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SERIE/056: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 09.11.2007 bis 13.11.2007


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

18. Teil - 09.11.2007 bis 13.11.2007


9.11.07

Bin heute nach Aichach gekommen und total durcheinander. Als ich ankam habe ich ein Info-Blatt als gelesen unterschrieben, in dem stand, daß bei Flucht oder Meuterei auf mich geschossen werden darf. Strickt abgelehnt habe ich es dagegen, eine Einverständniserklärung für eine Gemeinschaftsunterbringung zu unterschreiben. Dann habe ich in der Kleiderkammer total Theater gemacht als ich da nackt Verrenkungen machen sollte. Immerhin habe ich aber auch durch den Doktor hier eine Einzelzelle. Mein Tablettenschmuggel ist sowohl in Neudeck als auch in Aichach nicht entdeckt worden.


11.11.07

Mein dritter Tag in Neudeck.[*] Sonntag: Es ist schon besser als in Neudeck, aber gut würde ich all das nicht nennen. Bisher habe ich auch weder mein versiegeltes ! Radio noch meine Fachbücher bekommen und meinen kleinen, originalverpackten Wecker aus dem Neudecker Einkauf darf ich hier überhaupt nicht haben. Als ich heute morgen Kaffee holen ging, dröhnten aus den Zellen schon die Fernseher. Danach war ich im evangelischen Gottesdienst, der mit dem Gefangenenchor wirklich gut gestaltet war. Auch die Kirche hier ist recht schön, die Besucher sitzen wie in einem Hörsaal, auf ansteigenden Sitzreihen. In der Kirche habe ich auch die Horror-Lesbe Al. entdeckt. Es gibt gibt hier fürchterliche Frauen aber auch ganz nette, wie überall. Ich vermisse einige Leute aus Neudeck, ganz besonders C. Gestern habe ich mich ziemlich lange mit einer Beamtin unterhalten, die ganz nett war und mir einige Tips gegeben hat. Ansonsten ist es ein beruhigendes Gefühl, gehen zu können wenn ich es wirklich will.

[*] Anmerkung der Redaktion Schattenblick:
gemeint ist: Aichach



13.11.07

Wir werden wochentags immer um 5.45 durch eine Ansage aus der Rufanlage, bzw. dem Radio geweckt. Zwischen 6 und 7 Uhr hole ich Kaffee, bzw. zweimal wöchentlich Milch und sehe dabei in den offenen Zellen der anderen schon um diese Zeit schon die Glotze laufen. Fr. T., die netterweise außerplanmäßig gestern hier war, erzählte, daß etliche Gruppenangebote weggefallen sind, weil die Gefangenen kein Interesse mehr daran hatten und nur noch fernsehen wollten. Diese Idioten. Vormittags dann der "Befehl", zur "Vernehmung" zu kommen, aus der ich zuerst überhaupt nicht schlau wurde. Ich mußte dann ins Vernehmungszimmer zum Abteilungsleiter, Herrn Z. (oder so ähnlich), weil ich am Freitag von den Damen in der Kleiderkammer angezeigt wurde, wegen meiner Weigerung, nackt Verrenkungen vor ihnen zu machen, wegen meines Tones ihnen gegenüber und weil ich ihnen meine Sachen hingeknallt habe. All das warf der Herr mir vor und er erklärte mir, dass ich den Anordnungen der Uniformierten zu folgen hätte. Ich sagte, ich fände diese Prozedur total pervers, worauf er mich belehrte, dass sich die bayrische Politik schon etwas dabei gedacht hätte. Ich: "Ja, die denken sich bei allem etwas". Ob er gemerkt hat, wie ironisch ich das meinte? Er fragte noch, weshalb ich hier sei und als ich es ihm sagte, hatte ich das Gefühl, er unterdrückte ein Lachen. Er meinte, er wolle noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen. Ich bekam als Disziplinarstrafe ½ Monat Einkaufssperre und ½ Monat Freizeitsperre, netterweise aber auf Bewährung (3 Monate). Naja. Mittags musste ich dann zur Arbeitsberatung, ein sehr netter Mann, der laut gelacht hat als ich ihm erzählte, dass ich die Bombenattrappen in der Bahn gelegt habe. Er hat mich für die Arbeit in einem Verlag vorgemerkt (irgendwelche Aktualisierungen durchführen) und meinte, es könnte eine Wartezeit von 6 Monaten geben. Mir soll's recht sein. Nachmittags war ich dann noch bei der sehr netten Sozialarbeiterin, die mich viel über die Hintergründe meines Attrappenlegens gefragt hat. Ich habe kein Problem, darüber zu reden, warum nicht, es ist keine Geheimnistuerei nötig, im Gegenteil, irgendwie bin ich froh, dass ich es gemacht habe. Dass es nicht legal war ist klar und bei den erschreckten "Opfern" und Bahnkunden habe ich mich ja eh entschuldigt. Die Dame war mir jedenfalls sehr sympatisch und vielleicht kann ich in ihrem Büro nächste Woche mal mit Mutti telefonieren. Übrigens durfte ich heute ca. ¼ Stunde allein im Hof herumlaufen, weil die anderen - wie immer - nach kurzer Zeit in ihre Käfige zurückwollten. Ich habe jetzt schon einige Leute hier getroffen, die ich aus Neudeck kannte. Die meisten sahen unglücklich aus. Aichach ist ganz sicher nicht das Paradies, von dem so viele in Neudeck schwärmen.


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Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Februar 2010