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INTERVIEW/016: Megacities - Forschungsselbstzweck Überleben - Dr. Johannes Karte im Gespräch (SB)


Forschungsförderung am Beispiel des SPP "Megacities - Megachallenge"

Interview am 16. April 2013 im Wissenschaftszentrum Bonn



Dr. Johannes Karte ist als Programmdirektor der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für die Gruppe Physik, Mathematik und Geowissenschaften Ansprechpartner für das von der DFG geförderte Schwerpunktprogramm (SPP) "Megacities-Megachallenge - Informal Dynamics of Global Change". Am Rande des Kolloquiums, das dieses auf sechs Jahre befristete, internationale und interdisziplinäre Forschungsprogramm abschloß, beantwortete Dr. Karte dem Schattenblick einige Fragen.

Im Wissenschaftszentrum Bonn - Foto: © 2013 by Schattenblick

Johannes Karte
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick: Was hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft dazu veranlaßt, das Projekt "Megacities - Megachallenges" zu fördern, und inwieweit ist sie selber in diesem Rahmen initiativ geworden?

Johannes Karte: Die Initiative kam entsprechend dem Grundprinzip der DFG zunächst einmal aus der Wissenschaft selbst. In diesem Fall wurde ein Gremium initiativ, das von der DFG getragen wird. Das Gremium gibt es inzwischen nicht mehr. Dieses internationale Komitee für Global-Change-Forschung hat die deutschen Communities koordiniert, aber auch im internationalen Kontext mobilisiert, um Forschungsprogramme zu initiieren. Aus diesen Diskussionen hat sich dann das Thema Megacities und globaler Wandel herauskristallisiert und ist über Workshops ausgearbeitet worden.

Bei der DFG mußte es sich schließlich als Schwerpunktprogramm, das nur einmal im Jahr eingerichtet wird, einer harten Konkurrenz stellen. Jedes Jahr bewerben sich etwa 60 bis 70 Initiativen, aus denen im Schnitt zwölf bis fünfzehn ausgewählt werden. Dabei entscheidet in erster Linie die wissenschaftliche Qualität des geplanten Programms. Geprüft wird vor allem, ob das Forschungsgebiet sowohl von der inhaltlichen Ausrichtung als auch von der Methodik und interdisziplinären Struktur des Vorhabens her neu ist. Man benutzt heute den Begriff Emerging Fields, der ein Forschungsgebiet meint, das erst am Horizont aufscheint.

Dieser Punkt wie auch die Gewichtigkeit der Argumente und natürlich das Potential für eine Internationalisierung der Forschung stellen bei der DFG die wissenschaftspolitischen Hauptkriterien dar. Das Programm war hinsichtlich des Emerging Fields, der Internationalisierung und natürlich auch der Qualität der Initiatoren und der potentiell zu erkennenden Beteiligten so überzeugend, daß es sich im Wettbewerb durchgesetzt hat. Es war ein von der Wissenschaft selbst ausgehender Bottom-Up-Prozeß. Es stand keine Top-Down-Entscheidung der DFG oder von DFG-Gremien im Raum, dieses Thema ausgewählt und gefördert zu haben, sondern es ist von unten gekommen und hat sich dann im Wettbewerb mit anderen behauptet.

SB: Geht es bei der Internationalisierung der Forschung mehr um einen Austausch zwischen den Wissenschaften und Universitäten verschiedener Länder oder handelt es sich dabei tatsächlich um eine Art Neugründung der Forschungskooperation in einem supranationalen Kontext?

JK: Hierbei geht es im wesentlichen um die Intensivierung der Vernetzung von Wissenschaftlern auf einer Person-zu-Person-Basis in den beiden Partnerregionen Bangladesch und Südchina. Das ist in beiden Regionen natürlich nicht losgelöst von den Institutionen und Universitäten, die dahinterstehen. Aber wir haben selbst in China eine langjährige Partnerschaft mit einer Förderorganisation in Beijing und unterhalten im Zentrum der Stadt ein Verbindungsbüro, so daß es auch auf dieser Ebene der Institutionen zwischen der DFG und der Förderinstitution in China, der National Science Foundation of China, einen Konsens gab, dieses Thema gemeinsam weiterzuentwickeln. In Bangladesch gibt es keine formalen bilateralen Beziehungen oder Abkommen der DFG mit einer Institution vor Ort. Dort war es ausschließlich auf der Person-zu-Person-Ebene zu einer Kooperation gekommen.

SB: Sind in diesem Fall nur Mittel aus deutscher Hand oder auch seitens Chinas und Bangladeschs in das Projekt "Megacities - Megachallenge" geflossen?

JK: Sowohl von chinesischer Seite als auch in Bangladesch. So haben die Wissenschaftler aus Bangladesch ihre Forschung vor Ort zum überwiegenden Teil selbst finanziert. Natürlich sind Doktoranden nach Deutschland gekommen, die aus deutschen Mitteln bezahlt wurden, aber die federführenden Wissenschaftler in Bangladesch wie auch in China sind nicht direkt von der DFG mitfinanziert worden. In China haben die Projektpartner ihre Mittel praktisch selbst eingebracht. Auch dort gab es Doktoranden, die von China aus bei Partnern in Deutschland zwei oder drei Jahre im Doktorat gearbeitet und praktisch ihre Promotionen in Deutschland erhalten haben. Im Sinne der Vernetzung bestand der Haupteffekt darin, daß die jungen Leute aus Bangladesch und China zu einem signifikanten Teil ihre Promotionen oder wissenschaftlichen Karrieren in Deutschland weiterentwickelt haben.

SB: Wurde das Programm durch privatwirtschaftliche Akteure unterstützt, zumal heutzutage Drittmittelförderung im akademischen Bereich insgesamt eine immer größere Rolle spielt?

JK: Das spielt in der Förderung des Programms überhaupt keine Rolle. Sicherlich hat es in indirekter Form Unterstützungen in einzelnen Projekten gegeben, um die logistischen Bedingungen zu verbessern, aber eine direkte Beteiligung der Privatwirtschaft gab es nicht. Die Privatwirtschaft ist bei der DFG formal nicht antragsberechtigt. Insofern gehen wir zunächst einmal nicht davon aus, daß von dort per se finanzielle Beiträge kommen.

SB: Im deutsch-chinesischen Verhältnis spielen politische Interessen zum Beispiel in Bezug auf den deutsche Außenhandel in China eine große Rolle. Übt die Deutsche Forschungsgemeinschaft in diesem Feld auch eine ökonomische Beraterfunktion aus?

JK: Die DFG ist in der Gesamtstruktur der Wissenschaftslandschaft in Deutschland eher im vorwettbewerblichen Bereich angesiedelt, also im Rahmen der Förderung von Grundlagenforschung, weniger im Sinne der Produktentwicklung. Als Wegbereiter für wirtschaftliche Kooperationen steht sie natürlich am Anfang dieser gesamten Wertschöpfungskette. Auch die Zielsetzung dieses Programms hat eine stark theoretische Komponente: Wie man an das Phänomen Megacities überhaupt methodisch herangeht und ihre Dynamik beschreiben kann. Das hat zunächst einmal nicht direkt mit irgendwelchen Spin-Offs zu wirtschaftlichen Bereichen zu tun.

Die DFG ist mehr auf die Kooperation von Wissenschaftlern untereinander im Bereich der Grundlagenforschung ausgerichtet. In diesem Zusammenhang ist natürlich auch die Frage relevant, wie hoch man die Kooperation mit China wissenschaftspolitisch ansetzt. So gesehen spielt die DFG im Gesamtkontext der wissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und China schon eine große Rolle, aber weniger im Sinne der Vorbereitung einer wirtschaftlichen Kooperation, es sei denn, man betrachtet Grundlagenforschung in der Wertschöpfungskette als Teil des gesamten Prozesses. Aber selbst daran ist die DFG nur im Anfangsbereich beteiligt. So unterhält beispielsweise das Bundesforschungsministerium (BMBF) zu diesem Thema ein Förderprogramm, das viel stärker in anwendungsorientierte Bereiche wie Energieverbrauch, Stadt von morgen und Bautechnik involviert ist.

SB: Gibt es aus Ihrer Sicht in der Zusammenarbeit mit chinesischen Universitäten oder chinesischen Wissenschaftlern größere Unterschiede in der Wissenschaftskultur? So sind die sozialwissenschaftlichen Disziplinen in China stark von westlichen Theorien und Traditionen beeinflußt, verfügen aber gleichzeitig über eine eigene Kultur des Wissens und der intellektuellen Reflexion. Wie sortiert sich dieses Verhältnis?

JK: Diese Frage kann ich nur bedingt beantworten, denn zuzugebenermaßen bin ich auf diesem wissenschaftlichen Gebiet nicht wirklich kompetent. Natürlich gibt es in jedem Land fachkulturelle Besonderheiten wie auch historisch bedingte andere Ausgangsbedingungen, was zur Folge hat, daß sich bestimmte Disziplinen in den jeweiligen Ländern anders entwickeln. Diese Unterschiede sind in den Naturwissenschaften sicherlich weniger stark ausgeprägt als in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Ich selbst komme mehr von der naturwissenschaftlichen Seite, so daß es mir natürlich leichter fällt, mit Naturwissenschaftlern in China zusammenzuarbeiten. Internationale Gruppen, die in Fragen des Klimawandels, des Wasserhaushaltes oder der Qualität von Grundwasser forschen, haben letztlich auf der Ebene der naturwissenschaftlichen Systemzusammenhänge einen leichteren Zugang.

Andererseits waren unter den Sozial- und Kulturwissenschaftlern, die sich am Programm beteiligt haben, auch Sinologen, die lange in China oder in Südasien, also im Raum von Indien, Thailand und so weiter, gearbeitet haben, so daß es auf deutscher Seite nach meiner Einschätzung bereits ein sehr hohes Verständnis für die Besonderheiten der Kulturen gab. Da das Forschungsobjekt in der Region Bangladesch und China lag, kamen die chinesischen und bangladeschischen Partner natürlich gut damit klar. Sie waren Fachleute in der Region. Viel komplizierter wäre die Sache gewesen, wenn Chinesen zum Beispiel an einem Vergleichsprojekt an der Megacity Paris oder London gearbeitet hätten. Ich glaube schon, daß die meisten deutschen Experten, die hier beteiligt waren, durch langjährige Vorarbeiten sehr viel Erfahrungen in der regionalspezifischen kulturellen Gebundenheit der Disziplinen mitgebracht haben.

Gleichwohl treten, losgelöst von der fachlich disziplinären Seite, die berühmten intrakulturellen Fragen der Zusammenarbeit in so einem Projekt immer wieder hervor. Das ist gerade für Nachwuchswissenschaftler, die noch keine so lange Erfahrung mit der Arbeit vor Ort haben, manchmal nicht ganz einfach. Als junge Doktorandin nach China zu gehen und dort empirische Forschung zu betreiben, mag eher auf dem Feld der Akzeptanz und weniger auf dem der disziplinspezifischen Fragen Probleme mit sich bringen. Es sei denn, sie erforschen bestimmte Fragen, in denen die Verfügbarkeit von sensiblen Daten nicht ganz leicht ist. Im Programm gab es auch Datenerhebungen im Bereich von Umwelt und Gesundheit. An statistische Daten über epidemiologische Verläufe von Krankheitshäufigkeiten heranzukommen, ist selbst in Deutschland nicht immer leicht, in China allerdings gestaltet sich das weitaus schwieriger. Das geht nur über chinesische Partner, aber ich denke, mit sehr viel Mühe ist uns das insgesamt auch recht gut gelungen.

SB: In Ihrer Eröffnungsansprache erwähnten Sie, daß die Betreiber des Projekts sich möglicherweise nochmal für die Fortsetzung der Förderung bewerben könnten.

JK: Nicht in diesem Programm. Es gibt im Spektrum der DFG natürlich noch andere Fördermöglichkeiten, und meines Wissens sind Projekte bereits in Vorbereitung, wo spezifische Aspekte herausgegriffen wurden. Ein Schwerpunktprogramm ist ein Förderinstrument mit bestimmten Randbedingungen. Es gibt jedoch auch andere Formen, wie man gefördert werden kann, die ihre eigenen Randbedingungen haben. Jetzt kommt es darauf an, sich einige dieser anderen Förderinstrumente für sogenannte Forschergruppen zu erschließen. Es gibt auch die Überlegung, ein internationales, möglicherweise bilaterales Graduierten-Kolleg auf die Beine zu bringen. Ich weiß konkret von einer Forschergruppe, die mitten in der Vorbereitung auf eine Initiative ist. Inzwischen gibt es auch internationale Sonderforschungsbereiche. Ein deutsch-chinesisches Projekt wäre denkbar, wobei man in der Regel, was diese Disziplinen betrifft, nicht auf die großen Kategorien von Förderinstrumenten mit hoher Komplexität spekulieren sollte. Nach meiner Erfahrung sollte man eher eine kleinere bis mittlere Komplexität wählen, weil man es in Kooperationen mit Süd- und Ostasien immer mit vielen Unwägbarkeiten zu tun hat. Das bringt so viele Erschwernisse der operativen Forschung mit sich, daß man eher in überschaubaren Konstellationen und Konsortien arbeiten sollte.

SB: Gibt es zum Thema Megacities möglicherweise auch Fortsetzungen mit sehr spezifischer Ausrichtung?

JK: Das kann ich mir vorstellen, aber auch da wird die DFG ihren üblichen Prinzipien entsprechend keine Vorgaben machen, sondern im Grunde auf Initiativen aus der Wissenschaft warten. Wenn die sechs Jahre für ein Schwerpunktprogramm vorbei sind, haben viele Forscher den Eindruck, daß die Kooperationen jetzt erst so richtig in Gang gekommen sind. Das möchten sie natürlich nicht abbrechen, sondern nutzen. Für Schwerpunktprogramme gibt es keine Fortsetzungsmöglichkeiten. Das Grundprinzip ist immer das berühmte Emerging Field. Nach sechs Jahren Arbeit kann man sich strenggenommen nicht mehr darauf berufen. Schon deshalb muß man andere Fördermöglichkeiten und Konzeptionen bei der DFG suchen, die es durchaus gibt.

SB: Daß die meisten Konferenzen heutzutage in englischer Sprache abgehalten werden, stellt für ein deutschsprachiges Publikum immer eine kleine Hürde dar. Dabei hat Wissenschaft auch das Interesse, Breitenwirkung zu erzielen. Gibt es in der Politik der DFG überhaupt die Überlegung, sich außerhalb der englischen Lingua Franca zu positionieren, oder ist der Gebrauch der englischen Wissenschaftssprache unumkehrbar geworden?

JK: Das ist natürlich fachkulturell deutlich unterschiedlich. In den geistes- und kulturwissenschaftlichen Fächern, in denen die deutsche Sprache auch als Darstellungsform von Wissenschaft eine besondere Rolle spielt, hat das einen ganz anderen Stellenwert als in den Natur-, Lebens- und Ingenieurswissenschaften. Auch die Form der Internationalisierung ist eine andere als in der Germanistik. In den Disziplinen, die hier betroffen sind, ist das Englische bei den Konferenzen inzwischen zur Verkehrssprache geworden, sonst gäbe es keine Möglichkeit, mit den Partnern überhaupt zu kommunizieren oder solche Programme mit Bangladesch oder China zu machen. Das geht letztendlich nur über das Englische.

Entsprechend sind auch die Publikationen überwiegend in Englisch, wenngleich es auch welche auf deutsch gibt. Die DFG übt in dieser Hinsicht keinerlei Druck auf die Wissenschaftler aus. Bei Anträgen bevorzugen wir in vielen Disziplinen das Englische als Kommunikationssprache, auch in denen, die ich in der DFG betreue, um das Potential einer internationalen Begutachtung auch außerhalb des deutschen Sprachraums zu sichern. In den deutschsprachigen Nachbarländern Österreich und Schweiz, die ein überschaubares Potential von Wissenschaftlern haben, die sich zudem alle kennen oder in Konkurrenz stehen, gilt das Grundprinzip, generell keine Gutachter aus dem eigenen Land zu nehmen, um so Interessenkonflikte zu vermeiden. Ein Österreicher oder Schweizer muß seine Anträge, unabhängig vom Fach, immer auf Englisch stellen. Bei der DFG ist dies durchaus ein Thema, dort entscheiden die fachspezifischen Communities für sich selbst, welche Sprache sie verwenden. Es wird niemandem aufgezwungen, eine Konferenz oder ein Programm in Englisch durchzuführen. Aber in den Fächern, in denen diese Form der Internationalisierung praktiziert wird, gibt es keine Alternative dazu.

SB: Herr Dr. Karte, vielen Dank für das Gespräch.

11. Mai 2013