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INTERVIEW/012: La ZAD - Widerstand etabliert (SB)


Interview mit einem Repräsentanten des Comité de soutien aux opposants à l'aéroport de Notre-Dames-des-Landes Saint-Malo am 13. April 2013 in La ZAD



Am Rande der Demonstration und Frühjahrsaktion "Sème ta ZAD" (Sähe deine ZAD) [1] zur Bestellung der Felder in der umkämpften Zone hatte der Schattenblick die Gelegenheit zu einem kurzen Austausch mit einem Vertreter der etwa 200 Unterstützerkomitees, die sich insbesondere nach den bürgerkriegsähnlichen Räumungsaktionen der Polizei - Kodename César -, die im Oktober und November letzten Jahres stattfanden, gebildet haben. Fünf Mitglieder des Unterstützerkreises aus Saint-Malo hatten an diesem 13. April die Gelegenheit wahrgenommen, die Zone zu besuchen, um ein Zeichen zu setzen und ein Areal für die Saat vorzubereiten.

Schattenblick (SB): Könnten Sie sich, Ihr Komitee und Ihre heutige Aktion einmal vorstellen?

Comité de soutien (SC): Unser Komitee gegen das Flughafenpojekt Notre-Dame-des-Landes besteht aus etwa 60 Mitgliedern, die alle aus der Region von Saint-Malo stammen. Wenn Räumungen drohen oder stattfinden, wie auf dem Bauernhof Bellevue, machen alle etwa 200 Unterstützerkomitees in ihrer jeweiligen Stadt mobil und organisieren Protestaktionen. Der Schwerpunkt unserer Aktivitäten liegt in der Veranstaltung von Informationsabenden in der Region von Saint-Malo; und wir halten uns bereit, einzuschreiten, wann immer es nötig wird. Darüber hinaus kommen wir von Zeit zu Zeit zu Aktionen hierher. Heute ist es Sème ta ZAD. Wir graben hier symbolisch ein Areal zum Anbau von Gemüse um und sind darüber hinaus hier, um uns über Permakultur zu informieren.

Sie wissen natürlich, warum wir uns gegen das Projekt Notre-Dame-des-Landes zur Wehr setzen. Zum einen ist es ein völlig nutzloses Projekt, denn schließlich gibt es bereits einen Flughafen in Nantes. Abgesehen davon handelt es sich um ein sehr wertvolles Gebiet für den Menschen und um eine ungeheuer reiche Naturlandschaft mit bedeutenden Feuchtgebieten. Wir hoffen daher, daß Europa dem Projekt einen Riegel vorschiebt, weil es gegen die europäische Wasserrahmenrichtlinie und die EU-Vorgaben für den Schutz von Feuchtgebieten verstößt. Das betroffene Areal besteht zu 98 Prozent aus Feuchtgebieten, und Frankreich hat erklärt: Damit befassen wir uns nicht. Aus unserer Sicht hat Frankreich entschieden, das entsprechende Gesetz zu umgehen. Von seiten der Flughafengegner haben wir eine Petition an die EU-Kommission gerichtet und hoffen nun auf eine Entscheidung auf europäischer Ebene.

SB: Es gab in Frankreich ein gerichtliches Verfahren, in dem über die Zerstörung der Feuchtgebiete entschieden werden sollte.

CS: Frankreich hat beschlossen, dieses Gesetz auf französischer Ebene zu umgehen. Es soll zwar Kompensationsflächen geben, aber man hält sich dabei nicht an das geltende französische Recht. Die Gegner haben auf europäischer Ebene ein dahingehendes Dossier vorgelegt, und es besteht durchaus die Chance, daß Frankreich auf Europaebene dazu angehalten wird, das Recht zu respektieren. Eigentlich können sie das gar nicht, weil es bedeutet, daß doppelt soviel Fläche zur Kompensation bereitgestellt werden muß. Sie wollen rund 2000 Hektar zerstören und müßten also 4000 Hektar Feuchtgebietszone schaffen.

SB: Wie reagieren die französischen Medien auf La ZAD? Wie sieht die Berichterstattung aus?

CS: Bis zu den Räumungsaktionen im Oktober, November blieb das Problem relativ lokal. Dann auf einmal spiegelte sich der Konflikt aufgrund der Räumung in allen Medien wieder. Das Ganze wurde plötzlich zu einer nationalen Frage, die international wahrgenommen wurde, weil auch Engländer und Deutsche hierherkamen. Unmittelbar nachdem die Räumungen stattgefunden hatten, gab es eine Protestaktion zur Wiederbesetzung und zum Wiederaufbau der Zone. Zu jenem Zeitpunkt sammelten sich bei Châtaigne etwa 40.000, 50.000 Menschen.[2] Über die Zahl ist man sich nicht ganz einig, aber es waren ungeheuer viele. Und seitdem informieren die regionalen Medien wie Ouest-France [3] zum Beispiel jedes Mal, wenn sich etwas tut.

Die nationalen Medien machen dasselbe: Libération, Le Figaro, Le Monde. Es gibt inzwischen ganzseitige Berichte, die das Projekt vorstellen, und die Schlußfolgerungen hängen ein wenig von der politischen Couleur des jeweiligen Mediums ab. Gerade jetzt ist eine Flut von Presseberichten erschienen, was heißt, daß nun jeder in Frankreich auf dem laufenden ist. Der Grund dafür ist die gewaltsame Aktion, die stattgefunden hat; das hat einfach haufenweise Leute mobilisiert.

Fünf Mitglieder der Unterstützergruppe aus Saint-Malo vor bestelltem Feld - Foto: © 2013 by Schattenblick

Hand anlegen in la ZAD...
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Uns ist aufgefallen, daß es sowohl eine ältere Generation unter den Flughafengegnern gibt als auch sehr viele junge Leute. Könnte man sagen, daß hier eine ganz neue Generation heranwächst, die sich mit dem Flughafenprotest, aber auch mit den grundlegenden Umweltfragen beschäftigt?

CS: Der historisch gewachsene Widerstand hat sich zum einen in der ACIPA organisiert, und dann gab es noch eine ältere Organisation der Bauern und der örtlichen Bevölkerung. Zu diesen ursprünglichen Anwohnern haben sich die ZADisten, wie man sie nennt, hinzugesellt. Sie haben einen ganz anderen Hintergrund und sind im allgemeinen ein wenig anarchistisch und ökologisch ausgerichtet. Die Zadisten sind bereit, Barrikaden zu bauen und auch mal ein bißchen Gewalt anzuwenden. Das hat selbstverständlich auch zu Auseinandersetzungen geführt zwischen den Jüngeren und dem traditionellen Widerstand, den die ACIPA repräsentiert. Aber es zeigt sich, daß sie doch sehr gut zusammenspielen, weil sie verstanden haben, daß es ohne Zusammenarbeit nicht geht. Daher stellt das kein wirkliches Problem mehr dar. Es stimmt natürlich, daß es für die Leute hier vom Land erst einmal gewöhnungsbedürfig war, junge Leute mit Dreads ankommen zu sehen. Aber ich glaube, es gelingt ihnen trotzdem, gut zusammenzuarbeiten - glücklicherweise. Es gibt eine Solidarität mit den Bauern und umgekehrt, wie man an den aufgefahrenen Traktoren sehen kann. Also zur Zeit läuft das wirklich gut.

SB: Und wie sind Ihre eigenen Erfahrungen mit der einheimischen Bevölkerung hier?

CS: Nun ja, repräsentativ zur französischen Bevölkerung gibt es das ganze Spektrum. Es gibt Leute, die sagen: Was, ihr seid gegen Flugzeuge?! Man hört alles mögliche. Ich glaube, daß die Leute hier vor Ort einfach die Nase voll haben; sie wollen, daß das Ganze ein Ende hat. Auch die Befürworter wollen, daß man das Projekt endlich abschließt. Und die Gegner wollen, daß es aufgegeben wird. Aber das dauert nunmal, es dauert nun schon 40 Jahre.

Über die lokale Frage hinaus sehen wir den Flughafen in Notre-Dame-des-Landes inzwischen als eines der Projekte weltweit, die man unter der Bezeichnung "nutzlose Großprojekte" zusammenfassen kann. Wir sehen eine Verbindung zur geplanten TGV-Linie Lyon-Turin, und es gibt Kontakte mit den Italienern. Es gibt auch Kontakt mit den Engländern, und wahrscheinlich auch mit den Deutschen. In der Tat entsteht hier eine globale Protestbewegung gegen alle diese Großprojekte, von denen nur eine bestimmte Gruppe von Menschen profitiert, denn der Flughafen wird ganz sicher nicht für die Leute von nebenan gebaut. Und ganz abgesehen davon: Würden Sie von New York nach Notre-Dame-des-Landes fliegen? Das funktioniert nie. Man fliegt von New York nach Roissy oder nach Paris oder London, aber man fliegt nicht von New York nach Notre-Dame-des-Landes. Was wollen Sie da unternehmen? Mit der Straßenbahn weiterfahren oder mit dem TGV? Das macht keinen Sinn. Ich bin also sehr optimistisch für die Zukunft.


Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0014.html

[2] Die Wiederbesetzung fand am 17. November statt. Im Verlauf einer Woche wurde im Bereich Châtaigne eine Gruppe von (Wohn)gebäuden gebaut.

[3] Ouest-France ist eine regionale Tageszeitung mit Sitz in Rennes, Bretagne.


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28. April 2013