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SERIE/019: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 17. Brief - Neudeck 8


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 17. Brief

13.04.08

Neudeck 8


Heute morgen ist draußen alles weiss, es hat nachts kräftig geschneit und auch noch beim ersten Blick aus dem Fenster sehe ich in der Dunkelheit dicke Flocken fallen. Ich freue mich total auf den Hofgang im Schneetreiben und auf die klare Winterluft. Als ich noch frei war, habe ich bei solchem Wetter stundenlange Wanderungen gemacht. Um halb zehn werden wir üblicherweise hinaus gelassen, Viertel nach neun wird bekannt gegeben, daß der Hofgang wegen des "schlechten Wetters" abgesagt worden ist. Dafür "dürfen" wir auf dem Flur herumlaufen. Naja, besser als gar nichts. Also gehe ich auf dem U-förmigen Gang hin und her, immer an der Wand entlang. An den verschlossenen Türen zum Treppenhaus drehe ich um und laufe wieder in die entgegengesetzte Richtung. Die meisten meiner Leidensgenossen machen es genauso, wenn wir uns begegnen, bleiben wir hin und wieder für einen kleinen Small Talk stehen.

Nachmittags dann ein Schock: Ich muss morgen früh wieder zum Verhör ins Polizeipräsidium. Bei meiner Verhaftung wurden etliche Asservate aus meiner Wohnung mitgenommen. Wahrscheinlich haben sie jetzt alles durchgearbeitet und ich befürchte, daß sie auf etwas gestoßen sind, das mir noch Probleme bereiten könnte. Je weiter der Abend fortschreitet, desto mehr rutscht mir das Herz in die Hose. Mir wird noch erlaubt, außerplanmäßig zu duschen, dann ist "Einschluß". Den ganzen Abend lang laufe ich unruhig in der Zelle auf und ab wie ein Wolf in seinem Käfig und mache damit die Senegalesin F. ganz verrückt, die laut schnaufend aufatmet, als ich mich endlich auf meinem Bett niederlasse. Ich schlafe schlecht in dieser Nacht. Früh um sechs werden wir geweckt und schon um sieben sitze ich in der Wartezelle bis der Transportbus kommt und mich, gemeinsam mit einigen anderen Gefangenen, in die Ettstraße fährt, wo ich erst einmal in einer der Zellen warten muss, in denen ich nach der Verhaftung die schlimmsten Tage meines Lebens verbracht habe. Gegen neun Uhr werde ich von einer Beamtin geholt und in die Abteilung des Staatsschutzes geführt. Schon auf dem Flur kommt einer der beiden Hauptkommissare, die mich damals verhört hatten, auf mich zu. Ob ich mich noch an ihn erinnere? Natürlich. Im Vernehmungszimmer sitzt sein Kollege, außerdem noch ein junger Mann, ebenfalls Kommissar und eine Sekretärin. Ich frage, warum ich als Deutsche in der Abteilung für ausländischen Extremismus "geführt" werde. "Weil wir die Besten sind". Aha! Nachdem ich mich hingesetzt habe, stellt sich Kommissar K. vor mich hin und mustert mich von oben bis unten. Sein Blick bleibt an meiner schlecht geschnittenen Anstaltsjeans hängen. "Ist das Ihre Ausgehhose?" Was soll ich dazu sagen? Ich habe nur eine Hose in Neudeck. Wir plaudern ein bisschen über die Haftbedingungen dort, er schaut betroffen, sagt, daß er bisher nichts über Neudeck wusste und daß es dort ja offenbar ziemlich schrecklich wäre. Da kann ich nicht widersprechen. Dann legt er los: Es sind zusätzlich zu den schon bekannten 150 politischen Graffiti, die sich gegen die - in meinen Augen - verbrecherische Kriegspolitik von USA, Israel und Nato und damit natürlich auch dem riesigen deutschen Anteil daran richteten, noch ca. 50 neue dazugekommen. Ich bekenne mich schuldig, ob 150 oder 200 ist ja jetzt auch egal. Anschließend kaue ich mit dem anderen Kommissar noch einmal alle 11 Fälle der Bombenattrappen durch, die ich in verschiedenen Zügen deponiert hatte. Sie waren mit sog. Bekennerschreiben versehen, die Bezug zur deutschen Beteiligung an Angriffskriegen im Nahen Osten, zu den CIA-Zentralen in Deutschland und zum El Dorado der Rüstungsindustrie, der sog. Münchner Sicherheitskonferenz hatten.

Die Beamten sind nett zu mir. Kein Wunder, ich mache es ihnen ja auch denkbar leicht. Sie bringen mir Kaffee, Wasser, bieten Essen an. Meine Befürchtungen, daß neue Beschuldigungen erhoben werden könnten waren unbegründet und ich bin erleichtert und entspannt. Außerdem muss ich gestehen, ich genieße jede Sekunde in diesem hellen Büro mit der freundlichen Sekretärin, den Pflanzen und den großen Fenstern ohne Gitter. Was für ein Kontrast zum Gefängnis. Ich will nicht dorthin zurück! Zum Schluß sagt ein Kommissar: "Sie haben mir letztes Mal versprochen, daß Sie so was nicht mehr machen." Ich antworte nicht, schaue aus dem Fenster. "Sowas nicht, aber etwas anderes schon", kommentiert der junge Mann. "Nein, ich mache das nicht mehr", sage ich. Niemand erwidert etwas. Dann ist das Verhör vorbei, der Kommissar, der mich in Empfang genommen hat, bringt mich in den verliesartigen Zellentrakt zurück, erzählt mir unterwegs etwas von seinem beruflichen Werdegang und der Geschichte des 1914, dem Jahr, in dem der 1. Weltkrieg begann, erbauten Gebäudes. Als er mich den Beamten im "Verlies" übergibt merke ich, wie unwohl er sich dort fühlt. "Lassen Sie mich bitte wieder raus", sagt er zu ihnen und geht schnell. Ich muss dableiben, werde wieder in die mir verhasste, gekachelte Zelle gesperrt und dann heißt es wieder warten, warten, warten - ohne Zeitschrift, Buch, Papier, Stift. Auf einmal ertönt Stimmengewirr vor meiner Zelle, offenbar eine Besuchergruppe. Ich habe absolut keine Lust, mich durch den Spion von neugierigen Besuchern wie ein Tier im Zoo beobachten zu lassen. Deshalb setze ich mich auf den stabilen Metall-Wasserkasten der Toilette und stelle die Füße auf die ebenfalls metallene Klobrille. So bin ich vom Spion aus nicht zu sehen. Enttäuschte Stimmen von draußen "Diese Zelle ist nicht belegt". Von wegen! Genüsslich lausche ich, wie die Gruppe weitergeht, die Schritte langsam verhallen und es auf dem Gang wieder still wird.


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Quelle: Copyright by Heide Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2008