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BERICHT/114: Stimmen der Kultur - gegen rechts und mehr ... (SB)


Der rechte Populismus, der die Kultureinrichtungen als Akteur*innen dieser gesellschaftlichen Vision angreift, steht der Kunst der Vielen feindselig gegenüber. Rechte und nationalistische Gruppierungen und Parteien stören Veranstaltungen, wollen in Spielpläne eingreifen, polemisieren gegen die Freiheit der Kunst und arbeiten an einer Renationalisierung der Kultur. Ihr verächtlicher Umgang mit Menschen auf der Flucht, mit engagierten Kulturschaffenden, mit allen Andersdenkenden verrät, wie sie mit der Gesellschaft umzugehen gedenken, sobald sich die Machtverhältnisse zu ihren Gunsten verändern würden. Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung sind Alltag. Die extreme Rechte ist ein Symptom davon. (...) Wir als Unterzeichnende der Hamburger Theater, Kunst- und Kultureinrichtungen und ihrer Interessensverbände begegnen diesen Versuchen mit einer klaren Haltung. Solidarität statt Privilegien. Es geht um Alle. Die Kunst bleibt frei!
Aus der Hamburger Erklärung der Vielen [1]


In diesen Zeiten weltweiter krisenhafter Verwerfungen, erbitterter Kämpfe um die schwindenden Ressourcen und anwachsender existentieller Nöte weiter Teile der Menschheit stehen Kunst und Kultur mehr denn je in der Verantwortung. Sie können den herrschenden Verhältnissen affirmativ zuarbeiten, in deren Ideologieproduktion einstimmen und das soziale Elend konsumistisch befrieden. Ihre Freiheit schließt andererseits nicht aus, Partei für die Schwachen zu ergreifen, der repressiven Verengung jeglicher Denk- und Bewegungssphären entgegenzutreten und darüber hinaus das Ringen um Entwürfe einer menschlicheren Gesellschaft zu ihrem Anliegen zu machen. Eben weil sie nicht identisch mit dem Räderwerk ökonomischer Zwänge und dem Käfig politischer Maßgaben sind, könnten sie ihre schöpferische Kompetenz ins Feld führen, sich der fesselnden Zurichtung von Inhalt, Sprache und Ausdrucksform zu erwehren, gesetzte Grenzen bestreiten, überspringen und unterlaufen, womöglich sogar angesichts zugespitzter Bedrängnis das nicht länger Sagbare mit ihren Mitteln schützen und nähren.

So zahlreich und vielfältig die großen und kleinen Institutionen von Kunst und Kultur in Hamburg sind, bedarf es doch eines wohldurchdachten und engagiert umgesetzten Ansatzes, eine verbindende, solidarische und tragfähige Kampagne aufzubauen. Einerseits soll keine Dachorganisation etabliert werden, die der freien Entfaltung der einzelnen von vornherein Zügel anlegt. Andererseits neigen bloße Aufrufe, Appelle und isolierte Protestaktionen dazu, die Kräfte der InitiatorInnen zu verschleißen, eine Bewegung ins Leere laufen und verebben zu lassen. Ist heutzutage allenthalben von Netzwerken die Rede, wo zwischenmenschliche Kontakte, Beziehungen und Bündnisse nicht mehr näher konkretisiert werden, so kommt eine substantielle Organisierung des mannigfaltigen und zugleich alle Beteiligten stärkenden Widerstandes gegen Zumutungen und Anfeindungen gerade nicht ohne persönliche Bezüge und deren vervielfältigende Einbindung in den diversen Einrichtungen und Zusammenhängen aus. Dies zu bewerkstelligen haben sich die Kunst- und Kulturschaffenden auf ihre Fahnen geschrieben, die sich der Idee einer "Erklärung der Vielen" anschließen.


Podium der Pressekonferenz auf Kampnagel - Foto: © 2018 by Schattenblick

Die Vielen - Kampagnenauftakt in Hamburg
Foto: © 2018 by Schattenblick

Pressekonferenz zur Hamburger Erklärung der Vielen

Am 9. November 2018 fand auf Kampnagel eine Pressekonferenz statt, die zeitgleich mit entsprechenden Veranstaltungen in Berlin, Dresden und Düsseldorf den Auftakt zu einer bundesweiten Kampagne darstellte. Die Initiative "Die Vielen" wurde 2016 in der Berliner freien Szene gegründet, 2017 als gemeinnütziger Verein eingetragen und sprach mit einer großen "glänzenden Demonstration" auch die Mitte der Gesellschaft an. Danach stiegen erste Großinstitutionen ein, die Akteure vermehrten sich sprunghaft, in Berlin hatten am Stichtag der Pressekonferenz bereits 152 Einrichtungen auf Leitungsebene unterschrieben. In Hamburg wurde die Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard angesprochen, die gemeinsam mit ihrem sturmerprobten Team die Mammutaufgabe in Angriff nahm, binnen weniger Wochen fast alle Institutionen der Stadt für das Vorhaben zu gewinnen. Eine Versammlung mit ca. 100 InstitutionsleiterInnen verabschiedete die Hamburger Erklärung, beteiligt waren am Stichtag 115 Einrichtungen wie das Gängeviertel, der Hamburger Theaterverein, das Reeperbahnfestival, Staatsoper, Staatstheater und Privattheater, Museen, Galerien, Elbphilharmonie, alle universitären Kunstausbildungen, die HfBK, Filmförderung und viele weitere große und kleinere, konservative und aktivistische Institutionen.

"Die Vielen" sind kein kulturpolitischer Akteur, sondern eine vernetzte Plattform, in der jede einzelne Institution individuell agieren kann. Es gibt keinen Maulkorb, denn einer der Leitsprüche heißt: "Wir sind viele - jede*r einzelne von uns". Die Pressekonferenz war der Anfang einer Kampagne, die solange weitergeführt werden soll, wie es nötig ist. Deuflhard sprach die KollegInnen der Institutionen persönlich an, um die Initiative zur ChefInnensache zu machen, so daß sie dann in den Einrichtungen durchsickert, wobei es in allen Häusern eine große Solidarität aus der Belegschaft gab. Es habe sich ein Schneeballeffekt eingestellt, jeden Tag wurde die Liste länger und sie wird weiter anwachsen. Die Idee, aus den Institutionen heraus die eigene Mitarbeiterschaft, die KünstlerInnen und das Publikum zu informieren und zur Unterschrift aufzufordern, ist Teil dieser Kampagne. Für die Pressekonferenz gelang es, kurzfristig ein Panel von zwölf RepräsentantInnen Hamburger Institutionen auf dem Podium zu versammeln, die in ihren Beiträgen die maßgeblichen Aspekte der Kampagne aus ihrer jeweils eigenen Sicht darstellten.


Auf dem Podium - Foto: © 2018 by Schattenblick

Amelie Deuflhard
Foto: © 2018 by Schattenblick

Mit den eigenen Positionen in die Offensive gehen

Nachdem Amelie Deuflhard den Rahmen der Kampagne vorgestellt hatte, nahm sie Bezug auf den französische Soziologen Geoffroy de Lagasnerie, der in seinem Buch "Denken in einer schlechten Welt" KünstlerInnen und Intellektuelle dazu auffordert, die Welt zu verändern und sich in ihrer Kunst und in ihren Schriften zu engagieren. Dem könne sie sich nur anschließen. Es genüge nicht, sich nur gegen rechts zu positionieren. Vielmehr gelte es, mit eigenen Positionen wieder die Offensive zu übernehmen und Politik nicht allein den Politikern zu überlassen. Kampnagel arbeite mit KünstlerInnen aus vielen Ländern zusammen, in denen die Kunstfreiheit beschränkt ist. Gerade KünstlerInnen hätten die Fähigkeit, unbequem zu sein, Kritik zu üben, gängige Positionen zu hinterfragen und Visionen für eine gerechtere und zukunftsfähige Welt zu entwickeln. Die Erklärung des Netzwerks sei für alle Beteiligten auch eine Selbstverpflichtung: Es ist ein solidarisches Netzwerk, das intervenieren und jede einzelne Institution ansprechen kann, um eine demokratische Gesellschaft im 21. Jahrhundert zu entwickeln. "Wir haben hier in Hamburg ein Netzwerk für die Freiheit der Kunst und die Freiheit aller Menschen in unserem Land geschaffen."


Auf dem Podium - Foto: © 2018 by Schattenblick

Joachim Lux
Foto: © 2018 by Schattenblick

Solidarität ist keine Phrase

Wie Joachim Lux (Intendant Thalia Theater) hervorhob, sei Solidarität keine Phrase, sondern werde konkret umgesetzt. Als Amelie Deuflhard in der Flüchtlingsfrage von der AfD verklagt wurde, habe sich das Thalia Theater mit ihr zusammengetan, um sich gemeinsam zu wehren. Noch stärker spartenübergreifend aktiv zu werden gebe allen Beteiligten Kraft. Die Hamburger Staatstheater stünden geschlossen hinter der Erklärung der Vielen und damit gegen den Geist von Abschottung, Nationalismus und Rassismus. "Wir verteidigen das freiheitliche Europa, die Werte der Französischen Revolution und die Freiheit der Kunst, was doch eigentlich Selbstverständlichkeiten sein sollten. Wir müssen viel lauter und deutlicher werden, wir wenden uns gegen die Schändung der Sprache und vor allem die Schändung der Wahrheit durch die Lüge, die wir täglich erleben. Das sind Dinge, die katastrophale Folgen haben. Nationalisten bedrohen inzwischen Menschen wie uns offen, wir stehen auf der Abschußliste dieser Leute. Wir unterstützen darüber hinaus auch Künstler und Journalisten in aller Welt, deren Hausarrest, Inhaftierung, Folter, Totschlag und Mord vom Westen bagatellisiert wird."


Auf dem Podium - Foto: © 2018 by Schattenblick

Barbara Schmidt-Rohr
Foto: © 2018 by Schattenblick

Künstlerische Inhalte selbstbestimmt gestalten

Barbara Schmidt-Rohr (Vorstand Dachverband freie Darstellende Künste Hamburg) berichtete von Kampagnen in Richtung Rathaus und Öffentlichkeit mit dem Ziel, die Freien endlich finanziell und strukturell besser auszustatten. Wenngleich die geforderte Erhöhung nicht in vollem Umfang durchgesetzt werden konnte, sei der erzielte Teilerfolg doch ein Anfang. "Wir haben im letzten Jahr erstmals den breiten Schulterschluß gesucht und nicht nur die freien Tanz- und Theaterschaffenden hinter uns versammelt, sondern alle freien Spielstätten in Hamburg, Kolleginnen vom Bundesverband in Berlin, VertreterInnen der Presse und einige KulturpolitikerInnen der Stadt. Ohne diese Solidarität wären wir nicht so weit gekommen. Wir gestalten unsere künstlerischen Inhalte und Beziehungen selbstbestimmt, und das soll auch so bleiben. Wie sind jedoch nicht frei von Alltagsrassismus. Die meisten unserer Mitglieder sind weiß und haben einen deutschen Paß. Wir wollen das thematisieren, denn wenn wir etwas können, dann ist es dieses, in unseren Gemeinschaften die Regeln und Ethiken solidarisch zu verhandeln und immer wieder neu zur Disposition zu stellen. Die Kunst bleibt frei!"


Auf dem Podium - Foto: © 2018 by Schattenblick

Ulrich Waller
Foto: © 2018 by Schattenblick

Nicht den Weg Österreichs gehen ...

Ulrich Waller (Direktion/Künstlerische Leitung St. Pauli Theater) war soeben aus Österreich zurückgekehrt, das durch eine rechtspopulistische Regierung tief gespalten sei. Er habe dort in seinem Freundeskreis erfahren, daß man bei vordem vertrauten Menschen oftmals auf Mauern stößt. Das identitäre Gedankengut fresse sich tief hinein in die Mitte der bürgerlichen Gesellschaft. "In Österreich kann man sehen, wohin die Reise geht, wenn man nicht aufpaßt." Er glaube indessen nicht, daß Theater gefährdet sei , von rechts unterwandert zu werden. Es habe nie wirklich rechtes Theater gegeben, und selbst in der Nazizeit seien Theater und Kabarett als Kunstform nicht gefährdet gewesen. Das Theater sei ein internationales Medium, und trotz aller Versuche, immer deutschsprachige Autoren und Autorentheatertage zu fördern, kämen die spannenden Geschichten zumeist aus dem anglo-französischen Sprachraum. Er sehe es als Aufgabe des Theaters und Kabaretts, stärker in das Zentrum der Gesellschaft zurückzufinden und Themen zu behandeln, die die Menschen wirklich interessieren. Wieder ein politisches Medium zu werden, aufmerksam und wachsam zu sein, nicht den Weg der Österreicher zu gehen, sondern denen materiell und ideell beizustehen, die bedroht werden.


Auf dem Podium - Foto: © 2018 by Schattenblick

Bettina Steinbrügge
Foto: © 2018 by Schattenblick

Deutschland braucht keine Deutschtümelei

Bettina Steinbrügge (Direktorin Kunstverein in Hamburg) macht es Mut zu erleben, daß in Hamburg hundert Identitäre aufmarschieren, aber tausend Menschen dagegen demonstrieren. Rechtspopulismus sei jedoch ein zentrales Thema in den Medien, als gebe es nichts anderes mehr. In der Bildenden Kunst mache sie die Erfahrung, wie sehr rechtspopulistische Politik versucht, diese Kunstform auf allen Ebenen zu diskreditieren. So habe die AfD-Fraktion in Kassel die Skulptur des afrikanischen Künstlers Olu Oguibe in der Innenstadt verunglimpft und erreicht, daß sie zwar nicht ganz wegkommt, aber eher an den Rand geschoben wird. Eine Kollegin vom Albertinum in Dresden werde sogar privat bedroht und sehe sich ständigen Versuchen ausgesetzt, in das Programm einzugreifen. In Hamburg bemerke man bislang weniger als in anderen Städten die kleinen Anfragen der AfD, in deren Folge man einen Anruf bekommt und binnen drei Tagen Zahlen und Antworten liefern soll. Mit diesen kleinen Schikanen soll Kulturpolitik gemacht werden. Götz Frömming, der für die AfD im Bundesausschuß Kultur und Medien sitzt, schreibt sehr deutlich: Jetzt sei eine neue politische Kraft mit ins Spiel gekommen. Darauf wird sich der Kulturbetrieb einstellen. Und da werden vielleicht die einen oder anderen Auswüchse ein Stück weit korrigiert werden. Dem dürfe man nicht tatenlos zusehen, da Deutschland keine Deutschtümelei brauche, sondern eine Kultur der Freien Künste, die hilft, Respekt, Toleranz und Offenheit auszubilden, kurz Menschen in gegenseitiger Wertschätzung miteinander zu verbinden.


Auf dem Podium - Foto: © 2018 by Schattenblick

Matthias Schulze-Kraft
Foto: © 2018 by Schattenblick

Konfrontatives Ringen um eine bessere Welt

Matthias Schulze-Kraft (Künstlerische Leitung Lichthof Theater) wies darauf hin, daß sich rechte Parteien und Gruppierungen zunehmend künstlerischer Mittel bedienen, um ihre Vorstellung einer restriktiven Gesellschaft zu transportieren. Sie treten mit einem durchdesignten, hippen Äußeren auf, bedienen sich bei ihren Protestaktionen der Mittel des linken aktionistischen Theaters und täuschen über ihre rückwärtsgewandte Ideologie hinweg. Kunst- und Kulturorganisationen komme demgegenüber die Aufgabe zu, gesellschaftsbildende Erzählungen zu schaffen und in die Breite zu vermitteln. Nicht zuletzt seit den Erfahrungen der Nazizeit, in der Kunst und Kultur für die größten Verbrechen der Menschheit instrumentalisiert wurden, liege es in der Verantwortung von KünstlerInnen, Erzählungen von Offenheit, Vielfalt, Toleranz und Humanität zu schaffen. "Diese Erzählungen gestalten unsere plurale, demokratische Gesellschaft in einer globalisierten Welt." Dabei gehe es nicht um einfache Rezepte, aus denen im Handumdrehen eine ideale Welt entsteht, sondern um Raum für vielfältige und konträre Auseinandersetzungen, für ein tiefes thematisches Durchdringen, für ein konfrontatives Ringen um eine bessere Welt. Im Theater erfahre man das vielschichtig auf der individuellen, sozialen und politischen Ebene. So gebe das Lichthof Theater dem Experiment und einer möglichst großen Freiheitsentfaltung gerade junger KünstlerInnen Raum. "Wir fördern eine kritische Auseinandersetzung mit den Themen unserer Zeit und zeigen ästhetische Entwürfe einer möglichen Zukunft. Dies funktioniert nur in einem Raum von Vertrauen, Offenheit und Zukunftgerichtetheit und steht damit in krassem Gegensatz zu den rückwärtsgewandten, restriktiven Kunstvorstellungen rechter Ideologie. Dafür kämpfen wir. Wir öffnen das Theater als einen Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzungen." In dem Projekt "Staging Democracy" fänden Meinungen kritischer Hamburger BürgerInnen einen künstlerischen Ausdruck auf der Bühne. Solche Projekte stellten das Angebot an eine breite Öffentlichkeit dar, eine Auseinandersetzung über gesellschaftliche Themen, die nicht ideologisch vorgeprägt sei.


Auf dem Podium - Foto: © 2018 by Schattenblick

Tobias Rempe
Foto: © 2018 by Schattenblick

Einflüsse unterschiedlichster Kulturen und ihrer Geschichte

Tobias Rempe (Geschäftsführer Ensemble Resonanz) warnte vor Stimmen, die immer lauter in Programmen und Manifesten ominöse Werte und schwammige Leitkulturbilder propagieren und die Gleichberechtigung von Menschen sowie Freiheiten, die die Grundlage der Offenheit unserer Gesellschaft bilden, in Frage stellen. Dazu gehöre auch die Freiheit der Kunst, die vielen gehört, von vielen gemacht und von vielen erlebt wird. "Nichts wäre uns fremder, als die Kunst und damit ausgerechnet den Raum, in dem es jederzeit um alles gehen kann, zu einer Kampfzone von Kleinlichkeiten zu machen." Der Angriff von rechts werde in seiner Qualität noch nicht angemessen erkannt und beantwortet, so daß bis in die Mitte der Gesellschaft hinein Dinge und Haltungen ins Rutschen geraten. "Auch wenn künstlerische Programme keine expliziten politischen Botschaften formulieren, wurzelt die alte und neue Musik, die wir spielen, in Einflüssen unterschiedlichster Kulturen und ihrer Geschichte. Unvorstellbar wäre sie als generisch abendländische oder gar deutsche Alleinvertretung. Sie transportiert destillierte Vorstellungen von Freiheit, Vielfalt, Differenz, Mitgefühl, Solidarität und Liebe, tradiert aus einer langen Geschichte, in der vielfältige Kulturen ihr Erbe weitertragen. Das wollen wir nicht vergessen, und so wollen wir unsere Musik immer präsentieren."


Plakatinstallation auf Pressekonferenz - Foto: © 2018 by Schattenblick

Vielfalt der Sprachen und Farben
Foto: © 2018 by Schattenblick

Charta für eine vielfältige und integrative Stadtkultur

Hella Schwemer-Martinßen (Direktorin Bücherhallen Hamburg) erzählte von Versuchen der AfD, Einfluß auf die Bestandspolitik zu nehmen. Dabei soll identifiziert werden, wer jeweils für welche Entscheidung verantwortlich ist. Das seien Elemente rechter Denunziation, wie man sie aus der Geschichte kennt. Sie selbst spreche hier für das bundesweite Projekt "360 Grad" der Bundeskulturstiftung, bei dem es um vielfältige Stadtkultur geht. Zu den Schwerpunkten in ihrem eigenen Programm gehöre es, den Anteil von MitarbeiterInnen mit Zuwanderungshintergrund innerhalb von vier Jahren zu verdoppeln. Zudem schule man das Kollegium und das anderer Kultureinrichtungen in interkultureller Kompetenz. Auch rege man einen produktiven Diskurs mit den verschiedenen ethnischen Communities in der Stadt an. Im nächsten Jahr sei eine Gemeinschaftsaktion der kulturellen Bildung in Hamburg geplant, um eine Charta für vielfältige und integrative Stadtkultur zu entwickeln. "Wir als kulturelle Bildung werden einen Beitrag zu einer widerständigen Anti-Rechts-Politik in dieser Stadt leisten!"


Auf dem Podium - Foto: © 2018 by Schattenblick

Alexander Schulz
Foto: © 2018 by Schattenblick

Gegen jede Schwächung des kulturellen Reichtums

Wie Alexander Schulz (Geschäftsführung Reeperbahn Festival) unterstrich, leben seine Veranstaltungen von der Zusammenarbeit mit über 60 Ländern, Kulturwirtschaftsbetrieben und Künstlern überall in der Welt und stehen für den Dialog zwischen den Nationalitäten und Kulturkreisen. Die Verbindungen, die daraus entstehen, zeigten deutlich, wie wichtig unabhängige Kulturarbeit im internationalen Kontext und zwar unabhängig von der politischen Ausrichtung des jeweiligen Landes sei. Jede Bestrebung von politischer Seite, auf Kultur, Medienbetrieb und Kulturwirtschaft Einfluß zu nehmen, stelle eine Schwächung des kulturellen Reichtums dar. Die Veränderungen in Europa rückten immer näher, den Niederlanden, Dänemark oder Ungarn drohten weitere Länder zu folgen. "Wir werden uns alle darauf einstellen müssen, daß wir direkt konfrontiert werden nicht nur mit Anfragen, sondern auch Angriffen in den sozialen Medien. Wir brauchen die Solidarität untereinander, um in einer angemessenen Gegenbewegung darauf reagieren zu können."


Auf dem Podium - Foto: © 2018 by Schattenblick

Christine Ebeling
Foto: © 2018 by Schattenblick

Kritischer Gegenöffentlichkeit Platz verschaffen

Christine Ebeling (Gängeviertel) hob hervor, daß ihre Initiative keine Leitung habe, sondern sich als Kollektiv verstehe. Dessen Motto "Komm in die Gänge" sei aktueller denn je. "Wir begreifen uns als bunt und glitzernd. Wir lieben die Vielfalt, Farben sind uns egal. Alle Farben sind schön, besonders die vielen Hautfarben, und auch Geschlechter sind uns egal im Sinne von wir sind alle gleich. Wir sind ein vielfältiges Kollektiv, welches nicht nach Geschlecht, Alter, Herkunft oder Sprache schaut. Wir wollen Leben, Arbeit, Kunst und Kultur zusammenbringen, Ausschluß ist bei uns nicht drin." Gerade die Menschen, die ebenfalls in prekären Verhältnissen leben, seien eingeladen, ins Gängeviertel zu kommen. Dort werde Rassismus, Homo- oder Transphobie, Nationalismus und Ausgrenzung nicht geduldet. Es sei erschütternd, daß in der Nachbarschaft angeblich besorgte Bürger Versammlungen abhalten, bei denen faschistisches und rassistisches Gedankengut verbreitet wird, absurderweise direkt neben dem Lessingdenkmal auf dem Gänsemarkt. Nun hätten gerade mal 80 Personen dafür gesorgt, daß der Dammtorbahnhof kurzzeitig gesperrt wurde. Diesen Positionen werde so viel Aufmerksamkeit geschenkt, die sich doch vielmehr auf die zahlreichen Einrichtungen und Initiativen richten sollte, die sich um diejenigen kümmern, die hier unter Ausgrenzung, Gewalt und Verfolgung zu leiden haben. "Wir sind traurig und wütend, aber nicht ohnmächtig. Wir engagieren uns für die Möglichkeitsräume, in denen ein kollektives Miteinander erprobt und gelebt werden kann. In denen Kunst und Kultur, Politik und kritische Gegenöffentlichkeit einen Platz haben, damit das Feld nicht den reaktionären Entwürfen nationaler Gewalt und Herrschaftsphantasien überlassen wird. Laßt uns verbinden und alle mitnehmen, die sich schwach fühlen."


Auf dem Podium - Foto: © 2018 by Schattenblick

Bastian Lomché
Foto: © 2018 by Schattenblick

Auseinandersetzung mit rechter Ideologie

Bastian Lomché (Dramaturg am Schauspielhaus) verlas eine Stellungnahme der Intendantin Karin Beier, die nicht anwesend sein konnte. "Wer hätte vor wenigen Jahren, vielleicht sogar Monaten damit gerechnet, daß gewählte Politiker von der "Entsiffung" des Kulturbetriebs sprechen? Daß wir nach Vorstellungen der AfD "stets auch deutsche Stücke" spielen sollen und sie am besten so inszenieren, daß sie zur Identifikation mit unserem Land anregen? Wer hätte damit gerechnet, daß die Freiheit der Kunst derart unverblümt zur Disposition gestellt wird?" Die AfD und die Identitäre Bewegung hätten es verstärkt auf die Kunst- und Kulturbetriebe abgesehen. Das Bündnis der Vielen sei ein wichtiger Schritt, auf diese Entwicklung zu antworten, sich gegenseitig zu schützen und zu unterstützen. Inhaltlich müsse man sich weiterhin mit den rechten Ideologien auseinandersetzen und dürfe nicht bei den Symptomen stehenbleiben. "Rechte Parteien und Organisationen gewinnen nicht an Einfluß, weil sie die Kunst angreifen. Sie erhalten immer mehr Zuspruch, weil sie die massiven gesellschaftlichen Probleme geschickt für ihre Zwecke nutzen." Ihr Selbstvertrauen werde weiter anwachsen, sofern man diese Probleme nicht ernstnehme und sie konsequent verhandle. Ein wichtiger Schritt sei es, der Diversität unserer Gesellschaft mehr Rechnung zu tragen. Dies gelte für die künstlerische Auseinandersetzung ebenso wie für die Reflexion der eigenen Strukturen. Dabei könne die Situation in Hamburg noch als vergleichsweise gut gelten. Deshalb sei es eine wichtige Aufgabe des Bündnisses, sich mit Kunst- und Kulturbetrieben an Orten zu solidarisieren, in denen die Mehrheitsverhältnisse andere sind.


Auf dem Podium - Foto: © 2018 by Schattenblick

Johannes Blum
Foto: © 2018 by Schattenblick

Mephistos Geist als unverzichtbare Widerspruchsinstanz

Johannes Blum (Leitender Dramaturg der Staatsoper Hamburg) verlas ein Statement von Georges Delnant, dem Intendanten der Staatsoper. "Der mephistophelische Geist, der stets verneint, ist die Grundlage, auf der eine demokratisch gemeinte und bei allen Einschränkungen auch funktionierende Gesellschaft fußt. Es ist die Forderung, immer und gegen alle Widerstände Nein zu sagen zu den einfachen Wahrheiten, plausiblen Scheinlösungen, ressentimentgeladenen Haltungen, die wir heute auch zunehmend im offiziellen politisch-kulturellen Raum wahrnehmen." Mephisto, das sei die Ironie an der Sache, formuliere bereits seine kommende Niederlage, indem er eine notwendige philosophische Widerspruchsinstanz verkörpert. "Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft." Nur aus Widerspruch, aus Infragestellen könne das Gute entstehen. "Sehr optimistisch, sehr idealistisch, sehr deutsch." Populistische Stimmen forderten immer vernehmbarer die zensierende Korrektur von Inhalten, Spielplänen, Macharten, Aussagen und künstlerischen Konzepten. Auch das Wort der "Renationalisierung" von Kunstinhalten und Stoffen gehe um. Dabei könne er eine lange Liste deutschsprachiger Autoren, Philosophen, Komponisten und Maler in Vergangenheit und Gegenwart anführen, die in einem nationenübergreifenden Geist in kritischer Distanz zu Nationalisten gearbeitet haben. "Was soll das denn sein, das Deutsche, das es zu retten gilt, das uns genommen zu werden droht? Die klare Flüssigkeit des deutschen Kulturgeistes getrübt von Migrationsverunreinigung fremdartiger Infiltration von neuen freiheitlichen als provokativ empfundenen Lebens- und Gesellschaftskonzepten, gerettet durch die Reinigung von undeutschen Inhalten in Bibliotheken, Theatern, Museen?" Doch eine Gesellschaft, die aufhört, sich selbst unbequem zu sein, höre auf zu sein. Kunst- und Kulturschaffende hätten die Pflicht ihrem Publikum gegenüber, auch unbequem zu sein. Denn das liege in seinem ureigensten Interesse, da widerspruchsfreie Geschichten stets lebensabtötende, triste Geschichten seien. "Dafür haben wir keinen Auftrag, weder von uns an uns gestellt noch seitens der Gesellschaft uns überantwortet. Kunst macht scheinbar bekannte und vertraute Dinge fremd. Das leistet der Verneinungsgeist Mephistos. Das ist unsere tägliche Arbeit. Das ist notwendig, Not wendend politisch und in moralischer und ästhetischer Hinsicht schön - und zwar in dem Sinne, wie Heiner Müller es mal gesagt hat, das Fremde ist eigentlich das Schöne."

So endete die Pressekonferenz der zwölf Stellungnahmen aus dem Kreis Hamburger Kunst- und Kulturschaffender mit einem angemessenen Schlußwort. Mephistophelischer Geist, verstanden als Wesenskern künstlerischen Strebens, steht hier für die Unvereinbarkeit mit einer rechtspopulistischen Verengung und Verödung von Kultur und Gesellschaft, der es ebenso entschieden entgegenzutreten gilt wie jeglichen repressiven An- und Übergriffen seitens etablierter politischer Strömungen.


Eingangsbereich mit Plakat 'State of the Arts' - Foto: © 2018 by Schattenblick

Treffpunkt Kampnagel
Foto: © 2018 by Schattenblick


Fußnote:

[1] www.kampnagel.de/de/service/kontakt/hamburger-erklaerung-der-vielen/


11. November 2018


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