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BERICHT/012: Planspiel Stadtbereinigung - Öffnet die Tore der neuen Zeit (SB)


Überwältigende Eventkultur zum "Sprung über die Elbe"


BSU-Zentrale - Foto: © 2013 by Schattenblick

Städtischer Akteur in der Neuen Mitte Wilhelmsburgs
Foto: © 2013 by Schattenblick

An dem weniger illustren, weil von stinkenden und lärmenden Industrieanlagen und Gewerbegebieten umgebenen Rand des Hamburger Hafens gelegen, durchzogen von einer breiten Bahntrasse und vielbefahrenen Straßenverkehrsachsen, auf denen ortsfremder Durchgangsverkehr die Luft verpestet und mit Containern beladene LKWs entlangdonnern, jahrzehntelang zur sozial deklassierten Peripherie erklärt und im Sinne der selbsterfüllenden Prophezeiung gefährlicher Räume systematisch vernachlässigt, bietet Wilhelmsburg aus Sicht der Stadtentwickler genau die richtigen Voraussetzungen, um als Fundament ehrgeiziger und ambitionierter Pläne des architektonischen und sozialen Umbaus zu dienen. Handlungsbedarf muß hier nicht erst geschaffen werden, er ist in Hülle und Fülle vorhanden, doch bleibt es den Bewohnerinnen und Bewohnern kaum überlassen, die Gestaltung ihrer Lebenswelt in die eigenen Hände zu nehmen.

Als zentrale Projektionsfläche für die Aufwertungsstrategien der 2002 im "Leitbild: Metropole Hamburg - Wachsende Stadt" konzipierten Stadtentwicklung soll Wilhelmsburg den Flächenbedarf des organisatorischen und repräsentativen Kerns der Metropolregion Hamburg auf eine Weise befriedigen, die sich für deren Stellung im internationalen Standortvergleich auszahlt und dementsprechend attraktiv für neue Investoren und Unternehmensansiedlungen ist. Eine soziale Entwicklung des Stadtteils, die die Interessen der dort lebenden Bevölkerung unter der Prämisse demokratischer und selbstbestimmter Planungsprozesse an erste Stelle setzt, war als Haushaltsposten offensichtlich nicht gewinnversprechend genug. So wird am Beispiel der Elbinsel eine Form administrativer Handlungsfähigkeit demonstriert, die bei aller erklärten, in der praktischen Realisierung jedoch vor allem symbolpolitischen Partizipation der Wohnbevölkerung nicht anders als Klassenkampf von oben zu verstehen ist.

Containerstapel - Foto: © 2013 by Schattenblick

Leben und Arbeiten im Hafengebiet
Foto: © 2013 by Schattenblick

Die vergleichende Evaluation der verschiedenen Stadtregionen unter Maßgabe ihrer ökonomischen Rentabilität basiert auf einer Definitionshoheit, die von Anfang an in den Händen der wirtschaftlichen und politischen Funktionseliten liegt, und mündet in einen Planungsprozeß, dem die Frage der Einbeziehung der Bevölkerung zumindest so lange nachgeordnet bleibt, als diese sich nicht entschieden gegen die Maßnahmen zur Wehr setzt, von denen sie in allererster Linie betroffen ist. Der für die Leitbildthematik der wachsenden Stadt verantwortlich zeichnende Ex-Bürgermeister Ole von Beust brachte es in einer Rede auf dem IBA-Forum am 14. Dezember 2004 distinktionssicher auf den Punkt einer städtebaulichen Intervention, die dort ansetzt, wo der zu erwartende Widerstand am geringsten und im Zweifelsfall am leichtesten zu brechen ist. So wären "gerade Viertel, die als Problemviertel definiert werden, (...) viel eher bereit, neue Herausforderungen anzunehmen", denn "Kämen wir auf die Idee zu sagen: 'Wir machen Blankenese völlig neu', würde das sicherlich ein bisschen schwieriger werden."

Die im "Leitbild: Metropole Hamburg - Wachsende Stadt" des Jahres 2002 geforderte Verdichtung und Aufwertung des innerstädtischen Raums knüpft an die Verlagerung der am intensivsten genutzten Kaianlagen und Nutzungsflächen der Hafenwirtschaft in Richtung Elbmündung an. Diese ergab sich aus der Umstellung des Welthandels vom Stückgut- auf den Containertransport, die einen größeren Tiefgang der dazu benötigten Frachtschiffe wie einen größeren Flächenbedarf für den schnellen Umschlag der Container mit sich brachte. Mit der vollständigen Aufhebung der zollrechtlichen Sonderbefugnisse des Hafengebiets zum Jahresbeginn 2013 stehen der mit dem Bau der Hafencity bereits begonnenen Aufwertung der im Besitz der Stadt befindlichen Hafenflächen nur mehr wirtschaftliche Interessen im Weg, die gegenüber der Ansiedlung innovativer Schlüsselindustrien der Informations- und Kommunikationsindustrie, des Flugzeugbaus, der Biotechnologie und Wissensproduktion tendenziell das Nachsehen haben.

Der im Rahmen des Leitbilds initiierte "Sprung über die Elbe" verspricht gegenüber einer Hafenwirtschaft, die heute vor allem im Bereich der Logistik Niedriglohnarbeit anbietet und ansonsten weit weniger tariflich gesicherte Vollzeitstellen zur Verfügung stellt als zur Blütezeit des Stückguttransports und der Werftindustrie, Wachstumspotentiale einer postindustriellen Wertschöpfung zu erschließen, die allerdings auch ein besser ausgebildetes Arbeitskräftereservoir voraussetzt, als derzeit in ihren Zielorten vorhanden ist. Um die Personalbedürfnisse innovativer Produktionsweisen zu erfüllen, geht die neoliberale Wachstumsdoktrin stets mit einer demographischen und sozial selektiven Bewirtschaftung der Bevölkerung einher. Im Konzept des "aktivierenden Sozialstaates" und der Agenda 2010 wird mit Angst und Zwang durchgesetzt, was die durch Herkunft und Ausbildung privilegierten Teile der Bevölkerung wie die hochmobile internationale Business-Elite auf weniger disziplinatorische Weise durch die Schaffung optimaler Arbeits- und Lebensmöglichkeiten dazu befähigen soll, ökonomisch produktive Energien zu entfachen. So erschließt sich der tiefere Sinn der an der Hafencity exemplarisch zu studierenden Modernisierung der neoliberalen Stadt nicht nur in der haushaltspolitisch erwünschten Wertsteigerung stadteigener Flächen, sondern vor allem in einer sozialräumlichen Neukonstituierung der Bevölkerung zum Zwecke ihrer Zurichtung auf klassenspezifische Verwertungsziele.

Sichtachse auf Michel und Fernsehturm - Foto: © 2013 by Schattenblick

Unbezahlbare Aussicht
Foto: © 2013 by Schattenblick

Die Metaphorik innerstädtischer Landnahme

Betrachtet man die innerstädtische Landnahme im östlichen Hafenbecken unter diesem Gesichtspunkt, dann kann die Mißachtung der Interessen der im Zielgebiet der kapitalgetriebenen Expansion lebenden Bevölkerung nicht weiter erstaunen. 2013 steht der "Sprung über die Elbe" vor einer wichtigen Station seiner Verwirklichung. Man wolle die Stadtteile Veddel, Wilhelmsburg und Harburg durch die "Nutzung der Wasserfront und die Rekultivierung alter Hafen- und Industriegebiete attraktiv (...) für Investoren" machen und sich zu diesem Zweck "verstärkt um internationale Großereignisse bemühen" [1]. Mit dem diesjährigen Präsentationsjahr der Internationalen Bauausstellung (IBA) und der zeitgleichen Austragung der Internationalen Gartenschau (igs) soll Wilhelmsburg endgültig einer Aufwertungsdynamik preisgegeben werden, die zwar längst im Gange ist, aber noch von zu vielen Unwägbarkeiten und Risiken bestimmt ist.

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz läßt im Unterschied zu den Urhebern des Plans eine gewisse Sensibilität gegenüber den Menschen erkennen, die wie einst die Bewohner unbekannter Erdteile, über deren Eigeninteresse sich seefahrende Eroberer schlicht hinwegsetzten, am Ort der geplanten Erschließungsmaßnahme leben und arbeiten. Für ihn hat der "Dreisprung", wie er den Verlauf der Expansion der City bis zum Endpunkt Harburg darstellt, "nicht nur eine Richtung". Er bringe "Hamburg und seine - immer noch - relativ neuen südlichen Stadtteile näher zusammen", so Scholz im Grußwort zur Jahresabschlußkonferenz der IBA am 25. November 2011. Die versöhnliche Melodie weicht jedoch schnell dem harten Kommandoton eines zwangsbeglückenden Großprojektes, wenn der SPD-Politiker die Tough Love US-amerikanischer Sozialstrategen in seine Sprache übersetzt: "Wir lassen keinen zurück und wir schauen auch in die Nischen, ob sich da jemand verstecken will, der den mühsamen Weg scheut." [2]

Sich dem erklärten Ziel der optimierten Konkurrenzfähigkeit Hamburgs im internationalen Standortwettbewerb zu verweigern, soll zwingend zur Kapitulation gegenüber dem entfachten Transformationsdruck führen. Das "Räumliche Leitbild" der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt des Jahres 2007 [3] läßt keinen Zweifel daran, daß das "Oberthema" der fünf Zielbotschaften, "Mehr Stadt in der Stadt", eine Wertsteigerung der vorhandenen und noch zu erschließenden Bauflächen vorsieht, der nur wenige Bewohner eines Stadtteils, dessen Bevölkerung über weniger als die Hälfte des Hamburger Durchschnittseinkommens verfügt und zu fast einem Drittel im Hartz-IV-Bezug ist, entsprechen können.

So kann die "offensive Angebotspolitik", mit Hilfe derer "die Ausweisung von marktgerechten Wohnbauflächen" vorangetrieben werden soll, "um das angestrebte Wachstum eintreten zu lassen" [3], kaum Rücksicht auf die gewachsenen Bestände jenes Wohnraums nehmen, der durch seine geringen Mieten eine Bevölkerung angezogen hat, deren randständiger und migrantischer Charakter angeblich den Ruf Wilhelmsburgs als "Problemviertel" begründete. Die Vorkommnisse, die das abschreckende Bild einer "Bronx des Nordens" erzeugten, waren das typische Ergebnis einer sozialrassistischen Berichterstattung, die sich ansonsten mit der Anprangerung angeblicher Sozialbetrüger und der Diffamierung vermeintlich unproduktiver Migranten um die Vertiefung herrschender Klassenwidersprüche verdient gemacht hat. Im Falle Wilhelmsburgs diente sich die Springer-Presse zudem den Law-and-Order-Parolen eines Ronald Schill an, der mit der obsessiven Moral des gesetzestreuen Vollstreckers maßgeblich daran beteiligt war, einen Handlungsbedarf zu erzeugen, dessen Früchte mit der grundlegenden Umstrukturierung Wilhelmsburgs geerntet werden sollen.

So steht der "'Sprung über die Elbe' für eine Abkehr von der Entwicklung nach außen und für ein Signal für die Innenentwicklung", durch die "der gesamte Flussraum der Elbe mit den Elbinseln in das Zentrum der Stadtentwicklung gerückt" werden soll. Die "Qualifizierung eines Stadtgebietes mit vielfältigen Problemlagen, aber auch Potenzialen" soll mit "gezielten Aufwertungsstrategien" zu einer "Imageverbesserung" führen, von der wiederum "Impulse für die Gesamtstadt" erwartet werden. Um den "Prozess der Standortaufwertung aktiv und offensiv" betreiben zu können, sollen "IBA und IGS als Ideenpool mit neuer Verfahrenskultur" fungieren, die "eine experimentelle Herangehensweise an die Entwicklung eines zentralen Stadtraumes" beinhaltet. Mit der "Gründung der Gesellschaften für die IBA und für die IGS werden neue institutionelle Rahmenbedingungen außerhalb der gängigen Planungsstrukturen geschaffen" [3], die, wie zu ergänzen wäre, von formal demokratischen Prozessen bestimmt sind, die im "Ausnahmezustand auf Zeit" [4], der für die Dauer der IBA proklamiert wurde, unter das Verdikt kontraproduktiver Umständlichkeiten fallen.

Um die das planerische Prozedere der IBA leitenden Kriterien der Entstandardisierung, Flexibilität und Schnelligkeit umzusetzen, bedient man sich üblicher Methoden der Corporate Governance wie der der Evaluation und des Monitoring. Es gilt zu prüfen, ob die "beabsichtigten stadtentwicklungspolitischen Effekte (Bevölkerungswachstum, Familienzuzug, Flächenbereitstellung für Wohnungsbau und Gewerbe, Steigerung der Wohnungsbaurate, Qualifizierung als internationaler Arbeits- und Wissenschaftsstandort etc.) erreicht worden sind." [3] Der betriebswirtschaftliche Tenor der Methoden und Kriterien, die die sozialräumliche Verdichtung der Stadt umsetzen und ihre ökonomischen Effekte messen sollen, erhält in der Ausrichtung dieser Entwicklung auf die letztgültige Instanz des Weltmarkts seine übergeordnete Ratio. Die als zentral ausgewiesene Frage, "welche Angebote eine Großstadt im Zeitalter der Globalisierung bereit halten muss, um die Attraktivität, Leistungsfähigkeit und Lebensqualität für ihre Einwohner, Unternehmen und Besucher im internationalen Vergleich zu bewahren und auszubauen", findet ihre Antwort in der "qualitativen Wachstumsstrategie" des Leitbilds "Metropole Hamburg - Wachsende Stadt", deren "zentrales Ziel, das Erreichen eines überdurchschnittlichen Wirtschafts- und Beschäftigungswachstums", unter anderem mit der "Fokussierung auf so genannte Kompetenz-Cluster" [3] erreicht werden soll.

Sicht auf Baustellen und Hochhäuser - Foto: © 2013 by Schattenblick

Auf der dunklen Seite der Stadtplanung
Foto: © 2013 by Schattenblick

Ortsbegehung von unten

Inmitten eines Handlungs- und Transformationsdrucks, der an die von Naomi Klein beschriebenen neoliberalen Schockstrategien gemahnt, formiert sich Widerstand gegen die Umwandlung des Stadtteils in ein Investorenparadies. Verschiedene Stadtteil-, Mieter- und Antigentrifizierungsinitativen haben sich zu der Kampagne "IBA? Nigs DA! - Für eine soziale und selbstbestimmte Stadt" zusammengeschlossen. Sie wurde am 10. Februar im Bürgerhaus Wilhelmsburg dem zahlreich erschienenen Publikum vorgestellt. Nach einer kurzen Einführung in die Sachlage und einem Ausblick auf geplante Aktivitäten luden die Aktivistinnen und Aktivisten zu einem Rundgang durch die Stadt ein, um einen Blick von unten auf die städtebaulichen und sozialen Umwälzungen zu werfen. Bei frostiger Kälte wurden mehrere Stationen angesteuert, anhand derer sich beispielhaft demonstrieren ließ, welchen tiefgreifenden Einfluß die beiden Megaevents auf den Stadtteil nehmen und in welchem Ausmaß öffentliche Mittel eingesetzt werden, um mit Legitimationsstrategien Akzeptanz zu schaffen und mit Leuchtturmprojekten Investoren anzuziehen.

So wurde am Beispiel des ehemaligen Schwimmbads geschildert, auf welche Weise stadteigene Flächen für Investoren attraktiv gemacht werden. Weil der Baugrund durch die hohe Lärmbelastung und einen moorigen Boden alles andere als ideal ist, bedurfte es eines wertsteigenden Neubaus, der als Ankerinvestition weitere Interessenten anziehen soll. So plante man ein neues Schwimmbad, obwohl das vorhandene für Sport- und Freizeitzwecke intensiv genutzt wurde und zudem über ein Freibad verfügte. Als weiterer Anlaß wurde der Bau eines mit besonderen Finessen für Wassersportler ausgestatteten Kanukanals angeführt, der so dicht am vorhandenen Schwimmbad errichtet wurde, daß es teurer baulicher Maßnahmen bedurft hätte, um dessen Statik nicht zu gefährden. Daß die Planungen für das neue Gebäude der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU), die mit ihrer Anwesenheit im Zentrum der Aufwertungsoffensive ein bauliches Zeichen setzen wollte, die Existenz des Freibades in Frage stellten, war ein weiterer Grund für den Neubau des Schwimmbades. Im Ergebnis verfügte der Stadtteil einige Zeit lang über kein Schwimmbad, war das alte doch schon abgerissen worden, obwohl die neue Schwimmhalle noch nicht eröffnet hatte.

Gebäude der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt - Foto: © 2013 by Schattenblick

Ein unübersehbares Zeichen setzen
Foto: © 2013 by Schattenblick

Auch die Neuansiedlung der für den baulichen wie sozialen Strukturwandel Hamburgs maßgeblich zuständigen BSU dient der lokalen Aufwertungsstrategie, indem sie die Funktion einer Ankerinvestition erfüllt. Da sich kein privater Bauherr finden ließ, wurde die stadteigene Sprinkenhof AG mit dem Bau des Verwaltungszentrums beauftragt. Es wurde auf einem Gelände errichtet, auf dem sich zuvor zwei Biotope, ein kleiner Teich und ein Erlensumpfwald, befanden. Ausgerechnet für eine städtische Verwaltung, die dem Schutz der Umwelt verpflichtet ist, wurde eine Ausnahmegenehmigung zur Einebnung dieser Biotope erteilt. Wie der Aktivist, der die Bauprojekte vorstellte, erläuterte, wurden im Rahmen der IBA und igs mehrere öffentliche Grünanlagen und naturnahe Brachen, die von der Bevölkerung zur Erholung und zum Spazierengehen genutzt wurden, in Baugebiet umgewandelt und damit dem öffentlichen Nutzen entzogen.

Was als organischer Wildwuchs seinen eigenen Wert hatte, wurde zugunsten einer Gartenschau, die die ortsansässige Bevölkerung bei Nachweis ihres Wohnsitzes nur dreimal kostenlos besuchen darf, durch das Fällen tausender Bäume eingeebnet und jahrelang eingezäunt [5]. Letztlich wurde mit einem hoheitlichen Akt der städtischen Exekutive eine Naturkonzeption durchgesetzt, die eine kontrollierbare Ordnung und mögliche Inwertsetzung des öffentlichen Grüns anstrebt, was letztlich nichts anderes heißt, als den sozialen Wildwuchs zu beschneiden, der in administrativ undefinierten und damit für alle frei verfügbaren Naturräumen sprießen könnte.

Als bezeichnendes Beispiel für den sozial selektiven Charakter der in Wilhelmsburg praktizierten Stadtentwicklung kann auch die Errichtung einer 14 Meter hohen Lärmschutzwand an der Bahntrasse gelten, die den Stadtteil durchzieht. Während auf der Seite des Ausstellungsgeländes intensiver Lärmschutz betrieben wird, sind die Bewohnerinnen und Bewohner der Häuser auf der anderen Seite der Bahntrasse durch eine lediglich zweieinhalb Meter hohe Blechwand vor dem Geräuschpegel durchfahrender Züge geschützt. Ihnen wurde schon vor Jahren ein höherer Lärmschutzwall versprochen, der nun auf der anderen Seite der Bahntrassse errichtet wurde und den Schall der durchratternden Züge auch noch reflektiert.

Die unweit des Ausstellungsgeländes gelegenen Korallus- und Bahnhofs-Viertel sind seit längerem Ausgangspunkt für Proteste von Mieterinnen und Mietern, deren Wohnungen durch das ehemals in Bundesbesitz befindliche, 2004 vom US-amerikanischen HedgeFonds Fortress als Mehrheitsaktionär übernommene Immobilienunternehmen GAGFAH massiv vernachlässigt wurden. Schimmelbefall, nasse Wände, kaputte Fenster, abstürzende Aufzüge änderten allerdings nichts daran, daß die Mieten stiegen und es immer wieder Ärger mit undurchsichtigen Nebenkostenabrechnungen gab. Die Proteste führten immerhin zu dem Erfolg, daß die GAGFAH sich wieder um Instandsetzungsarbeiten kümmerte [6]. Die Wut der Betroffenen richtete sich auch gegen die BSU, die sich für die Verbesserung der schlechten Wohnsituation nicht zuständig fühlte. Das Beispiel belege, wie der Aktivist ausführte, die Diskrepanz zwischen der mit Hilfe der IBA vollzogenen Stadtentwicklungspolitik und der kaum vorhandenen Bemühungen, etwas für die in Wilhelmsburg lebende Wohnbevölkerung zu tun.

Das Leuchtturmprojekt Wilhelmsburg Mitte wartet derweil mit architektonischen Extravaganzen wie einem "multifunktionalen Ausstellungs- und Hotelgebäude" namens Wälderhaus auf, dessen drei obere Geschosse aus Massivholz errichtet wurden. Das von der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) realisierte Gebäude ist ein Beispiel dafür, daß die ökologische Nutzung eines Rohstoffes wie Holz nichts daran ändert, daß Bäume gefällt, Tiere getötet und Biotope verwertet werden. Wie man die Natur nutzen kann, ohne sie zu zerstören, wird nicht dadurch beantwortet, daß Holz an die Stelle von Beton tritt und soziale Ausschließungen produziert, die den Wald vor allem dagegen schützen, daß er von Habenichtsen bevölkert und genutzt wird. Im Wälderhaus ausgestopfte Tiere zu bestaunen könnte die Entfremdung gegenüber jener Natur, die dem Publikum dort nahegebracht werden soll, nicht besser illustrieren.

Das Reiherstiegviertel wird mit seinen Neubauten und renovierten Altbauten als gelungenes Beispiel für sozial integrative Aufwertungsbestrebungen präsentiert, obwohl sich die Neuvermietungspreise dort seit Beginn des Sprungs über die Elbe - ausgehend von etwa 3,50 Euro netto kalt - fast verdreifacht haben. In unmittelbarer Nachbarschaft des darin liegenden Weltquartiers befindet sich eine Anlage für die Instandsetzung von Containern, die auf einer Industriebrache eingerichtet wurde. Die hochgradige Lärmbelästigung durch die mechanische Bearbeitung der Container versieht den Anspruch auf ein lebensfreundliches Wohnen am Wasser mit einem unerfreulichen Beiklang. Ebenfalls an dem durch die Einleitungen der an ihm liegenden Betriebe belasteten Industriekanals produziert eine Firma Spezialöle unter starker Geruchsentwicklung.

Blick auf Wohnhäuser im Weltquartier - Foto: © 2013 by Schattenblick

Weltquartier im Aufbau
Foto: © 2013 by Schattenblick

Das IBA-Weltquartier ist ein Kooperationsprojekt mit der SAGA GWG, bei dem die vorhandenen Wohnhäuser abgerissen oder von Grund auf ökologisch modernisiert werden. Die Wohnfläche von Wohneinheiten wird durch Zusammenlegungen erweitert, so daß die Zahl verfügbarer Wohnungen kleiner wird. Im Verlauf der Modernisierung wurden selbstorganisierte Arbeitsstätten in Hinterhofgaragen abgerissen, um als IBA-Weltgewerbehof neu aufzuerstehen. Das als Paradebeispiel für eine gelungene Sanierung präsentierte Projekt wurde, so fern es die Eigentümerin SAGA GWG betraf, auf recht hemdsärmelige Weise realisiert, indem die davon betroffenen Mieterinnen und Mieter ihre Rechtsansprüche nur mit großer Mühe geltend machen konnten. Das stadteigene Wohnungsunternehmen ist ein wichtiger Akteur beim "Sprung über die Elbe". Die Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt, Jutta Blankau, hat den Vorsitz des Aufsichtsrates der SAGA GWG inne, und nicht nur in Wilhelmsburg kann der Senat mit diesem politisch und wirtschaftlich einflußreichen Instrument seine Vorstellungen von Stadtentwicklung auch gegen die Interessen einzelner Gruppen der Bevölkerung durchsetzen. Die in derartigen institutionellen Verschränkungen verwirklichte Kooperation von Staat und Kapital zeigt, daß das "Unternehmen Stadt" je nach Erfordernis eben auch als lokaler Staat in Erscheinung treten kann.

Seit dem Beginn der Internationalen Bauaustellung 2006 betreibt die als hundertprozentige Tochter der Stadt geführte IBA ein Partizipation signalisierendes, im wesentlichen aber von wohldurchdachten PR-Strategien bestimmtes Akzeptanzmanagement, das Möglichkeiten des Ein- und Widerspruchs anbietet, zu deren Berücksichtigung die Kapitalgesellschaft jedoch nicht verpflichtet ist. Eingebunden in die IBA-Kampagne werden vor allem Akteure, die ein eigenes wirtschaftliches Interesse am Erfolg der Aufwertungsoffensive haben. So haben sich "rund 140 einflussreiche private und öffentliche Unternehmen sowie Verbände, Kammern, Institutionen und Einzelpersönlichkeiten im Netzwerk der IBA-Partner zusammen geschlossen", um, wie auf der Seite der Internationalen Bauausstellung verkündet wird, mit der IBA-Konvention "weit mehr als nur eine unverbindliche Absichtserklärung" zu unterzeichnen: "Erstmals in der Geschichte der Internationalen Bauausstellungen wurde für die IBA Hamburg ein gemeinsames, schriftliches Leitbild verfasst, auf das sich alle Partner durch ihre Unterschrift verpflichten." [7] Neben der Absicht, gemeinsame Projektstrukturen etwa in Form von Public-Private-Partnerships (PPP) aufzubauen, sprich den Einfluß von Kapitalinteressen auf Prozesse der öffentlichen Willensbildung zu vergrößern, legen sich die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner darauf fest, "ihre für die IBA Hamburg relevanten PR- und Marketingaktivitäten (...) so aufeinander abzustimmen, dass möglichst umfangreiche und wirkungsvolle Synergieeffekte im Sinne der IBA Hamburg gewonnen werden können". [8]

Wie viele der zum Zwecke der Sanierung des Weltquartiers ausgezogenen Menschen, die zum Teil auf Empfehlung der SAGA GWG ihre Mietverträge gekündigt haben, um später neue abzuschließen [9], in ihre Wohnungen zurückkehren werden, ist noch unklar. So waren die niedrigen Mieten des Stadtteils bedingt durch die Schadstoff-, Verkehrs- und Lärmbelastung, die von den umliegenden Industrieanlagen und Hafengebieten ausgeht. Zwar hat sich daran nur wenig geändert, doch sorgt die IBA-eigene Imageproduktion, die das Reiherstiegviertel als attraktiven Wohnort bewirbt, ebenso für den Zustrom neuer Mieterinnen und Mieter und damit eine verschärfte Konkurrenz am Wohnungsmarkt wie die städtische Maßnahme Studentinnen und Studenten auf die Elbinsel lockt. Der erklärten Absicht, in Wilhelmsburg einen neuen "sozialen Mix" der Bevölkerung zu kreieren, wäre allemal damit gedient, wenn viele der ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner nicht mehr in ihre vertraute Umgebung zurückkehren. Schließlich unterstellt die beabsichtigte Neuzusammensetzung der Bevölkerung, daß an den bisher in Wilhelmsburg lebenden Menschen etwas auszusetzen ist. Sei es der hohe Anteil von Migrantinnen und Migranten, die verbreitete Erwerbslosigkeit oder welche Form als delinquent stigmatisierten Lebens auch immer, die Aufwertung meint den Menschen und ist damit im Kern sozialrassistisch.

Hochbunker im Reiherstiegviertel - Foto: © 2013 by Schattenblick

Niemals vergessen - Monument des Krieges
Foto: © 2013 by Schattenblick

Der nahegelegene ehemalige Hochbunker enthält nun ein Biomassekraftwerk, was der Aktivist der Kampagne lieber als "Sondermüllverbrennungsanlage" verstanden wissen will, werden in ihr doch gehäckselte Altpaletten verbrannt. Ursprünglich sei allerdings geplant gewesen, den ganzen Bunker mit einem großen Wassertank zu versehen, der aus verschiedenen Wärmequellen wie Sonnenenergie und industrieller Abwärme beheizt worden wäre, um ein entsprechend großes Ausmaß an Energie speichern und abgeben zu können. Dieses Projekt wurde jedoch zugunsten der kleineren Lösung fallengelassen, die dem Aktivisten zufolge nur noch eine Tageslast ausgleicht. Das Vorhaben, die Historie des spektakulären, von Zwangsarbeitern errichteten Monuments, dem nicht wenige ältere Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger ihr Leben verdanken, in einer Ausstellung zu würdigen, scheiterte daran, daß die IBA keinen Kostenträger fand. Statt dessen wurde ein Café in dem Hochbunker eröffnet, das dem Aktivisten zufolge einem eher exklusiven Publikum vorbehalten sein soll.

Bei allen ökologischen Meriten, die sich die Stadt Hamburg für IBA und igs an die Brust heftet, sollte nicht vergessen werden, welche Rolle die Behörde für Stadtentwicklung und Umweltschutz (BSU) bei dem vom Energiekonzern Vattenfall betriebenen Bau des unweit von Wilhelmsburg gelegenen Steinkohlekraftwerks Moorburg und der Genehmigung der dazu erforderlichen Fernwärmeleitung, der Moorburgtrasse, gespielt hat. Wie im Fall der Grünen, die in Koalitionsregierung mit der CDU möglich gemacht haben, wogegen sie noch vor Amtsantritt Stellung bezogen, können realpolitische Interessen schnell dementieren, was aus Legitimationsgründen vollmundig beteuert wird.

Was bei dieser kritischen Ortsbegehung gerade mal angerissen wurde, ist ein vielschichtiger und komplexer Prozeß lokaler Transformation, in dem, wie auch der internationale Anspruch beider Megaevents belegt, weitgespannte Interessen wirksam werden, die zu ergründen sich dem Gros der Bewohnerinnen und Bewohner Wilhelmsburgs meist entzieht. Während die finanzielle Schlagkraft der Aufwertungsoffensive in Form hochentwickelter PR-Strategien auf die Bevölkerung losgelassen wird, ist diese nur bedingt in der Lage, den Widerstand gegen den administrativen, ökonomischen und baulichen Zugriff auf ihre Lebenswelt auf gleiche Weise zu artikulieren. Die Kampagne "IBA? Nigs DA! - Für eine soziale und selbstbestimmte Stadt" [10] oder Initiativen wie der "Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg (AKU)" [11], dessen Aktivistinnen und Aktivisten ein Buch zum Thema verfaßt haben [12], sind daher unentbehrlich, um der Bevölkerung eine Stimme zu verleihen, die sich gegenüber der Konsensmaschinerie des Unternehmens Stadt Gehör verschaffen kann.

Transparent 'IBA und igs wegtreten!' - Foto: © 2013 by Schattenblick

Widerspruch kann nicht ausbleiben
Foto: © 2013 by Schattenblick

Apologetisches aus berufenem Munde

Von der Moderatorin einer am 17. März 2013 ausgestrahlten Sendung des NDR-Radioformats "Der Talk" [13] auf das Problem der Gentrifizierung angesprochen antwortet dessen Geschäftsführer Uli Hellweg, daß die IBA einiges dagegen unternehme. So sei man bei der Beobachtung der Entwicklung Wilhelmsburgs im IBA Strukturmonitoring zu dem Ergebnis gelangt, daß im Hamburger Stadtteil Billstedt etwa die gleiche Mietpreisentwicklung wie in Wilhelmsburg erfolge, jedoch ohne daß dort eine Bildungsreform stattfinde, ohne daß ein igs-Park entstehe und ohne daß dort mietfreundlich modernisiert werde. Schaut man in besagte Untersuchung, so stellt sich die Sachlage etwas differenzierter dar:

"Die Entwicklung der Angebotsmieten im Untersuchungsgebiet liegt unter dem Niveau von Hamburg insgesamt. Zwischen 2006 und 2012 sind die inserierten Angebotsmieten um rund 35 % gestiegen, in Hamburg insgesamt hingegen um ca. 46 %. Dieser recht hohe Wert zeigt, dass die in den meisten Segmenten sehr angespannte Wohnungsmarktsituation in Hamburg auch vor den Elbinseln nicht Halt macht. Es lassen sich gegenwärtig aber keine Tendenzen hin zu überdurchschnittlichen Mietpreissteigerungen ausmachen, wie sie etwa in den innenstadtnahen 'Szene-Stadtteilen' vorzufinden sind. Zwar ist auf den Elbinseln die Preisdynamik stärker als im Vergleichsstadtteil Billstedt (23 %), aber geringer als etwa in St. Pauli (42 %), wo deutliche Aufwertungstendenzen zu erkennen sind." [14]

Einen seit Jahren im Zentrum der Gentrifizierung Hamburgs stehenden Stadtteil wie St. Pauli als Referenzwert dafür anzuführen, daß es noch schlimmer kommen kann, enthebt die Stadtregierung nicht der Verantwortung dafür, daß die Mieten in Wilhelmsburg eben doch schneller steigen als in Billstedt. Da die Eigentümer ökologisch verbesserten Wohnraums berechtigt sind, die dafür anfallenden Kosten als Modernisierungsumlage um bis zu 11 Prozent der Jahresmiete aufzuschlagen, ist die Modernisierung des Wohnraums zudem aus sich heraus preistreibend. Das kann nicht bedeuten, daß sinnvolle Maßnahmen zur Verbesserung der Wohnqualität und des Umweltschutzes unterbleiben sollten. Allerdings ist der Widerspruch, daß einkommensschwache Haushalte durch derartige Maßnahmen schlimmstenfalls dazu gezwungen werden, ihre Wohnung aufzugeben, das Ergebnis eines grünen Kapitalismus, dessen marktwirtschaftliche Regulative zu sozialer Exklusion neigen. Will der Staat die Verantwortung, dies durch Ausgleichszahlungen zu übernehmen, nicht tragen, dann ist sozialer Widerstand auch gegen ökologische Modernisierung legitim.

Hellweg versteht es, sich zum Anwalt der Betroffenen zu machen, indem er das Anliegen der IBA ins beste Licht rückt. So bestehe die Kunst darin, die Städte so umzugestalten, daß man Ruhe, Grün- und Freiflächen mit den Qualitäten einer guten Versorgung, mit Läden, Kindergärten, Krankenhäusern und Ärzten kombiniere. Eben das wolle man in Wilhelmsburg versuchen zu realisieren, "einfach auch um ein Stück den Druck aus den Szenevierteln rauszunehmen, denn wenn alle Leute nur in die Szeneviertel wollen, dann wird es kein Ende haben mit der Verdrängung der ärmeren Bevölkerung aus diesen Gebieten". [13] Wenn die Modernisierung Wilhelmsburgs Entlastung etwa für das Hamburger Schanzenviertel schafft, wo die Mieten inzwischen so teuer sind, daß langjährige Bewohnerinnen und Bewohner der Schanze aus finanziellen Gründen nach Wilhelmsburg ziehen mußten, dann setzt sich die Verdrängung schlicht weiter fort. Deren Ende wäre zum Beispiel durch eine Senkung der Mieten oder zumindest den absoluten Stopp der Mietpreissteigerung als auch durch die erschwingliche Befriedigung des Grundbedürfnisses des Wohnens durch Aufhebung des Eigentumsprivilegs der Grundrente und der Vergesellschaftung des verfügbaren Wohnraums zu erreichen. Zu behaupten, die Schaffung weiterer attraktiver Angebote für zahlungskräftige Mieter und Käufer von Wohnungen in anderen Stadtteilen verhindere die Verdrängung dort lebender Menschen, ist schlicht widersinnig.

Wimpel 'Mieten runter' - Foto: © 2013 by Schattenblick

Zu unbescheiden?
Foto: © 2013 by Schattenblick

Dagegen Widerstand zu leisten, indem die IBA-Kritiker ökologische, energetische und bildungspolitische Verbesserungen mit dem Gentrifizierungsmakel behaften, sei "eine Verelendungsstrategie, wie ich sie aus den 60er Jahren von bestimmten dogmatischen Gruppen kannte, die meinten, man muß die Leute erst verelenden lassen, damit sie die Revolution machen" [13]. Zwar bietet sich stets an, die antikommunistische Scharte zu wetzen, um soziale Proteste zu diskreditieren, doch geht es den Aktivistinnen und Aktivisten in Wilhelmsburg nicht darum, daß alles so schlecht bleibt, wie es ist. Sie fordern allerdings die Konzentration der Mittelvergabe auf die Behebung vorhandener Probleme zugunsten einer sozialen, egalitären Stadt und nicht eines städtebaulichen Vorzeigeprojekts, dessen Initiatoren sich der neoliberalen Irreführung bedienen, die Erhöhung der Investitionsrate käme allen Menschen zugute.

Auch führt Hellwegs Werben mit der Bildungsoffensive der IBA insofern in die Irre, als es sich um eine projektbezogene Initative handelt, deren finanzielle Deckung über die IBA hinaus nicht gesichert erscheint. Der Hilferuf von 14 Wilhelmsburger Schulleitern an den Bildungssenator im November 2012 [15] dokumentiert, daß fünf Jahre einer Bildungsmaßnahme, die die Aufwertung des Stadtteils sozial flankieren sollte, nichts grundlegendes am desolaten Zustand ihrer Schulen geändert hat. Ohnehin ist zu fragen, ob soziale Verbesserungen wie etwa das neue Sprach- und Bewegungszentrum im Reiherstiegviertel nicht zur selbstverständlichen Ausstattung eines in vielerlei Hinsicht benachteiligten Stadtviertels gehören sollten, anstatt zur Steigerung der Akzeptanz einer ganz anderen Maßnahme von deren Trägerin mitfinanziert zu werden.

Das vom IBA-Geschäftsführer im NDR genannte erste Ziel, die Bildungschancen für die im Stadtteil lebenden Kinder und Jugendlichen zu verbessern, wurde offensichtlich nicht erreicht, während das zweite Ziel, die Bildungseinrichtungen so attraktiv zu machen, "daß auch der bildungsbewußte Mittelstand nach Wilhelmsburg zurückkehrt" [13], eher dazu geeignet erscheint, Elitenprojekte zu fördern, als daß ein diskriminierungsfreier Zugang für alle im Stadtteil lebende Menschen eröffnet würde. Zwar wird im öffentlich-rechtlichen Rundfunk hin und wieder kritisch nachgefragt, doch erhält, wie auch diese Sendung zeigte, die Stadtentwicklung Hamburgs dort eine Rückendeckung, von der die Kritiker dieser Entwicklung nur träumen können.

Plakat 'Pflegeappartments als Kapitalanlage' - Foto: © 2013 by Schattenblick

Selbstverständliches gewinnbringend vermarktet
Foto: © 2013 by Schattenblick

Die innere Ratio sozialstrategischer Entwürfe der Stadtentwicklung

Die Logik urbaner Aufwertung wird zwar mit umfassenden Untersuchungen zu ihren städtebaulichen Voraussetzungen und Bedingungen begründet, doch gerät dabei leicht aus dem Blick, daß es stets um die Veränderung sozialer Verhältnisse geht. Im Kern zielen die Streßfaktoren und Schockstrategien, mit denen angeblich überkommene Verhältnisse erschüttert und einer von außen induzierten Transformation überantwortet werden, auf den Menschen als Bewohner in Wert zu setzender Häuser, als durch Arbeit zu verwertendes "Humankapital" und als delinquentes Opfer gesellschaftlicher Widerspruchslagen. Die innovative Organisation des urbanen Raums, nicht nur im Falle der Hamburger Stadtentwicklung paradigmatisch propagiert als neue sozialräumliche Nähe von Arbeiten und Leben, dient nicht zuletzt der Konstituierung eines neuen Verhältnisses von Kapital und Arbeit. Es gilt, aus dieser Widerspruchslage entstehende Reibungsverluste zu minimieren und Widerstandsformen zu eliminieren, die Produktivität durch die Ausschöpfung aller nur erdenklicher Synergieeffekte zwischen Produktion, Organisation, Logistik, Personalwesen, Forschung und Entwicklung zu steigern und vor allem soziale Begegnungsflächen und Arbeitskulturen zu entwickeln, die als Inkubatoren neuer Dimensionen an Kreativität und Leistungsfähigkeit fungieren.

Wie in dem unter anderem in der Hamburger Hafencity gedrehten Dokumentarfilm "Work Hard Play Hard" der Regisseurin Carmen Losmann anschaulich gemacht erschließt sich die effiziente Nutzung der "Ressource Mensch" längst nicht mehr allein durch ihre autoritäre Disziplinierung und gewaltsame Unterwerfung. Die Frage, wie noch unerschlossene endogene Potentiale des Menschen für die Ziele des Unternehmens oder eines anderen Käufers seiner Arbeitskraft mobilisiert werden können, wird zusehends mit seiner sozialräumlichen und identitätsstiftenden Konditionierung in den postmodernen Laboratorien der Informations- und Wissensgesellschaft beantwortet. Was als planerische Vision von der infrastrukturell und energetisch vorteilhaften Bündelung vieler Lebens- und Arbeitsbereiche auf klar definierten und überschaubarem Territorium in der Hafencity umgesetzt wurde, wird in der baulichen wie organisatorischen Gestaltung der betrieblichen Arbeitswelt konsequent auf die Einbettung des Menschen in Netzwerke der Transformation zu erweiterter Leistungs-, Kommunikations- und Führungsfähigkeit fortgesetzt. Etabliert werden soll ein hybrides, alle förderlichen Einflüsse sorgsam selektierendes Milieu sozialer Handlungsverläufe und Motivationsangebote, das die Antagonismen der Klassengesellschaft im Subjektivierungsprozeß freiwilliger Selbstoptimierung auflöst, um nichts geringeres als einen völlig ahistorischen, auf die Chiffren und Normen unternehmerischen Handelns geeichten und dem Ziel der Produktivitätssteigerung verpflichteten Menschen zu schaffen.

So begünstigt die im "Leitbild Wachsende Stadt" verankerte Rückbesinnung auf eine Stadtentwicklung, die sich gegen die suburbanisierende Entgrenzung der Städte in den ländlichen Raum positioniert, die Konstruktion einer durch architektonisch umgesetzte Sozialstrategien veränderten Lebenswelt, in der vor allem die immateriellen Potentiale ökonomischer Verwertbarkeit erschlossen werden sollen. In einer Analyse der Hamburger Agentur für Stadtentwicklung und Kommunikation "Urbanista" vom November 2005 über "Hemmnisse und Handlungsbedarfe für den Sprung über die Elbe" werden diese Potentiale nach Maßgabe postindustrieller Managementkonzepte greifbar gemacht:

"Die früher als 'Fühlungsvorteile' beschriebenen 'weichen Standortfaktoren' haben in der Wissensgesellschaft an Bedeutung gewonnen. Das auch als 'sticky knowledge' bezeichnete kontext- und personengebundene Wissen konzentriert sich in den kleinteiligen und vielschichtigen ökonomischen und sozialen Strukturen der Städte - hier bietet sich eine Art 'Zufallsgenerator' für Kontakte, Informationen und Gelegenheiten. Sind auch die 'Rohstoffe' der Wissensgesellschaft, Kapital und Know-How, längst nicht mehr territorial gebunden, so hat doch der Rückbettungskontext der Stadt an Bedeutung gewonnen." [16]

Konsequenterweise wird der "Sprung über die Elbe" dort auch als ein System aus Druckverhältnissen begriffen, das, um das Unterfangen zum Erfolg zu führen, mit der umfassenden Verankerung des "Leitbilds Wachsende Stadt" in der Öffentlichkeit vorangetrieben werden sollte. Es müsse "ein Beteiligungs- und Stimulationsprozess gestaltet werden, der weit über die bisherigen Angebote zur Mitwirkung hinausgeht. Die Stadt muss in einen 'Rausch der Festivalisierung' geraten, der nur durch eine breite Kampagne ausgelöst und getragen werden kann (...)". Durch die Aktivierung der gesellschaftlichen und ökonomischen Ressourcen solle ein "'produktiver Überdruck' unabhängig von der tatsächlichen Höhe des demographischen und ökonomischen Wachstums" entfacht werden, gehe es doch um nichts geringeres als "das Durchbrechen von Blockaden und Sichtweisen, um eingespielte institutionelle und individuelle Mechanismen der Konstitution von städtischem Raum (...)". Es gebe "eine Ebene der immateriellen Hemmnisse, der 'eingespielten Routinen', die den materiellen Hemmnissen voran und zur Seite gestellt ist. Es gilt, neue Ansatzpunkte für planerisches Handeln auf dieser immateriellen Ebene der Konstitution von Raum zu finden, damit der 'Sprung über die Elbe' nicht ins Wasser fällt" [16], forderte Urbanista vor acht Jahren und hat damit die angebotsorientierte Durchsetzung des neoliberalen Prinzips der "schöpferischen Zerstörung" weitblickend auf die Hamburger Stadtentwicklung angewendet.

Dennoch ist keineswegs sicher, daß das Projekt nicht im wahrsten Sinne des Wortes auf Sand gebaut ist. Das Zentrum einer modernen Metropole in ein im weiteren Verlauf des Klimawandels zusehends überschwemmungsgefährdetes Gebiet auszuweiten, das erheblicher infrastruktureller Investitionen und ökologischer Sanierungsmaßnahmen bedarf, um auch nur den Standard anderer Hamburger Stadtteile zu erreichen, das zudem von Industrie- und Verkehrsbelastungen betroffen ist, deren Ende keineswegs absehbar ist, gibt den Bedenkenträgern auch auf der Seite der Planer und Investoren allemal Argumente an die Hand. Zudem hat der subjektive Faktor, dessen verwertungsoptimierte Bewirtschaftung die Technokraten des "aktivierenden Sozialstaates" ebenso betreiben wie die Strategen der postindustriellen verwissenschaftlichten Arbeitswelt, eine Schattenseite. In ihr verborgen ist das Unbekannte lebendiger Vielfalt und subjektiven Eigensinns, das sich dem sozialstrategischen Zugriff desto mehr zu entziehen scheint, als dieser mit aggressiver Hartnäckigkeit versucht, letzte Ressourcen und Resistenzen in die Verwertungs- und Qualifizierungsprozesse kapitalistischer Vergesellschaftung einzuspeisen. Je mehr Menschen sich der Forderung widersetzen, sich mit allem, was sie haben und nicht haben, dem Kommando aus Staat und Kapital gegenüber rechenschaftspflichtig zu machen, desto mehr ist auch das Gelingen des Versuchs in Frage gestellt, die Stadt - und damit ihre Menschen - so zu flexibilisieren und rationalisieren, daß sie von einer Maschine oder Fabrik nicht mehr zu unterscheiden ist.

Demoaufruf zur IBA-Eröffnung - Foto: 2013 by Schattenblick

Foto: 2013 by Schattenblick


Fußnoten:
[1] http://www.wachsender-widerstand.de/wachsende_stadt.pdf

[2] http://www.olafscholz.de/1/pages/index/p/5/1853/print/1

[3] http://www.hamburg.de/contentblob/155068/data/raeumliches-leitbild.pdf

[4] http://www.iba-hamburg.de/die-iba-story/netzwerk-iba-meets-iba.html

[5] http://akuwilhelmsburg.blogsport.eu/igs/systematische-naturzerstorung-im-grosen-stil/

[6] http://akuwilhelmsburg.blogsport.eu/mieten-und-wohnen/gagfah/

[7] http://www.iba-hamburg.de/mitgestalten/iba-partner/iba-konvention.html

[8] http://www.iba-hamburg.de/fileadmin/Mediathek/Fachtagungen/FORUM/iba_konvention.pdf

[9] http://akuwilhelmsburg.blogsport.eu/mieten-und-wohnen/saga-gwg/

[10 http://ibanigsda.org/

[11] http://akuwilhelmsburg.blogsport.eu/

[12] http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar608.html

[13] http://www.ndr.de/info/programm/sendungen/talk/hellweg105.html

[14] http://www.iba-hamburg.de/fileadmin/Mediathek/Gutachten_und_Stellungnahmen/IBA_Strukturmonitoring_2012_Anhang.pdf

[15] http://www.iba-hamburg.de/fileadmin/Newsletter_BOE/2012/04_2012/BOE-04_link1__Brief_der_Schulleiter.pdf

[16] http://www.urbanista.de/bettercities/raumstimulation.pdf

Zum Thema Gentrifizierung und Stadtentwicklungspolitik siehe auch:

BERICHT/010: Planspiel Stadtbereinigung - Hamburg im Umbruch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0010.html

BERICHT/011: Planspiel Stadtbereinigung - Metropolengeburt Hafencity (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0011.html

BERICHT/132: Kapitalismus final - Goldrausch urban (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0132.html

INTERVIEW/151: Kapitalismus final - Grenzfälle (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0151.html

20. März 2013