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BERICHT/099: CaFée mit Herz - Nachbarschaftshilfe ... (SB)


Ich sage immer: Geld, das man uns nicht gibt, kann man uns auch nicht wegnehmen.
Margot Glunz, Geschäftsführerin des CaFée mit Herz in St. Pauli [1]


Seit dem Jahr 2000 existiert das CaFée mit Herz im Gesundheitszentrum St. Pauli in der Seewartenstraße 10 unweit der Landungsbrücken. Hier werden täglich bis zu 300 Gäste kostenlos mit Speisen, Getränken und Kleidung versorgt. Ebenfalls angeboten werden Duschen und ärztliche Versorgung für die nicht krankenversicherten Gäste. Zielgruppe sind die armen, arbeits- und obdachlosen Menschen des Stadtteils, ein großer Teil der Gäste sind Menschen aus dem direkten Wohnumfeld, die infolge ihrer persönlichen Umstände auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen sind. Mitmenschen, die durch die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe (Hartz IV) in die Armut abgleiten, gehören ebenfalls zur Zielgruppe. Zudem steht die Einrichtung allen Besuchern und Patienten des Gesundheitszentrums zur Verfügung.

Am 20. Oktober 2017 nahm der Schattenblick die Gelegenheit wahr, dem CaFée mit Herz einen Besuch abzustatten. Wer angesichts des Namens eine Art Straßencafé oder Eckkneipe erwartet, wundert sich zunächst. Angesiedelt im Untergeschoß des Gesundheitszentrums, eines modernen Zweckbaus, wartet die Einrichtung bereits auf den ersten Blick so gar nicht mit dem vermuteten zwiespältigen Charme eines Provisoriums auf. Ganz im Gegenteil überrascht eine ebenso freundliche wie emsige Atmosphäre, die auf eine gut eingespielte Zusammenarbeit zupackender Menschen schließen läßt. Wir klopfen bei der Geschäftsführerin Margot Glunz an, die sich freundlicherweise bereiterklärt hat, uns durch die Räumlichkeiten zu führen und unterwegs einiges über die Arbeitsweise zu erzählen. Wachsam eskortiert von dem Hund "Bingo", der, wie sie uns lachend anvertraut, vor Jahren ihr erster Obdachloser südosteuropäischer Herkunft gewesen sei und sie darin bestärkt habe, sich ein solches Engagement zuzutrauen, machen wir uns auf den Weg.


Bei der Führung - Foto: © 2017 by Schattenblick

Margot Glunz
Foto: © 2017 by Schattenblick

Wir erfahren, daß hier keiner der Gäste nach seiner Nationalität, Religion oder Parteizugehörigkeit gefragt wird, niemand geprüfte Voraussetzungen erfüllen muß. Hier sei jeder willkommen, der bedürftig ist, betont Frau Glunz: "Wir werten nicht, das ist uns sehr wichtig." Rund 75 Prozent der Gäste kämen aus Ost- oder Südosteuropa, viele aus Afrika, es seien teilweise auch abgelehnte Asylbewerber dabei. Ein Blick in die Küche überzeugt von Effizienz auf knappem Raum. Wer einmal in einer Großküche gearbeitet und daher deren Dimensionen und Ausstattung mit der Zahl ausgegebener Mahlzeiten ins Verhältnis setzen kann, weiß zu würdigen, was hier mit vergleichsweise beschränkten Mitteln auf die Beine gestellt wird: Täglich Frühstück und Mittagessen, über 100.000 warme Mahlzeiten im Jahr, angeboten in einer angenehmen Umgebung.

Während wir den Flur entlanggehen, treffen die ersten Grundrentner aus der Nachbarschaft ein, die sich montags und freitags Lebensmittel abholen. Zu diesem Zeitpunkt wird die Zwischentür im Gang geschlossen, weil die Rentner Wert darauf legen, nicht mit den Obdachlosen zusammenzutreffen. Auch Armut, so Margot Glunz, habe eine Hierarchie. Und in dieser Hierarchie stehen die Grundrentner ganz oben, weil sie noch vergleichsweise am meisten hätten, während die Obdachlosen ohne Hartz IV und ohne Krankenversicherung, was für 75 Prozent der Gäste gelte, ganz unten stünden. Das dürfe man nicht vergessen. Am schlimmsten, und das tue ihr am meisten weh, sei es um die zehn Prozent Frauen bestellt, die am schlechtesten mit der Obdachlosigkeit zurechtkämen und vor allen Dingen draußen vielfacher Gewalt ausgesetzt seien. Sie könnten noch nicht einmal eine Anzeige erstatten, weil sie sich ja immer im gleichen Umfeld bewegen und dem Täter täglich in die Quere kommen.


Tisch mit Lebensmitteln - Foto: © 2017 by Schattenblick

Lebensmittel zum Abholen
Foto: © 2017 by Schattenblick

Gerade kommt eine ältere Frau mit einer Spende für die Küche vorbei, was des öfteren geschieht und einmal mehr zeigt, daß das CaFée mit Herz in St. Pauli und weit darüber hinaus vielen Menschen bekannt ist. Weiter geht es in den Praxisraum, der vorübergehend zweckentfremdet ist, um Kleiderspenden und andere Dinge wie beispielsweise Verbandsmaterial zwischenzulagern, bis sie einsortiert sind. Wenn der Arzt am Mittwoch zu seinem wöchentlichen Termin eintrifft, ist alles wieder weggeräumt und der Raum saubergemacht. Ab Februar nächsten Jahres richtet hier die studentische Poliklinik der Medical School der Asklepiuskliniken einen Praxisraum ein. Das machen die Studierenden alles selber, sie streichen auch die Wände und haben sich schon Möbel besorgt. Sie werden dann zweimal die Woche unter Anleitung eine medizinische Versorgung bereitstellen, die ein Stück über die bloße Basisversorgung hinausgeht, weil sie auf das Netzwerk ihrer Klinik zurückgreifen können. Bislang habe der Arzt beispielsweise Blut und Urin abgenommen, jedoch Fachärzte in Anspruch genommen, deren Rechnungen dann vom CaFée bezahlt wurden. Übernehmen künftig die Studierenden auch solche Aufgaben, sei das natürlich eine Erleichterung. Der Arzt arbeite ehrenamtlich, nur die Medikamente werden auf Privatrezept verschrieben, abgeholt und ausgeteilt. Das sei jedesmal ein großer Batzen Geld.

Am kostenintensivsten seien Obdachlose mit Diabetes oder Herzkrankheiten, zusätzlich bezahlt würden aber auch andere Dinge wie etwa eine Brille, die jemand unbedingt braucht, weil er stark kurzsichtig oder weitsichtig ist. Hinzu kämen kleinere Operationen wie beispielsweise ein Leistenbruch, weil die öffentlichen Kassen ja erst dann bezahlten, wenn der Mensch in lebensbedrohlichem Zustand auf der Straße liege und sie ihn dann ins Krankenhaus bringen müssen. Dabei sei ein Leistenbruch extrem schmerzhaft und sehr gefährlich, weshalb man in solchen Fällen etwas unternehme und dabei auch mit den Asklepiuskliniken zusammenarbeite. Die Medikamente seien in dem Budget von 15.000 Euro inbegriffen, welches das CaFée jeden Monat aufbringen muß, um alle laufenden Kosten zu decken. Erforderliche Operationen seien jedoch mit zusätzlichen Kosten verbunden.

Inzwischen haben wir die blitzsauberen Duschen erreicht, die wie alles in diesen Räumen von einem sorgsamen Umgang zeugen, der zweifellos wohlorganisierter Abläufe bedarf, die den Gästen zugute kommen. Vorhanden ist auch eine getrennte Dusche für die Mitarbeiter, die aus dem Gastbereich kommen und selber obdachlos sind. Unser Rundgang endet in der Kleiderkammer, für die laufend Spenden eintreffen. Oftmals werde die Kleidung sofort wieder ausgegeben, vor allem, wenn es sich jetzt um warme Winterjacken handle, oder, was sehr wichtig sei, Unterwäsche für Männer, von der man zu wenig bekomme. Wer hier dusche, ziehe hinterher neue Unterwäsche an, da man die alte nicht mehr verwenden könne. Auch von warmen Winterjacken hätte man gerne noch mehr, da die kalte Jahreszeit anbricht. Hinzu komme ein Bedarf an festen Schuhen, die ein Obdachloser gut tragen kann. Die vorhandenen Schuhe eigneten sich oftmals nicht wirklich für diese Bedürfnisse.


In der Kleiderkammer - Foto: © 2017 by Schattenblick In der Kleiderkammer - Foto: © 2017 by Schattenblick

Kleidsames für den Winter
Foto: © 2017 by Schattenblick

Bekomme das CaFée nicht genügend Kleiderspenden, müßten insbesondere Schuhe und Unterwäsche zusätzlich gekauft werden. Bevor sie aber tausend Euro extra für Unterwäsche ausgeben müsse, sei sie natürlich froh, aus der Bevölkerung bedacht zu werden, merkt die Geschäftsführerin an. Die Kleiderkammer sei jeden Nachmittag ab 14 Uhr bis um 16 oder 17 Uhr und ständig wechselnd besetzt, damit kein Schindluder getrieben werde und jemand begehrte Dinge verkaufe. Um eine gewisse Kontrolle zu behalten, werde eine Kartei geführt, wobei es nicht um ein T-Shirt oder einen Pullover gehe, sondern um wirklich wichtige Sachen wie Schlafsäcke oder Winterjacken. Wolle sich jemand in kurzen Abständen so etwas holen, frage sie schon nach. Wenn ihr jemand sage, er sei beklaut worden, glaube sie ihm beim ersten Mal. Wiederhole sich das mehrmals, glaube sie es nicht mehr, so Frau Glunz.

Spenden kämen nicht nur aus St. Pauli, sondern aus ganz Hamburg, ja sogar aus ganz Deutschland. Als sie mit zehn größtenteils obdachlosen Leuten eine Fahrradtour von Friedrichshafen am Bodensee nach Hamburg in vierzehn Tagen gemacht habe, seien die Medien auf der gesamten Strecke präsent gewesen und hätten darüber berichtet. Seither träfen von überall her Spenden ein. Werbung sei einfach sehr wichtig, und so halte sie auch des öfteren Vorträge in Firmen oder gehe in die Handelskammer und Handwerkskammer. Die 15.000 Euro pro Monat seien eben richtig viel Geld, wobei diese Summe noch nicht einmal Investitionen einschließe. Wenn man einen Herd bekommen habe, der schon viele Jahre im Einsatz war und nach weiteren 20 Jahren eines Tages kaputtgehe, sei die Reparatur fast so teuer wie ein neuer. Dann sei Not am Mann, und sie setze sich ans Telefon, rufe große Firmen an und bettle: Wer bezahlt uns einen neuen Herd? Wir brauchen ihn ganz dringend, denn ohne Herd können wir nicht kochen! Das klappe dann zwar irgendwie, koste sie aber schon den ganzen Nachmittag und vielleicht auch noch den nächsten Tag.

Das CaFée mit Herz sei sehr präsent in Hamburg, und die meisten Leute wüßten auch, daß diese Einrichtung ausschließlich von Spenden lebt, keinen Träger hat und nichts vom Staat oder der Kirche bekommt. Der kleine Verein bestehe aus 250 Mitgliedern, und da keine neuen hinzukämen würden es immer weniger. Man zahle im Gesundheitszentrum Miete genau wie jeder andere und sei gut beraten, selbständig zu sein und der Stadt nicht zur Last zu fallen: "Wir freuen uns, wenn Politiker bei uns vorbeikommen und uns lobend erwähnen, aber solange wir unsere Miete zahlen können, brauche ich nicht zu bitten." Sie sei inzwischen seit über elf Jahren Geschäftsführerin, und dieser Notfall sei noch nie eingetreten.


Speiseraum mit Tischen und Gästen - Foto: © 2017 by Schattenblick

Zeit zum Essen und Ausruhen
Foto: © 2017 by Schattenblick

Das CaFée habe drei Festangestellte, neben ihr selbst noch eine Kollegin und den Koch, die alle ein kleines Gehalt bezögen. Diese feste Basis sei erforderlich, um alles gut am Laufen zu halten. Hinzu kämen Mitarbeiter aus dem Gastbereich, die obdachlos geworden sind und eine ehrenamtliche Aufwandsentschädigung erhielten, die wirklich sehr gering sei. Zusätzlich kämen auch Leute aus der Gerichtshilfe, die ihre Sozialstunden abarbeiten müssen. Auf die könne man sich jedoch nicht verlassen, da sie oft zu spät kämen oder ganz wegblieben. Da laufe etwas ganz, ganz falsch.

Die Gründer hätten sich seinerzeit den Namen CaFée mit Herz ausgedacht, der ein bißchen unglücklich gewählt sei, da Außenstehende mitunter dächten, es handle sich um eine reiche Einrichtung, die einen neuen Kaffeeautomaten oder dergleichen haben wolle. Insofern sei das eben dumm gelaufen. Andererseits könne man sich aber nicht beklagen, man müsse eben fleißig sein und immer am Ball bleiben, damit die Kohle reinkommt, so daß man möglichst vielen Leuten helfen könne: "Wir haben hier aufgebaut und gemacht und getan - und es ist gut so, wie es ist. Ich sage immer: Geld, das man uns nicht gibt, kann man uns auch nicht wegnehmen." Wer hierher komme, lobe das tolle Team, über das sie sehr froh sei: "Wir sind eine große Familie!"


Eingang und bauliche Umgebung der sozialen Einrichtung - Fotos: © 2017 by Schattenblick Eingang und bauliche Umgebung der sozialen Einrichtung - Fotos: © 2017 by Schattenblick Eingang und bauliche Umgebung der sozialen Einrichtung - Fotos: © 2017 by Schattenblick

CaFée mit Herz in Hamburg-St. Pauli
Fotos: © 2017 by Schattenblick

"Abseits: Vom Leben am Rande der Gesellschaft in Hamburgs Mitte"

Bei unserem Besuch im CaFée mit Herz kam auch der Bildband "Abseits: Vom Leben am Rande der Gesellschaft in Hamburgs Mitte" zur Sprache, der im Oktober 2016 erschienen ist. Die Hamburger Autorin Susanne Groth hatte hier Gäste interviewt und der Illustrator Markus Connemann aus Düsseldorf diese Menschen fotografiert. 30 berührende Interviews mit Porträtfotos geben einen Einblick in das Leben obdachloser und sozial schwacher Menschen in St. Pauli. Das Buch erzählt anhand hautnaher Gespräche, wie schnell ein jeder in diese Spirale geraten kann. Es zeigt aber auch, mit wieviel Leben, Stärke und Kreativität sowohl die Betroffenen als auch die Helfer ihrem Alltag begegnen. Die Erlöse aus dem Buchverkauf gehen komplett an das CaFée mit Herz. [2]

Die Bilder sind vom 13. Januar bis 9. März 2018 im Rahmen einer Ausstellung im Harburger Kulturcafé Komm Du [3], Buxtehuder Str. 13, zu sehen. Bei der Vernissage zur Ausstellung, die am 13. Januar um 15 Uhr beginnt, wird Susanne Groth mit einer kleinen Autorinnenlesung präsent sein. Am 1. März folgt dann um 20 Uhr ihre Lesung ebenfalls im Komm Du.


Abendliche Silhouette des Hafens mit künstlichen Palmen - Foto: © 2017 by Schattenblick

Am Strand von Park Fiction ...
Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://cafeemitherz.de

[2] https://www.leben-im-abseits.de/

[3] http://www.komm-du.de


14. November 2017


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