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BERICHT/010: Planspiel Stadtbereinigung - Hamburg im Umbruch (SB)


Elbphilharmonie unter anderem ...


Hamburger Elbphilharmonie von der Hafencity aus - Foto: © 2013 by Schattenblick

Wenn ehrgeizige Pläne und Baukastenarchitektur aufeinanderprallen
Foto: © 2013 by Schattenblick

Kultur hat ihren Preis, und der kann unabsehbar sein, wenn Interessen im Spiel sind, die mit dem originären Anliegen künstlerischen Schaffens wenig bis gar nichts zu tun haben. Im Hamburger Hafen legt eine illustre Großbaustelle Zeugnis davon ab, daß die hochfliegende Ambition, sich mit einem einzigartigen Repräsentativbauwerk zu schmücken, in dem Orchester und Dirgenten von Weltrang spielen sollen, alles andere als ein Beleg für den kunstbeflissenen Anspruch der hanseatischen Kaufmanns- und Bürgerelite ist. Hier scheint eher die Idee ihr Unwesen zu treiben, durch schiere Größe und ausgefallene Architektur Eindruck zu schinden. Vielleicht sind die Investoren eher von der Leistungsfähigkeit des Standortes Hamburg zu überzeugen, wenn dessen Regierung auch bei aberwitzigen Kostensteigerungen nicht einknickt. Während der Bau der Elbphilharmonie zum Politspektakel gerät, werden zwei Bühnen der freien Szene, an denen bis zu 200 Menschen mitarbeiten, geschlossen, weil deren engagiertes Theater in den Augen des Senats nicht einmal wenige tausend Euro wert ist. Kultur als Investment, wie am Beispiel hochgradig geförderter Aushängeschilder der Hansestadt vorexerziert, ist auf Rendite ausgerichtet und begrenzt den Horizont der beteiligten Akteure auf gewerbliche und kommerzielle Interessen, anstatt menschliche Erkenntnis und Entwicklung zu fördern.

Seit Anfang des Jahrhunderts geplant und acht Jahre nach Baubeginn ein Streitfall zwischen der Hansestadt Hamburg und der Baufirma Hochtief ist die Elbphilharmonie ein Vorzeigeprojekt, das einiges über die Prioritäten der neoliberalen Stadt verrät. Was im Jahr 2007 noch mit 77 Millionen Euro zu Buche schlagen sollte, summiert sich derzeit auf einen Gesamtpreis von 575 Millionen Euro, das wird in Anbetracht der bisherigen Kaskade von Kostensteigerungen wohl nicht das Ende der Fahnenstange sein. Was 2011 fertiggestellt und bespielbar sein sollte, wird voraussichtlich erst 2017 seiner vorgesehenen Nutzung als extravaganter Kulturtempel, Wohnadresse der Superklasse und Forum für Spitzengastronomie übergeben. So sind die Kosten für die Stadt nach momentanem Stand etwa fünfmal so hoch wie ursprünglich geplant, und das in Anbetracht eines Sparhaushaltes, für den soziale Projekte aller Art zusammengestrichen wurden.

Weitgehend ungerührt von den sozialen Abgründen, die sich zwischen den sprichwörtlich in den Himmel wachsenden Kosten der Elbphilharmonie und den Rinnsalen, die in die Linderung der aus anwachsender Armut grassierenden Probleme fließen, auftun, stehen alle in Regierungsfunktion am Zustandekommen des Projekts beteiligten vier Fraktionen der Bürgerschaft nach wie vor fest zu seiner Fertigstellung. Der Nachhall des euphemistischen Tons, mit dem das Bauwerk 2003 bei seiner Präsentation in der Presse als "elegant", "kühn" und "wagemutig" [1] gefeiert wurde, klingt im Ohr der Eliten Hamburgs von allen finanziellen Desastern unbeinträchtigt auch heute noch nach einer verheißungsvollen Aufwertung der Stadt. Was sich im Glanz dieser für ein weltweites Publikum aufgestellten Landmarke sonnt, soll teilhaben an einer Stadtentwicklung, die die Ströme internationalen Investivkapitals in die Hansestadt lenkt und sie zu einer Metropole von Weltrang erhebt.

Das "unverwechselbar Wahrzeichen" [2] Hamburgs ist dann nicht mehr der Michel, sondern ein architektonisches Hybrid, das auf einem alten Kaispeicher aufsitzt und vom postmodernen Architekturallerlei der Hafencity flankiert wird. Mit seiner in zwei futuristischen Konzertsälen unter einer organischen Dachkonstruktion gipfelnden Struktur setzt die Elbphilharmonie ein Zeichen dafür, daß diese Stadt im 21. Jahrhundert nur noch wenig mit der hanseatischen Handelsmetropole zu tun hat, für die die Hafenanlagen standen, die der neuen Skyline gewichen sind. Diese Entwicklung ist seit 30 Jahren im Gang, und sie wird 2013 einen erheblichen Schritt vorankommen, setzt das kommerzielle und administrative Zentrum der Stadt doch in diesem Jahr dazu an, seine expansive Aufwertungsdynamik mit dem endgültigen Vollzug des "Sprungs über die Elbe" unumkehrbar zu machen.

Hamburger Michel vom Hafenbecken aus - Foto: © 2013 by Schattenblick

Vertrautes Stadtpanorama zu langweilig?
Foto: © 2013 by Schattenblick

Die 1983 mit einer Rede des damaligen Ersten Bürgermeisters Klaus von Dohnanyi initiierte Entwicklung der Stadt zum "Unternehmen Hamburg" erfolgte zeitgleich mit dem Beginn der weltweiten Durchsetzung des neoliberalen Regulationsregimes und hat nicht nur in dieser Stadt, sondern auch in zahlreichen anderen Metropolen zu grundlegenden Umstrukturierungen ihrer sozialen, baulichen und infrastrukturellen Gestalt geführt. Optimiert wird die Nutzung der Stadt als Transmissionsriemen der Kapitalakkumulation durch das betriebswirtschaftliche Primat ihrer Organisation als Lebens- und Wirtschaftsraum, dem alle Belange und Interessen der Bevölkerung nachzuordnen sind. Die Privatisierung sozialer und kommunaler Dienstleistungen soll ebenso Investoren anlocken wie günstige Standortbedingungen fiskalischer, umweltgesetzlicher und arbeitsrechtlicher Art. Die Bevölkerung wird darauf getrimmt, den Käufern ihrer Arbeitskraft als flexibel einsetzbare Work Force zur Verfügung zu stehen, die nachwachsenden Generationen werden in der auf ökonomisch bilanzierbaren Output zugerichteten Hochschullandschaft mit einem modularen und anwendungsorientierten Wissen ausgestattet, das sie nicht auf angeblich dumme, weil rebellische Gedanken kommen läßt, und wer durch das Raster des Produktivitätskalküls fällt, darf im sprichwörtlichen Sinne das Weite suchen.

So weit, so bekannt. Christoph Twickel geht in seinem Buch "Gentrifidingsbumms" [3], in dem die Entwicklung des "Unternehmens Hamburg" exemplarisch nachgezeichnet wird, unter Verweis auf die US-amerikanische Soziologin und Stadtforscherin Saskia Sassen einen Schritt über die Standortlogik der globalisierten Arbeitsteilung und ihrer Auswirkung auf die Entwicklung urbaner Räume hinaus. Sassen schildert unter dem von ihr geprägten Begriff "Global City" die administrative Konsequenz der dezentralisierten industriellen Güterproduktion, die ihre Kosteneffizienz unter erheblichem Transportaufwand dadurch realisiert, daß sie die Fertigung der einzelnen Produktionsstufen in den jeweils kostengünstigsten Regionen der Welt vollzieht. Die Global Cities sind nicht nur die Zentren finanzkapitalistischer Akkumulation, sie bilden auch die Knotenpunkte, an denen die globalen Produktionsketten organisiert werden. Für Sassen wird in internationalen Metropolen wie New York, London, Tokio oder Paris anhand der dort konzentrierten Potentiale des Unternehmens-, Finanz- und Wirtschaftsmanagements kontrolliert und koordiniert, was im Prozeß der Globalisierung in die Werkbänke und Absatzmärkte, die Immobilien- und Rohstoffmärkte des globalen Südens ausgelagert wurde, um in den Metropolen der nordwestlichen Kapitalmacht eine noch höhere Rendite zu generieren.

Dies gehe einher mit der Transformation bislang in regionale Handelskreisläufe und Produktionsketten integrierter Städte zu jener kleinen Schar von Global Cities, in denen die administrative Verfügungsgewalt über das global eingesetzte Kapital und das Management der internationalen Produktions- und Zirkulationssphäre konzentriert ist. Die stadträumlich als hypermoderne Verwaltungskomplexe in Erscheinung tretenden Kommandostrukturen, in denen die hochmobile Managerklasse von einer umfassenden Servicestruktur aus dienstbarem Personal, hochwertigen Konsum- und Kulturangeboten, schnellen Verkehrsanbindungen und leistungsfähigen Kommunikationstechnologien umsorgt wird, seien Sassen zufolge weniger dem Druck der Standortkonkurrenz ausgesetzt, als daß sie eine Art globaladministrative Internationale repräsentierten. Indem die Global Cities "als konzernübergreifende Schaltzentralen für das Management der globalen Produktion" fungierten, bildeten diese Städte "eher ein gemeinsames System, als dass sie gegeneinander konkurrierten" [3]. Ob ein solcher Sprung über die nackte Standortkonkurrenz hinaus gelingen kann, ist in Anbetracht der zwischenimperialistischen Konkurrenzverhältnisse eher zu bezweifeln. Die Frage, worum es beim urbanen Strukturwandel in den produktivsten Gesellschaften über die Effizienzsteigerung im weltweiten Wettbewerb hinaus gehen könnte, ist allerdings der weiteren Präzisierung wert.

Elbphilharmonie von der Hafencity aus - Foto: © 2013 by Schattenblick

Die Global City in urbaner Uniformität
Foto: © 2013 by Schattenblick

Nimmt man die Elbphilharmonie als weithin sichtbares Symbol für den von Twickel beschriebenen Versuch Hamburgs, in die Riege der Global Cities aufzusteigen, dann wird schon an der massiven Belastung des öffentlichen Haushalts deutlich, daß dies nur mit einer Neuzusammensetzung der Stadtbevölkerung zu Gunsten hochflexibler Funktions- und Businesseliten und zu Lasten der als unproduktiv stigmatisierten Armutsbevölkerung möglich sein wird. Die Durchsetzung von Spitzenarchitektur gegen die sozialen Interessen einer Bevölkerung, die auch nach Vollendung der Elbphilharmonie eher selten beim Besuch arrivierter Kulturveranstaltungen und Fünf-Sterne-Restaurants anzutreffen sein wird, ist emblematisch für eine Stadtentwicklung, die der Konzentration globaladministrativer Kompetenzen in der City durch die räumliche Entmischung der Bevölkerung nach Klassenkriterien entspricht. Dies wäre nicht möglich ohne die umfassende Beteiligung der Stadt an der ökonomisch bestimmten Aufwertung und Ausweitung ihres Zentrums, die in Hamburg mit der Modernisierung des zur Innenstadt gelegenen Hafenrandgebiets und der historischen Speicherstadt ihren Anfang nahm und mit dem Megaprojekt der Hafencity einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat.

So hat die Stadtregierung 2002 mit dem "Leitbild: Metropole Hamburg - Wachsende Stadt" ein Konzept aufgelegt, das die Zielsetzungen einer Vergrößerung der Einwohnerzahl durch Verdichtung der innerstädtischen Wohnbevölkerung bei Abnahme der Abwanderung in den ländlichen Raum und der generellen Aufwertung von Stadt und Mensch mit dem Argument des forcierten Wirtschaftswachstums begründet. Dementsprechend wird beim Zuzug der Bevölkerung selektiert: erwünscht sind Unternehmensansiedlungen, junge Menschen mit aussichtsreichen Voraussetzungen und hochqualifizierte Arbeitskräfte, abgeblockt durch repressive Maßnahmen sozialer und behördlicher Art wird die Zuwanderung von Erwerbs- und Obdachlosen wie Flüchtlingen. Auch wenn dies nicht explizit ausgesprochen wird, so dokumentiert die fortwährende Abschiebung von Asylbewerbern, die Diffamierung als unproduktiv abgestempelter Roma als auch der Umgang mit Obdachlosen, denen nicht genug bedarfsgerechte Notunterkünfte zur Verfügung gestellt werden [4], die praktische Ausgrenzung jener sozialen Gruppen, die für die forcierte Kapitalakkumulation untauglich sind:

"Die Einkommens- und Beschäftigungschancen einer Region sind in hohem Maße von der Humankapitalausstattung abhängig. Die Akkumulation von Humankapital wird zunehmend zu einem treibenden Faktor des wirtschaftlichen Wachstums. Mittlere und höhere Qualifikationsanforderungen nehmen erheblich an Gewicht zu, Arbeitsplätze für Un- und Angelernte gehen drastisch zurück. Dies ist eine besondere Herausforderung für die Arbeitsmarktpolitik und das Ausbildungsangebot.
In der globalen Konkurrenz kommt es zunehmend darauf an, attraktiv für international orientierte Führungskräfte und innovative Leistungsträger zu sein. Hamburg benötigt deshalb optimale Bedingungen für die Zuwanderung von Know-how-Trägern. Ziel muss sein, Netto-Importeur von qualifizierten Arbeitskräften zu werden." [5]

Zwar hat man sich in späteren Fortschreibungen des originären Konzepts vom 11. Juli 2002 die verräterische Vokabel "Humankapital" erspart, doch hat sich inhaltlich an der Absicht, eine Wirtschaftsinteressen zuträgliche Bevölkerungspolitik zu betreiben, auch unter dem derzeitigen SPD-Senat im Grundsatz nichts geändert. Das gilt auch für das maßgebliche Ziel der Schaffung sogenannter Cluster, die ein wesentliches Element des neoliberalen Transformationsmanagements in Richtung auf die Etablierung hochproduktiver und innovationsfördernder Kerne der technologischen und ökonomischen Aufwertung darstellen:

"Auch und gerade in den innovativen Bereichen kommt einer erfolgreichen Cluster-Bildung in der Metropolregion besondere Bedeutung zu. Denn ungeachtet des Trends zur Globalisierung und der weltweiten Verfügbarkeit von Wissen und Information spielt im Entstehungsprozess von innovativen Unternehmen in neuen Branchen die räumliche Nähe von potenziellen Kooperationspartnern, Ideen und Ratgebern sowie Zulieferern, Abnehmern, Anbietern aus verwandten etablierten Branchen, Forschungs- und Transfereinrichtungen, Hochschulen und Kapitalgebern etc. eine wichtige Rolle, damit ein sich gegenseitig verstärkender Prozess in Gang kommt. (...) Im Rahmen des Cluster-Managements werden die traditionellen Barrieren zwischen den Akteuren durchbrochen und die Interessen auf gemeinsame Ziele ausgerichtet." [5]

Wie Detlef Hartmann und Gerald Geppert am Beispiel der Entwicklung der Industrieregion Südostniedersachsen zu einem um die produktionsstrategischen Interessen des VW-Konzerns organisierten Cluster dargestellt haben [5], handelt es sich bei diesem Eingriff in regionale Strukturen um die sozialräumliche Reorganisation des Verhältnisses von Kapital und Arbeit zugunsten des vertieften und erweiterten Zugriffs auf noch nicht erschlossene produktive Potentiale nämlichen Humankapitals. Dies geht einher mit der Orientierung regionaler Wertschöpfungsketten auf die globalen Erfordernisse des Weltmarkts, der auf diese Weise direkt in die Region hineinwirkt. Das Durchbrechen "traditioneller Barrieren" zur Erwirtschaftung von Kostensenkungs- und Innovationseffekten ist nach Maßgabe der "kreativen Zerstörung" ein durchaus gewaltsamer Vorgang, der alle Ebenen administrativer, regionaler, lokaler, ökonomischer und sozialer Prozesse mit dem neoliberalen Transformationsregime durchdringt.

Dies erfolgt durch die Zurichtung öffentlicher Verwaltungen auf die betriebswirtschaftliche Ratio der Unternehmensführung, durch die lebensräumliche Verdichtung von Arbeit, Freizeit und Wissensproduktion, durch die Teilprivatisierung vordem öffentlicher Kernaufgaben im Rahmen nomineller wie virtueller Public-Private-Partnerships (PPP) wie durch Strategien der Selbstaktivierung- und optimierung, die unter Schlagworten wie "Eigenverantwortung", "Leistungsgerechtigkeit", "Fördern und Fordern" in der Agenda 2010 zum zentralen Instrument der Zurichtung des Menschen auf Verfügbarkeit für fremdnützige Interessen avancierten. Als sinnstiftendes organisatorisches Dispositiv fungieren Netzwerkstrukturen, mit Hilfe derer potentiell Widerstand provozierende Formen der Herrschaftsausübung zu marktvermittelter Sachzwanglogik abgerüstet werden. Im gedeihlichen PPP-Verbund von Staat und Kapital institutionalisiert und auf den Leisten der Sparpolitik geschlagen, mutieren materielle Gewaltverhältnisse zu funktionellen Systemerfordernissen und Sachzwängen der Refinanzierung, deren unabdinglicher Charakter wiederum den marktwirtschaftlichen Wettbewerb zur Letztbegründung für alle Planungsvorgänge und Budgetentscheidungen erhebt.

Wie die in der "Fortschreibung des Leitbildes: Metropole Hamburg - Wachsende Stadt" vom 22. Juli 2003 ausgewiesene Liste besonders attraktiver und damit förderungswürdiger Wirtschaftsfelder - "Medien und Unterhaltung; Finanzsektor; Außenhandel, Hafen und Logistik; Industrie; Unternehmensdienstleistungen; Gesundheitswirtschaft" - belegt, ist das Interesse der Stadtentwicklung auf die Ausbildung von Technologie- und Produktionsclustern gerichtet, die große Kompatibilität mit Weltmarkterfordernissen aufweist. Die dazu erforderliche Bewirtschaftung der Bevölkerung als zur Kompetenz- und Wissensentwicklung qualifizierte Humanressource schließt alternative und oppositionelle Herangehensweisen zu diesen Arbeits- und Lebensfeldern selbstverständlich aus. So kann Unterhaltungsware ebensowenig kritisches Bewußtsein über ihre beschwichtigende Wirkung und ihr quotenorientiertes Zustandekommen fördern, als die für die Versorgung der Cluster zuständigen Serviceunternehmen etwas anderes als dienstbare Geister benötigten, die zu allem Ja und Amen sagen. Schließlich macht "Gesundheitswirtschaft" nicht nur die medizinische Fürsorge, sondern den Menschen selbst zur Ware.

So soll in Stadt und Region ein innovatives, im Inkubator der räumlichen Nähe von Leben und Arbeit ökonomisch fruchtbar werdendes Klima geschaffen werden, das produktive Prozesse durch verbesserten Informationsaustausch und anwendungsorientierte Wissensproduktion beschleunigt. An die Stelle des aus der Diversität vielschichtiger Interessen entfachten politischen Streits und seiner demokratischen Aushandlung tritt eine Form der nach Maßgabe neoliberaler Effizienzkriterien induzierten Konsensbildung, die als permanenter Krisendiskurs gegen alle Versuche abgeschottet wird, über andere Formen des sozialen und gesellschaftlichen Lebens nachzudenken. Natürlich steht der Mensch bei alledem im Mittelpunkt, wird bei der Vermittlung dieser Politik behauptet. Daß er als Fußnote einer Verwertungslogik, an deren prognostizierten Wachstumsraten alle Handlungsanweisungen ausgerichtet werden, fremdbestimmter kaum sein könnte, soll nicht im Widerspruch dazu stehen, veräußert sich der Homo oeconomicus doch im ureigensten Interesse.

"Der Clusterprozess ist ein sozioökonomischer Modernisierungsprozess, der von den ökonomisch am weitesten entwickelten Punkten ausgeht und von dort versucht, den gesamten Raum mit dem Ziel zu transformieren, regionale Wertschöpfungsketten herauszubilden, die an der Spitze, bei den Global Playern, abgeschöpft werden.
Dabei beschleunigt sich der Transformationsprozess von Staatlichkeit gerade auf der regionalen Ebene, in dem sich neue Steuerungsformen wie Netzwerke und Public Private Partnerships herausbilden, die einen zunehmenden Umbau der Struktur- und Wirtschaftsförderung intendieren, der darauf zielt, sogenannte weltmarktgerechte Verwertungsbedingungen zu fördern. Dieser Umbauprozess verzahnt sich mit betrieblichen, regional- und globalökonomischen Reengineeringsprozessen, die eine neue Raumökonomie analog der neu kreierten Wertschöpfungsketten in den Metropolen etablieren." [6]

Was Hartmann und Geppert am Beispiel des Automobilkonzerns VW analysiert haben, dessen Dominanz für die Region so gewaltig ist, daß sie sich weitgehend in den Dienst seiner produktiven und reproduktiven Belange stellt, gilt für die Transformation der Metropolregion Hamburg nicht nur in industriepolitischer Hinsicht. Dennoch erweist sich das Konzept des Clusters auch dort als Metapher für ein Verhältnis von Staat und Kapital, das in der Bündelung exekutiver und finanzieller Potentiale eine Vollzugsgewalt entfaltet, der Bürger, die mit der dadurch favorisierten Politik nicht einverstanden sind, wenig entgegenzusetzen haben.

So manifestiert sich die an allen Stellen des Umbaus Hamburgs zur Global City anzutreffende Ausrichtung staatlichen Handelns auf privatwirtschaftliche Ziele etwa im Innovationsfonds "Wachsende Stadt", der vorrangig Projekte mit investitionsfördernder Wirkung im Bereich der diversen Clusterentwicklungen alimentiert. Elbphilharmonie und Hafencity werden von stadteigenen Unternehmen in Kooperation mit Akteuren aus der Bau- und Finanzwirtschaft entwickelt, was der Einflußnahme der zuständigen Bezirksämter enge Grenzen setzt. Die vom Senat verfolgte Taktik, die Verhandlungen mit dem Baukonzern Hochtief über die Fertigstellung der Elbphilharmonie unter Ausschluß der Öffentlichkeit zu führen, weil aus der Offenlegung Nachteile für die Stadt entstehen könnten, ist ein Beispiel für den antidemokratischen Charakter dieser Kollaboration.

Baustelle vom Hafenbecken aus - Foto: © 2013 by Schattenblick

Elbphilharmonie im September 2010
Foto: © 2013 by Schattenblick

Dieser Wandel läßt sich selbstverständlich in den buntesten und freundlichsten Farben ausmalen. So soll es eine reine Lust sein, den Hafenrand vom flußabwärts gelegenen Övelgönne über den Fischmarkt und die Landungsbrücken bis zur noch im Bau befindlichen Hafencity entlang zu spazieren. Wer an den Marmor-Stahl-und-Glas-Fassaden neuer Büropaläste, den Klinkerbauten hanseatische Tradition heischender Wohnhäuser und Mehrzweckhallen vorbei über eine boulevardähnliche Uferpassage schreitet, um schließlich in den neu aus dem Boden gestampften wie noch zu errichtenden zehn Quartieren der Hafencity anzukommen, der kann durchaus den Eindruck einer großzügig konzipierten Stadtarchitektur erhalten. Er sieht sich aber auch damit konfrontiert, daß von den gewachsenen Lebenswelten, die die Stadtteile am Hafen einst mit vitalen und vielfältigen Sozialkulturen bereicherten, fast nichts mehr übriggeblieben ist. Gerade die wenigen baulichen Rudimente verwehter Epochen machen den inszenierten Charakter der neoliberalen Stadt augenfällig. So dominieren feudale Edelrestaurants, mit artifiziellem Dekor auf schick getrimmte Szenelocations, die weltweit identischen Niederlassungen der Systemgastronomie, die Flagship Stores der globalen Markengiganten, exklusive Kunstgalerien, edle Boutiquen und wohlsortierte Auslagen für Luxuskonsum die postmodernen Erlebniswelten des urbanen Flaneurs.

Dies wäre auch für alteingesessene Bewohner der von diesem baulichen Wandel betroffenen Bürger verschmerzbar, wenn sie zumindest in benachbarte Viertel ausweichen könnten, in denen diese Aufwertungsdynamik noch nicht vollends Einzug gehalten hätte. Tatsächlich jedoch hat der durch die Modernisierung des Hafenrandgebiets eingeleitete Strukturwandel ganze Arbeit geleistet, da immer weniger geringverdienende Menschen in der Lage sind, ihre teilweise seit Jahrzehnten bewohnten Wohnungen zu halten. Der Blick von unten enthüllt einen Prozeß der Gentrifizierung, der als Akt der Vertreibung nur deshalb kaum ruchbar wird, weil er mit legalistischen Mitteln auf schleichende Weise vollzogen wird. Doch auch als prozessuales Element einer sozialen Transformation, die den Menschen mit allem, was ihn ausmacht, in Wert setzt, erfüllt die Aufwertung der Stadt ihren Zweck.

(wird fortgesetzt)

Fußnoten:
[1] http://www.linksfraktion-hamburg.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/DIE_LINKE_KostenexplosionsUrsachenforschung.pdf

[2 http://www.hafencity.com/upload/files/files/Projekte_deutsch_Oktober_2012.pdf

[3] Christoph Twickel: Gentrifidingsbums oder eine Stadt für alle, Hamburg 2010

[4] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/meinung/polm1404.html

[5] http://www.wachsender-widerstand.de/wachsende_stadt.pdf

[6] Detlef Hartmann, Gerald Geppert: Cluster - Die neue Etappe des Kapitalismus, Berlin/Hamburg 2008


24. Februar 2013