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BERICHT/111: Naturbegriffe - Sami-Wort ... (SB)


Over the last 200 years the Nordic states, in particular Sweden and Norway, have carried through a gigantic land grab.
In Norway in the 19th century the state authorities simply declared that the Finnmark - where Sami were in majority - was empty (!) territory and thus belonged to the Norwegian state.
In Sweden the confiscation of the Sami homeland, occurred in a slow and treacherous way. Although Lapland was officially declared the exclusive homeland of the Sami, in the 19th century the Government allowed and even encouraged colonization. From the beginning of the 20th century the State promoted large scale exploitation of forests, minerals and rivers in Sami territory, effectively displacing the Sami without any right to claim dispossession.

Der schwedische Diplomat Lars Norberg anläßlich der Eröffnung des schwedischen Sami-Parlaments am 25. August 2009 in Kiruna [1]


Wer sind die Sami? Sind sie überhaupt berechtigt, den Status von Indigenen zu beanspruchen? Um diese Fragen zu beantworten, bedarf es keiner rassenbiologischen Untersuchungen modernen Zuschnitts, wie sie heute mit humangenetischen Analysen angestellt werden. Die Existenz dieser Gruppe von Menschen, die seit Jahrhunderten im Norden Skandinaviens heimisch ist, ergibt sich schlicht aus der Kontinuität ihrer Lebensform und Wirtschaftsweise, ihrer Sprache und Kultur, ihrer sozialen und gesellschaftlichen Strukturen. Die Besiedlung dieser von den Sami selbst Sápmi genannten Region läßt sich bis in die Jungsteinzeit belegen, und regelmäßige Kontakte mit den norwegischen Wikingern fanden seit dem neunten Jahrhundert statt. Seit dem Mittelalter sind die Sami den kolonialistischen Übergriffen südlich und östlich ihrer Region gegründeter Staaten ausgeliefert. Von der Besteuerung ihrer traditionellen Wirtschaftsweise, die vor allem Jagd, Rentierzucht, Fischerei und Landwirtschaft umfaßt, die sich für die Betroffenen keineswegs auszahlte, bis zur Versklavung zur Arbeit in den seit dem 17. Jahrhundert betriebenen Minen der Region mußten die Sami alles erleiden, was die sogenannte Zivilisation Menschen antut, die ihrer Ausdehnung als sogenannte Ureinwohner im Weg stehen.

Obwohl von Schweden und Norwegen 1751 zugesichert, beiderseits der Grenze jagen und Rentierherden treiben zu können, wurde ihnen ihr Land mit der ganzen Finesse exekutiver und juristischer Vollzugsgewalt immer weiter entzogen. Der räuberische Griff nach den mineralischen Ressourcen, der Wasserkraft und den Wäldern ihrer Region hat bis heute zur Folge, daß die Sami schwerwiegend benachteiligt werden. Zwar hat sich die rechtliche Basis der norwegischen Sami verbessert, weil die Regierung in Oslo 1990 die ILO-Konvention Nr. 169 unterzeichnete, was in Stockholm bis heute nicht geschafft wurde. Dieser internationale Vertrag ist das einzige völkerrechtliche Rechtsdokument, in dem indigenen Bevölkerungen verbindliche Grundrechte zugestanden werden. Die ILO-Konvention 169 zu den Rechten von Indigenen wurde lediglich von 22 Staaten ratifiziert, obwohl sie bereits 1991 in Kraft getreten ist. Zudem wurden seit 1956, als Samen aus Finnland, Norwegen und Schweden den Nordischen Samenrat gründeten, politische Vertretungen in allen drei Ländern aufgebaut. Die wenigen Zehntausend Sami haben allerdings nicht genügend politisches Gewicht, um den großen Minenkonzernen, Stromerzeugern und Agroindustrien, die ihre Region ausbeuten, auf Augenhöhe entgegenzutreten.


Am Rednerpult - Foto: © 2017 by Schattenblick

Stefan Mikelsson
Foto: © 2017 by Schattenblick


Diskriminierung und Enteignung im Namen des Fortschrittes

Auf dem International Rights of Nature Tribunal, das am 7. und 8. November in Bonn abgehalten wurde, sprachen Stefan Mikaelsson und Åsa Simma über die Probleme der Sami. Wie der Widerstand gegen die DAPL-Pipeline in Standing Rock wurde ihr Fall im Block "Defenders of Mother Earth" verhandelt. Mikaelsson ist seit 2009 Präsident des schwedischen Sami-Parlaments. Er hat viele Jahre als Rentierzüchter gelebt, bekennt sich aber auch dazu, mit Mitte 50 seine queere Seite entdeckt zu haben. Das hat seiner Popularität unter den schwedischen Sami, die er als ausgesprochene Macho-Gesellschaft einstuft, keinen Abbruch getan, wie seine Wiederwahl 2013 gezeigt hat.

In seiner Präsentation blickte er zurück auf das Jahr 1917, als in Schweden Mehl und Brot rationiert waren und es in zahlreichen Städten zu Hungerdemonstrationen kam. In diesem Jahr trat auch die erste grenzüberschreitende parlamentarische Versammlung der Sami zusammen. Auf Initiative der norwegischen Samin Elsa Laula wurde am 6. Februar 1917 in Trondheim erstmals eine länderübergreifende Konferenz aller Sami Skandinaviens abgehalten. Das Treffen wurde genau ein Jahr später wiederholt. Seither betrachten die Sami den 6. Februar als den Nationalfeiertag Sápmis.

Im Mai 1921 verabschiedete das schwedische Parlament den Plan, ein rassenbiologisches Institut zu gründen. Zu den Unterstützern dieses Vorhabens gehörte auch der sozialdemokratische Politiker Hjalmar Branting, der bald darauf Ministerpräsident des Landes wurde und im gleichen Jahr den Friedensnobelpreis verliehen bekam. Tatsächlich hatte das Nobelkomitee für Medizin den Vorschlag des Leiters des renommierten Karolinska-Institutes, das Institut für Rassenbiologie zu finanzieren, einstimmig unterstützt. Weil man sich bei Karolinska jedoch nicht einig war, wurde seine Einrichtung dem schwedischen Staat übertragen.

Am Staatlichen Institut für Rassenbiologie in Uppsala wurden nicht nur die Schädel der Sami vermessen und ihre physiognomischen Merkmale erb- und rassenbiologisch klassifiziert. Sie wurden dort auch als große Gefahr für die schwedische Nation eingestuft, weil angeblich degenerative Einflüsse von ihnen ausgingen. Die schwedischen Eugenik-Verfechter standen ihren deutschen Kollegen in nichts nach, wie ihre enge Zusammenarbeit mit der Internationalen Gesellschaft für Rassenhygiene am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie in Berlin belegt. Zur gleichen Zeit also, als die moderne parlamentarische Demokratie in Schweden etabliert wurde, überzog man die Sami mit rassistischen Maßnahmen und schuf ein System der Ausgrenzung, das ihre Benachteiligung dauerhaft festschrieb.

So kam es in den 1920er und 30er Jahren zu Zwangsumsiedlungen großer Samigruppen aus dem nördlichen Schweden in südlichere Regionen. In Norwegen und Schweden wurden nur diejenigen als Sami anerkannt, die sich vollberuflich der Rentierzucht widmeten. Nachdem das Gesetz für Rentierhalter 1928 geändert worden war, wurden Sami, die nicht als solche anerkannt waren, strafrechtlich wegen illegalen Jagens und Fischens verfolgt, wenn sie ihr Leben so fortsetzten wie eh und je.


Stefan Mikaelsson trägt den Fall vor - Foto: © 2017 by Schattenblick

Landnahme durch Wasserkraft
Foto: © 2017 by Schattenblick

Zwischen 1910 und 1914 wurde am Fluß Luleälven inmitten des Sami-Gebietes ein Wasserkraftwerk gebaut. In dem anläßlich dessen 1909 gegründeten Nationalpark Stora Sjöfallet befindet sich einer der größten Wasserfälle Europas. Seitdem wurden 15 weitere Dämme und Wasserkraftwerke auf der ganzen Länge des Flusses errichtet. Die Sami konnten nicht mehr fischen, obwohl sie am Fluß lebten, und büßten ihre Ernährungssouveränität ein. Die Wälder auf beiden Seiten des Flusses wurden abgeholzt und ein dichtes Straßennetz gebaut, so daß es heute kaum einen Ort in dieser einst spektakulären Naturlandschaft mehr gibt, wo die nächste Straße mehr als 500 Meter entfernt liegt.

Kiesgruben, Überlandleitungen, weitere Minen und ein Park mit über tausend Windrädern komplettieren die Umwandlung weiter Teile Nordschwedens in eine Industrielandschaft, die den Forderungen europäischer und globaler Investoren nach freiem Zugang zu indigenen Territorien genügt. Die Biodiversität der Sami-Landschaft wurde unwiderbringlich zerstört, und seit dort eine, wie sich Mikaelsson, ausdrückte, mehr oder weniger aride Wüste entstand, eskaliert der Klimawandel in Nordschweden und Finnland.


Am Rednerpult - Foto: © 2017 by Schattenblick

Åsa Simma
Foto: © 2017 by Schattenblick


Rohstoffextraktion im hohen Norden Europas

Die Theatermacherin Åsa Simma lebt ganz im Norden des Sami-Gebietes bei Kiruna. Obwohl sie als Künstlerin genug Arbeit hat, unterhält sie eine kleine Rentierherde, weil sie sonst ihre Rechte als Sami verlöre. Dies tut sie auch für ihre zwei Söhne, damit sie ihre Landrechte und ihre Bewegungsfreiheit in der Region, die sie schon seit Jahrhunderten besiedeln, behalten. Ihre Großeltern hätten immer gesagt: Dieses Land hat dich ausgesucht, dieses Land hat uns ausgesucht. Wir, die Sami, sind hier, um mit dem Land zu leben, um es und alles, was auf ihm wächst und sich auf ihm bewegt, zu beschützen.

Wenn im weltgrößten Eisenerzbergwerk in Kiruna nachts mit Sprengstoff gearbeitet wird, wackeln bei Asa Simma die Tassen im Bord. Tatsächlich wird die ganze Stadt um fünf Kilometer verlagert, weil sie durch die über einen Kilometer in die Tiefe reichenden Ebenen des Bergwerkes so unterminiert ist, daß an vielen Stellen Einsturzgefahr besteht. 4000 Haushalte mit 17.000 Menschen, zwei Autobahnen, die Bahntrasse und der Großteil der städtischen Infrastruktur werden abgerissen und wiedererrichtet.

Simmas Eltern waren der Ansicht, daß sie spirituelle Brüder und Schwester haben, die unter der Erde leben und eine Art Bindeglied zwischen materieller und geistiger Welt darstellen. Sie fragt sich daher, wenn sie die Explosionen hört, wohin unsere unsichtbaren Brüder und Schwestern, die nur einige wenige Menschen sehen können, hingehen sollen, wenn in der Mine gearbeitet wird. Was geschieht mit uns, wenn sie gehen?

Für die vielen Dörfer mit Sami-Rentierzüchtern im Umkreis von Kiruna hat die Verwüstung der Landschaft zur Folge, daß sie besonders auf ihre Herden aufpassen müssen. Die Tiere wollen immer noch die gleichen Wege gehen, die sie seit jeher kennen, doch diese sind heute sehr gefährlich geworden. Sie können in neu entstandene Abgründe stürzen oder einbrechen, daher müssen sie davon abgehalten werden, die alten Wege zu benutzen.

Heute leben die Sami in einer Mondlandschaft, wo, wenn man mit dem Fuß aufstampft, schwarzer Staub meterhoch aufsteigt. Es ist toter Boden, sagt Simma, und es werde immer schlimmer. Der schwedische Staat vergibt Lizenzen zum Abbau von Bodenschätzen an internationale Konzerne. Diese gehen jedoch häufig nach ein paar Jahren bankrott, und ihre Betreiber ziehen sich zurück. Was bleibt, ist hochgradig toxischer Abraum, der für Mensch und Natur sehr gefährlich ist.

Die in Kiruna lebenden Sami-Jugendlichen weisen, so die Aktivistin, eine hohe Suizidrate auf. Sie wollen eigentlich Rentierzüchter werden, aber es gibt kein Land mehr, auf das sie ihre Herden treiben können. Deshalb arbeiten sie in der Mine, und das häufig nachts, damit es niemand merkt, denn am Tag kämpfen sie für die Rechte der Sami auf ihr Land.

Wenn wir das Land verlieren, verlieren wir unsere Kultur und unser Wissen, meint Simma. Wir reichen das Wissen von Generation zu Generation weiter, anstatt es in Bücher zu packen. Wenn man sich im Land bewegt, dann findet das Lehren wie von selbst statt. Da all das unterbrochen wird, wird das viele Wissen, das sich über die Jahrhundert angesammelt hat, eines Tages vergessen und verschwunden sein.

Schon ihre Eltern waren als Opfer der schwedischen Assimilierungspolitik von diesem zerstörerischen Prozeß betroffen. Sie wurden im Alter von sieben bis 14 Jahre in Internate gesteckt, wo sie von ihrer Familie getrennt leben mußten. In der Schule durften sie ihre Sprache nicht sprechen, und wer sich dem schwedischen Disziplinarregime nicht unterwarf, wurde hart bestraft.

Wir müssen uns mehr unterstützen und den Schmerz miteinander teilen, so die abschließenden Worte Åsa Simmas. Sie will ihre Probleme nicht in besonderer Weise herausstellen, denn Millionen Menschen in aller Welt machen die gleiche Erfahrung. Dennoch haben sie und Stefan Mikaelsson einiges darüber zu berichten, wie diskriminierend auch in der Europäischen Union mit indigenen Menschen umgegangen wird.


Am Rednerpult mit anderen indigenen Repräsentanten - Foto: © 2017 by Schattenblick

Åsa Simma singt bei der Eröffnungszeremonie
Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnote:


[1] Conversation between Lee Swepston and Lars Norberg on the rights of the Sami as an indigenous people in their ancestral homeland
Kiruna in August 2009
http://septentrio.uit.no/index.php/SCS/article/download/3215/3116

Während der letzten 200 Jahre haben die Nordischen Staaten, insbesondere Schweden und Norwegen, einen gigantischen Landraub durchgeführt.
Im 19. Jahrhundert haben Regierungsbehörden in Norwegen schlicht erklärt, daß die Finnmark, wo die Sami die Mehrheit stellten, leeres (!) Territorium sei und daher dem norwegischen Staat gehöre.
In Schweden vollzog sich die Konfiszierung des Heimatlandes der Sami auf schleichende und durchtriebene Weise. Obwohl Lappland offiziell zum exklusiven Heimatland der Sami erklärt wurde, hat die Regierung seine Kolonisierung im 19. Jahrhundert gestattet und sogar unterstützt. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts trieb der Staat die Ausbeutung der Wälder, Mineralien und Flüsse im Gebiet der Sami in großem Maßstab voran. Dabei wurden die Sami vertrieben, ohne Anspruch auf Entschädigung für die Enteignung erheben zu können.


Bisher im Schattenblick unter BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT zum International Rights of Nature Tribunal in Bonn erschienen:

BERICHT/110: Naturbegriffe - rechen-, teil- und handelbar ... (SB) BERICHT/109: Naturbegriffe - Lebensrecht und eine neue Welt ... (SB)
BERICHT/108: Naturbegriffe - blutige Verschiebespiele ... (SB)
BERICHT/107: Naturbegriffe - die immer gleichen Absichten ... (SB)
BERICHT/106: Naturbegriffe - unzureichend im Blick ... (SB)
BERICHT/105: Naturbegriffe - im Kreisverkehr ... (SB)

INTERVIEW/170: Naturbegriffe - Fehlverteilung mitverklagt ...     David Dene im Gespräch (SB)
INTERVIEW/169: Naturbegriffe - Fluchten ...     Ute Koczy im Gespräch (SB)
INTERVIEW/168: Naturbegriffe - Fundamentaler Widerstand ...     Kandi Mossett im Gespräch (SB)
INTERVIEW/167: Naturbegriffe - Universalitätsargumente ...     Linda Sheehan im Gespräch (SB)


14. Februar 2018


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