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SERIE/084: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 06.06.2008 bis 11.06.2008


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

46. Teil - 06.06.2008 bis 11.06.2008


6.6.08

Gestern habe ich einen ziemlich provokanten Brief eingeworfen an A.R. "Mörder der Bundeswehr" beispielsweise steht darin, mal sehen, ob sie ihn auch wieder kopieren. Ich teste. Kindisch, oder auch nicht. Abends hatte ich mir dann Schokoschlagsahne gemacht, worauf mir in der Nacht totenschlecht war. Sodbrennen wie verrückt. So was bin ich nicht mehr gewöhnt. Heute morgen war ich dann in der Krankenabteilung und bekomme im Laufe des Tages 10 Päckchen mit einem "Magengel", das mir "draußen" immer ganz gut geholfen hat. Draußen! Außerdem noch Voltarengel für mein Knie. Die Frau in der K.A. war freundlich und besorgt. Es hat mir gut getan.

Neulich erzählte jemand, die alte Rollwägelchen-Frau wäre in der Psychatrie in Würzburg. Alles Spinnerei, vor zwei Tagen habe ich sie gesehen und kurz mit ihr geredet. Sie war sehr blass. Es gibt viele Parallelen zwischen dem Geschehen in Aichach und dem Film "Einer flog übers Kuckucksnest". Grotesk.


8.6.08

War heute mit C. im kath. Gottesdienst, sie ist so angenehm, warum lassen sie uns nicht einmal in Ruhe miteinander reden. Wieder die üblichen kleinen Störereien, exessives Gehuste, ein Kindergarten. Vor mir saß eine schwarze Frau, die etwas seltsam wirkte, vielleicht hat sie aber auch nur kein Wort verstanden, das der Pfarrer sagte. Sie blätterte in Prospekten herum, lachte leise vor sich hin. Dann kam eine Beamtin angestürmt, eine von der groben Sorte, riss ihr den Prospekt aus der Hand, deutete mit dem Finger darauf und sagte "Nicht dahin schauen". Dann zeigte sie auf den Pfarrer. "Dahin schauen!" Etwas einfühlsamer wär's wohl auch gegangen.

C. hat eine Einladung zum Sommerfest Ende Juni bekommen. Wirklich beneiden tue ich sie nicht darum, denn eine solche gibt es nur für Langstrafen ab 4 Jahre. Sie liegt 3 Monate darüber, ich 3 drunter.

Heute kam eine Durchsage, der Chor der evangelischen Gottesdienste probt wieder, offenbar haben sie jemanden gefunden, der musikalisch genug ist, ihn zu leiten.

Mittags wäre langer Hofgang gewesen, aber nach 1 Stunde wurde ich hineingepfiffen, wegen "meiner" Freizeitsperre. Bitches! Ich gehe demonstrativ über den Sandplatz, so daß Beamtin J. als ordentliche Staatsdienerin mich aufforderte, mir die Schuhe abzuputzen. "Immer wieder gerne" sage ich und gehe pfeifend die Treppe hinauf in meinen Käfig. Wenigstens habe ich mich ziemlich ausgetobt, beim Federball und Tischtennis. Zur Strafe? wird mir nicht mehr aufgeschlossen, damit ich mir warmes Wasser holen kann. Ich gehe auf den Notruf. Irgendwann stehen R. und Beamtin (auch Kollegin) S. vor mir, mit heissem Wasser und einer Schüssel Salat, die noch vom Mittagessen übrig war. Mit ihrer süßlich-sadistischen Freundlichkeit, und dem Wissen, am längeren Hebel zu sitzen, gibt es noch ein süffisantes "Gute Nacht". Das war's mal wieder.

Habe jetzt jeden Tag herumexperimentiert, ohne Erfolg. Was mache ich nur falsch?


9.6.08

Heute morgen hatte C. offenbar einen ziemlich schweren Anfall und wurde in einem Krankenstuhl in die Krankenabteilung gefahren. Ihre schwangere Zimmergenossin sprach mich an und grüßte mich von C. Dass sie daran gedacht hat, obwohl es ihr nicht gut ging. Mittags war Fr. T. da und wir haben uns ganz nett unterhalten. Manche hier sagen, sie würde über uns Berichte ans Haus schreiben. Ich weiß nicht, nichts ist unmöglich, aber eigentlich glaube ich es nicht. Später habe ich gehört, Beamtin F., die mir zwei Anzeigen geschrieben hatte, ist jetzt in der Jugendabteilung. Zufall oder hat "mein" Strafrapport bei Herrn Z. das bewirkt?

Heute habe ich zum zweiten Mal Fleisch bekommen, obwohl ich fleischloses Essen bestellt hatte. R. die Essensverteilerin hat sich entschuldigt, also werde ich heute Wurst essen. Zur Abwechslung auch mal nicht schlecht.


11.6.08

Zur Zeit werden wir früh immer von einer zuckersüßen Stimme aus dem Lautsprecher geweckt: "Einen wunderschönen Guten Morgen. Es ist 5.30 Uhr. Wollen sie uns verarschen. Hier drin, ein wunderschöner Morgen. Ha!

Die Woche Freizeitsperre ist vorbei, dafür hat mich prompt eine Beamtin erwischt, als ich im 3. Stock aus dem Fenster schaute. Ich hoffe, es kommt nichts nach, eigentlich ist (war Beamtin N., eigentlich) eine von der netteren Sorte. Mein Gott, was für Schuldgefühle, nur weil ich einmal am Tag in die Ferne gucken und den Wald sehen will. Habe mir heute früh gleich meinen Fernseher geben lassen, zum Glück war er noch im Magazin.

Es gibt Fernsehbilder vom Abschiedsbesuch des sauberen Mr. Bush bei "unserer" biederen mecklenburgischen Pastorentochter Bundeskanzlerin A. Merkel. Wieder einmal steht deutsches Militär, genannt Bundeswehr, die mit wehren genausoviel zu tun hat wie ihr Vorgänger, die Wehrmacht, vor einem Massenmörder, Lügner und einem Mann stramm, der ein weltweites Folternetzwerk geschaffen hat. Nun ja, letztendlich ist er ja auch ihr oberster Feldherr. Und die in Scharen aufmarschierten Bullen platzen fast vor Wichtigkeit über ihren "Ehrengast". Zum Kotzen!

Mittag, als ich in der Zelle saß, kam eine Beamtin herein, Strafrapport bei Hrn. Z.. Natürlich hat die Beamtin eine Anzeige geschrieben. Eine von der netten Sorte? Mein Gott, wie muss man drauf sein, um einem Gefangenen eine Anzeige zu schreiben, weil der einmal am Tag über die Dächer schauen und in die Ferne sehen will? Armselig. Deutsche Denunzianten und dann noch mit schöner Uniform, ich kann mir richtig vorstellen, wie es früher war. 1 Woche neue Freizeitsperre, 2 Wochen Bewährungswiderruf - ab sofort 3 Wochen bis zum 1.7. "Ist das so ein Verbrechen?", habe ich gefragt. "Ein Verbrechen nicht, aber ein Vergehen. Ich habe Ihnen eine Chance gegeben, wenn Sie die nicht haben wollen". "Lachhaft", habe ich gesagt und bin einfach rausgegangen, war fix und fertig. 3 Wochen Freizeitsperre, 1 war ja heute erst abgelaufen, also 4 Wochen am Stück. Auf dem Flur habe ich Re. und A. getroffen, musste erstmal heulen. Sie waren total lieb, Re., die gerade mit einer Tafel Schokolade in der Hand vom Besuch zurückgeschlappt kam, hat mir etwas davon geschenkt. Diese grünen Schweine, niemals werde ich so werden, wie sie mich haben wollen! Später kam L. und holte meinen Fernseher. Ich schreibe jetzt mal Briefe an Hrn. F. und an den Gefängnisbeirat schreiben, nur mal anfragen, ob das "normal" ist. Natürlich formal wird Hr. Z. immer im Recht sein, so blöd ist er nicht, daß er sich da eine Blöße gibt. Deutsche Beamten sind immer im Recht, formal.


Gefängnistagebuch von Heide Luthardt


Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. März 2010