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BERICHT/128: Karneval der Subkulturen - anarchisches Credo ... (SB)




Eine Gruppe von Polizeibeamten steht nebeneinander unter einem Baum - Foto: © 2019 by Schattenblick

Warten auf die Subkultur
Foto: © 2019 by Schattenblick

Im deutschsprachigen Kulturraum herrscht ein dreistufiges Ständesystem, bestehend aus der Hochkultur, der breiten Massenkultur und der Subkultur. Grenzüberschreitungen zwischen den Ständen sind zwar nicht prinzipiell ausgeschlossen, aber selten möglich und nicht in jedem Fall erwünscht. Die Hochkultur bleibt in der Regel für sich, erstens weil sie E-Musik bevorzugt und beispielsweise mit Hip-Hop und Punk nicht so viel anzufangen weiß und zweitens, noch wichtiger, weil der Besuch auch nur einer einzigen ihrer Veranstaltungen mitunter die jährlichen Lebenshaltungskosten einer oder eines "Subkulturellen" in einem erheblichen Maß übersteigen dürfte.

Beispielsweise der Wiener Opernball. Wie kaum ein anderes Ereignis inszeniert sich dort die Hochkultur. Für den Opernball im kommenden Jahr muß man mindestens 315 Euro Eintritt hinblättern - und hat dann nur einen Stehplatz ergattert. "Bitte beachten Sie, dass die Eintrittskarte keinen Sitzplatz beinhaltet", heißt es auf der Website. Wer sich an dem Abend auch mal hinsetzen will, dem wird die Rangloge für schlappe 23.600 Euro empfohlen - inklusive Kulinarik und für maximal zwölf Personen. [1]

Die Subkultur dagegen bevorzugt kostengünstigere Etablissements, um sich zu treffen, zu tanzen, Flüssigkeiten in sich hineinzuschütten und mächtig abzuhängen. Sie hört auch andere Musik und trägt in der Regel preiswertere Klamotten. Theoretisch könnte irgendein reicher "von und zu" Wiener Opernballbesucher mit Frack und Lackschuhen einen typischen subkulturellen Szenetreff wie die Rock'n'Roll Herberge in Berlin Kreuzberg besuchen. Dort würde es vermutlich niemandem auffallen, geschweige denn daß er oder sie daran Anstoß nähme, welche der beiden zugelassenen "Pinguin"-Varianten jener Besucher trüge, also ob "die weiße Weste exakt mit dem Vorderteil der Jacke" abschließt oder - wie keck! - ob sie "zwei Zentimeter unterhalb" hervorschaut. [2]

Da ein Besucher des Wiener Opernballs auf keinen Fall Gürtel trägt, sondern stets nur Hosenträger, wäre er eigentlich in jener "Absteige für Rockstars & Hosenträger", wie sich die Rock'n'Roll Herberge selbst bezeichnet, sogar ausgesprochen passend aufgehoben. Eine Voraussetzung hätte er allerdings zu erfüllen, denn das dortige Motto lautet: "Nazis, Faschisten, Rassisten, Homophobe, Sexisten und jegliche wie auch immer gearteten intoleranten Spießer müssen draußen bleiben." [3]

Besagte Herberge war auch Endpunkt des in diesem Jahr nach einer Unterbrechung wieder neu aufgelegten "Karnevals der Subkulturen", eines Umzugs, der in der Vergangenheit schon mal mehrere tausend Subkulturelle aus ihren Kellern, Katakomben, Kabuffs und was Szene-Stadtteile wie Kreuzberg und Friedrichshain noch an besetzten und unbesetzten Behausungen bereithalten, hervorgelockt hat.

Die Betonung liegt auf "noch", denn die Gentrifizierung frißt ihre Kinder. Wird eine jener urbanen Nischen allzu angesagt, weil sie durch Kunst und Kreativität von unten für die da oben interessant gemacht wurde, lockt das Ströme von Touristen an, was wiederum das Stadtviertel aufwertet. Das hat schon längst die Aufmerksamkeit von Spekulanten geweckt, die sich jene Keller, Katakomben und Kabuffs aneignen und "instandsetzen". Eigentlich müßte es "in einen neuen Stand setzen" heißen, wird damit doch der Vorgang beschrieben, eine Liegenschaft dem subkulturellen Stand zu entziehen und einem höheren Stand, der über die notwendigen Finanzmittel verfügt, zur Verfügung zu stellen. Gut betuchte Menschen verdrängen ihre weniger gut betuchten Artgenossen. Angesagtsein ist der Auftakt zum Abgesang. Entwertung durch Aufwertung. Gentrifizierung eben.


Punk mit Fahrrad gegen 13.00 Uhr - Foto: © 2019 by Schattenblick

"So früh aufzustehen, liegt der Subkultur einfach nicht."
Foto: © 2019 by Schattenblick

Neubauprojekte wie Google Campus und der Hotel-Hostel-Komplex des Unternehmens Ideal-Versicherung in einer urbanen Kreuzberger Brache konnten zwar aufgrund der Proteste der Bevölkerung verhindert werden, doch die Investoren schlafen nicht. Ganze Häuserzeilen wurden verhökert und angestammte Gewerbe- und Wohnungskultur zerstört. Börsennotierte Wohnungsgesellschaften haben große Teile der Innenstadt übernommen, treiben nun die Mietpreise in die Höhe oder wandeln Wohnraum in Eigentumswohnungen um. Turbo-WGs, Airbnb, der Trick mit der Möblierung und andere Wohnraumgeschäftsmodelle erledigen das Übrige des Wohnungsmarkts. [4]

Den größeren veranstalterischen Rahmen jenes Karnevals der Subkulturen bildete das viertägige Straßenfest "Karneval der Kulturen", das regelmäßig während des verlängerten Pfingstwochenendes in Berlin Kreuzberg stattfindet und von über eine Million Menschen besucht wird. Am sonntäglichen Straßenumzug kamen rund 4.400 Teilnehmende zusammen. Lediglich ein Zehntel davon hat sich auch bei den Subkulturellen eingefunden [5], wobei die meisten von ihnen augenscheinlich erst im Laufe des Umzugs dazustießen. Vermutlich wollten sie sich den Weg zum Startpunkt der Demo am Frankfurter Tor ersparen, wo doch der Umzug sowieso wieder bei ihnen vorbeikommen würde. Warum also sich irgendwo hinbegeben, nur um dann von dort wieder heimzukehren?

Was das Zeitmanagement des Karnevals der Subkulturen betrifft, ist sicherlich noch Luft nach oben. Während sich die Polizei mit einem beachtlichen Aufgebot frühzeitig am Versammlungsort eingefunden hatte, war um 12.00 Uhr, wie in diversen szenetypischen Medien als Termin angekündigt, nur rund eine Handvoll subkultureller Menschen eingetrudelt. Auch eine Stunde später war der Startpunkt am Frankfurter Tor nicht wirklich als Versammlungsort für einen Demonstrationszug zu identifizieren - sieht man von den vielen Mannschaftswagen, Motorrädern und ordnungshütenden Uniformierten ab. Jedenfalls schien mancher Falafel-Stand mehr Zuspruch zu erfahren als die Demo an ihrem Ausgangspunkt. Wie meinte noch augenzwinkernd einer der wenigen frühzeitig eingetroffenen Teilnehmer gegenüber dem Schattenblick-Team: "So früh aufzustehen liegt der Subkultur einfach nicht."

Ungeachtet der permanenten Anforderung, Telefonate annehmen und kurz vor Demobeginn noch schnell tausend Dinge regeln zu müssen, dabei mit der Polizei ständig auf den Fersen, war Jonas Rediske vom Organisationsteam bereit, dem Schattenblick einige Fragen zum Karneval der Subkulturen zu beantworten.


Jonas Rediske telefoniert, der Verbindungsmann beobachtet ihn - Foto: © 2019 by Schattenblick Jonas Rediske beim Interview - Foto: © 2019 by Schattenblick

Jonas Rediske und der aufmerksame "Verbindungsmann zum Veranstalter"
Fotos: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Könntest du uns etwas zum Karneval der Subkulturen sagen?

Jonas Rediske (JR): Ich mache schon länger beim Carneval of Subcultures mit. Dieser war früher als kleines Gegenprogramm zum Karneval der Kulturen geplant und einige Jahre lang ein Straßenfest in der Köpenicker Straße - Köpi ist ja auch ein bekanntes Hausprojekt. Die ganzen Anmeldungen für das Straßenfest waren uns allerdings zu teuer geworden, denn wir waren nie so viele Leute. Deswegen haben wir mit dem Carneval of Subcultures aufgehört, so daß letztes Jahr keiner stattfand. Dieses Jahr habe ich mich mit ein paar Leuten getroffen, und wir haben überlegt, daß wir im kleinen Rahmen, mit einer kleinen Demo und abschließend einer Kundgebung in der Muskauer Straße, einen Neustart versuchen wollen. Vielleicht entwickelt sich ja wieder was daraus.

SB: Ist euch der Karneval der Kulturen zu kommerziell geworden?

JR: Ja, der Karneval der Subkulturen soll dazu schon ein Gegenpol sein. Deswegen kam die Überlegung auf, dort am gleichen Tag was anderes zu machen. Der Karneval war schon immer am Pfingstsamstag, vom Datum her sind wir also ein bißchen festgelegt.

SB: Wenn man sich hier umschaut, sieht man noch nicht so viele Leute. Wie viele waren denn in früheren Jahren gekommen?

JR: Zu Hochzeiten waren es 2000, 3000 Leute. Wie gesagt, in diesem Jahr findet kein größeres Straßenfest statt, sondern wir wollen erstmal klein anfangen.

SB: Wie kam es zu der Wiederbelebung und wie viele Leute organisieren das?

JR: Wir haben untereinander mit Freunden gequatscht und den Termin auch im Stressfaktor [6] veröffentlicht. Getroffen haben wir uns dann einmal die Woche in der Rock'n Roll-Herberge, wo in diesem Jahr auch die Kundgebung zum Ende der Demo stattfindet. Allzu viele waren wir im Orga-Team nicht, im festen Kern vielleicht sechs, sieben Leute. Wenn es mal wieder größer werden sollte, müssen es auf jeden Fall mehr werden. Ansonsten sähe es schlecht aus, wollte man ein größeres Straßenfest organisieren.

SB: Kommen die Musikgruppen, die später auftreten, alle hier vom Ort?

JR: Nein, zum Teil sind sie zwar aus Berlin, aber es ist beispielsweise auch eine Musikgruppe aus Israel dabei. Wir haben verschiedene Gruppen angeschrieben, von denen einige zugesagt haben.

SB: Würdest du sagen, daß der Karneval der Subkulturen eine Botschaft hat?

JR: Unser Hauptthema ist ja - danach werden sich auch die Redebeiträge richten - Gentrifizierung. Dagegen etwas zu sagen lautet unsere politische Botschaft. Die wollen wir mitgeben.

SB: Jonas, vielen Dank für das Gespräch.


Ein, zwei Dutzend Personen auf einer großen freien Fläche am Rande einer Kreuzung - Foto: © 2019 by Schattenblick

13.21 Uhr: Einige Frühaufsteher sind schon zum Abmarsch bereit
Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] https://www.wiener-staatsoper.at/opernball/karten/kartenpreise/

[2] https://www.vienna.at/strenger-dresscode-beim-opernball-kein-zutritt-ohne-frack-und-grosses-abendkleid/3163445

[3] http://www.rnrherberge.de/index.php?id=12

[4] Turbo-WGs: Jemand mietet eine Wohnung mit vielen Zimmern und vermietet diese weiter, oftmals nur für wenige Monate. Beim Neueinzug müssen dann meist höhere Mietpreise bezahlt werden als zuvor. Das Geld erhält der Hauptmieter oder er teilt es sich mit dem Vermieter.
Airbnb: Internetplattform zur Vermietung von Wohnungen an Touristen. Damit ist deutlich mehr Geld zu machen als mit regulären Mieten. Der gravierende Nachteil: Diese Wohnungen sind dem allgemeinen Wohnungsmarkt entzogen. Inzwischen werden in Städten wie Berlin, Hamburg, Köln und München Bußgelder in Höhe von bis zu 50.000 Euro für solche "zweckentfremdete" Vermietungen erhoben.
Möblierung: In Berlin werden immer mehr möblierte Wohnungen angeboten, da für diese nicht die Mietpreisbremse gilt.

[5] tinyurl.com/y53ddrrh

[6] Stressfaktor ist ein "Berliner Terminkalender für linke Subkultur und Politik".
https://stressfaktor.squat.net/index.php


11. Juni 2019


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