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SERIE/025: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 23. Brief - Neudeck 14


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 23. Brief

25.5.08

Neudeck 14


Die siebente Woche Untersuchungshaft ist fast vorbei. Wie alle 14 Tage sind meine Freunde aus der Friedensbewegung für die erlaubten 30 Minuten hergekommen und ich werde zu ihnen geführt. Heute sind keine anderen Besucher im Raum, nur eine ältere Beamtin sitzt auf ihrem Stuhl und bewacht uns. Während wir gerade ins Gespräch vertieft sind, ertönt plötzlich Lärm und lautes Geklapper draußen auf dem Flur. Schüchtern lächelnd versucht meine Bekannte einen kleinen Scherz und wendet sich der Beamtin zu. "Da brechen welche aus." Die sitzt unbeweglich da, verzieht keine Miene und sagt todernst: "Das ist hier nun mal so." P. erzählt, er hätte am Münchner Ostermarsch teilgenommen, der nur aus ca. 500 Teilnehmern bestand - trotz der vorigen Monats von der Bundesregierung beschlossenen Entsendung von sechs Tornado-Aufklärungsflugzeugen zur Unterstützung des Luftkrieges gegen den afghanischen Widerstand. Wirkt die perfide Propaganda-Gleichung Angriffskriege = Friedensmissionen? Eine Schlagzeile der "Bild"-Zeitung in diesen Tagen, neben dem Foto eines "Tornados" plaziert, lautete "Wir ziehen in den Krieg". Die Worte "endlich" und "wieder" haben sie weggelassen. Warum wehren sich so wenige dagegen? Mir fallen Sätze aus George Orwells 1949 veröffentlichten prophetischen Roman "1984" ein. "Krieg ist Frieden" und "Tausend Wiederholungen ergeben eine Wahrheit" sind Parolen der dort herrschenden "Big Brother-Regierung. Zurück zum Ostermarsch. P. unterhielt sich dort mit einem Polizisten und erklärte ihm, das es Kriegsgegner gibt, denen die sogenannten "Latsch-Demos" nicht radikal genug seien und daß eine von ihnen jetzt wegen Bombenattrappenlegens im Gefängnis säße. Der erwiderte prompt "Ach, Heide L. Die hat uns ein paar schlaflose Nächte bereitet, ich musste deswegen zweimal nachts raus". Tja! Die Beamtin rührt sich "Ende der Besuchszeit", die Freunde müssen gehen, wieder darf ich zwei Wochen keinen Besuch bekommen. Mein Gott, wie lange soll das noch dauern? Körperlich werden wir relativ gut versorgt, geistig und seelisch aber zerstört - Zombies. M. meine albanische Ex-Zimmergenossin, will mich aufmuntern und prophezeit, daß ich keine 3 Monate hierbleiben und dann eine Bewährungsstrafe bekommen werde, denn ich hätte ein gutes Herz. Naja, zumindest die ersten beiden Punkte ihrer gewagten Prognose entpuppen sich später als Blödsinn. Beim "Hofgang" und auf dem Flur werde ich immer wieder auf meine Aktionen angesprochen, meist fragen die Frauen "Warum hast Du das gemacht?" und stets antworte ich wahrheitsgemäß daß ich wenigstens einmal drastisch aufrütteln wollte gegen die mörderische Kriegspolitik von USA und Nato und den großen deutschen Anteil an Massenmorden, Lügen und Folter. Wie oft habe ich das resignierte "Du hast ja recht, aber da kann man eh nichts machen" gehört. Die Reaktionen auf meine Erklärungen sind manchmal Unverständnis, Kopfschütteln, aber auch oft Sympathiebekundungen. Beschimpfungen oder Feindseligkeiten habe ich nie erlebt. Zu meiner Verblüffung sagt eines Tages eine Person, die in Neudeck kirchliche Arbeit verrichtet "Wenn Sie einmal vor der Redaktion der "Bild"-Zeitung eine Bombe deponieren wollen, sagen Sie mir Bescheid. Dann helfe ich Ihnen." Freitag, der 13. April. Traumhaftes Wetter. Im Gegensatz zur vorigen Woche ist es richtig warm geworden und das Grün in der Natur explodiert regelrecht. Wie immer freitags sind wir ab 15.45 Uhr weggeschlossen, morgen und übermorgen noch eine halbe Stunde früher. Ich habe eine junge Frau getroffen, die bereits seit 14 Monaten hier sitzt. Unvorstellbar. Mich hält nur die Hoffnung, die bekanntlich zuletzt stirbt, über Wasser, daß meine Verhandlung, die ja irgendwann kommen muss, halbwegs glimpflich ausgeht. Seit gestern habe ich wenigstens einen kleinen Wecker, den ich mir über den Einkauf bestellt, in der Zelle. Sieben Wochen lang hatte ich überhaupt keine Uhr und konnte mich nur am Glockenschlag der Kirche auf dem Maria-Hilf-Platz und am Sonnenstand orientieren. Auch daran gewöhnt man sich und er funktioniert. Jetzt genieße ich den Luxus des kleinen Plastikweckers für zwei Euro fünfzig. Leider konnte ich mir beim Einkauf kaum Milchprodukte wie Quark oder Joghurt bestellen, die ich so gern mag und die wir hier nur sehr selten bekommen. Wir haben keinerlei Kühlmöglichkeit und in der warmen Zelle würde alles innerhalb weniger Tage verderben. Jede Beschwerde darüber wird von Beamtenseite mit dem stets paraten Spruch "Wir sind hier nicht im Wunschkonzert" abgeschmettert. Nein, wahrhaftig, das sind wir nicht.


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Quelle: Copyright by Heide Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2008