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INTERVIEW/004: Der Flüchtling - Entledigungsprozeß Miroslav Redzepovic (SB)


Interviews mit Miroslav Redzepovic und Rechtsanwalt Enno Jäger am 5. April 2012



Die Lebens- und Leidensgeschichte Miroslav Redzepovics öffnet den Blick in die finsteren Abgründe deutscher Asylpolitik und -praxis. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Humanität und Menschenwürde mit Füßen getreten werden, wo Abschottung gegen Zuwanderung aus Gründen der Armut und Verfolgung die Feder führt. Politische Weichenstellungen münden in administrative Zwangsmaßnahmen, die jedem Mitgefühl und Gerechtigkeitsempfinden spotten. Müßten nicht in einem Land, das sich aufgrund seiner historischen Verantwortung in besonderem Maße verpflichtet sehen sollte, Drangsalierten Aufnahme zu gewähren und jede Unterscheidung menschlichen Lebensrechts aus dem Feld zu schlagen, Menschlichkeit und Unduldsamkeit die Stimme erheben, wenn man die folgende Lebensgeschichte liest?

Miroslav Redzepovic ist ein heute 23jähriger Rom, der 1991 im Alter von zwei Jahren mit seiner Familie aus dem ehemaligen Jugoslawien, wo der Kriegsausbruch bevorstand, nach Deutschland geflohen war. Die Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit und mit einer Perspektive erfüllte sich für diese Menschen nicht. Im niedersächsischen Syke lebten sie über Jahre mit bloßer Duldung, untergebracht unter unwürdigen Bedingungen im Flüchtlingsheim "Deutsche Eiche". [1] Für die Familie kam eine Rückkehr nach Serbien nicht in Frage: Mochte der Krieg auch vorüber sein, so war der Haß auf die Roma dort nach wie vor virulent. Daher fürchteten die Eltern zu recht Übergriffe und ein Leben im Elend. [2]

© 2012 by Schattenblick

Miroslavs Vater protestierte im November 2002 auf tragische und verzweifelte Weise gegen die prekäre rechtliche und soziale Situation seiner Familie, indem er sich im Syker Rathaus mit Benzin übergoß, anzündete und kurz darauf verstarb. Ungeachtet der Folgen für Miroslav, seine Mutter und seine vier Geschwister wurde die Familie im Jahre 2004 nach Serbien abgeschoben.

Nach mehreren Mißhandlungen auf serbischen Polizeiwachen entschloß sich Miroslav im Jahre 2010 zu einer Flucht zurück nach Deutschland, wo er sich zu Hause fühlte. Als er im Oktober 2010 ohne gültige Aufenthaltspapiere aufgegriffen und in Abschiebehaft genommen wurde, faßte er unter panischer Angst den Entschluß, sich das Leben zu nehmen, was noch in letzter Minute verhindert werden konnte. Seither kämpft er für ein dauerhaftes Bleiberecht.

Die Bearbeitung des Antrags auf humanitären Aufenthalt verschaffte Miroslav die Frist, eine Therapie zu beginnen, die für ihn von elementarer Bedeutung ist. Sein Zustand verbesserte sich erheblich, wenn auch in kleinen Schritten, sind doch die schrecklichen Ereignisse der Vergangenheit nach wie vor präsent. Obgleich er weiter in größter Unsicherheit lebte, begann er langsam wieder Lebensmut zu schöpfen.

Ende Februar 2012 wurde jedoch der von seinem Anwalt gestellte Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 (AufenthG) abgelehnt. Der daraufhin eingelegte Widerspruch gegen die Verfügung der Behörde für Inneres und Sport wurde umgehend abgeschmettert. Miroslav sei "flugtauglich" und "nicht in Deutschland verwurzelt", erklärte die Behörde im Ablehnungsbescheid und drohte mit der Abschiebung. "Das wäre für ihn die größte vorstellbare Katastrophe", schrieb der Hamburger Psychiater Michael Brune, bei dem Redzepovic in Behandlung ist, in einer Stellungnahme. Als letzter rechtlicher Schritt blieb ein Eilantrag beim Verwaltungsgericht Hamburg, um die erneute Abschiebung zu verhindern.

Da die Aussicht auf einen juristischen Erfolg derzeit als gering bezeichnet werden muß, setzen Unterstützer in den Flüchtlingsräten verstärkt auf eine breit angelegte Kampagne. Sie hoffen, durch die Einbeziehung möglichst vieler Menschen aus unterschiedlichen Zusammenhängen, durch vielfältige Solidaritätsbekundungen und Aktionen, den Druck auf die politischen EntscheidungsträgerInnen so zu erhöhen, daß Miroslav endlich einen sicheren Aufenthaltsstatus bekommt. Eine Sicherheit, die er braucht, um seine schrecklichen Erfahrungen zu verarbeiten und sich endlich ein Leben in Würde und mit Perspektive aufzubauen. [3]

Um die derzeitige Lebenslage Miroslav Redzepovics und die aktuellen juristischen Möglichkeiten zu dokumentieren, führte der Schattenblick Telefongespräche mit ihm selbst sowie seinem Anwalt Enno Jäger.

Telefoninterview mit Miroslav Redzepovic

Schattenblick: Wir haben Ihre Lebensgeschichte in den letzten Jahren verfolgt, soweit das aus der Ferne möglich ist, und möchten Sie fragen, wie es Ihnen im Moment geht.

Miroslav Redzepovic: Was soll ich sagen, ich habe ständig Angst, weil ich nicht weiß, was passieren wird. Ich habe Schlafstörungen, Alpträume, ich fühle mich einfach schlecht.

SB: Das ist natürlich in Ihrer Situation absolut nachvollziehbar. Darf ich fragen, wo Sie im Augenblick leben?

MR: Ich lebe in Hamburg.

SB: Wohnen Sie dort bei Freunden oder Bekannten?

MR: Nein. Ich lebe in einer Wohnunterkunft namens "Fördern und Wohnen" zusammen mit meiner Freundin in einem Zimmer.

SB: Das heißt, daß Ihre Freundin Sie unterstützt, so daß Sie nicht ganz allein leben müssen.

MR: Auf jeden Fall. Wenn meine Freundin nicht da wäre, wüßte ich nicht, was ich machen soll.

SB: Sie sind ja in Ihrem Leben reichlich herumgeworfen und in verschiedene Situationen gestoßen worden. Haben Sie denn sonst noch Kontakte zu Freunden in Deutschland?

MR: Eigentlich nicht, nur meine Tante lebt hier.

SB: Haben Sie noch Kontakt zu Ihren Angehörigen in Serbien? Wissen Sie, wie es ihnen geht?

MR: Nein. Ich habe mit meiner Mutter seit 2006 keinen Kontakt mehr.

SB: Darf ich Sie fragen, wie Sie finanziell über die Runden kommen? Bekommen Sie finanzielle Unterstützung?

MR: Ich bekomme 224 Euro vom Sozialamt.

SB: Der Flüchtlingsrat unterstützt sie ja unter anderem durch eine Kampagne, die er initiiert hat. Wie kam eigentlich der Kontakt zum Flüchtlingsrat zustande? Sind Sie selber auf ihn zugegangen oder ist er damals von sich aus initiativ geworden?

MR: Ich kenne Katrin, die sich in einer Organisation für Flüchtlinge engagiert, schon über zehn Jahre lang. Als ich ein kleiner Junge war und mein Vater noch gelebt hat, kannte ich sie schon.

SB: Sie haben in Serbien sehr schwierige Zeiten durchgemacht.

MR: Ja.

SB: Ob Sie mir wohl dazu noch etwas sagen wollen oder können?

MR: Ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen soll. Ich wurde dort insbesondere von Polizisten wie ein Stück Scheiße behandelt.

SB: Hing das mit Ihrer Volksgruppe zusammen?

MR: Ja. Nur deswegen. Nur weil ich ein Zigeuner war, wurde ich wie Scheiße behandelt.

SB: Haben Sie so etwas auch in Deutschland erlebt?

MR: Nein. Sonst wäre ich ja nicht hier. In Deutschland fühle ich mich zu Hause, das ist meine Heimat.

SB: Wenn man es selber nie erlebt hat, kann man sich wohl kaum vorstellen, wie es einem Menschen geht, der wie Sie größtenteils in Deutschland aufgewachsen ist und deutsch spricht, aber dennoch gezwungen werden soll, das Land zu verlassen. Das mutet geradezu aberwitzig an.

MR: Mir ist die deutsche Sprache viel vertrauter, Serbisch verstehe ich vielleicht zu zwanzig Prozent. Deutsch spreche ich besser als meine Muttersprache.

SB: Im Grunde könnte man also sagen, daß Ihre Heimat eher hier als in Serbien ist?

MR: Auf jeden Fall. Ich fühle mich hier zu Hause. Wie soll ich Ihnen das sagen, ich fühle mich wie ein Deutscher. Ich bin mit der deutschen Mentalität vertraut, ich mag beispielsweise deutsches Essen, ich mag Bier, das ich jetzt allerdings nicht trinken darf, weil ich Medikamente einnehmen muß. Deutschland ist meine Heimat, ich kenne keine andere, denn hier bin ich aufgewachsen.

SB: Ich möchte Sie noch fragen, was Sie gerne in Zukunft machen würden, wenn Sie in Deutschland bleiben können. Welchen Beruf möchten sie ergreifen?

MR: Mein Traum ist es, Koch zu werden, und ich hoffe und bete zu Gott, daß ich das irgendwann einmal schaffe. Aber das kann ich nur hier in Deutschland schaffen, verstehen Sie?

SB: Ja.

MR: Ich möchte arbeiten, eine eigene Wohnung mieten, den Führerschein machen und ein Auto haben. Ich möchte wissen, daß ich jeden Morgen aufstehen und wie jeder normale Mensch zur Arbeit gehen kann und nicht für 200 Euro den ganzen Monat lang vom Sozialamt leben muß. Das reicht von vorne bis hinten nicht. Das wäre meine Zukunftsperspektive, wenn mir Gott helfen würde. Ich habe sowieso alles in meinem Leben verloren. Wenn man mir auch das noch wegnimmt, habe ich keinen Grund zu leben. Ich bin am Ende und hoffe nur, daß alles klappen wird.

SB: Kann man das überhaupt anderen Menschen vermitteln, die Ihre Situation nicht kennen?

MR: Wie denn? Ich wünsche nicht einmal meinem schlimmsten Feind, daß ihm das widerfährt, was ich erlebt habe.

SB: Haben Sie in früheren Jahren schon Kontakt zu anderen Medien gehabt und dabei möglicherweise Erfahrungen gemacht, die nicht so gut waren?

MR: Eigentlich nicht. Das ist jetzt sozusagen mein erstes Mal. Vermittelt durch Katrin habe ich früher einige Interviews gegeben. Ich fühle mich dabei auch nicht gut.

SB: Wir freuen uns jedenfalls sehr, daß wir Gelegenheit hatten, mit Ihnen zu sprechen, und veröffentlichen dieses Interview in der Hoffnung, daß mehr Menschen Einblick und Gefühl bekommen, wie es Ihnen ergeht, und wir zu Ihrer Unterstützung beitragen können.

MR: Das wäre super. Ich danke euch allen.

SB: Wir bedanken uns für dieses Gespräch und wünschen Ihnen alles Gute für die Zukunft.

*

Ist es ein unrealistischer Wunsch, sich hierzulande zum Koch auszubilden zu lassen? Herrscht in dieser Branche ein solcher Mangel an Arbeitsplätzen, daß man es als aussichtslos bezeichnen müßte, diesen Berufsweg einzuschlagen? Der Schattenblick hatte bei seiner aktuellen Recherche nicht diesen Eindruck, listete die Jobbörse gigajob [4] im gesamten Bundesgebiet doch 2.386 entsprechende Stellenangebote auf, während kimeta [5] sogar 15.604 Stellenanzeigen in der Gastronomie aufführte.

*

Telefoninterview mit Rechtsanwalt Enno Jäger
"Ich bin sehr froh über die Solidaritätsarbeit"

Der Hamburger Rechtsanwalt Enno Jäger vertritt Miroslav Redzepovic juristisch in seinem Kampf um ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland und ist aktuell darum bemüht, seinen Mandanten vor der ihm nach der Entscheidung der Hamburger Ausländerbehörde, ihm nicht nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes einen "humanitären Aufenthalt" zu gewähren, drohenden Abschiebung nach Serbien zu bewahren.

Schattenblick: Miroslav Redzepovic, Ihr Mandant, ist akut von Abschiebung bedroht. Wie würden Sie seine aktuelle Verfassung beschreiben?

Enno Jäger: Wenn ich vielleicht etwas korrigieren darf: Akut bedroht ist er nicht, er ist im Prinzip von der Abschiebung bedroht. Im Moment hält die Ausländerbehörde still. Das bedeutet, daß in den nächsten zehn Tagen nichts passieren wird. Die Situation ist natürlich so: Er hat damals, als er erfuhr, daß das Bundesamt [6] seinen Asylantrag abgelehnt hat - das war im Dezember 2010 -, einen Selbstmordversuch in der Haftanstalt Billwerder unternommen, der Gott sei Dank mißglückt ist. Er ist gerade noch rechtzeitig gefunden worden. Seitdem befindet er sich in psychiatrischer Behandlung. Die Mitteilung, daß die Ausländerbehörde meinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt hat, hat ihm natürlich nicht gutgetan. Er ist daraufhin wieder ziemlich ins Wanken geraten. Sein Arzt war natürlich auch alles andere als erfreut darüber und sieht, wie sehr Miroslav unter diesem Druck leidet. Die Stabilisierung, die bei ihm so ein bißchen erreicht werden konnte, ist dadurch wieder in Frage gestellt worden.

SB: Sie haben versucht, für Ihren Mandanten einen humanitären Aufenthaltsstatus zu erwirken. Wie haben Sie diesen Antrag, der inzwischen abgelehnt wurde, begründet?

EJ: Ich habe ihn zum einen mit der akuten psychischen Situation begründet unter Beifügung eines Attestes des behandelnden Arztes, das relativ frisch ist von Ende Februar. Zum anderen habe ich behauptet, daß er ein sogenannter "faktischer Inländer" ist, was möglicherweise rechtlich nicht haltbar ist, weil es eine bestimmte Rechtsprechung dazu gibt, aber immerhin doch argumentativ verwendet werden kann, weil Miroslav von seinen 24 Lebensjahren 16 in Deutschland verbracht hat - 14‍ ‍vor seiner ersten Abschiebung und jetzt noch einmal knapp zwei Jahre nach seiner Wiedereinreise. Das habe ich zur Begründung angeführt, weil er auch deutlich besser deutsch spricht als serbokroatisch, was er nur ein bißchen kann. Er spricht natürlich seine Muttersprache, Romani, und spricht sehr gut - ich finde akzentfrei - deutsch und wie gesagt kaum serbokroatisch, so daß ich finde und davon ausgehe, daß sein Lebensmittelpunkt hier in Deutschland ist und seine maßgebliche Entwicklung hauptsächlich hier stattgefunden hat.

SB: Wie hat denn die Behörde die Ablehnung begründet?

EJ: Genau damit, daß das nicht der Fall sei, daß er nämlich die wesentlichen Jahre, in denen er vom Jugendlichen zum Mann heranreifte, in der Heimat verbracht habe, also die Zeit zwischen 16 und 22. Mit 16 wurde er abgeschoben, mit 22 ist er wiedergekommen. Das sei eine prägende Zeit, wo die maßgeblichen Weichenstellungen und die entscheidenden Entwicklungsschübe stattfänden und das sei ja schließlich in Serbien geschehen und nicht in der Bundesrepublik. Damit haben sie es begründet. Und sie haben gesagt, daß die medizinische Untersuchung bei der Ausländerbehörde selber durch einen Flugmediziner und eine Psychologin oder Psychiaterin - das kann ich jetzt nicht mehr genau sagen - keine Veranlassung gegeben habe, nicht auf einer Ausreise zu bestehen.

SB: Da stehen zwei Auffassungen gegeneinander. Nun ist aber der Widerspruch gegen diese Verfügung auch schon abgelehnt worden. Ist das nicht, sagen wir einmal, ein Skandal, daß da überhaupt keine Möglichkeit besteht, diese Frage weiter zu verhandeln?

EJ: Nun, es geht ja weiter. Ich habe heute morgen beim Verwaltungsgericht einen Eilantrag gestellt und eine Klage gegen diese Ablehnung durch die Ausländerbehörde eingereicht. Jetzt müssen wir sehen, wie das Verwaltungsgericht damit umgeht. Ich versuche jetzt, die sogenannte "aufschiebende Wirkung" [7] anordnen zu lassen durch das Gericht. Das habe ich beantragt und habe das erneut damit begründet, daß Miroslav psychisch wieder destabilisiert ist und weiterer Behandlung bedarf und daß die Auffassung der Behörde hier nicht ausreicht. Die geht nur davon aus, daß er quasi von A nach B transportiert werden kann im Beisein eines Arztes und was danach ist, liege dann bei den serbischen Behörden. Da übernimmt die Ausländerbehörde natürlich keine Verantwortung. Ich sage das einmal ganz sachlich und will da gar keine Vorwürfe mit verbinden, weil so nun einmal die Rechtslage ist.

SB: Wie schnell wird Ihrer Erfahrung nach über Ihren Antrag auf "aufschiebene Wirkung" entschieden werden?

EJ: Das ist unterschiedlich, das kann sehr schnell gehen. Ich hoffe aber, daß sie sich hier eingehend damit befassen und sich vor einer Entscheidung auch noch einmal die Akten der Ausländerbehörde dazu ansehen, die regelmäßig angefordert werden. Das Gericht kann aber auch aus eigener Anschauung demnächst entscheiden, also theoretisch schon am Dienstag nach Ostern. Praktisch wird das nicht passieren, und sie werden sich das gerade angesichts der Ereignisse, die Ende 2010 geschehen sind, sprich seines Suizidversuchs in der JVA Billwerder, hoffentlich gut überlegen und genauer hingucken.

SB: Wir würden gern noch einmal auf die gesamte Situation der Familie zu sprechen kommen, die, als Miroslav zwei Jahre alt war, nach Deutschland geflohen ist. Ihr Asylantrag wurde 1993 abgelehnt und sie lebte dann unter unzumutbaren Zuständen in einer Flüchtlingsunterkunft.

EJ: Sie wurde geduldet, schlicht geduldet [8]. Ich weiß nicht genau - ich habe Miroslav damals nicht vertreten -, worauf das zurückzuführen war. Es könnte daran gelegen haben, daß sie keine Pässe hatten. Ich kann nur spekulieren, warum das so war, aber sie sind dann tatsächlich von 1993 bis 2004 in Syke geduldet worden.

SB: Nach dem tragischen Tod des Vaters wurde die Familie dann doch abgeschoben. Miroslav kehrte 2010 allein nach Deutschland zurück. Diese Rückkehr, ohne gültige Papiere, kam ja wohl eher einer Flucht gleich.

EJ: Das war eine Flucht, das ist richtig.

SB: Wie war seine Situation zuvor in Serbien gewesen, die ihn dazu veranlaßt hat, nach Deutschland zu fliehen?

EJ: Er hatte sich nach der Abschiebung 2004 von dem Rest seiner Familie getrennt und war dann alleine bei seiner Großmutter untergeschlüpft. Dort hatte er etwa zwei, zweieinhalb Jahre verbracht, bevor er dann irgendwie mit der serbischen Polizei aneinandergeriet. Die hatten ihn irgendwie überprüft oder ihm irgendwelche Vorwürfe gemacht. Und dann gab es, wie ich jetzt einmal sage, rassistische Übergriffe. Er wurde dann auf der Wache mißhandelt und wurde nur durch einen netten, weiteren Polizisten heimlich wieder freigelassen. Also: Er war in Gewahrsam gewesen und dort mißhandelt worden und hatte panische Angst bekommen. Er ist dann zu einem Onkel geflüchtet, bei dem er dann allerdings weitere drei oder dreieinhalb Jahre blieb, was formal gesehen für ein Asylverfahren hier in Deutschland natürlich nicht die optimale Situation ist. Dann ist er 2010 über Österreich nach Deutschland gekommen. So war das. Er hat in Serbien nie, nennen wir es einmal so, normal und frei leben können, sondern hat sich eigentlich die Hälfte der Zeit vor den Behörden versteckt, weil er eine panische Angst vor der serbischen Polizei hatte.

SB: Wenn ihm in Serbien Mißhandlungen oder auch Folter drohen, wäre das nicht ein absoluter Abschiebungshinderungsgrund?

EJ: Ja, wenn wir das belegen könnten, wenn das wahrscheinlich wäre! Die Rechtsprechung ist da relativ zurückhaltend. Nur seine Behauptung reicht da für die Gerichte natürlich nicht aus. Das ist klar, das ist das Problem.

SB: Nun ist es ja schlechterdings unmöglich, eine solche Gefahr von der anderen Seite bestätigt zu bekommen. Ist das die übliche Praxis in solchen Fällen?

EJ: Sie müssen sehen, daß wir hier eine Zeit von dreieinhalb Jahren haben, die seit diesen Ereignissen verstrichen ist. Das Gesetz fordert einfach einen Zusammenhang zwischen Flucht und fluchtauslösendem Ereignis. Das Ereignis, die Mißhandlungen durch die Polizei, war dreieinhalb Jahre vor seiner Flucht. Da ist es dann ein bißchen schwierig, rechtlich da heranzukommen.

SB: Nicht minder schwierig war es dann wohl auch, den Asylantrag, den Ihr Mandant 2010 gestellt hat und dessen Ablehnung seinen Suizidversuch ausgelöst hat, rechtlich zu begründen. Haben Sie ihn damals schon vertreten?

EJ: Nein, ich bin erst nach dem Selbstmordversuch involviert worden.

SB: Der Rechtsweg ist jetzt weitgehend abgeschlossen, oder?

EJ: Die Asylangelegenheit ist vom Tisch. Das Verwaltungsgericht hat seinerzeit den Eilantrag abgelehnt, woraufhin ich dann die Asylklage zurückgenommen habe. Derzeit laufen die Klage wegen der Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis und der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung.

SB: Das sind dann im Grunde die letzten rechtlichen Möglichkeiten?

EJ: Das sehe ich im Moment als die letzten Möglichkeiten an, was diese Sache betrifft. Ich will allerdings noch einen weiteren Antrag stellen, und zwar an das Bundesamt [6]. Die Ausländerbehörde sagt ja: Wir sind nur dafür zuständig zu beurteilen, was in diesem Land ist, also wie krank Miroslav hier ist und ob er reisefähig ist. Das ist das, was die Ausländerbehörde macht. Das klingt zynisch, ist aber so. Das Bundesamt ist für alle Fragen zuständig, die sich mit den Abschiebungshindernissen befassen, die sich aus einem zielstaatsbezogenen Grund ergeben könnten. Das wäre zum Beispiel jetzt eine drastische Verschlechterung seiner gesundheitlichen Situation. Wenn davon auszugehen ist, daß er nach einer Abschiebung in seine Heimat dort nicht angemessen behandelt werden würde und seine Situation sich drastisch verschlechtern würde, wäre das ein sogenanntes zielstaatsbezogenes Hindernis. Das müßte das Bundesamt dann berücksichtigen, das ist eine Zuständigkeitsregelung. Bei inlandsbezogenen Hindernisgründen, sprich Reiseunfähigkeit oder akuter Krankheit, sind die Ausländerbehörden zuständig; bei zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen, sprich Verschlechterung des Zustandes, ist das Bundesamt zuständig.

SB: Ich möchte noch einmal zurückkommen auf das humanitäre Aufenthaltsrecht. Wenn man sich Miroslavs Lebensgeschichte so anschaut, müßte sie doch geradezu als ein paradigmatischer Fall für humanitäre Gründe gelten, eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Wie schätzen Sie die Haltung der Behörden ein, warum sie dies abgelehnt haben?

EJ: Ich glaube, es läuft hier auf eine politische Entscheidung hinaus. Die Behörden, die das abgelehnt haben, sehen keine Veranlassung, hier etwas zu machen. Möglicherweise sieht das Bundesamt das ein bißchen anders. Das werde ich dann feststellen, wenn ich dort den Antrag stelle, was ich gleich nach Ostern machen werde. Rechtlich kommen Sie da nicht immer ran. Auch wenn man sagt, das ist ein Fall, wo sich das geradezu aufdrängt, können Sie das rechtlich nicht unbedingt durchsetzen. Es mag durchaus sein, daß Sie letztlich nur noch den Weg haben, eine politische Entscheidung zu suchen zum Beispiel durch die Solidaritätsarbeit, die derzeit stattfindet und über die ich sehr froh und für die ich sehr dankbar bin. Andererseits können Sie versuchen, über eine Petition in die Härtefallkommission zu kommen und dort irgendwas zu bewirken. In beiden Fällen sind das dann freie politische Entscheidungen. Das wird letztlich, wie ich befürchte, das Ergebnis sein. Es wäre schön, wenn es juristisch noch geregelt werden könnte in unserem Sinne, aber ich kann nicht zusagen, daß das eintreffen wird.

SB: Vielen Dank, Herr Jäger, für dieses ausführliche Interview.


Fußnoten:

[1]‍ ‍http://endofroad.blogsport.de/2012/03/30/bleiberecht-fuer-miroslav-redzepovic/

[2]‍ ‍http://www.taz.de/!90577/

[3]‍ ‍http://www.nds-fluerat.org/8043/aktuelles/faxkampagne-gegen-die-drohende-abschiebung-von-miroslav-redzepovic/

[4]‍ ‍http://de.gigajob.com/index.html?sid=5c0d53029c9ba118cafab2a87a840b4f

[5]‍ ‍http://www.kimeta.de/kiSearch_Guest.aspx

[6]‍ ‍Gemeint ist das "Bundesamt für Migration und Flüchtlinge" (BAMF) mit Sitz in Nürnberg, das bis 2004 "Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge" hieß und zuständig ist für Entscheidungen über Asylanträge und Abschiebeschutz.

[7]‍ ‍Zur Erläuterung: Wenn gegen eine Verwaltungsmaßnahme wie etwa eine Abschiebung geklagt wird, hat diese Klage juristisch nicht automatisch zur Folge, daß die Abschiebung nicht durchgeführt werden kann. Die "aufschiebende Wirkung" einer solchen Klage muß deshalb eigens beantragt werden. Stimmt das Gericht dem nicht zu, ist es juristisch möglich, daß die Behörde "Fakten schafft" und eine Abschiebung durchführen läßt, obwohl diese Frage noch vor Gericht geklärt werden soll und dabei zu dem Ergebnis führen könnte, daß der Betroffene, aus welchen rechtlichen Gründen auch immer, nicht abgeschoben werden darf.

[8]‍ ‍Eine "Duldung" im ausländerrechtlichen Sinne bedeutet, daß die Behörden bzw. Gerichte davon ausgehen, daß der oder die betroffenen Ausländer eine Pflicht zur Ausreise haben, die im Prinzip auch zwangsweise durchgesetzt werden kann. Diese Abschiebung wird bei einer Duldung lediglich zeitweise ausgesetzt, weshalb ein solcher Status keinen sicheren Abschiebungsschutz beinhaltet und für die Betroffenen eine extrem unsichere Situation schafft, die insbesondere dann, wenn sie über längere Zeit anhält, zu schwersten Belastungen führen kann. In diesem Fall sind die Gründe, die Milos Redzepovic, den Vater von Miroslav Redzepovic, am 15. November 2002 dazu veranlaßt haben, sich vor dem Syker Rathaus anzuzünden, woran er am darauffolgenden Tag verstarb, auch in diesem Bereich zu vermuten.

7.‍ ‍April 2012