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STANDPUNKT/142: Manifest - Schutz der Menschenrechte durch Prävention (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 1 - März/April 2016
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Manifest: Schutz der Menschenrechte durch Prävention


Präambel

Menschen und Menschenrechte schützen und Konflikte zivil bearbeiten: Ja! - Krieg: Nein! Wir akzeptieren die Verantwortung der Staaten wie der Zivilgesellschaft für den Schutz der Menschen vor Verbrechen wie Völkermord, Vertreibung, Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Krieg ist jedoch kein Mittel, um Konflikte zu lösen oder Menschenrechte zu schützen.

Die Militärinterventionen des Westens bzw. der USA und ihrer Verbündeten der letzten Jahrzehnte sind alle gescheitert, gemessen an ihren vorgegebenen Zielen wie Einhaltung der Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Sie haben die internationalen Beziehungen verschlechtert, Konflikte geschürt und den Extremismus gefördert. Gebraucht wird ein grundsätzlich neuer Ansatz für die Verhinderung von Kriegen und den Schutz der Menschenrechte, der durch Regierungen, Zivilgesellschaft und internationale Einrichtungen unterstützt wird.

Ein tiefgründiges Umdenken ist notwendig: Fort von "Krieg als Mittel der Politik für Wenige", hin zum "Frieden als Grundrecht für Alle". Sicherheit und Frieden gibt es nur, wenn Menschenrechte und nachhaltige Entwicklung für alle gewährleistet sind. Die Antwort auf die Spirale der Gewalt kann nur die Rückgewinnung der Vision der Entmilitarisierung der Politik und der allgemeinen und vollständigen Abrüstung sein.

Stärkung der Uno und der OSZE

EU und deutsche Sicherheits- und Militärpolitik muss die Charta der UN in vollem Umfang respektieren. Das Friedensgebot des deutschen Grundgesetzes muss politische Leitlinie sein. Uno und OSZE sind grundlegende Foren für zivile Konfliktbearbeitung zwischen den Staaten und sollten als solche umfassend akzeptiert und genutzt werden.

Militäraktionen ohne Mandat des Sicherheitsrates stehen dazu im krassen Widerspruch! Internationale Sicherheit ist im Geiste der UN-Charta nur als gemeinsame Sicherheit denkbar. Der Versuch, durch Aufrüstung eine Machtposition der Überlegenheit zu erreichen, ist zum Scheitern verurteilt. Gemeinsame Sicherheit, Rüstungskontrolle und Abrüstung gehören zusammen.

Durch die Aufkündigung des ABM-Vertrages 2001 (Begrenzung der Zahl der Abwehrraketen) durch die USA wurde die Ära der Rüstungskontrolle faktisch beendet. Die Gefahr eines Atomkrieges ist wieder gewachsen! Ein neuer Rüstungswettlauf durch quantitative und qualitative Aufrüstung bei Angriffsraketen und Abwehrsystemen droht. Die Atommächte müssen ihre im Atomwaffensperrvertrag festgelegte Verpflichtung zur Abrüstung umsetzen und ein Moratorium bei der Aufstellung von ABM-Systemen und der Modernisierung der Atomwaffen vereinbaren. Global Zero - die Perspektive einer Welt ohne Atomwaffen - gehört in der Nato, in der EU und in der Uno wieder auf die Tagesordnung.

Der KSE-Prozess (konventionelle Stabilität in Europa) hatte das Ziel, zu einer deutlichen Reduzierung der Streitkräfte in Europa zu kommen. Das ist heute wieder hochaktuell. Instrumente für Prävention, Krisenmanagement und Schutz der Menschenrechte sind in den Strukturen der OSZE angelegt, werden aber nur unzureichend genutzt. Neue Instrumente der Früherkennung und Bewältigung von Krisen sind zu fördern und auszubauen.

Die Agenda 2030 der Uno ist ein wichtiges internationales Dokument für kohärentes und präventives Handeln für soziale, ökologische, nachhaltige und friedliche Wege der Entwicklung. Notwendig ist eine ambitionierte Umsetzung der Agenda in Regierungshandeln, mit verbindlichen und transparenten Strukturen für die Partizipation der Zivilgesellschaft und der notwendigen finanziellen Ausstattung und Koordination durch das Kanzleramt.

Präventive Politik und Diplomatie

Nur wenn in der Politik der Gedanke der präventiven zivilen Bearbeitung von Konflikten Vorrang erhält vor ökonomischen und machtpolitischen Interessen, wachsen die Chancen für den Schutz der Menschen und ihrer Rechte. Deutsche Politik braucht ein friedenspolitisches Leitbild als ressortübergreifendes, handlungsleitendes Grundlagendokument für Krisenprävention und zum Schutz der Menschenrechte. Die Institutionalisierung einer präventiven Politik war mit dem Aktionsplan "Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung" beabsichtigt. Die Umsetzung und Fortentwicklung der darin vorgeschlagenen Instrumente und Mechanismen braucht intensive Unterstützung.

Konflikte können frühzeitig erkannt und bearbeitet werden. Dafür notwendig ist die Erforschung von Ursachen für Kriege und Konflikte, sowie Forschung und Fortbildung, um ganzheitliche Konzepte der Frühwarnung zu entwickeln und zu institutionalisieren. So können auch neue Konzepte für präventive Strategien erarbeitet, politisch diskutiert und umgesetzt werden. Einzelstaatliche Instrumente für Mediation und Unterstützung von Verhandlungslösungen gilt es auszubauen, politisch aufzuwerten und finanziell angemessen auszustatten.

All diese Punkte müssen im Aktionsplan (s.o.) aus geschlechtsspezifischer Sicht neu gewichtet werden. Denn Frauen können ihre Kapazitäten zur Prävention in den Bereichen De-Radikalisierung und De-Eskalation, Diplomatie und Verhandlungen einsetzen. Je mehr Menschen sich dafür qualifizieren, umso besser können demokratische Prozesse und friedliche Konflikttransformation unterstützt werden.

Unter Berücksichtigung ihrer spezifischen Eignung für Präventionsprozesse ist die Beteiligung von Frauen einzufordern. Insbesondere müssen Frauen gleichberechtigt mandatiert werden für Friedensverhandlungen. Die UN-Resolution 1525 ff. - Schutz der Rechte der Frauen, Einbeziehung von Frauen in Friedensverhandlungen, Konfliktschlichtung und Wiederaufbau - braucht erheblich mehr politische und gesellschaftliche Unterstützung.

Präventive Wirtschaftspolitik

Das Konzept der Schutzverantwortung wird meist in Bezug auf "gescheiterte Staaten" diskutiert, die nicht mehr in der Lage seien, ihre Bevölkerung vor Verbrechen zu schützen. Das Scheitern von Staaten ist nicht nur durch unbewältigte innere Konflikte bedingt, sondern auch durch die strukturelle Gewalt einer globalisierten Ökonomie. Die "Entwicklungsländer" werden entsprechend den Interessen der transnationalen Konzerne und des reichen Nordens benutzt. Dazu dienen auch die sogenannten Freihandels- und Investitionsabkommen. Eine Außenwirtschaftspolitik für mehr Gerechtigkeit in den Wirtschaftsbeziehungen muss neu konzipiert und in den Zusammenhang mit Kriegsverhütung und Schutz der Menschenrechte gestellt werden.

Deutsche Außenwirtschaftspolitik und Entwicklungszusammenarbeit muss auf die Entwicklung nachhaltiger und eigenständiger industrieller Strukturen der Länder des "Südens" abzielen. Das bedeutet auch die Bewertung der Praktiken der transnationalen Konzerne unter friedenspolitischen Gesichtspunkten und die Begrenzung ihrer Macht durch einzelstaatliche Gesetze und internationale Vereinbarungen. Negative Folgen der Tätigkeit der Industrieunternehmen im Bereich Menschenrechte, soziale Situation und Umwelt können nicht durch freiwillige Maßnahmen eingegrenzt werden.

Die Auswirkung von Projekten und Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit auf Menschenrechte, soziale und politische Konflikte muss immer geprüft werden. Statt der Orientierung auf militärischen unterstützten Zugriff auf begrenzte Rohstoffe ist eine Umsteuerung hin zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise erforderlich.

Rüstungsexporte stoppen, Waffenhandel verhindern

Auch deutsche Rüstungsexporte tragen zur Militarisierung von Konflikten bei. Militärisch ausgetragene Territorial-Verteilungs- und Machtkonflikte zerstören wirtschaftliche, staatliche und soziale Strukturen. Kriege verschlingen ungeheure Mittel, kosten unzähligen Menschen das Leben und führen zu Verarmung und neuen Konflikten. Produktion und Anschaffung von Waffen entzieht den Haushalten Unsummen, die für notwendige Aufgaben fehlen. Schutzverantwortung durch Prävention bedeutet: Keine weiteren Rüstungsexporte genehmigen, keine Bürgschaften für den Export von Rüstungsgütern bewilligen, ausgemusterte Waffen der Bundeswehr nicht verkaufen, sondern verschrotten.

Darüber hinaus sollte Deutschland in den internationalen Organisationen Initiativen ergreifen und unterstützen, die auf Eindämmung und Verhinderung des internationalen legalen wie illegalen Handels mit Waffen und Rüstungsgütern zielen. Die dafür notwendigen polizeilichen und administrativen Ressourcen sollten großzügig zur Verfügung gestellt werden.

Eine Polizeitruppe für die Uno

Auch ein umfassendes und politisch umgesetztes Konzept der Schutzverantwortung kann nicht ausschließen, dass es zu Konflikten kommt, in welchen Völkermord oder gravierende Verbrechen drohen oder stattfinden, in welcher politische und zivile Mittel versagt haben oder nicht mehr zur Anwendung kommen, staatliche Strukturen nicht vorhanden sind und Verbrecherbanden oder Regierungen Verbrechen gegen die Bevölkerung begehen. Ein Konzept für eine neutrale, am Völkerrecht und an Polizeiaufgaben orientierte Polizeitruppe unter Kommando der Uno ist auszuarbeiten, die in Fällen von bevorstehendem Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Schutz der unmittelbar betroffenen Menschen eingesetzt werden kann. Die Konstruktion eines solchen Polizeikonzeptes muss ausschließen, dass nationale Verbände für nationale oder imperiale Ziele sowie für Kriegshandlungen eingesetzt werden: Durch ein neutrales Kommando, nur durch den Einsatz auf Beschluss des Sicherheitsrates, durch multinationale Zusammensetzung der Verbände, durch verbindliche Orientierung auf Völker- und Menschenrecht, durch entsprechende Ausbildung, Logistik und Bewaffnung, durch entsprechende Definition von Einsatzkriterien und Richtlinien. Eine solche Polizeitruppe hat keine Optionen gegen eine überlegene Militärmacht. Die Erfahrungen von neutralen Staaten wie Österreich oder Schweden mit Blauhelmeinsätzen können hier ausgewertet und einbezogen werden.

Die Erarbeitung eines solchen Polizeikonzeptes ist eine Herausforderung für Zivilgesellschaft und Parteien; auch die Friedensbewegung sollte hier kritisch-konstruktiv mitwirken.

Zivile und gewaltfreie Handlungsmöglichkeiten unterstützen und entwickeln

Notwendig ist die Entwicklung und gesellschaftliche Verankerung einer Kultur des Friedens. Konzepte für zivile Konfliktbearbeitung im gesellschaftlichen und innerstaatlichen Bereich sind vorhanden, viele Erfahrungen wurden gesammelt.

Der Zivile Friedensdienst (ZFD) ist ein Gemeinschaftswerk von Staat und Zivilgesellschaft. Das Konsortium ZFD fordert die Aufstockung der Finanzmittel für den Haushaltstitel "Ziviler Friedensdienst" auf 60 Millionen Euro bis zum Ende der Legislaturperiode.

Es ist notwendig, neue und zivile Wege zum Schutz von Zivilbevölkerung und ihrer Menschenrechte zu erproben. Dazu gehört auch das Zivile Peacekeeping, das in unterschiedlichen Kontexten erfolgreich umgesetzt wurde.


Dieses Manifest ist entstanden aus dem Kontext der (maßgeblich vom bayerischen DFG-VK-Landesverband getragenen) 14. Internationalen Münchner Friedenskonferenz Mitte Februar. Es greift viele Diskussionen und gleichgerichtete Initiativen der Friedensbewegung auf und versucht diese zu bündeln. Text und Redaktion lagen bei Thomas Rödl und Heinz Staudacher (unter Einarbeitung von Beiträgen von Hans-Christof Sponeck, Heidi Meinzolt, Mohssen Massarrat und Oliver Knabe und weiterer MitarbeiterInnen des Trägerkreises der Friedenskonferenz). Für die Veröffentlichung wurde es leicht gekürzt.

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Quelle:
ZivilCourage Nr. 1 - März/April 2016, S. 24 - 25
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
Werastraße 10, 70182 Stuttgart
Redaktion: ZivilCourage, Werastraße 10, 70182 Stuttgart
Telefon: 0711 - 51 89 26 20, Telefax: 03212 - 102 82 55
E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de
 
Erscheinungsweise: zweimonatlich, sechs Mal jährlich
Jahres-Abonnement: 14,00 Euro einschließlich Porto
Einzelheft: 2,30 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2016

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