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BERICHT/070: Das Anti-TTIP-Bündnis - die Hoffnung auf Mehrheiten ... (1) (SB)


Protest, Parlamente und Widerstand (1)

TTIP Strategie- und Aktionskonferenz in Kassel



Die Genannten nebeneinander am Podiumstisch sitzend - Foto: © 2016 by Schattenblick

Jürgen Maier (Moderator, Forum Umwelt & Entwicklung), Alexis Passadakis (Attac), Maritta Strasser (Campact), Olaf Zimmermann (Deutscher Kulturrat), Pia Eberhardt (CEO) (v.l.n.r.)
Foto: © 2016 by Schattenblick

TTIP, das sogenannte Freihandelsabkommen, über das derzeit zwischen der EU und den USA und damit den größten westlichen Machtblöcken verhandelt wird, hat aus den vielfältigsten Gründen Proteste und Widerstand auf sich gezogen. Daß sich eine Viertelmillion Menschen im Herbst vergangenen Jahres in Berlin einfanden, um gegen TTIP und das mit Kanada ausgehandelte und bereits vor der Ratifizierung stehende Wirtschafts- und Handelsabkommen CETA zu demonstrieren, widerlegt die These, es handele sich um eher marginale Proteste von Menschen, die nur noch nicht verstanden hätten, wie sehr diese Abkommen auch ihnen zum Vorteil gereichen würden. Was sich anhand der mannigfaltigen, seit Jahren in regional-dezentralen, aber auch bundesweiten und länderübergreifenden Protesten und Aktionsformen manifestiert, ist ein in der ganzen Breite der Gesellschaft verankerter Unmut.

Dessen Protagonistinnen und Protagonisten scheinen das Vertrauen in die Institutionen der parlamentarischen Demokratie keineswegs zur Gänze verloren zu haben. Dennoch sind sie offenbar in großer Zahl zu der Überzeugung gelangt, "denen da oben" gehörig auf die Finger klopfen und ihnen "Volkes Stimme" nachdrücklich zu Gehör bringen zu wollen. Da auf eine bessere Einsicht bei Regierenden und sonstigen Beteiligten nicht wirklich zu hoffen ist, sollen die geplanten Freihandelsabkommen auf allen nur erdenklichen Wegen gesellschaftlicher Protest- und Aktionsformen gestoppt werden. Wie dies gelingen könne, ist eine strategische Frage, bei der die beteiligten zivilgesellschaftlichen Akteure aufgrund ihrer bereits gemachten Erfahrungen oder auch ihrer Einschätzungen der zugrundeliegenden politischen bzw. wirtschaftlichen Verhältnisse durchaus unterschiedliche Akzente setzen.

Selbstverständlich stand diese Frage auch im Mittelpunkt der TTIP Strategie- und Aktionskonferenz, die, von einem breiten Bündnis vorbereitet und organisiert, am 26. und 27. Februar in Kassel stattfand. In der zweiten von insgesamt drei Podiumsveranstaltungen im Hörsaal der Universität Kassel standen strategische Fragen ausgewiesenermaßen sogar im Vordergrund, war doch das Strategiepodium unter den programmatischen Titel gestellt worden: "Es ist an uns, TTIP & CETA jetzt zu stoppen." In seinem an die "lieben Aktiven aus den bundesweiten Verbänden und den lokalen Bündnissen" gerichteten Vorwort hatte der Trägerkreis der Konferenz vorab ausgeführt:

TTIP ist in aller Munde. Vor knapp drei Jahren, als die Verhandlungen begannen und auch die ersten Proteste dagegen, hätte sich niemand auch nur ansatzweise erwartet, dass dieses zentrale Projekt europäischer Handelspolitik derart unter öffentlichen Druck geraten würde. Immer mehr Befürworter zweifeln inzwischen, dass TTIP kommen wird. Mehr als drei Millionen Unterschriften europaweit, die größte Demonstration in Deutschland seit über 10 Jahren, europaweit ständig sinkende Umfragewerte für TTIP zeigen: Wir haben mehr erreicht als wir je erwarten konnten. Mehr noch: Immer mehr Menschen erkennen, dass es nicht nur um TTIP und das damit zusammenhängende Kanada-Abkommen CETA geht. TTIP und CETA sind Ausdruck einer verfehlten Handels- und Wirtschaftspolitik, die grundlegend auf den Prüfstein gehört.

Diese Erfolge sind Meilensteine, aber wir sind noch nicht am Ziel. TTIP und CETA sind unter Druck, aber noch nicht verhindert. Wir brauchen kreative Ideen, wie wir in der Fläche die Mehrheiten in der Bevölkerung gegen TTIP in politische Mehrheiten gegen TTIP verwandeln und auch die Ratifizierung von CETA verhindern. Die TTIP-Verhandlungen stocken, weil unser Druck die Hinterzimmer-Deals erschwert.
(...)


Blick auf den Hörsaal, vorne das Podium, darüber 'TTIP unfairhandelbar - Aktionskonferenz Kassel' - Foto: © 2016 by Schattenblick

Strategische Fragen erörtern - eine Bewegung ausweiten und zugleich zuspitzen?
Foto: © 2016 by Schattenblick

Fraglos hat die Anti-TTIP-Bewegung bzw. das sie tragende und repräsentierende Bündnis binnen weniger Jahre einen Mobilisierungsgrad erreicht, um den sie linke Parteien, Gruppen und Organisationen in ihrem Bestreben, große Menschenmengen zu erreichen, eigentlich nur beneiden könnten. Die hohe Resonanz der Anti-TTIP- und -CETA-Proteste könnte damit zusammenhängen, daß diese Bewegung zu einem guten Teil die sogenannte bürgerliche Mitte repräsentiert. Wenn eigentlich staatstragende gesellschaftliche Kräfte und Interessenverbände an dieser Stelle entschlossen Nein sagen, scheint dies für große Irritationen auf der Gegenseite zu führen, weil sie eine weitere Akzeptanz-Erosion befürchten muß.

Ein solcher Protest, nein Widerstand vieler Bürgerinnen und Bürger läßt sich nicht ohne weiteres in der linken oder einer sonstigen Ecke verorten und auf diese Weise diskreditieren und marginalisierem. Dadurch wird die "Gefahr" - aus Sicht herrschender Eliten - einer Radikalisierung allerdings nur um so virulenter. Ob eine auf eine möglichst breite gesellschaftliche Akzeptanz abzielende Protestbewegung nicht Gefahr läuft, aus bündnispolitischen Erwägungen heraus so viele inhaltliche Reduzierungen vorzunehmen, daß am Ende nicht viel gewonnen wäre, selbst wenn die Handelsabkommen nicht zustande kämen, ist eine noch offene Frage. Bei der Strategiediskussion in Kassel wurde mehrfach der Wunsch geäußert, daß die Bewegung noch breiter, aber zugleich auch in ihren Positionen weiter geschärft werden sollte.


Hoffnungsträgerin SPD?

Daß und warum so viele Menschen die noch in Verhandlung (TTIP) bzw. im Ratifizierungsprozeß (CETA) stehenden sogenannten Freihandelsabkommen ablehnen, ist in der zurückliegenden Zeit in großem Umfang publiziert und dokumentiert worden. Somit brauchte diese Frage auf der Kasseler Konferenz nicht zu einem eigenständigen Themenschwerpunkt gemacht zu werden, war doch das Ziel, TTIP und CETA zu verhindern, hier einhelliger Konsens. Zu der Frage nach dem Wie wurden von den Teilnehmenden des Strategiepodiums unterschiedliche Akzente gesetzt. Eine grundlegende Infragestellung staatlicher Funktionen und Institutionen, so auch der Relevanz und Wirkmächtigkeit parlamentarischer Gremien und damit auch der in ihnen tätigen Parteien, war dabei nicht Gegenstand der Debatte.


J. Maier in Großaufnahme - Foto: © 2016 by Schattenblick

Jürgen Maier - Wie knacken wir die Parteien?
Foto: © 2016 by Schattenblick

Jürgen Maier, Geschäftsführer des Forums Umwelt und Entwicklung, moderierte die gutbesuchte Konferenzveranstaltung. Nach den Eingangsstatements der Podiumsteilnehmerinnen und -teilnehmer eröffnete er mit der Frage "Wie knacken wir die Parteien?" die weitere Diskussion. Es bestehe die Gefahr, so führte er aus, daß die Regierung die Proteste einfach aussitze, so wie es bereits mit den Protesten gegen den NATO-Doppelrüstungsbeschluß von 1979 geschehen sei. Aus dieser Zeit stamme das Kanzlerwort "die demonstrieren, wir regieren". Bekanntlich waren am 22. Oktober 1983 weit über eine Million Menschen auf die Straße gegangen im Protest gegen die seinerzeit noch bevorstehende Stationierung von US-Atomraketen, und waren, ungeachtet ihrer großen Zahl, mit diesem Anliegen erfolglos geblieben.

Bislang konnte auch die Viertelmillion Menschen, die im Oktober vergangenen Jahres ihren Protest gegen die Freihandelsabkommen auf die Straßen Berlins getragen hatten, die Fortsetzung der TTIP-Verhandlungen und den CETA-Ratifizierungsprozeß nicht stoppen. Das wirft Fragen auf wie: War ihre Zahl nicht groß genug? Und wie will das Bündnis mit dem Problem umgehen, daß weder die Bundesregierung noch die EU-Kommission oder die Regierungen weiterer EU-Staaten verpflichtet sind, ein solches Bürgervotum zu respektieren? Können die Regierenden die Proteste auch weiterhin "einfach aussitzen"?

Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat [1] schlug auf dem Strategiepodium vor, die Demonstrationen mit der Lobbyarbeit stärker zu verbinden. Er sitze im TTIP-Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums und sei nicht dafür, dort auszutreten, sondern mit den TTIP-Befürwortern Gespräche zu führen. Im Deutschen Kulturrat gäbe es auch Gesprächskreise mit der Industrie zu der Frage, warum wir TTIP eigentlich haben wollten. Unter dem spontanen Beifall der Anwesenden erklärte Zimmermann, die Befürworter seien sich gar nicht mehr so sicher, ob sie TTIP wirklich wollten. Seine Anmerkung, die Schwachstelle in diesem System sei die SPD, quittierte das Publium mit wohlwollendem Gelächter. Zimmermann räumte ein, er sei selbst seit 30 Jahren Mitglied in der SPD, doch die Idee, TTIP und CETA seien sozialdemokratische Projekte, sei grundlegend falsch. TTIP ist eine strategische Fehlentscheidung, und da diese Frage in der SPD zutiefst umstritten ist, sei sie die Partei, an die man herangehen müsse, wenn man wirklich etwas ändern wolle, so Zimmermann.


O. Zimmermann während seiner Rede - Foto: © 2016 by Schattenblick

Olaf Zimmermann - Im Moment sollte man sich auf die SPD konzentrieren.
Foto: © 2016 by Schattenblick

Zweifel an dieser Marschroute wurden seitens der Podiumsrunde nicht geäußert. In der auch für das Publikum eröffneten Abschlußrunde kam es allerdings, als davon gesprochen wurde, die SPD "zu kapern", zu einem klitzekleinen Zwischenfall, der der einzige seiner Art in einer im übrigen harmonisch verlaufenen Veranstaltung bleiben sollte. "Mir reicht's mit der SPD-Scheiße", brach es aus einem Teilnehmer heraus, der nach einigen Versuchen, sich argumentativ Gehör zu verschaffen, bald wieder Ruhe gab. So hatte es ganz den Anschein, als wären die Hinein-in-die-SPD-wirken-Positionen unter den anwesenden TTIP-Bündnisaktivistinnen und -aktivisten und sonstigen Interessierten ein nahezu einhellig vertretener Konsens.

Historisch gesehen hat sich die SPD 1914 durch den Schritt, die Antikriegshaltung der damaligen sozialistischen bzw. Arbeiterbewegung aufzugeben und den Kriegskrediten, die den Weg Deutschlands und der Welt in den Ersten Weltkrieg ebneten, die erforderliche parlamentarische Legitimation zu verschaffen, als staatstragende Partei erwiesen. Es scheint zu ihrem Profil zu gehören, sich gegenüber Protestbewegungen und Gegenkulturen als potentiell vielversprechender parlamentarischer Partner zu präsentieren, ohne ihre deren Zielen entgegenstehenden eigenen Grundpositionen tatsächlich aufzugeben. In der jüngeren bundesrepublikanischen Geschichte hat sich dies beispielsweise bei den Massenproteste gegen den NATO- Doppelrüstungsbeschluß von 1979 erwiesen, um dessen Umsetzung sich der damalige SPD-Kanzler Helmut Schmidt verdient gemacht hatte. Über zwanzig Jahre zuvor, als die bevorstehende Militarisierung Deutschlands alles anderes als unumstritten war, hatte sich die SPD noch als Antikriegspartei etabliert und sich insbesondere gegen Atomwaffen positioniert.


Wahlkampfplakat mit der Textzeile 'Es ist schon wieder fünf vor Zwölf - Gegen Atomrüstung, für Frieden und Wiedervereinigung - wählt SPD' - Foto: Bundesarchiv,Bild 183-49306-0003 / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], via Wikimedia Commons

Damals Atomwaffengegner - und heute? Plakat der SPD zur Bundestagswahl am 15. September 1957
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-49306-0003 / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], via Wikimedia Commons


Wie halten wir es mit der Regierung?

Liebäugelt das Anti-TTIP-Bündnis mit seiner Einflußnahme auf Regierungsentscheidungen? Auf der Basis eines solchen Politikverständnisses, nämlich durch zivilgesellschaftliche Aktionen und Proteste einen Druck aufzubauen, dem sich die politische Führung des Staates nicht (länger) entziehen könne, äußerte sich auf dem Strategiepodium der Kasseler Konferenz mit Maritta Strasser die erste Podiumsteilnehmerin. Sie erklärte im Namen ihrer Organisation (Campact) wie auch des gesamten Bündnisses, das primäre Ziel für 2016 und 2017 sei es, die Ratifizierung von CETA zu verhindern.

Das Programm für 2016 beginnt mit einer "großen, machtvollen Demonstration" am 23. April anläßlich des Besuchs von US-Präsident Obama auf der Hannovermesse, so Strasser. Im Herbst - das genaue Datum werde noch gesucht - sind fünf regionale Demonstrationen geplant, und am 5. November werde es, wie gerade in Brüssel beschlossen wurde, einen globalen Aktionstag geben. Eine europäische Bürgerinitiative werde ein europaweites Portal aufstellen, damit die Abgeordneten des EU-Parlaments nach ihren roten Linien befragt werden können und auch danach, wie sie sich bei der Ratifizierung verhalten würden. Da noch nicht klar sei, was "unsere Gegnerinnen und Gegner" tun, könne vieles noch nicht exakt geplant werden.

Auf Maiers eingangs gestellte Frage, wie Campact bzw. das gesamte Bündnis über längere Zeit seine Kampagnenfähigkeit aufrechterhalten könne, erklärte Maritta Strasser, es komme darauf an, in dem Moment, in dem die Entscheidung im Europäischen Rat tatsächlich ansteht, schnell zu reagieren. Mit dezentrale Aktionen soll den Abgeordneten dann klar gemacht werden, daß CETA nicht im Interesse der Wählerinnen und Wähler ist. Sollte es noch in diesem Jahr einen SPD-Konvent geben, auf dem die Haltung der Partei zur CETA-Ratifizierung endgültig festgelegt wird, sei es Aufgabe des Bündnisses, mit den Abgeordneten in Kontakt zu treten und ihnen die Haltung der Parteibasis und der Menschen, von denen sie 2017 wiedergewählt werden wollen, klarzumachen. Zweck der Konferenz sei es, die dafür erforderliche Infrastruktur durch die horizontale Vernetzung der vielen regionalen Initiativen aufzubauen. Dem Bündnis werde die Puste nicht ausgehen, bis CETA auf der Tagesordnung steht, indem "wir einfach nicht in Panik verfallen", sondern "abwarten, ruhig bleiben, unsere Strukturen aufbauen, unsere Netzwerke ausbauen und unsere Materialien vorbereiten".


M. Strasser - Foto: © 2016 by Schattenblick

Maritta Strasser - Nicht in Panik verfallen!
Foto: © 2016 by Schattenblick

Da auf der Konferenz immer wieder positiv Bezug genommen wurde auf die SPD und ihre mögliche Rolle im Streit gegen TTIP und CETA, könnte es sich als nützlich erweisen, die Haltung gerade dieser Partei zu den Freihandelsabkommen Revue passieren zu lassen. Auf ihrem letzten Parteitag am 12. Dezember vergangenen Jahres wurde nach kontroverser Debatte der Leitantrag der Parteispitze "Chancen und Risiken transatlantischen Freihandels" mit großer Mehrheit angenommen. Sigmar Gabriel, Parteivorsitzender und amtierender Bundeswirtschaftsminister, hatte Argumente eingesetzt, die inhaltlich mit den umstrittenen Freihandelsabkommen nichts zu tun haben, dafür aber umso mehr mit der Frage der Staatsräson. Wie Gabriel betont hatte, gehe es um die sehr prinzipielle Frage, wie die Partei mit Regierungsarbeit umgehe. [2] Mit den Worten "wenn man regieren will, muss man die Bedingungen des Regierens kennen" [3], las er dem Parteivolk die Leviten.

Ralf Stegner, als Parteilinker geltender SPD-Vizevorsitzender, stärkte ihm den Rücken. Würde die Bundesregierung bzw. die EU die TTIP- Verhandlungen jetzt abbrechen, würde nichts besser werden, weil dann Staaten wie China und Bangladesch die weltweiten Standards für Arbeit und Umwelt vorgeben würden. Daß private Schiedsgerichte seit dem Umschwung des Europaparlaments vom Tisch sind [4], wollte Stegner als Gabriels Verdienst verstanden wissen. Außerdem würde die Partei, sobald die TTIP-Verhandlungen abgeschlossen sind, auf einem Parteitag oder Konvent über das Ergebnis erneut beraten und den Verträgen nur zustimmen, wenn sie das Leben der Menschen verbesserten, versprach Stegner. [5]

Doch genau dieser Punkt ist Kern des Streits zwischen Befürwortern und Gegnern. Der neoliberalen Doktrin, in die sowohl CETA als auch TTIP eingebettet sind, ist nach Ansicht vieler Kritikerinnen und -kritiker in ihrem Kern das Versprechen inhärent, daß in kapitalistischen Gesellschaften nur weitestgehend von staatlicher Regulierung und Bevormundung freigehaltene Produktivkräfte auf der Basis staatlich garantierter privater Eigentumsrechte und Verfügungsverhältnisse das größtmögliche Wohl aller garantieren könnten. Auf dem SPD-Parteitag 2015 hatten offenbar nicht wenige Mitglieder zunächst eine TTIP- und CETA-kritische Haltung eingenommen. Die später erfolgte Zustimmung scheint somit nicht auf eine mangelnde Informationsarbeit seitens zivilgesellschaftlicher Freihandelsgegnerinnen und -gegner zurückzuführen zu sein. Offenbar war der Parteiführung sehr daran gelegen, die Partei aus den freihandelskritischen Gefilden heraus zu manövrieren. "Der Freihandel sei weder gut noch böse, brauche aber klare Regeln und Standards. Dafür werde die SPD sorgen", hatte Stegner erklärt. [6]


Vergebliche Liebesmüh'?

Die SPD wurde auf der Konferenz häufig ins Gespräch gebracht und als möglicher Bündnispartner adressiert, doch war diese Haltung nach Eindruck des Schattenblick unter den Mitwirkenden und Teilnehmenden keineswegs einhellig. Pia Eberhardt von CEO hatte im SB-Interview [7] unter anderem klargestellt, wie wenig das Einlenken der EU-Kommission in Sachen private Schiedsgerichte an der grundlegenden Problematik des Freihandelsabkommens etwas ändere. Auf dem Kasseler Strategiepodium stellte sie sich gegen die allem Anschein nach vorherrschende Zufriedenheit. Es werde immer davon gesprochen, CETA und TTIP zu stoppen, doch was bedeutet das denn? Bei CETA könne man nur noch die Ratifizierung stoppen, was in EU-Parlament, -Rat und im Bundestag "wahnsinnig schwer" werde. Fände die Abstimmung heute statt, würde CETA durchkommen, so ihre Warnung.

Deshalb müsse das Bündnis breiter und inhaltlich besser werden. Und die Kampagne müsse so gestreckt werden, daß die Menschen beflügelt werden, mehr über CETA und TTIP zu lernen, damit sie selbst dann, wenn die Bewegung den Kampf gegen die Ratifizierung verlieren sollte, nicht frustriert nach Hause gehen. Und bei TTIP wäre es doch wohl so, daß wir den Tag, an dem Merkel, Obama und Juncker sagen würden, "okay, wir haben es verstanden, wir lassen das mit TTIP", nie erleben werden, weil einfach viel zuviel politisches und wirtschaftliches Kapital in diesem Vertrag stecke.

Pia Eberhardts Einschätzung zufolge könnte es dazu kommen, daß es diesen Vertrag in 3, 5, 10 und 15 Jahren nicht geben wird schon allein deshalb, weil sich die Vertragsparteien nicht einigen können. Dem Anti-TTIP-Bündnis falle in diesem Szenario die Aufgabe zu, den Preis für einen politischen Kompromiß nach oben zu treiben. Auch ohne Proteste sei TTIP sehr schwierig zu verhandeln, weil beide Seiten Federn lassen müßten, andernfalls käme das Abkommen gar nicht zustande.

Schon jetzt leiste das Bündnis - ob TTIP nun verhindert werden könne oder nicht - zu einem sehr viel größeren Pakt einen großen Beitrag. Für die Bewegung bedeute dies, ihre Verantwortung wahrzunehmen und diesen Kampf als einen Bestandteil einer globalen Bewegung zu führen. Wir sind dabei, eine europäische Bewegung aufzubauen, erklärte Eberhardt gegen Ende der Diskussion, weshalb der geplante Marsch auf Brüssel - in zwei, drei Jahren - auch so wichtig sei. Wie schon in der Antiatombewegung seien auch in dieser Bewegung gleichermaßen Geduld und Ungeduld erforderlich, um mit dem Frust im Alltag fertigzuwerden und nicht aufzugeben, auch wenn wir diesen Kampf in vielen Jahrzehnten nicht gewinnen sollten, so Eberhardt und sprach in eindringlichen Worten der Ausweitung und zugleich Zuspitzung der Bewegung das Wort.

(Fortsetzung folgt)


P. Eberhardt im Porträt - Foto: © 2016 by Schattenblick

Pia Eberhardt - Würde heute abgestimmt werden, würde CETA durchkommen.
Foto: © 2016 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] Siehe auch das Interview mit Olaf Zimmermann im Schattenblick unter www.schattenblick.de → INFOPOOL → BUERGER → REPORT:
INTERVIEW/098: Das Anti-TTIP-Bündnis - Kulturelle Errungenschaften im Ausverkauf ...    Olaf Zimmermann im Gespräch (SB)

[2] https://www.tagesschau.de/inland/spd-parteitag-131.html

[3] http://www.welt.de/politik/deutschland/article149887375/Bei-TTIP-hat-die-SPD-ihren-Chef-wieder-lieb.html

[4] Am 31. März 2015 stimmte der Beschäftigungs- und Sozialausschuß des EU-Parlament gegen private Schiedsgerichte im Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Im September schlug EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström eine Reform des Systems der Schiedsgerichtsbarkeit vor. Anstelle der umstrittenen privaten Schiedsgerichte solle es ein transparentes System geben, das in seiner Funktionsweise traditionellen Gerichten deutlich mehr entspräche.

[5] https://www.spd.de/aktuelles/bundesparteitag-2015/beschluesse/beschluss-chancen-und-risiken-des-transatlantischen-freihandels/

[6] http://www.taz.de/!5261244/

[7] Siehe das Interview mit Pia Eberhardt im Schattenblick unter www.schattenblick.de → INFOPOOL → BUERGER → REPORT:
INTERVIEW/097: Das Anti-TTIP-Bündnis - die Säge am Überlebensast ...    Pia Eberhardt im Gespräch (SB)


TTIP Strategie- und Aktionskonferenz in Kassel im Schattenblick
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BUERGER → REPORT:

BERICHT/068: Das Anti-TTIP-Bündnis - Widerstand und Kompromiß ... (SB)
BERICHT/069: Das Anti-TTIP-Bündnis - Lackmustest Verschärfung ... (SB)
INTERVIEW/097: Das Anti-TTIP-Bündnis - die Säge am Überlebensast ...    Pia Eberhardt im Gespräch (SB)
INTERVIEW/098: Das Anti-TTIP-Bündnis - Kulturelle Errungenschaften im Ausverkauf ...    Olaf Zimmermann im Gespräch (SB)
INTERVIEW/099: Das Anti-TTIP-Bündnis - Konsens ...    Nelly Grotefendt im Gespräch (SB)
INTERVIEW/100: Das Anti-TTIP-Bündnis - Rechtsprechung statt Verträge ...    Petra Pinzler im Gespräch (SB)
INTERVIEW/101: Das Anti-TTIP-Bündnis - Korrumption im Zangengriff der Basis ...    John Hilary im Gespräch (SB)
INTERVIEW/102: Das Anti-TTIP-Bündnis - Kontroll- und Verwertungsmotive ...    Uta Wagenmann im Gespräch (SB)
INTERVIEW/103: Das Anti-TTIP-Bündnis - der Kriegsführung entlehnt ...    Uwe Hiksch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/104: Das Anti-TTIP-Bündnis - Großer Spieler Eurozone ...    Francisco Mari im Gespräch (SB)

23. März 2016


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