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BERICHT/003: Nicht wehrlos - Geflüchtete stehen auf (SB)


Geflohene Menschen solidarisieren sich

Hartes Vorgehen von Polizei und Justiz gegen Protestcamps in deutschen Städten



Die Zeit des stillen Schweigens ist vorbei. In mehr und mehr deutschen Städten ist ein Hauch des Aufbegehrens und der Unduldsamkeit deutlich zu spüren von Menschen, die bislang weder Gehör fanden noch sich verschaffen konnten. Sie kamen als Menschen, doch aus ihnen wurden, kaum daß sie die Grenzen überschritten hatten, "Flüchtlinge". Sind Flüchtlinge etwa keine Menschen? könnte geargwöhnt werden. In der Tat sind die fundamentalsten Menschenrechte, die ihrer Natur nach nur ebenso ausnahms- wie bedingungslos gelten können, wenn sie Bestand beanspruchen wollen, in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland an unverrückbarer Stelle niedergeschrieben. Internationale Abkommen tun das Ihre, um die postulierte Universalität von Menschenrechten und Menschenwürde zu unterfüttern.

Für "Flüchtlinge" gelten in Deutschland andere Bedingungen und auch Gesetze als für andere Menschen. Den naheliegenden Schluß, daß der grundrechtliche Schutz ein Versprechen ist, das die Obrigkeit gewährt und nach ihrem Belieben auch wieder entzieht bzw. aushöhlt, wird zwar selten gezogen, könnte jedoch zur Konsequenz haben, daß die Unterscheidung zwischen Bundesbürgern und den aus anderen Staaten stammenden Entrechteten als altbewährte Methode des Teilens und Herrschens begriffen und im zweiten Schritt verworfen werden würde.

Den Protesten geflohener Menschen, die im gesamten Bundesgebiet mehr und mehr von sich reden machen und die mediale Ignoranz zu durchbrechen im Begriff stehen, haben sich einheimische Unterstützer und Unterstützerinnen angeschlossen und, mehr noch, sie haben diesen Widerstand zu ihrer eigenen Sache gemacht. In Düsseldorf begann am 13. Juli ein Protestcamp, das noch bis zum 22. Juli andauern soll [1]. Nach den Erfahrungen, die staatliche Stellen mit Protesten geflüchteter und entrechteter Menschen hier in Deutschland in jüngster Vergangenheit schon gemacht haben, ist nun offensichtlich der Schluß gezogen worden, einer weiteren Solidarisierung der Betroffenen miteinander sowie mit Menschen, die nicht selbst betroffen sind, mit repressiven Mitteln einen Riegel vorzuschieben.

Das No Border Camp in Köln und Düsseldorf wird bundesweit organisiert von einem offenen Netzwerk antirassistischer Gruppen und Aktivisten und Aktivistinnen. Die Protest richtet sich gegen die von der europäischen Grenz-"Schutz"-Agentur Frontex am Düsseldorfer Flughafen organisierten Sammelabschiebungen, aber auch die "Lagerhaltung", denen die meisten nach Deutschland geflohenen Menschen ausgesetzt sind. Die Entwürdigung zu beschreiben, die die ihnen gesetzten Bedingungen ausmachen, ist ein schwieriges Unterfangen, da die Aufzählung der im übrigen gut dokumentierten und von Unterstützergruppen veröffentlichten Details nicht einmal ausreichen, um nachvollziehbar zu machen, wie zerstörerisch im wahrsten Sinne des Wortes die deutsche Asyl- und Flüchtlingspolitik wirkt.

In Würzburg haben in Flüchtlingslagern lebende Iraner, nachdem sich einer der ihren das Leben genommen hatte, einen Hungerstreik begonnen und über Wochen durchgeführt, ohne daß Behörden oder Öffentlichkeit davon Notiz genommen hätten. Erst als sich acht hungerstreikende Geflohene die Münder zunähten und an öffentlichen Kundgebungen - was die Behörden zunächst verboten hatten und vom Bayrischen Verwaltungsgerichtshof jedoch erlaubt worden war - teilnahmen, kam Bewegung in diese bislang von der Öffentlichkeit weitgehend ignorierte Auseinandersetzung. Die Hungerstreikenden erhielten Asyl oder die Zusage einer positiven Entscheidung.

All dies ist nicht mehr als der Versuch, eine Radikalisierung und Ausweitung der Proteste auszubremsen durch ein behördliches Entgegenkommen in diesem oder jenem Einzelfall. Dabei ist gerade die buchstäbliche Vereinzelung der Betroffenen, die bislang, jeder für sich, auf eine positive Reaktion der Behörden und Gerichte hofften, der nun eine Solidarisierung derjenigen, die sich am allerwenigsten wehren können und als oftmals als "Geduldete" ihr Dasein fristen mußten, entgegenwirkt.

Die allergrößte Befürchtung jener Kräfte, die ihre Oberhoheit darauf stützen, Menschen gegeneinander ausspielen und aufbringen zu können, scheint nun allerdings darin zu bestehen, daß die Ausgrenzung der zu Flüchtlingen erklärten Menschen insgesamt als ein generelles Herrschaftsintrument erkannt, bewertet und abgelehnt werden könnte aufgrund der nicht von der Hand zu weisenden Überlegung, daß an jenen Menschen, die wehrlos zu sein scheinen, vor- und durchexerziert wird, was für einen weitaus größeren Bevölkerungsteil Realität werden könnte in vielleicht gar nicht so fernen Zeiten der Bekämpfung von Hunger- und Armutsrevolten.

Fußnote:
[1] Mehr Informationen zum No Border Camp vom 13. bis 22. Juli 2012 in Köln/Düsseldorf unter
http://noborder.antira.info/de/

17. Juli 2012