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INTERVIEW/011: La ZAD - zwei Welten, ein Grund (SB)


Gespräch mit der Aktivistin Sophie am 13. April 2013 in La ZAD



Die deutsche Aktivistin Sophie lebt mit ihrer Familie seit mehreren Jahren in der besetzten Zone. Im Gespräch mit dem Schattenblick erzählt sie von ihren Gründen, an diesem Ort exemplarisch den Kampf gegen den geplanten Flugenhafenbau wie auch den Kapitalismus als solchen zu führen. Sie berichtet von äußeren und inneren Konflikten des Widerstands, ihrem Verhältnis zu Medien und Parteien wie auch den langsamen, aber spürbaren Fortschritten in der Zusammenarbeit mit der bäuerlichen Bevölkerung.

Fensterscheibe mit zwei Plakaten - Foto: © 2013 by Schattenblick

Gegen den Flughafen und sehr viel mehr ...
Foto: © 2013 by Schattenblick


Schattenblick: Sophie, ihr seid durchgängig mit der Polizeipräsenz konfrontiert. Welche Erfahrungen habt ihr dabei gemacht?

Sophie: Die Polizei hat mehrere Straßensperren errichtet, an denen Kontrollen durchgeführt werden. Manchmal werden Autos komplett auseinandergenommen, in anderen Fällen geht es ohne Probleme ab. Man weiß nie, wie sich die Polizei verhalten wird, da ihr Auftreten das gesamte Spektrum von Freundlichkeit bis zu Unmenschlichkeit abdeckt, wie sie es eben gerne macht, wenn sie ihre Autorität ausspielt. Derzeit hat sich die Polizei zurückgezogen, doch wir befürchten, daß sie bald wiederkommen wird. Daher sollten wir wachsam bleiben.

SB: Wir haben heute bei unserer Anfahrt kaum Polizei gesehen. Könnte das darauf zurückzuführen sein, daß sie sich zurückhält, weil viele Leute in der besetzten Zone erwartet werden?

S: Es war schon bei der Wiederbesetzungsdemo im letzten November so, daß die Polizei Abstand gehalten hat. Ich vermute, daß sie auch heute eine größere Beteiligung erwartet hat. Auf jeden Fall legt die Polizei auf die Berichterstattung der Medien großen Wert und muß befürchten, daß bei einem Angriff auf die ZAD rund 200 Kollektive in ganz Frankreich aktiv werden, die Präfekturen besetzen oder andere Aktionen durchführen. Seit Oktober haben sich sehr viele Menschen engagiert und in diesen Kollektiven zusammengeschlossen, um überall im Land reagieren zu können. Ich denke, das nehmen die Behörden ernst.

SB: Auf der heutigen Demonstration und bei der Kundgebung waren verschiedene bürgerliche Medien präsent. Unter den Aktivisten wurden Stimmen laut, die damit nicht einverstanden waren und sich dagegen verwahrten, auf diese Weise zum Objekt der Beobachtung gemacht zu werden. Wie siehst du das? Muß man aus deiner Sicht zwischen verschiedenen Medien unterscheiden, und hältst du sie unter Umständen für ein Mittel, größere Öffentlichkeit zu schaffen?

S: Ich denke, aggressives Verhalten gegenüber den Medien macht überhaupt keinen Sinn. Allerdings hatten wir den ganzen Winter über das Problem, daß sich Pressevertreter ungefragt hier herumgetrieben sogar unsere Meetings infiltriert haben. Dieses Verhalten trägt natürlich nicht gerade zu einer Verbesserung der Beziehungen bei. Wenn wir jedoch zu Aktionen wie der heutigen aufrufen, müssen wir uns darüber im klaren sein, daß es ein Medienspektakel wird. Die Journalisten in dieser Situation verbal anzugreifen, bringt uns meines Erachtens nicht weiter. Ich sehe zu, daß ich mich selber schütze und nicht filmen lasse, wenn ich das nicht will. Das ist für mich dann eine individuelle Frage und keine politische mehr. Teilt man diese Auffassung nicht, darf man gar nicht erst anfangen, solche großen Aktionen zu machen.

SB: Welche Erfahrungen habt ihr mit der Berichterstattung gemacht? Gab es dabei Unterschiede zwischen örtlichen und überregionalen Medien?

S: Mit den örtlichen Medien hatten wir in der Vergangenheit sehr große Probleme. Einige Leute leben ja schon über fünf Jahre in der besetzten Zone, und in all dieser Zeit wurden sie als Diebe und Taugenichtse diskreditiert, die den Kampf ausnutzten, um sich ein gemütliches Leben zu machen. Solche Berichte haben gute Beziehungen zu den Medien natürlich nicht gerade gefördert. Als vom 16. Oktober an eine riesige Welle der Solidarität heranrollte, haben die örtlichen Medien ihr Fähnchen ein wenig nach diesem Wind gehängt. Auffällig war hinsichtlich der überregionalen Medien, daß in der Folge des Regierungswechsels uns zuvor feindlich gesonnene Blätter wie der Figaro plötzlich ganz freundlich wurden. Wir haben diese Kehrtwende anfangs überhaupt nicht verstanden, bis uns ein netter Journalist aufgeklärt hat. Alle großen Medien haben eine Verbindung zur Politik. So ändert sich die Berichterstattung, je nachdem, wer gerade an der Macht ist. Als wir dann ganz gezielt die PS angegriffen und dazu aufgerufen haben, sie zu sabotieren, hat das natürlich vielen linken Magazinen wie beispielsweise Liberation überhaupt nicht geschmeckt. Die Berichterstattung über uns wurde daher von seiten der Redaktionen massiv zensiert, wie uns auch Journalisten berichtet haben.

SB: Es gibt also einzelne Journalisten, die solche Anweisungen von höherer Stelle nicht befürworten?

S: Sehr viele sogar. Als Jacques Auxiette [Präsident der Region Pays de la Loire und Vorsitzender des sogenannten gemischten Konsortiums für den Flughafenbau - Anm. d. Red.] und andere Befürworter des Flugenhafenbaus einmal 300.000 Euro in eine Lobbykampagne über Facebook und andere Internetplattformen investiert haben, um dieses Projekt voranzutreiben, haben wir das aufgegriffen und weitergetragen. Teile der Presse, die uns freundlich gesonnen waren, haben als zutiefst undemokratisch skandalisiert, daß hier mit Steuergeldern Lobbyarbeit betrieben wurde. Ein paar Monate später hat die Regionalregierung sogar fast eine Million Euro investiert, um sich bei France Bleu und anderen Sendern einzukaufen. Das stieß bei verschiedenen Medien auf geharnischte Kritik, da ein Verlust der journalistischen Freiheit moniert wurde.

Wir hatten den ganzen Winter über Gelegenheit zu analysieren, wer was schreibt, was wir oder andere sagen. Inzwischen mache ich bei den Medien Unterschiede und spreche mit denen, die erfahrungsgemäß eher positiv über uns berichten, und lasse die anderen einfach weg, bei denen es ohnehin nichts bringt.

SB: Ich kann mir vorstellen, daß ihr auch untereinander sehr viele unterschiedliche Ansätze und Interessen habt. Wie schafft ihr es, sie unter einen Hut zu kriegen?

S: Das kann man nicht schaffen. Die Frage ist eher, wie wir damit umgehen. Wir hatten im Winter eine ganz heftige Krise, die wir als Krieg der Ideologien bezeichnet haben. Die Kontroverse entzündete sich an der Frage, welche Prioritäten wir uns als Kollektiv setzen oder erarbeiten wollen. In diesen Auseinandersetzungen war jedoch der Respekt vor anderen Auffassungen stets präsent. Alle stimmten darin überein, daß Rassismus, Homophobie und Sexismus inakzeptabel sind. Das bedurfte keiner besonderen Regeln, sondern ist eine Art Wertschätzung, auf deren Grundlage sich alle mit Blick auf die Ideologien einigermaßen sicher und gut fühlen können. Eine Lösung werden wir meines Erachtens nicht finden, denn eine solche hat die Menschheit bisher nicht gefunden. Es wäre ein bißchen viel verlangt, wenn wir es hier schaffen sollen.

Wir versuchen eben, das Beste daraus zu machen und dafür zu sorgen, daß sich alle in diesem ach so vagen Ding, das sich die ZAD nennt, vertreten fühlen. Sie ist kein Kollektiv, sondern setzt sich aus ganz vielen Individuen oder kleinen Kollektiven zusammen, die gemeinsam versuchen, das Schlimmste zu verhindern. Auf dieser Grundlage finden wir viele Gemeinsamkeiten wie insbesondere, daß wir nicht nur gegen dieses Projekt kämpfen, sondern dieses Projekt für ein Symptom des Kapitalismus halten, den es zu bekämpfen gilt. Wir sind hier, um diesen Wald und dieses Land zu retten, und weil wir in unseren Diskussionen zu der Überzeugung gelangt sind, daß das mit den wenigen Punkten, über die sich alle einig sind, durchaus möglich ist.

Zudem gibt es Probleme, wenn sich Leute daran gehindert fühlen, ihre Überzeugungen in Aktionen umzusetzen. Hier leben beispielsweise radikale Tierschützer und Tierbefreier inmitten von Bauern, die teilweise auch Kühe ausbeuten. Das paßt natürlich den Tierschützern überhaupt nicht, und so kommt es schon zu Konflikten, bei denen wir uns mit den diversen Streitparteien zusammensetzen und die Karten auf den Tisch legen müssen. Konflikte gibt es im gemeinsamen Widerstand zwangsläufig auch mit Bauern oder Bürgerlichen, die bei Aktionen, die ihnen zu weit gehen, plötzlich den Schutzmann spielen. Die Frage der Militanz stellt sich immer wieder und muß daher weiter diskutiert werden. Ich habe jedoch den Eindruck, daß wir in dieser Hinsicht nicht stagnieren, sondern Schritt für Schritt vorankommen. Die Positionen verändern sich allmählich, zumal wir in gewissem Umfang verständlich machen konnten, warum wir mitunter radikalere Aktionen für erforderlich halten.

Das war vor drei Jahren noch anders, doch seither hat sich viel verändert. Daß Bauern illegal eine Farm besetzen, wäre noch vor Jahresfrist völlig undenkbar gewesen. Es geht also mit Vorsicht und Rücksichtnahme voran, da auch wir Kompromisse machen und uns an Abmachungen halten, selbst wenn sich mitunter Gelegenheiten für Formen des Widerstands bieten, die uns näher liegen. Ich denke, da wächst ganz langsam so etwas wie Respekt voreinander. Auf den Gegengipfeln hatten wir stets das Problem, es mit einer Vielzahl von Strategien und Aktionen zu tun zu haben. Ich denke, in Notre-Dame-des-Landes gelingt es uns, ganz vorsichtig Etappe für Etappe zu nehmen. Das macht diesen Widerstand so wertvoll und stark.

SB: Es ist natürlich erfreulich, wenn zahlreiche Menschen dem Aufruf zu Aktionen in der besetzten Zone folgen. Allerdings bringen Menschenmassen auch Probleme mit sich, wenn sie beispielsweise die Wiesen und Felder zertreten, die man eigentlich bewahren wollte.

S: Genau. Wir hatten dieses Problem im Januar, als bei einem Festival, das hier organisiert wurde, viele Konflikte unter den Bewohnern der ZAD ausbrachen, weil sie sich nicht einig waren. Es macht Sinn, den Leuten eine Möglichkeit zu geben, hierher zu kommen, weil man in einem solchen Kampf über jedes Engagement froh ist. Hier lernt man endlich die ZAD kennen, trifft viele Leute und sieht, was gerade vor Ort geschieht. Das ist einfach etwas anderes, als nur aus der Ferne davon zu hören. Ihr seid ja auch von weither gekommen.

Andererseits ist es Unsinn, wenn man die Natur beschützen will und gleichzeitig 10.000 Leute einlädt, die dann zwangsläufig Schäden anrichten. Hier ist niemand unglücklich darüber, daß viele Leute die Entscheidung getroffen haben, lieber zur Menschenkette zu kommen, weil ihre Länge natürlich von der Zahl der Teilnehmer abhängt. Was wir heute machen, funktioniert hingegen auch mit viel weniger Leuten.

SB: Wie viele Menschen sind denn heute zusammengekommen?

S: Ich denke, viele haben gar nicht an den beiden Demos teilgenommen, sondern waren schon irgendwo vor Ort. Es werden wohl 1.500 oder 2.000 gewesen sein. Wir sind jedenfalls niemals von 40.000 ausgegangen, da es nicht unsere Absicht war, dem 17. November nachzueifern. Wenn zuviele Menschen einander auf die Füße treten, macht das hier in der ZAD keinen Sinn. Die Menschenkette am 11. Mai soll dagegen weitläufig um die Zone herum und teilweise sogar um die angrenzenden Kommunen geschlossen werden, also in der Regel in zwei, drei Kilometer Entfernung. Die Teilnehmer kommen nicht so nahe an die ZAD heran, daß sie hier Schaden anrichten könnten. Sicher werden dennoch viele Leute in die ZAD kommen, wo an diesem Tag auch tolle Veranstaltungen laufen, aber der Zustrom dürfte sich dennoch in Grenzen halten.

Daß die meisten Leute recht sensibel sind, können wir zahlreichen Anfragen per Mail entnehmen. Häufig wird gezielt die Frage gestellt, ob es Sinn macht, jetzt zu kommen, oder ob wir genug Leute haben. Wir raten in der Regel dazu, sich vor Ort in den eigenen Kämpfen zu engagieren. ZAD partout, ZAD überall, heißt im Grunde, kämpft vor Ort und habt den Mut, etwas gegen Atomkraft, Fracking oder die Drangsalierung der Migranten zu unternehmen. Es gibt so viele Probleme zu lösen, und wir wollen strenggenommen nichts weiter als ein Beispiel dafür sein, daß es Sinn macht zu kämpfen.

'Resistance ZAD Partout' - Foto: © 2013 by Schattenblic

ZAD ist überall
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Wir haben heute unter den vielen Leuten überhaupt keine Deutschen getroffen.

S: Es sind viele da, aber sie verstecken sich.

SB: Du bist Deutsche und lebst hier. Wie bist du persönlich dazu gekommen?

S: Ich lebe schon sieben Jahre in Frankreich, war aber vorher in Paris und eigentlich immer mit diesen Gegengipfeln beschäftigt gewesen. Als dann G8 nach Frankreich kam, stellte ich mir die Frage, welchen Sinn ein globaler Kampf in Gestalt der Gegengipfel überhaupt noch macht. Ist es nicht vielleicht wichtiger, die Energie, die in einen Gegengipfel gesteckt wird, der teilweise ein Jahr intensiver Arbeit kostet, lieber in einen lokalen Kampf mit einer Vision ins Globale zu investieren? Wir haben den G8-Gegengipfel durchgeführt, der im Grunde keiner war, da wir hier einfach einen ganzen Sommer lang gecampt und Überlegungen angestellt haben, was wir 2012, 2013 und in der ferneren Zukunft machen können. Verglichen mit Seattle oder Heiligendamm hat sich inzwischen sehr viel verändert. Wir stehen in Konflikt mit Sicherheitsgesetzen, die wir selbst noch gar nicht verstanden und analysiert haben. Es geschehen so viele Dinge auf EU-Ebene, die uns im nachhinein teilweise ein, zwei Jahre später in Konflikt mit der Justiz bringen. Das sehen wir heute mit Blick auf Genua, wenn zwölf Jahre nach diesem Gipfel zwölf Leute zu langjährigen Strafen in den Knast gehen. Also muß uns einfach bewußt werden, daß wir in einem Kontext leben, in dem die Kämpfe immer schwieriger werden. Ich beschloß damals, hier zu bleiben, um lokal zu kämpfen. Das macht für mich im Augenblick einfach mehr Sinn.

SB: Selbst unter Linken ist die Auffassung weit verbreitet, daß man für eine bessere EU kämpfen sollte.

S: Die EU ist doch ganz großer Mist. Man muß sich nur einmal anschauen, was die EU macht. Die führt alles zusammen, was Kohle hat, und läßt die anderen, die sie jahrzehntelang ausgebeutet hat, an der Grenze krepieren. Was ist schön daran? Es ist toll, daß wir die Freiheit haben, von Frankreich nach Deutschland umzuziehen, aber es ist nicht so toll, daß meine Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin mit jahrelanger Berufspraxis in Deutschland hier in Frankreich nicht anerkannt wird. Von diesem tollen Europa bin ich überhaupt nicht begeistert. Manchmal habe ich schon so einen bürgerlichen Reflex, mich über jede wegfallende Grenze und Grenzkontrolle zu freuen. Aber im globalen Kontext kann ich daran nichts gutheißen. Wenn Europa Sinn machen soll, dann müssen die europäischen Grenzen fallen, und dann müssen wir tatsächlich auch ausbaden, was unsere Vorfahren über Generationen hauptsächlich in Afrika und anderen Ländern, die wir jetzt ausbluten lassen, angerichtet haben. Wenn sich Europa auf einen Klimawandel vorbereitet und dazu fordert, die Grenzen zu sichern, um die Klimamigranten fernzuhalten, da wir andernfalls nicht länger mit Fernsehen, Auto und all dem Wohlstand leben können, kann ich das grundsätzlich nicht teilen.

SB: Bei eurem Kampf hier steht erklärtermaßen die Frage der Selbstorganisation eigener Aktivitäten im Mittelpunkt. Es gibt demgegenüber die analytische Auseinandersetzung mit dem geplanten Flughafenbau im Kontext einer größeren Entwicklungspolitik der Region. Seht ihr einen Sinn darin, euch mit Themen wie Grand Ouest und der damit verbundenen Industriepolitik zu beschäftigen, wie sie von den Interessengruppen vorangetrieben wird, die auch den Flughafen errichten wollen?

S: Das sind Fragen, für die wir meines Erachtens einfach nicht genug Sachwissen haben. Wir haben indessen auch wenig Interesse daran, uns zu professionalisieren und wirtschaftliche Probleme lösen zu wollen. Aus meiner Sicht ist die ACIPA, also die bürgerliche Seite dieses Widerstands, ziemlich fit und leistet in dieser Hinsicht gute Arbeit. Wir sind ganz zufrieden damit, daß beide Seiten machen, was sie für wichtig halten. Die Besetzungsbewegung lehnt Grand Ouest ab, denn wenn man von "Entwachstum" spricht, deckt sich das mit der Geschichte vom Atomausstieg in Deutschland. Es macht überhaupt keinen Sinn, wenn man den Franzosen, die an den Grenzen AKWs errichten, den Atomstrom abkauft. Man kann den Klimawandel nicht bremsen, wenn wir keine Veränderungen im realen Leben herbeiführen, indem wir weniger produzieren und konsumieren. Das ist nicht möglich mit der vorherrschenden Produktionsweise oder der Idee von Auxiette und Ayrault, die Industrie weiter aufzubauen und Arbeitsplätze zu schaffen, damit das Ganze weitergeht. Wir wollen nicht, daß es so weitergeht, wir wollen, daß es aufhört und wir uns neu strukturieren. Daß das möglich ist, bestreitet wohl niemand. Es müssen jedoch alle etwas dazu beitragen, und insofern ist es eine Utopie.

SB: Viele linke Parteien haben für La ZAD mobilisiert und auf ihren Seiten etwas dazu gebracht. Wie ist euer Verhältnis überhaupt zu den Parteien?

S: Sème ta ZAD wurde hauptsächlich von den Besetzern organisiert zusammen mit den neuen Besetzern, die noch vor einem Jahr so etwas nie gemacht hätten. Hier vollzieht sich ein Wandel, wir wachsen zusammen und sind inzwischen in der Lage, gemeinsam so etwas zu organisieren. Die Parteien konzentrieren sich eher auf die Menschenkette und müssen eine Menge einstecken, wenn sie sich mit uns solidarisieren. Stets wird die Frage der Militanz aufgeworfen, aber da beispielsweise die Grünen mit der PS in der Regierung sitzen, bekommen sie Probleme. Zu den Grünen haben wir ohnehin ein gestörtes Verhältnis, seit Mitglieder dieser Partei vor einem Jahr die Anfrage an die Präfektur richteten, uns so schnell wie möglich vom Platz zu vertreiben. Im Oktober erklärten sie jedoch plötzlich, sie stünden an unserer Seite und kämpften für den Schutz der Umwelt. Im Grunde haben sie diesen Kampf in dem Moment verraten, als sie das Bündnis mit der PS eingegangen sind. Ich kann jedenfalls nicht damit umgehen, daß jemand, der uns ein paar Monate vorher noch räumen lassen wollte, auf einmal als Beschützer auf den Plan tritt. Diese Kehrtwende ist ein Medienspektakel und zielt auf die öffentliche Meinung ab. Unter diesen Voraussetzungen gibt keine Basis mehr, miteinander zu arbeiten.

SB: Das Verhältnis zwischen Deutschen und Franzosen ist recht eigenartig. Einerseits hat Deutschland die Führungsrolle in Europa übernommen und zieht die französische Regierung mit der ganzen Austeritätspolitik gewissermaßen hinter sich her, aber andererseits spielt die ZAD trotz ihrer Bedeutung in der deutschen Linken bislang so gut wie keine Rolle.

S: Selbst die Waldbesetzer im Hambacher Forst haben Probleme, in Deutschland Aufmerksamkeit zu finden. Dort wird ein wichtiger Kampf geführt, der im Zusammenhang mit dem Atomausstieg und dem möglichen Umstieg auf vermehrte Kohleverstromung von großer Bedeutung ist. Da wird ein uralter Wald gerodet, ohne daß dies größere Resonanz findet.

SB: In La ZAD entsteht etwas Neues, das Vorbildcharakter hat, insbesondere wegen der Zusammenarbeit zwischen Aktivisten und Bauern. In Deutschland hat die Linke hingegen große Probleme mit der Vermittlung ihrer Ziele.

S: Im Jahr 2007 hatte ich den Eindruck, die radikale Linke in Deutschland würde mit Heiligendamm eine gute Richtung nehmen. Sie schien den Ansatz zu verfolgen, sich zu entdogmatisieren und nicht länger zu isolieren. Ich weiß nicht, was in den letzten Jahren passiert ist, daß es nicht mehr weitergeht.

SB: Empfindest du es auch so, daß es zwischen Deutschland und Frankreich so etwas wie eine unsichtbare Barriere gibt?

S: Es ist zum einen eine Sprachbarriere. Als ich nach Frankreich gekommen bin, war ich völlig isoliert, bis ich Französisch sprechen konnte. Die Franzosen sprechen nicht nur ungern Deutsch, sondern auch nicht gern Englisch, allenfalls ein bißchen Spanisch, weil das aufgrund des gemeinsamen lateinischen Ursprungs etwas leichter ist. Vielen Franzosen wurde in der Schule vermittelt, daß Sprachen überhaupt nicht wichtig seien. Diese Haltung hat viel mit dem französischen Erziehungssystem und der Kultur an sich zu tun. Andererseits sind viele Leute, die hier in La ZAD leben, durchaus an anderen Sprachen interessiert. Es gibt einen regen Sprachaustausch, aber abgesehen davon gibt es tatsächlich relativ wenig Kontakt zwischen den radikalen Linken in Deutschland und denen in Frankreich. Als wir 2009 an dem NATO-Gegengipfel gearbeitet haben, war es sehr schwierig, die beiden unter einen Hut zu bringen. Wenngleich sie sich hinsichtlich der politischen Grundvoraussetzungen und Ideen durchaus nahestehen, sind die Funktionsweisen komplett verschieden. In Frankreich wehren sich die Aktivisten gegen alles, was Struktur ist oder mit Organisation zu tun hat. Das wiederum scheinen Dinge zu sein, die den Deutschen relativ leicht von der Hand gehen.

SB: Es ist verwunderlich, daß spektakuläre Ereignisse wie die Wiederbesetzung der geräumten Zone durch 40.000 Menschen in Deutschland kaum Beachtung findet.

S: Wir haben allerdings auch keine ausgeprägte Automedia-Arbeit für Deutschland geleistet. Das mag überraschend klingen, aber am Ende ist es einfach eine Frage von Energie, Zeit und Kraft. Ich persönlich habe den Anspruch, das, was ich mache, auch richtig und kontinuierlich zu machen. Es bringt nichts, nur Bruchstücke von der ZAD zu erzählen, wenn der Kontext fehlt. Die Informationen müßten laufend aktualisiert werden, aber das ist mit viel Arbeit verbunden. Ich persönlich schaffe das mit den zwei, drei Leuten, die Deutsch sprechen, nicht. Das könnte einer der Gründe für die mangelnde Resonanz in Deutschland sein, daß wir in dieser Hinsicht nichts gemacht haben.

SB: Sophie, wir bedanken uns für dieses ausführliche Gespräch.

Flugzeugsymbol an Scheunenwand - Foto: © 2013 by Schattenblick

Eindeutige Stellungnahme gegen das Großprojekt
Foto: © 2013 by Schattenblick

26. April 2013