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BERICHT/129: Rothenburgsort - Gentrifizierung ... (SB)


Zentrumsnah, industriell geprägt, mit vielen grünen Ecken und großem Entwicklungspotential: Das wenig bekannte Rothenburgsort an der Elbe muss seine Identität erst noch finden. Künstler und Kreative machen dabei den Anfang.
hamburg.de - Zwischen Industrie und Wasserkunst [1]


Irgendwie dazwischen und doch sehr eigenständig - die geografischen Grenzmarken, baulichen Eigenheiten und der sozial eher abgehängte Charakter des unweit der City gelegenen Stadtteiles Rothenburgsort haben tatsächlich dazu geführt, daß viele in Hamburg lebende Menschen gar nicht so genau sagen können, wo genau dieses zum Bezirk Hamburg-Mitte gehörende Quartier liegt. Diesen Sachverhalt allerdings in städtebaulichen Handlungsbedarf umzumünzen und einen Mangel an "Identität" zu unterstellen unterschlägt, daß die dort lebenden Menschen recht gut damit klarkommen, bislang von den Aufwertungsprozessen der neoliberalen Stadt verschont geblieben zu sein. Der seit 35 Jahren vollzogene Umbau Hamburgs zur Global City [2] folgt vor allem unternehmerischen Interessen und setzt all jene, die einen immer größeren Teil ihres Erwerbseinkommens für die Miete ausgeben müssen, einem Preisdruck aus, der schlimmstenfalls einen Umzug in noch erschwingliche Randlagen der Stadt zur Folge hat.

Bislang ist Rothenburgsort von der Expansion des unmittelbar an den Stadtteil in Richtung City angrenzenden städtebaulichen Vorzeigeprojektes Hafencity [3] verschont geblieben. Das liegt vor allem daran, daß dieses Modernisierungsprojekt an der von Auto und Bahn vielbefahrenen Verkehrsachse der Elbbrücken haltgemacht hat. Was jenseits davon liegt, hat bislang kaum interessiert, war die hauptsächliche Stoßrichtung städteplanerischer Flächenerschließung doch auf das Hafenbecken und den daran angrenzenden Stadtteil Wilhelmsburg ausgerichtet. Wie im "Leitbild: Metropole Hamburg - Wachsende Stadt" 2002 als "Sprung über die Elbe" programmatisch verankert werden ehemalige Wirtschaftsflächen des Hafens, der in Richtung Elbmündung ausgebaut wird, mit großer Wertsteigerung in Bauflächen umgewidmet und die daran angrenzenden Stadtteile umfassend modernisiert. Die zeitgleiche Austragung der Internationalen Bauausstellung (IBA) und der Internationalen Gartenschau (igs) in Wilhelmsburg 2013 sollten einen entscheidenden Impuls zur nicht nur architektonischen Umgestaltung dieser Gebiete geben [4]. Der mit ihrer Aufwertung, der der Stadt als Grundeigentümerin großer Flächen im Hafen viel Geld einspielt, einhergehende sozialräumliche Prozeß weist durchaus die als Gentrifizierung bekannten Folgen eines allmählichen, analog zu den steigenden Mieten und zum Bau von Eigentumswohnungen verlaufenden Austausches der Wohnbevölkerung auf.


Bauplakat für den Neuen Huckepackbahnhof vor Baugebiet - Foto: © 2019 by Schattenblick

Entwurf und Wirklichkeit
Foto: © 2019 by Schattenblick


Hinterm Horizont stadtplanerischer Visionen triviale Standortkonkurrenz

"Vom abgehängten Problemviertel zum Prunkstück der Stadtentwicklung" - der im Rahmen des Jour Fixe der Gewerkschaftslinken Hamburg organisierte Rundgang durch Rothenburgsort spitzte die politische Seite der Stadtentwicklung auf vielleicht drastische, aber zutreffende Weise zu. Ingo Böttcher, der als Aktivist der Stadtteil-Initiative Hamburgs Wilder Osten (HWO) sachkundig und engagiert durch Rothenburgsort führte, war zwar bemüht, den möglichen Lauf der Dinge in seiner administrativen Widersprüchlichkeit betont unaufgeregt zu schildern und niedrig zu hängen. Doch die Zeichen stehen nicht nur aus städteplanerischer Logik, sondern aufgrund der dazu gefallenen politischen Entscheidungen für diejenigen, die weitgehend am Status quo festhalten oder zumindest zur künftigen Entwicklung ihres Stadtteils gefragt werden möchten, eher schlecht.

So hat der Hamburger Senat im August 2015 in der Bürgerschaft einen Entwurf unter dem Titel "Stromaufwärts an Elbe und Bille - Wohnen und urbane Produktion in HamburgOst" [5] vorgelegt, in dem er die "Förderung der Entwicklungsdynamik im Hamburger Osten explizit als einen Schwerpunkt der zukünftigen Stadtentwicklung benennt". Dazu werden für die "Quartiere stromaufwärts in den östlichen Stadtteilen des Bezirks Hamburg­Mitte" als "Kernziele" etwa die Schaffung von "mehr Wohnungen und neuer Stadtqualitäten", die Entwicklung von "Arbeitswelten für die Zukunft" und die Aufwertung "attraktiver Wasserräume und Grünanlagen" genannt. Ausdrücklich sollen mit der Gründung der Billebogen Entwicklungsgesellschaft mbH & Co. KG (BBEG) als hundertprozentiger Tochter der HafenCity Hamburg GmbH (HCH) die "mit der Stadtentwicklung generierten Wertsteigerungen der Immobilien (...) über das heute realisierbare Niveau die Kosten für die überwiegend vorlaufenden wertschöpfenden Aktivitäten ausgleichen", was "der Stadt Hamburg insgesamt zugute" [6] käme.


Aufsteller mit Werbung für Bauprojekt - Fotos: © 2019 by Schattenblick Aufsteller mit Werbung für Bauprojekt - Fotos: © 2019 by Schattenblick

"Unternehmensstandort in bester Lage"
Fotos: © 2019 by Schattenblick


Billebogen - die Hafencity greift über sich hinaus ...

Die haushaltspolitische Logik der Verallgemeinerung ortspezifischer Aufwertungsprozesse kann als zentrales Legitimationsvehikel jeder städtebaulichen Entwicklung bezeichnet werden, in der die neoliberalen Marktdispositive des "Unternehmens Stadt" gegen das basisdemokratische Interesse der jeweils vom Umbau ihrer Quartiere betroffenen Wohnbevölkerung durchgesetzt werden. De facto sind sie nicht wirklich einspruchsberechtigt, wenn die Stadtregierung meint, der globalen Standortkonkurrenz durch die Wertsteigerung von Baugrund und Immobilien und einer gebauten Umwelt, die mehr auf die Optimierung der Flächeneffizienz als die Bedürfnisse der Menschen ausgerichtet ist, entsprechen zu müssen. Den Ausführungen Ingo Böttchers jedenfalls war nicht zu entnehmen, daß der Senat die Zustimmung der Menschen in Rothenburgsort eingeholt hätte, bevor er den Stadtraum Billebogen zum "neuen Chancenraum" erklärte, "in dem Hamburg innovative Entwicklungen - hier bezogen auf Gewerbeflächen - anstoßen und umsetzen wird" [6].

Selbstverständlich beschränken sich solche Entwicklungen nicht auf wirtschaftlich nutzbare Flächen, sondern sind Bestandteil eines stadtpolitischen Gesamtentwurfs, mit dem der lokale Mietenspiegel steigt - und ganz bestimmt nicht fällt. Das ist kein Kollateralschaden einer ansonsten sozial egalitären und inklusiven Form der Stadtentwicklung, sondern strukturelle Grundlage kapitalistischer Verwertungslogik und einer Bewirtschaftung des Raumes als Wachstumsfaktor, die den Fortgang neoliberaler Globalisierung legitimiert und befeuert. An der anwachsenden Konkurrenz weltweit bedeutsamer Handelsmetropolen und Hafenstädte ändern auch protektionistische Grenzziehungen nichts, wie Politiker wie US-Präsident Donald Trump belegen, wenn sie einerseits die Begünstigung nationaler Standorte propagieren, andererseits jedoch den Versuch, das finanzpolitisch getriebene Wachstum durch Zinserhöhungen zu drosseln, bekämpfen.


Silhouette Hafencity und verwaistes Bürogebäude - Fotos: © 2019 by Schattenblick Silhouette Hafencity und verwaistes Bürogebäude - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Zwischen Boomtown und Leerstand
Fotos: © 2019 by Schattenblick

Vergleicht man das, was in dem 2015 im Zuge dieser Planung veröffentlichten Hochglanzprospekt "Billebogen - Made in Hamburg" [7] an baulichen Projekten versprochen wird, mit dem Stand der Entwicklung vier Jahre später, dann scheint kein Anlaß zur Sorge zu bestehen, schon in absehbarer Zeit vor einem ganz neuen Rothenburgsort zu stehen. Wie die Führung mit Ingo Böttcher zeigte, die mitten durch das Entwicklungsgebiet Billebogen verlief, ist die Verwirklichung der ehrgeizigen Planungen des Jahres 2015 noch nicht weit fortgeschritten oder stagniert sogar, wie der damals schon ins Auge gefaßte, aber bis heute nicht begonnene Rückbau der räumlich extensiven Verkehrsführung vor den Elbbrücken zeigt. Zugleich ist der Tenor der Berichterstattung bürgerlicher und öffentlich-rechtlicher Medien über den Stadtteil als eines bislang unentdeckten Quartiers, dessen Umwandlung in eine stadträumliche Expansionszone der Hafencity überfällig ist, ungebrochen. Dementsprechend ist der heutige Stand der Dinge, wenn nichts Unvorhergesehenes geschieht wie etwa das Erheben massiven Einspruchs durch die im Stadtteil lebende und arbeitende Bevölkerung, wohl als Übergangsstadium zu begreifen.


Straßenschilder an Elbbrücken, Wohngebiet mit Bäumen, Elbblick - Foto: © 2019 by Schattenblick Straßenschilder an Elbbrücken, Wohngebiet mit Bäumen, Elbblick - Foto: © 2019 by Schattenblick Straßenschilder an Elbbrücken, Wohngebiet mit Bäumen, Elbblick - Foto: © 2019 by Schattenblick

Was auf der Strecke bleibt ...
Fotos: © 2019 by Schattenblick


Abseits des urbanen Spektakels gemütlich wohnen und leben

Zwischen den wichtigen und bedeutsamen Dingen gelegen und gerade deshalb gemütlich und genügsam dem eigenen Leben zugewandt - ein wenig wirkt Rothenburgsort wie ein aus der Zeit gefallenes Territorium. Die im Innovationsdruck der Hamburger Stadtpolitik manifest werdende Beschleunigung der gesellschaftlichen Entwicklung kann dort, wo es ohnehin nicht viel zu verlieren gibt und daher andere Qualitäten als das Streben nach mehr von allem aufscheinen, kaum verfangen. Nicht nur hier, sondern überall, wo die Sachzwanglogik und der Handlungsdruck auf Verwertung um jeden Preis abonnierter Gesellschaften den Ton angeben, weist die Totalität des Marktes Nischen, Lücken und Brüche auf, in denen eigenständige und eigensinnige Sozialkulturen und Lebenswirklichkeiten erblühen. Rothenburgsort ist gerade dort, wo das von außen getroffene Urteil einen Mangel an Homogenität, Produktivität und Identität feststellen zu müssen meint, dafür prädestiniert, weniger fremdbestimmten und außengelenkten Lebenswirklichkeiten Raum zu geben.

Der im Juli 1943 bei einer der Angriffswellen der von alliierten Bomberflotten durchgeführten Operation Gomorrha total zerstörte Arbeiterstadtteil ist geprägt von den Zweckbauten einer Nachkriegsarchitektur, bei der es vor allem um die schnelle Errichtung von Wohnraum ging, und den Gewerbegebäuden kleiner und mittlerer Wirtschaftsbetriebe. Im Mündungsgebiet der Bille gelegen, die dort in den Oberhafenkanal der Norderelbe fließt, weist das Gebiet, das lange Zeit außerhalb von Hamburg lag und unter dem Namen Billwerder Ausschlag bekannt war, viele Flächen am Wasserrand auf, die von tidenbedingten Ufereinfassungen und Deichstrukturen geprägt sind. Vor dem Hintergrund des von den Elbbrücken in Richtung Elbmündung bis nach Ottensen fast durchgängig modernisierten Hafenrandes, an dem sich heute Bürogebäude und Repräsentativbauten wie eine wertvolle Perlenkette aneinanderreihen, ist klar, daß Grundstücke am Wasser und mit Elbblick Begehrlichkeiten vor allem geldwerter Art wecken.


Bille von Straßenüberquerung aus gesehen - Fotos: © 2019 by Schattenblick Bille von Straßenüberquerung aus gesehen - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Die Bille stromaufwärts und stromabwärts
Fotos: © 2019 by Schattenblick

Im wesentlichen handelte es sich bei Billwerder sowie dem angrenzenden Stadtteil Hamm um dörfliche Gebiete, die zu bewirtschaften die sukzessive Eindeichung der Landschaft und den Bau von Schleusen voraussetzte. Der britische Historiker Richard Evans, der mit "Tod in Hamburg" eine detaillierte Analyse der Hamburger Choleraepidemie von 1892 vorgelegt hat, bezeichnete den Billwerder Ausschlag schon für diese Zeit als ärmsten Stadtteil Hamburgs. Nach dem Ersten Weltkrieg nahm die Bevölkerung von Rothenburgsort auf bis zu 60.000 Personen zu, die das Arbeiterviertel dichtgedrängt bevölkerten. Nach der fast vollständigen Zerstörung 1943 und dem Wiederaufbau in der Nachkriegszeit jedoch verblieb die Bevölkerung etwa beim heutige Stand von rund 9000 Personen.


Autoverkehr und Eisenbahnverkehr - Fotos: © 2019 by Schattenblick Autoverkehr und Eisenbahnverkehr - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Von der Straße auf die Schiene ...
Fotos: © 2019 by Schattenblick

Bis heute durchgetragen hat sich auch der sozial prekäre Status des Stadtteils. So lag die Wahlbeteiligung bei der Bezirks- und Europawahl bei 36 Prozent, während sie im Hamburger Durchschnitt weit über 50 Prozent betrug. Das durchschnittliche Einkommen der steuerzahlenden Bevölkerung liegt in Rothenburgsort etwa bei der Hälfte des Hamburger Durchschnitts, die Quote der EmpfängerInnen von Sozialtransfers nach SGB2 beträgt 20 Prozent und nicht 10 Prozent wie im gesamten Stadtgebiet, die Gymnasialquote liegt dort bei 25 bis 30 und nicht bei 45 bis 50 Prozent wie in ganz Hamburg, und so sind auch die Wohnungsgrößen mit 30 Quadratmetern pro Person im Durchschnitt kleiner als der hamburgweite Wert von 38 Quadratmetern.

Es liegt auf der Hand, daß das politische Gewicht einer solchen Bevölkerung im politischen Getriebe der reichen Hansestadt eher gering ist. Um so unverhohlener kann eine Stadtentwicklung, die in enger Abstimmung mit den privatisierten Agenturen städtischer Wohnungsbaupolitik wie der in städtischem Besitz befindlichen Unternehmensgruppe SAGA GWG, mit privaten Beratungsunternehmen und Akteuren der Immobilienwirtschaft erfolgt, dem ökonomischen Primat des Wohnens frönen. Weitgehend unabhängig davon, welche Partei gerade im Rathaus das Sagen hat, werden sogenannte Quartiersentwicklungskonzepte aufgelegt, deren Ansprüche an eine nachhaltige Stadtentwicklung niemals frei von den Maßgaben des dafür eingesetzten Investivkapitals sind.


Seitenweg von S-Bahn-Station zu Opernwerkstätten - Fotos: © 2019 by Schattenblick Seitenweg von S-Bahn-Station zu Opernwerkstätten - Fotos: © 2019 by Schattenblick Seitenweg von S-Bahn-Station zu Opernwerkstätten - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Verkehrsanbindung für Abenteuerlustige
Fotos: © 2019 by Schattenblick


Rothenburgsort zu Fuß

Vom S-Bahnhof Rothenburgsort, an dessen Ausgang der Jour Fixe in der Enge einer von RadfahrerInnen und Autos vielbefahrenen Straße beginnt, geht es nach einem Zwischenstopp in ruhigerer Umgebung sozusagen hintenrum durch einen tatsächlich von Passanten regulär in Anspruch genommenen Schleichweg auf eine sandige Anhöhe, auf der neben den wie ein überdimensionierter Container wirkenden Opernwerkstätten auf dem Gelände des ehemaligen Huckepackbahnhofs ein hochmodernes Gewerbegebiet entstehen soll. Der dafür vorgesehene "flexible innovative Gebäudetypus" soll laut BBEG als Speicherstadt des 21. Jahrhunderts beeindrucken, doch die Idee eines "gestapelten Gewerbes" so Böttcher, ist so neu nicht. Bereits im 19. Jahrhundert wurden unterschiedliche Gewerbeeinrichtungen vertikal aufeinandergeschichtet, um die vorhandene Fläche besser zu nutzen und eine vorteilhafte Transportlogistik zu installieren.

Bei allem Werben um die Ansiedlung neuer Wirtschaftsunternehmen und Hotels auf dem Gebiet des alten Huckepackbahnhofes, auf dem die Hänger von LKWs zum Weitertransport auf Bahnwaggons verladen wurden, ist doch der immense Lärm, der beim südlichen Zugang zur Hansestadt von der sogenannten Güterumgehungsbahn, der S-Bahn, von Fernzügen und rund 100.000 Autos täglich erzeugt wird, ein den Spaß an dieser Entwicklung trübender Faktor. Und nicht nur das, wie die TeilnehmerInnen des Rundgangs auf physisch eindrückliche Weise erfahren konnten, fällt das Atmen an diesem Verkehrsknotenpunkt aufgrund der Autoabgase spürbar schwer. Nichts davon erfährt man beim Lesen des Werbeflyers, der eine schöne neue Welt der Stadtentwicklung inszeniert, die offensichtlich für körperlose Wesen gedacht ist


Mit Landkarte vor TeilnehmerInnen - Foto: © 2019 by Schattenblick

Ingo Böttcher sach- und ortskundig
Foto: © 2019 by Schattenblick

Auf der Fußgängerbrücke, mit der sich die Billhorner Brückenstraße überqueren läßt, wenn man nicht als Freiwild auf diesem weitgehend ohne Fußgängerampeln auskommenden Konstrukt der einst als automobilgerecht gepriesenen Stadt enden will, befindet man sich quasi im Nirgendwo zwischen der hochmodernen Welt der HafenCity und dem durch die Verkehrsinfrastruktur von der übrigen Stadt abgegrenzten Rothenburgsort. Mit der Brandshofer Schleuse an der Billemündung ist denn auch das Ende des Stadtteils erreicht, der durch eine alte Tankstelle markiert wird, die von Oldtimerenthusiasten liebevoll restauriert wurde.


Radweg unter Brücken und an Wasserschutzwand - Fotos: © 2019 by Schattenblick Radweg unter Brücken und an Wasserschutzwand - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Fahrradschnellstraße OberhafenConnection
Fotos: © 2019 by Schattenblick

Der vom Wasser begrenzte Fußweg am Rande des Oberhafenkanals bildet zugleich die sogenannte OberhafenConnection, die das Deichtor in der Innenstadt mit den Elbbrücken verbindet und den zahlreichen RadfahrerInnen, die den autofreien Weg nutzen, das Weiterfahren nach Wilhelmsburg und Veddel oder Rothenburgsort und Bergedorf ermöglicht. Diese Verkehrsanbindung gehört eindeutig zu den positiven Errungenschaften der Stadtentwicklung, hat aber, so Ingo Böttcher, den Nachteil, daß Rothenburgsort auf ganz neue Weise für Menschen sichtbar wird, die bislang noch nichts von seiner Existenz geahnt haben. Das gilt auch für diejenigen, die in Citynähe eine Wohnung suchen und in diesen Stadtteil ziehen, weil der Weg zur Arbeit nun mit dem Fahrrad, dessen Potential als urbanes Verkehrsmittel noch lange nicht ausgeschöpft ist, nicht nur kurz geworden ist, sondern auch über eine attraktive Streckenführung verfügt.


Hafenbecken mit altem Kran - Foto: © 2019 by Schattenblick

Hafenbecken als Baugrund für den Elbdome ...
Foto: © 2019 by Schattenblick


Elbtower und Elbdome - Kathedralen urbaner Eventkultur

Logistisch betrachtet sind die Elbbrücken, wie der einst in einem imposanten, unter Denkmalschutz stehenden Backsteingebäude untergebrachte Verwaltungssitz der ehemaligen Binnenschiffsreederei Schlesische Dampfer Co. - Berliner Lloyd AG zeigt, so Böttcher, der Begegnungspunkt zwischen einem Hinterland, das weit über Brandenburg hinausging, und dem Seehafen Hamburg. Dem davorgelegenen Hafenbecken, das bei aller Unwirtlichkeit des von Eisenbahnbrücken und Hafenanlagen durchzogenen Gebietes zum Innehalten unter sommerlicher Abendsonne einlädt, ist, wenn der Plan des Senats, dort eine Elbdome genannte Sporthalle für bis zu 8000 Zuschauer zu errichten, allerdings keine lange Zukunft mehr beschert. Es soll zu diesem Zweck zugeschüttet werden.

Doch selbst wenn der Elbdome nicht gebaut würde, wonach es angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Senat nicht aussieht, läge dieser Teil des Billehafens wortwörtlich im Schatten einer spektakulären Landmarke, des 245 Meter hohen Elbtowers. Dessen Errichtung auf einem Grundstück zwischen zwei über die Elbe verlaufenden Verkehrssträngen ist bereits beschlossene Sache, und es bedarf keiner besonderen Fantasie sich vorzustellen, was das für die Zukunft des ganzen Stadtteils bedeutet. In den PR-Materialien zum Elbtower wird das dann dritthöchste Gebäude Deutschlands zwar als Abschlußprojekt oder Schlußstein der Hafencity bezeichnet, doch der dadurch gesetzte Aufwertungsimpuls wird selbstverständlich nicht wenige hundert Meter entfernt davon verpuffen, sondern den ganzen Umkreis des südlichen Zugangs zur Hamburger City auf kostensteigernde Weise transformieren.


Industrieanlagen und Brücken für Bahnverkehr und Elbe - Fotos: © 2019 by Schattenblick Industrieanlagen und Brücken für Bahnverkehr und Elbe - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Industrielogistik
Fotos: © 2019 by Schattenblick

Elbtower und Elbdome sind Signaturen einer Modernisierungspolitik, die Urbanität als Eventkultur zelebriert, deren vertikale Ausrichtung sinnbildlich für den vertieften Klassenantagonismus zwischen arrivierten Eliten und abgehängtem Prekariat steht. Wie in den Straßenschluchten zwischen den Hochhausfassaden metropolitaner Zentren Aufwinde entfesselt werden, die die Luft nach oben reißen, so saugen Kathedralen sinnstiftender Urbanität wie der Elbtower die sozialen und kreativen Energien ihres Umfeldes auf, um sie zu einer Apotheose industrieller und technologischer Leistungsfähigkeit zu überhöhen, deren Leuchtkraft die für diesen baulichen Kraftakt erforderlichen Ausbeutungs- und Zerstörungsprozesse vergessen macht.

In einem Restaurant auf 200 Meter Höhe werden keine Menüs für einkommensarme Menschen angeboten, und Eigentumswohnungen mit spektakulärem Blick über ganz Hamburg sind Investitionsobjekte mit garantierter Wertsteigerung für diejenigen, die nur deshalb mehr Geld aus Geld machen können, weil sie es nicht für das tägliche Überleben ausgeben müssen. Wenn, wie im Fall der Elbphilharmonie, das anfängliche Gemurre der Bevölkerung in Bewunderung ob der architektonischen Gigantomanie umschlägt, dann ist schnell vergessen, daß das an dieser Stelle in schwindelerregende Höhe gestapelte Geld andernorts Löcher reißt, die für die davon Betroffenen den Unterschied ums Ganze, um ein würdiges Leben in Selbstbestimmung oder ein Dasein in permanentem Überlebensstress, ausmachen.


TeilnehmerInnen des Rundgangs vor Entenwerder - Foto: © 2019 by Schattenblick

Rothenburgsort kennenlernen aus direkter Anschauung ...
Foto: © 2019 by Schattenblick


Rothenburgsort vor bewegten Zeiten

An der vorletzten Station des Rundgangs gleich gegenüber dem idyllischen Park Entenwerder berichtet Ingo Böttcher vom Vorhaben der Stadtteilinitiative Mikropol, das große, seit zehn Jahren nicht mehr für seinen eigentlichen Zweck genutzte Gebäude der ehemaligen Bundesmonopolverwaltung für Branntwein in einen Ort der Begegnung und anderer Aktivitäten der BewohnerInnen Rothenburgsorts zu verwandeln [8]. Auch auf sein Eintreten für eine Nutzung des für derartige Zwecke idealen Geländes, mit der dem Anspruch auf Mobilisierung der Zivilgesellschaft zu selbstbestimmten Aktivitäten bestens Genüge getan würde, fällt der Schatten eines Elbtowers, der mindestens bis zu der geplante Fertigstellung 2025 im Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit und städteplanerischer Aktivitäten stehen dürfte, die Rothenburgsort betreffen. Dabei ist auch an die zusätzliche Verkehrsbelastung zu denken, die beim Transport der Baustoffe anfallen wird, die Luftbelastung durch die beim Bau freigesetzten Stäube und den zusätzlichen Lärm der dabei eingesetzten Maschinen. Man darf also gespannt sein, ob die BewohnerInnen dieses bislang eher vernachlässigten Stadtteils dafür zu gewinnen sind, in eigener Sache aufzustehen und die Stimme zu erheben, oder ob sie die anstehende Transformation zu einem integralen Bestandteil der Global City Hamburg klaglos über sich ergehen lassen werden.


Mann mimt Plastik nach - Fotos: © 2019 by Schattenblick Mann mimt Plastik nach - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Angewandte Kunst
Fotos: © 2019 by Schattenblick

Die letzte Etappe des Rundgangs führt durch die sogenannten Streso-Siedlung, ein in den 60er Jahren errichtetes Neubaugebiet, das sich im Besitz der SAGA GWG befindet und bislang mit Quadratmetermieten von bis zu 7 Euro einen in dieser Nähe zur City sehr erschwinglichen Wohnraum bietet. Wie Ingo Böttcher berichtet, betreibe der städtische Wohnungskonzern eine Mietsteigerungspolitik, die man bestenfalls durch Klagen vor Gericht ein wenig ausbremsen könne. Die Initiative Hamburg Wilder Osten habe schon mehrere Prozesse beim Harburger Amtsgericht begleitet, in denen die alle anderthalb Jahre anfallenden Angleichungen an den Mietpreisspiegel ein wenig heruntergehandelt werden konnten.


Marktplatz Rothenburgsort - Foto: © 2019 by Schattenblick

Im Zentrum des Stadtteils und doch woanders ...

Foto: © 2019 by Schattenblick

Der Marktplatz im Zentrum Rothenburgsorts wurde vor sechs Jahren umfassend modernisiert. Für den Stadtteil war dies trotz der ästhetisch zweckförmigen Investorenarchitektur durchaus ein Gewinn im Vergleich zum vorherigen Zustand, der den Eindruck fortwährenden Verfalls erweckte. Im Endeffekt wird die Atmosphäre, die das Quartier bestimmt, nicht von seinen Bauwerken, sondern den Menschen, die in ihm leben, geprägt. Die hohe Diversität in Rothenburgsort ist jedenfalls eine gute Voraussetzung für ein Zusammenleben, das die von der nationalistischen Rechten eingezogenen Trennlinien und provozierten Konfrontationen gar nicht erst entstehen läßt. Schon die nähere Zukunft wird diesen Ort, der unmittelbar an höchst ehrgeizige städtebauliche Projekte grenzt, mit Veränderungen überziehen, die es geboten erscheinen lassen, das alte Rothenburgsort noch einmal zu besuchen, um aus eigener Anschauung etwas über die massiven Auswirkungen urbaner Transformationsoffensiven in der neoliberalen Stadt zu lernen.


Wohnblock, Igelskulptur, TeilnehmerInnen des Rundgangs - Foto: © 2019 by Schattenblick

Stadtentwicklung von unten betrachtet
Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] https://www.hamburg.de/sehenswertes-rothenburgsort/

[2] BERICHT/132: Kapitalismus final - Goldrausch urban (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0132.html

[3] BERICHT/010: Planspiel Stadtbereinigung - Hamburg im Umbruch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0010.html

[4] BERICHT/012: Planspiel Stadtbereinigung - Öffnet die Tore der neuen Zeit (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0012.html

[5] http://www.buergerschaft-hh.de/ParlDok/dokument/49583/stromaufwärts-an-elbe-und-billeentwicklung-des-billebogens-durch-die-"billebogen-entwicklungsgesellschaft-mbh-co-kg".pdf

[6] a.a.O.

[7] https://www.hafencity.com/upload/files/files/Billebogen.pdf

[8] https://taz.de/!5565074/


10. Juli 2019


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