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OFFENER BRIEF/074: Migrantenorganisationen schreiben an Horst Seehofer (Paritätischer Wohlfahrtsverband)


Paritätischer Wohlfahrtsverband - Pressemeldung vom 21.03.2018

Integrationsdebatte:
200 Migrantenorganisationen schreiben offenen Brief an Horst Seehofer


Das Forum der Migrantinnen und Migranten im Paritätischen, ein Zusammenschluss von 200 Migrantenorganisationen und -vereinen unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, hat sich mit einem Brief an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gewandt, in dem es dessen jüngste Äußerungen deutlich kritisiert.

Der Satz des Bundesinnenministers, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre, sei gerade vor dem Hintergrund von Anschlägen auf 26 Moscheen in den vergangenen zwei Monaten in Deutschland "taktlos und außerordentlich schwierig". Der Bundesinnenminister stehe dem für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Integration zuständigen Ressort vor, daraus erwachse eine besondere Verantwortung, die einigende Worte angebracht sein ließen, heißt es in dem Schreiben.

In den letzten Jahren seien in Deutschland viele wichtige Schritte getan worden, um den Erfordernissen einer Einwanderungsgesellschaft gerecht zu werden. Es diene der Sache nicht, nun einzelne Bevölkerungsgruppen - völlig unabhängig davon, wo ihre Wurzeln liegen und welcher Religion sie angehören -, in "die" und "wir" einzuteilen oder eine solche Einteilung nahezulegen, so die Migrantenverbände. In den letzten Jahrhunderten hätten viele Kulturen zur Vielfältigkeit Deutschlands beigetragen. "Wir würden uns freuen, wenn auch Sie diese Vielfalt unserer Gesellschaft als Stärke begreifen und für sie werben würden. Es wäre ein sehr zeitgemäßes Verständnis des Begriffs 'Heimat'", appellieren die Migrantenorganisationen an den Bundesinnenminister.

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OFFENER BRIEF

Sehr geehrter Herr Bundesminister Seehofer,

im Namen des Forums der Migrantinnen und Migranten im Paritätischen gratulieren wir Ihnen herzlich zur Ernennung zum Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat und wünschen Ihnen viel Kraft und Erfolg. Unser Forum ist ein Zusammen schluss von mehr als 200 Migrantenorganisationen und - vereinen unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Wir freuen uns auf eine gute Zusammenarbeit in den kommenden Jahren. Sie werden in uns immer einen engagierten Partner finden, wenn es um unsere Schwerpunktthemen Chancengleichheit, Teilhabe, interkulturelle Offnung und kulturelle Vielfalt geht.

Wir bedauern, dass wir unser Gratulationsschreiben mit einer Kritik verbinden müssen. Sie haben Ihre erste prominentere Stellungnahme als Minister dazu genutzt, eine alte Ausschlussdebatte wieder auf die politische Tagesordnung zu setzen. "Der Islam gehört nicht zu Deutschland", so haben Sie es unmissverständlich formuliert. Dass Sie das persönlich so sehen, war bekannt. Dass Sie Ihre Meinung nun auch als Bundesinnenminister noch einmal betonen, halten wir allerdings gerade vor dem Hintergrund von Anschlägen auf 26 Moscheen in den vergangenen zwei Monaten in Deutschland für taktlos und außerordentlich schwierig. Der Bundesinnenminister steht dem für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Integration zuständigen Ressort vor. Daraus erwächst eine besondere Verantwortung, die einigende Worte angebracht sein ließen.

Die Unterteilung in eine "einheimische Bevölkerung" einerseits und Muslime andererseits, die man zusammenführen müsse, verkennt, dass auch die Mehrheit der hier lebenden Muslime ganz selbstverständlich Einheimische sind.

In den letzten Jahren haben wir in Deutschland viele wichtige Schritte getan, um den Erfordernissen einer Einwanderungsgesellschaft, die unser Land ganz zweifellos ist, gerecht zu werden. Viele weitere Schritte liegen noch vor uns. Es dient der Sache nicht, einzelne Bevölkerungsgruppen - völlig unabhängig davon, wo ihre Wurzeln liegen und welcher Religion sie angehören -, in "die" und "wir" einzuteilen oder eine solche Einteilung nahezulegen. Dass Deutschland eine christliche (aber auch eine jüdische) Prägung hat, bestreitet niemand. Gleichzeitig haben in den letzten Jahr hunderten viele Kulturen zur Vielfältigkeit Deutschlands beigetragen. Wir würden uns freuen, wenn auch Sie diese Vielfalt unserer Gesellschaft als Stärke begreifen und für sie werben würden. Es wäre ein sehr zeitgemäßes Verständnis des Begriffs "Heimat". Hierbei würden Sie jederzeit unsere Unterstützung finden. Für Gespräche stehen wir Ihnen und Ihrem Haus jederzeit gern zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Kenan Küçük
Sprecher des Forums der Migrantinnen
und Migranten im Paritätischen

Maria Oikonomidou
Sprecherin des Forums der Migrantinnen
und Migranten im Paritätischen


Der offene Brief als PDF ist zu finden unter:
http://infothek.paritaet.org/pid/fachinfos.nsf/0/ab3f2bcdd3d560e1c125825700500789/$FILE/180321_Brf_Seehofer.pdf

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Quelle:
Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband - Gesamtverband e. V.
Oranienburger Str. 13-14, 10178 Berlin
Telefon +49(0)30|24636-0, Telefax +49(0)30|24636-110
Internet: www.paritaet.org, www.der-paritaetische.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2018

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