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SERIE/016: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 14. Brief - Neudeck 5


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 14. Brief

23.3.08

Neudeck V


Noch immer sitze ich in Neudeck in der Abteilung für nicht arbeitende Frauen fest. Trotz meiner Bemühungen habe ich keine Chance, hier wegzukommen. Das bedeutet, an vielen Tagen mindestens 22 Stunden eingesperrt sein, ohne Radio oder Fernsehen. Illustrierte gibt es überhaupt nicht, Bücher nur sehr eingeschränkt aus der Gefängnisbibliothek. Von Fortbildungen wie Sprach- oder Computerkursen kann man nur träumen - nichts. Ich bin immer mehr davon überzeugt, daß ein Ziel hier ist, die Gefangenen dumm, stumpf und gefügig zu machen - perfekte Untertanen eben. Manchmal wird nachmittags ein bisschen Programm angeboten, fast ausschließlich organisiert von den Kirchen, deren Engagement ich erst hier im Gefängnis zu würdigen gelernt habe.

Einmal wöchentlich trifft sich die sogenannte Emaus-Gruppe, geleitet vom katholischen Pfarrer, einem unkonventionellen, lockeren und humorvollen Mann, der häufig in Begleitung einer älteren Dame hierher kommt. Es wird geredet, über bestimmte Themen diskutiert, zum Abschluß werden meist, geleitet von der Dame, ein paar einfache Gruppentänze durchgeführt. Passende Musikkassetten bringt sie mit. Um an dieser Gruppe teilzunehmen, muss ich mich erst auf eine Warteliste setzen lassen. Diese ist recht lang, nicht zuletzt, weil der Pfarrer meist ein paar Süßigkeiten mitbringt, Kleinigkeiten, die aber von den Frauen, die nicht am 14-tägigen Einkauf teilnehmen können, heiß begehrt sind. Manche geben auch gegenüber dem Pfarrer ganz freimütig zu, daß sie nur deswegen in die Gruppe kommen. Nicht jede hat Verwandte oder Freunde, die Geld hierher überweisen. Bis zu 170,- Euro monatlich darf ein Untersuchungshäftling für von der Gefängnisleitung freigegebene Sanitärartikel, Schreibwaren und Lebensmittel ausgeben. Wie für fast alles während der U-Haft braucht man auch für die Teilnahme an der Emaus-Gruppe die Genehmigung des zuständigen Ermittlungsrichters, die ich ohne Probleme bekomme.

Ebenfalls einmal wöchentlich gibt es einen Gesprächskreis - ähnlich dem der Emaus-Gruppe - mit dem evangelischen Geistlichen, auch er ist ein völlig unverkrampfter und lebensfroher Mann. Die Teilnehmerzahl ist auf ca. 12 Frauen begrenzt und wenn die entsprechende Liste vor dem Büro ausgehängt wird, herrscht großes Gedränge. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst und oft trägt die Erste, die die Liste erreicht, gleich fünf oder mehr ihrer Bekannten ein und so haben die, die später kommen, keine Chance.

An einem weiteren Nachmittag bietet dann ein dritter Pfarrer an, von ihm mitgebrachte Videofilme anzuschauen, deren Bandbreite vom Kinderfilm über alle Arten von mehr oder weniger seichter Unterhaltung bis hin zur Gandhi-Biografie reicht. Die Auswahl trifft manchmal der Pfarrer, manchmal wird auch abgestimmt und die Mehrheit entscheidet.

Das vierte Angebot - ein sog. Bastelnachmittag kommt vom Evang. Beratungsdienst für Frauen - es werden Papierblumen hergestellt, Freundschaftsbänder geflochten, manche malen auch ein bisschen - ich lasse mir meist etwas Ton geben und forme alle möglichen Figuren daraus, die ich allerdings nicht mit auf die Zelle nehmen darf. Begründung: sie könnten als Wurfgeschosse verwendet werden. Dass ich andererseits ganz offiziell große Gurkengläser und schwere Obstkonserven in meinem Schrank haben darf, wird offenbar nicht als Problem betrachtet.

An Feiertagen und Sonntag vormittags findet meistens ja ein evangelischer und ein katholischer Gottesdienst statt. Auch ich als Atheistin würde gerne daran teilnehmen, ehrlich gesagt schon allein deshalb, um aus der Zelle herauszukommen. Als mir gesagt wird, ich müsse dafür einen Antrag schreiben, verzichte ich. Ich finde es absurd, nur auf Antrag hin in die Kirche gehen zu dürfen.

Am Sonntag ist üblicherweise von 14.00 - 15.00 eine Stunde Fernsehen angesetzt, allerdings darf nur ein von der Gefängnisleitung genehmigter Sender eingeschaltet werden, eine Beamtin ist stets anwesend. Während meines Aufenthalts in Neudeck ist der anspruchsvolle Kanal "SAT 1" erwählt worden und wir dürfen meistens Lisa Plenskes Metamorphose in "Verliebt in Berlin" bewundern. Was für eine Wahl: Zellenwände oder Plenske anstarren. Es gibt Tage, da bevorzuge ich die Zellenwände. Auch ist es etwas gewöhnungsbedürftig, dass Punkt 14 Uhr der Fernseher eingeschaltet wird, Punkt 15 Uhr wird er abgeschaltet, so daß wir häufig entweder den Anfang oder das Ende einer Sendung sehen, aber höchst selten beides. Das klingt nach einem vollen Programm, aber all diese Angebote - außer dem letztgenannten - werden ersatzlos gestrichen, wenn die betreffenden Anbieter krank, im Urlaub oder sonst irgendwie verhindert sind, was ziemlich häufig vorkommt und oft sehr kurzfristig angekündigt wird.

Von allem faszinieren mich die Gesprächsrunden mit den Pfarrern am meisten. Manche Frauen geben überhaupt nichts von sich preis, andere reden wie Wasserfälle von höchsten moralischen Wertvorstellungen und klauen fünf Minuten später dem Pfarrer einen seiner mitgebrachten Stifte. Es ist wie "draußen", in der "ehrenwehrten" Gesellschaft, deren dynamischste Vertreter sich wohl nicht mit ein paar Bleistiften begnügen würden.

Das Highlight des Sommers, den ich in Neudeck verbringen muss, ist es, als eine Rock-Band, bestehend aus vier jungen Männern, ein Live-Konzert im Hof gibt. Auch das Wetter spielt mit, es ist ein sonniger, heißer Nachmittag und zum ersten mal, seit ich hier bin, sehe ich mehr fröhliche als traurige Gesichter unter den Gefangenen.


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Quelle: Copyright by Heide Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Oktober 2008