser zeigen beispielhaft, wie viele Menschen sich nicht entmutigen lassen. In und mit diesen Solidaritätsbewegungen muss es Aufgabe der DFG-VK sein, die Kriegsursachen, die wir erkennen und beseitigen wollen, auch als die Ursachen zu entlarven, die so vielen Menschen keine andere Überlebenschance lässt als aus ihrer Heimat zu fliehen. Den Schoß, aus dem schon wieder Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Volksverdummung kriechen will, müssen wir unfruchtbar machen!

Gemeinsam handeln!

Die DFG-VK ist die einzige Organisation, die sich zu politischem Pazifismus bekennt. Ein wesentlicher Bestandteil dieses politischen Pazifismus ist, in jeder Hinsicht radikale Entmilitarisierung zu fordern. Dieser Antimilitarismus bezieht auch die individuelle Komponente der persönlichen Ablehnung jeglichen Kriegsdienstleistens ein, ob offen im Militärapparat oder verdeckt anderswo.

Die Praxis des politischen Pazifismus ist dabei weder ideologisch noch dogmatisch. Das drückt sich in dem inneren und äußeren Bündnischarakter des Verbandes aus. Allerdings gilt auch hier: Diese Ausrichtung, die ein weiterer unverzichtbarer Bestandteil der DFG-VK ist, muss dringend überdacht und neu belebt werden - nicht durch "Wie früher", sondern durch "Wie Zukunft".

Gemeinsam handeln ohne Selbstaufgabe

Ein Großteil des aktuell desolaten Verbandszustandes ist der Tatsache geschuldet, dass viel zu viele DFG-VK-Mitglieder nicht zuvörderst im und für den Verband aktiv sind, sondern in erster Linie (u.a. als nominelle Vertreter der DFG-VK) in den unterschiedlichsten Bündnisbereichen. Selbst Mitglieder des BundessprecherInnenkreises treten öffentlich häufiger unter dem Label einer Bündnisorganisation auf als unter dem Namen der DFG-VK. Das mag daran liegen, dass die DFG-VK für sie zu unattraktiv erscheint, was aber einem Teufelskreislauf gleichkommt, denn wer will die DFG-VK attraktiver machen, wenn nicht ihre Aktiven?

Unsere Unterstützung von Bündnispartnern, -aktionen, -strukturen darf nicht weiter dazu führen, Infrastrukturen und Finanzen selbstlos zur Verfügung zu stellen, während der Verband in seiner politischen Bedeutung davon aber kaum profitiert und aktivenmäßig gar ausblutet. Dem Bündnisbereich welcher Couleur auch immer muss klar und durchgängig vor Augen geführt werden: Mittel- und vor allem langfristig habt ihr von der DFG-VK nur dann etwas, wenn die DFG-VK ein starker, stabiler, verlässlicher Verband ist.

Politische Uneigennützigkeit als Form praktizierter Solidarität darf nicht zur Aushöhlung und Schwächung der DFG-VK führen. Im gemeinsamen Handeln seine Identität aufzugeben und die DFG-VK nur als Zuarbeiter und Durchlauferhitzer missbrauchen zu lassen, ist noch nicht einmal kurzfristig hinnehmbar. Gemeinsames bündnispolitisches Handeln braucht das eigenständige Selbstwertgefühl aller Beteiligten - auch und gerade der DFG-VK!

Gemeinsames Handeln selbstbestimmt

Unsere Bündnisarbeit (Zusammenarbeit mit anderen Verbänden, in Kooperativen, Ratschlägen, Foren, Initiativen, bei Aktionen usw.) orientiert sich an unseren Grundsätzen, nicht an denen von anderen. Unsere Bündnisarbeit ist auch nicht wie eine heilige Kuh auf immer und ewig angelegt, sondern kann auch mal dort ausgesetzt oder aufgekündigt werden, wo wir das für angemessen halten. Vorrang haben im Zweifelsfall unsere eigenen Aktivitäten - zu denen wir Andere gerne einladen.

Warum dieses deutliche Abgrenzungsformat? Sinnstiftende Bündnispolitik bedarf als Teil unserer überlebensnotwendigen Politikbefähigung unmissverständlicher Selbstbestimmung. Bündnispartner sollen wissen, woran sie mit uns sind. Und wir müssen - zuvor - wissen, woran wir mit uns selbst sind. Es geht hier nicht um "Friede-Freude-Eierkuchen - wir hamm uns alle lieb!", sondern - das mag manchem im Verband vom Wortlaut her nicht schmecken - um knallharte Politik. Da wir uns jedoch generell das Prinzip der Gewaltfreiheit zu eigen gemacht haben, werden wir uns, diesem Anspruch nach, nicht mit destruktivem Machtverhalten identifizieren. Es geht darum, jeglichen Beeinflussungsversuchen von außen freundlich, aber entschieden mitzuteilen: Gemeinsames Handeln ja - aber nur selbstbestimmt. In der Vergangenheit hat es daran mehr als einmal gemangelt.

Gemeinsames Handeln stärkt

Bündnisarbeit und gemeinsames Handeln sind keine Einbahnstraße. In den letzten Jahren und Jahrzehnten ist die Bündnispolitik der DFG-VK, ihr innerer und äußerer Bündnischarakter, nie systematisch und kontinuierlich reflektiert worden. Dies muss nachgeholt; nicht überstürzt, schlagartig, ungeduldig, sondern bedacht und Schritt für Schritt, nicht nur Aktive, sondern auch und gerade sogenannte Inaktive mit einbeziehend. Dazu brauchen wir nicht nur innerverbandlich neue Foren und Diskussionsebenen, sondern auch Angebote für bisherige und zukünftige Bündnispartner außerhalb aktuellen Aktionsdrucks oder anstehender Kampagnen.

Wenn es um die Neubestimmung des politischen Pazifismus der DFG-VK geht, muss es auch um eine Neubestimmung des "Gemeinsam sind wir stärker!" gehen - so konkret wie möglich: Welche Gemeinsamkeiten machen uns stärker? Was sind folglich unsere Kernaufgaben? Wie binden wir das so ins Verbandsleben ein, dass sich dadurch die Organisation weiterentwickelt? Auch das lässt sich nicht von heute auf morgen entscheiden oder gar per Gremienbeschluss abhaken, sondern bedarf der Einleitung eines zielgerichteten Prozesses, der allerdings eindeutig vorangetrieben werden muss.

Unsere Vorschläge

Als Mitglieder der DFG-VK stehen wir in der Verantwortung zu Geschichte und Zukunft des Verbandes und seinen Zielen. Den Versäumnissen aus der Vergangenheit müssen positive, machbare Vorschläge gegenüber gestellt werden, auf welchen Wegen der Verband in den nächsten Jahren ausprobieren soll, sich mitgliedermäßig wenigstens zu stabilisieren. Das ist die Mindestvoraussetzung für das Überleben der DFG-VK.

Für strategischen Gesamtrahmen

Dem politischen Pazifismus der DFG-VK fehlt es an konkreten Visionen, an radikalen Utopien. Solange wir nicht darstellen, wie nach unserer Meinung als politische PazifistInnen eine Welt ohne Kriege und zerstörerische Gewalt im Einzelnen aussehen soll, verbleiben wir in dem bisherigen Reaktionsmuster, immer nur gegen etwas zu sein - so wichtig das auch sein mag, um Schlimmstes zu verhüten - ohne genauso detailliert darzulegen, was die Alternativen sind. Dabei gibt es längst jede Menge punktueller Ansätze, wie Konversion, zivile Konfliktprävention, Friedens- und Konflikterziehung, Friedens- und Konfliktforschung, antimilitaristische Informationspolitik - beispielhafte Ansätze, zu denen die DFG-VK aber ein strategisch ausgerichtet klar umrissenes Verhältnis entwickeln muss, um ihren Eigenwert wiederzugewinnen. Wir können nicht planlos auf allen möglichen Hochzeiten tanzen, weil sonst unsere Kräfte noch mehr zerfasern als ohnehin schon.

Unser Vorschlag ist, auf der Grundlage unseres Programms ein Strategiekonzept zu erarbeiten, welche Politik die DFG-VK als Bundesverband betreiben, wie sie die Konkretisierung des politischen Pazifismus bestimmen will. Unbedingte Bestandteile sollten sein: Herausarbeitung verbindlicher Kernaufgaben, verbandseigene (zeitlich begrenzte) Kampagnenorientierungen, Nutzung/Umstrukturierung bundesweiter Gremien zur kontinuierlichen Politikentwicklung, Stärkung des innerverbandlichen Zusammenhalts durch Kommunikationsausbau, an den Kernaufgaben ausgerichtete Budgetierung der Verbandsfinanzen, Professionalisierung und Systematisierung der Presse- und Medientätigkeit.

Für eine neue Diskussionskultur

Wenn sich die DFG-VK sinnvoll selbsterhaltend entwickeln Will, reichen dazu nicht dekrethafte Beschlüsse welcher Verbandsgremien auch immer aus. Notwendig ist, eine Aufbruchsstimmung zu erzeugen, die möglichst viele Mitglieder anspricht und motiviert, nicht zuletzt, um so auch möglichst viele Nichtmitglieder anzusprechen und zu motivieren; sich mit Zielen und Vorhaben der DFG-VK identifizieren zu können und Mitglied zu werden.

Unser Vorschlag ist, in der DFG-VK offene, beschlussneutrale Diskussionsplattformen anzubieten, im Großen (auf Bundesebene) wie im Kleinen (auf Gruppen- und Landesverbandsebenen). Wir brauchen die Kompetenz und den Ideenreichtum aller, und nicht nur derer, die in bestimmte Verbandsfunktionen gewählt sind. Wir haben uns zu sehr mit der bürokratischen Abwicklung und Verwaltung politischer Themen und Aktionen beschäftigt (weil die Zahl der Aktiven immer kleiner wird?) und viel zu wenig mit dem politisch-pazifistischen Verständnis untereinander. Aus Einzelkontakten, Gruppenbesuchen und Gremiensitzungen wissen wir: Das Diskussionsbedürfnis ist da. Wenn wir es nicht aufnehmen, tun das andere außerhalb des Verbandes. Wohin das führen kann, zeigen Verunsicherung und Orientierungslosigkeit gegenüber Strömungen, die, populistisch getarnt, friedenspolitische Forderungen zur Stärkung rechtsradikalen Vorgehens vereinnahmen wollen.

Für eine pazifistische Wertebestimmung

Nach wie vor berufen sich unsere politischen Gegner auf eine "Wertegemeinschaft", um ihre kriegsfördernden Schweinereien zu begründen. Denn der gepredigte Gemeinschaftswert besteht immer nur darin, militaristische Drohpolitik und faktische Kriegsführung als ultima ratio zur Bewahrung von so genannten Werten zu behaupten, die ihrerseits nur durch Krieg, Ausbeutung und andere Formen zerstörerischer wie struktureller Gewalt überhaupt erst erschaffen wurden. Besonders deutlich zeigt sich das in der Infamie, Menschenrechte könnten im Extremfall nur noch durch militärische Eingriffe geschützt werden: Diejenigen, die derartige Extremsituationen ursprünglich mit verursacht haben, geben keinen Pfifferling auf die Werte von Menschenrechten, sonst hätten sie schon früher und ursächlich zur Bewahrung dieser Werte eingegriffen, als noch keinerlei gewalttätige Mittel zu deren Erhaltung unabdingbar erschienen.

Unser Vorschlag ist, dass die DFG-VK der sogenannten "Wertegemeinschaft" der Militaristen und Kriegsbefürworter die Wertegemeinschaft einer gewaltfreien und tatsächlich demokratischen Zivilgesellschaft gegenüber stellt. Um diese unsere Alternative konkret zu machen, brauchen wir auch die Herleitung zum gesellschaftlichen Wertegehalt des modernen politischen Pazifismus. Die WRI-Grundsatzerklärung und unsere Programmatik - Kriegsursachen erkennen und beseitigen - verpflichten uns, gesellschaftlich einzugreifen und politisch um eine Welt ohne Waffen und Krieg zu kämpfen.

Aufstehen und gemeinsam handeln!

Wir müssen eindeutig sein, eindeutiger, als jemals zuvor. Wir haben Sachkompetenz; wir haben Überzeugungskraft - und die müssen wir anwenden. Diese Denkschrift ist keine Rezeptur, sondern soll, in all ihrer Unvollkommenheit, nicht nur zum Denken, sondern besonders zum gemeinsamen Handeln anregen. Dafür wollen wir eintreten und neue Mitstreiter gewinnen. Wir stellen uns der Verantwortung.

Tobias Damjanov ist DFG-VK-Bundes-Sprecher, Heinrich Häberlein Vorsitzender der Bertha-von-Suttner-Stfitung der DFG-VK. Für die Veröffentlichung wurde der Text leicht gekürzt.

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Quelle:
ZivilCourage Nr. 1 - März/April 2016, S. 22 - 24
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
Werastraße 10, 70182 Stuttgart
Redaktion: ZivilCourage, Werastraße 10, 70182 Stuttgart
Telefon: 0711 - 51 89 26 20, Telefax: 03212 - 102 82 55
E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de
 
Erscheinungsweise: zweimonatlich, sechs Mal jährlich
Jahres-Abonnement: 14,00 Euro einschließlich Porto
Einzelheft: 2,30 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. August 2016

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