Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → REDAKTION

SERIE/059: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 11.12.2007 bis 22.12.2007


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

21. Teil - 11.12.2007 bis 22.12.2007


11.12.07

Heute war das ZDF im Haus, in Sachen Kindstötungen. Sie haben einige Frauen interviewt. Klar bei der jetzigen Welle von diesen Delikten. Neben mir "sitzt" auch eine Frau, die ihr Baby getötet hat. Ich habe heute von anderen Gefangenen über ihre Tat gehört, allerdings - wie bei allen hier - was ich glauben soll, weiß ich nicht. "Kindsmörderinnen" sind nicht beliebt im Gefängnis. Meine Federball und Tischtennispartnerin A. hat heute einen Brief bekommen, ihr Mann hat die Scheidung eingereicht und das Sorgerecht für ihr Kind beantragt. Lauter Tragödien.

Ich dagegen habe einen Brief von M.V. bekommen, sie und P. sind nicht fit und sie wüssten noch nicht, wann sie mich wieder besuchen. Lockerungen kann ich mir da wohl abschminken, ich könnte theoretisch ab Februar 08 welche beantragen, aber nur, wenn mich dieselben Leute mindestens dreimal hier besucht haben.


16.12.07

Sonntag, 3. Advent. Heute morgen war ich in dem katholischen Gottesdienst. Ich gehe nicht hin, weil ich gläubig bin, zumindest nicht gläubig im Sinne der Kirche, sondern weil ich einfach ein paar andere Eindrücke als die während des ewig gleichen Tagesablaufs sonst haben will. Mitten im Gottesdienst rief eine Beamtin eine Gefangene zu sich, der Pfarrer stutzte, alle schauten zu ihr. Sie ging demonstrativ polternd und meckernd zu ihr, setzte sich. Warum sie sich umsetzen musste, weiß ich nicht. Der Pfarrer machte eine kurze Bemerkung in die Richtung, daß sie besser herausgeht, wenn sie nur stören will. Daraufhin wurde sie von der Beamtin herausgebracht. Noch in der Kirche sagte sie laut: "Ich scheiße sowieso auf den Gottesdienst." Vereinzeltes Gelächter, dann wurde die Messe fortgesetzt.


18.12.07

Die Gefangenen backen von morgens bis abends für die Weihnachtsfeier, außerdem dank der Gefängnisleitung stehen auf den Flügeln große Weihnachtsbäume und es hängt überall Tannengrün. Wie verlogen, sie sperren Menschen wie Vieh ein, demütigen sie in der Kleiderkammer bis aufs Blut, lassen sie verblöden und abstumpfen, aber: Frohe Weihnachten. Ich pfeiffe darauf! Mein Manuskript für Radio Lora an M.H., in dem ich heftig die SZ, gegen die hiesige Kabarettgruppe "Gittergören" und den Anstaltsleiter attakiert habe, ist offenbar rausgegangen. Naja, immerhin. Gestern hatte ich beim Hofgang auf dem leicht angefrorenen Sandplatz des Beachvolleyballfeldes mit dem Fuß ein großes Anarcho-A in den Sand gemalt. Nichts passierte.

Als ich es heute "auffrischen" wollte, stand sofort eine Beamtin hinter mir und verbot es. Auf meine Frage, was man hier überhaupt dürfe, meinte sie, hier in Aichach dürfe man viel mehr als "woanders" und fragte, ob ich Neudeck kenne. Ha! 8 1/2 Monate war ich in diesem gottverdammten Verlies! Egal, wie schlimm es im Knast ist, schlimmer als in Neudeck geht es nicht mehr, zumindest wenn man humanitäre Grundanforderungen zugrunde legt.


22.12.07

Habe heute beim Hofgang wieder ein Anarcho-A in den Sand gemalt, auf einmal kam A., mit der ich immer Federball und Tischtennis spiele und sagte, sie würde nicht mehr mit mir spielen, wenn ich weiter solche Zeichen male usw. Sie möchte nicht damit in Zusammenhang gebracht werden. Gut, das verstehe ich. Dann meinte sie noch, sie hätte im Büro gehört, daß die Beamtinnen sich unterhalten und dabei gesagt hätten, ich würde schon noch sehen, wer am längeren Hebel sitzt, es ging um die Zeichen und dass ich im Spaß gesagt habe, "Schlappschwänze" als eine Beamtin beim Hofgang zu einer anderen sagte, es wäre so schrecklich kalt. Das war wirklich nur scherzhaft gemeint, aber jetzt ist es auch egal. Ich fragte A., ob sie auch etwas über den Brief (einen Bericht für Radio Lora, sehr sarkastisch) gesagt hätten. A. sagte nichts, wich auf Nachfragen aus. Also ging es auch darum. Wahrscheinlich bekomme ich nach den Feiertagen richtig eins von Hrn. Z. übergebraten, mal sehen, was er mir aufbrummt.
Ich traue A. nicht mehr richtig. Gut, ich kann verstehen, dass sie keine Probleme haben will, aber sie hat sich bei Diskussionen schon mehrfach auf die Seite der Beamten gestellt. Jedenfalls werde ich zukünftig vorsichtiger bei meinen Gesprächen mit ihr sein. Schade.

Erschreckend, wie aggressiv manche Gefangenen hier sind. Es gab auf dem Flur unter uns wüste Drohungen von einer gegen die andere. Die andere war To., ausgerechnet. Sie lief zur Beamtin und beschwerte sich, was bei uns wilde Diskussionen auslöste, was man tut und was man nicht tut. Wir "einigten" uns, daß beides scheiße ist.


Mouseclick zum Zoomen


Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


*


Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2010