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INTERVIEW/021: La ZAD - Lebenslust und Widerstand (SB)


Interview mit Camille, Julien, Julie und Tristan am 13. April 2013 in La ZAD



Den Aktionstag "Sème ta ZAD" (Säe deine ZAD), zu dem die Verteidiger der umkämpften Zone aufgerufen hatten, um gemeinsam das Landwirtschaftsjahr zu beginnen, bot vielen Menschen die Gelegenheit, ihre Solidarität mit den Bauern und ZADistas zum Ausdruck zu bringen und Einsatzbereitschaft zu demonstrieren. Die bretonische Natur- und Kulturlandschaft von La ZAD wird nicht nur gegen ein so sinnloses wie symbolträchtiges Megaprojekt verteidigt, sondern gegen eine Lebens-, Denk- und Wirtschaftsweise, die immer mehr Menschen zugunsten einiger Profiteure in Not bringt. Daß sich der Widerstand gegen das Projekt nicht auf die Frage Flughafen ja oder nein beschränken kann, ist vielen Aktiven selbstverständlich, doch "Sème ta ZAD" bedeutet noch etwas mehr. In einem weiteren Sinne beinhaltet es nicht nur das Bekenntnis zur ZAD von Notre-Dame-des-Landes, indem man beharrlich und unwiderruflich aufbaut, wo zerstört wird, sondern in demselben Geist, den Widerstand an den Platz zu tragen, wo man lebt und arbeitet. Am Rande der Demonstration und Feldarbeiten hatte der Schattenblick die Gelegenheit zu einem kurzen Austausch mit einer Gruppe junger Besucher der ZAD.

Wandmalerei in La Chateigne - Foto: © 2013 by Schattenblick

Blüte widerständiger Kunst
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick: Warum ist es wichtig für euch, heute hier zu sein?

Camille: Für uns ist es wichtig, mit den vielen Leuten hier am gemeinsamen Kampf gegen ein solches Projekt teilzunehmen. Es ist eine gute Sache, weil man hier die Energie und die Motivation hat, Dinge gemeinsam zu machen. Wir sind absolut gegen dieses Flughafenprojekt, das überhaupt nicht in unserem Interesse ist. So etwas wollen wir nicht. Schließlich geht es ja nicht allein um den Flughafen, sondern um das ganze Weltmodell, das diesen mit sich bringt. Dagegen kämpfen wir und nicht nur gegen den Flughafen. Und die Tatsache, daß hier jede Menge Leute zusammenkommen, um Gemüse anzubauen und an anderen Stellen mitzuhelfen, ist einfach schön. Es ist für uns ein Abenteuer, eine gute Erfahrung, kollektiv zusammenzuarbeiten, Dinge zu teilen und zu entdecken, mit Hand anzulegen, auch wenn man nicht hier am Ort lebt. Es ist gut, den Kampf zu unterstützen, indem man von Zeit zu Zeit für eine kurze Weile hierherkommt.

SB: Wo kommt ihr her?

Camille: Wir kommen aus Laval, das liegt im Département Mayenne, eineinhalb, zwei Autostunden von hier entfernt.

SB: Hier treffen ja sehr unterschiedliche Gruppen zusammen, von Umweltgruppen bis zu politischen Aktivisten. Habt ihr den Eindruck, daß das gut zusammengeht? Gibt es da aus eurer Sicht vielleicht auch Probleme?

Julie: Das ist sehr schwer zu beantworten, weil wir erst gestern hier angekommen sind. Und um sich ein bißchen in die Atmosphäre einzufinden, braucht man etwas Zeit und Muße. Was das Verhältnis der Menschen hier untereinander betrifft, ist es schwer, etwas darüber zu sagen, weil wir nur das haben, was man uns erzählt. Das ist also sehr subjektiv und die Frage folglich schwer zu beantworten. Aber klar, es gibt hier unterschiedliche Zusammenhänge, denke ich, in denen sich Leute über Neigungen und Gemeinsamkeiten zusammenfinden, gemeinsame Projekte entwickeln und schließlich gut zusammenarbeiten.

Julien: Schließlich haben alle dasselbe Ziel, dieselbe Motivation, das gemeinsame Ziel, La ZAD aufrechtzuerhalten.

Julie: Genau, aber die Aktionsmittel und die Parolen unterscheiden sich.

Tristan: Wir haben uns auf der Autofahrt hierher darüber unterhalten, es scheint wirklich nicht immer ganz einfach zu sein.

Julien: Ja, genau. Es gibt durchaus Meinungsverschiedenheiten unter den verschiedenen Gruppen, unterschiedliche ideologische Ansätze. Und ich glaube, selbst wenn es das gemeinsame Projekt gibt, einen Raum zu verteidigen und ein Gegenprojekt zum Flughafen, stecken dahinter viele unterschiedliche Ideologien, viele verschiedene Ansichten, die sich manchmal durchaus widersprechen.

Camille: Es gibt aber dennoch die Komplementarität, die Tatsache, daß man sich gegenseitig ergänzen kann.

Tristan: Wir sind eigentlich nicht so auf dem laufenden darüber, weil wir hier am Ort darüber kaum mit ihnen diskutiert haben.

Julia: Außer gestern ein bißchen.

Camille: Selbst wenn es viele unterschiedliche Projekte gibt, ergänzt sich das im Endeffekt. Es gibt Leute, die vor Ort kämpfen wollen, andere wollen vielleicht eher Druck in Richtung Politik ausüben, wieder andere wollen mehr an der Entwicklung der Argumente arbeiten und erstellen Studien mit Zahlen und allem. Das sind unterschiedliche Mittel des Kampfes, die man jeden Tag und überall im Leben nutzen kann, auch wenn es vielleicht nicht gleich zwingend ins Auge springt. Aber am Ende schafft das eine Komplementarität im Kampf, die dazu führt, daß er zu einem umfassenderen, globalen Kampf wird, der auf unterschiedlichen Ebenen stattfindet. Jeder kämpft auf die Art und Weise, die für ihn die zutreffende ist, und wie es für ihn wichtig ist. Und selbst wenn das vielleicht manchmal der einen oder anderen Organisation nicht recht ist, hat das auch seine Vorteile in dem Sinne, daß es viele Dinge gibt, die auf unterschiedliche Weise zustandekommen.

Zitat Bertolt Brecht aus der Dreigroschenoper - Foto: © 2013 by Schattenblick

Zur Moral der kapitalistischen Eigentumsordnung
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Nehmt ihr etwas von hier mit in eurer persönliches Leben?

Julien: Sicher!

Tristan: Wir machen dort weiter.

Camille: Ja klar! Für mich persönlich heißt das - all das hier zu sehen, die Leute hier, die ohne Elektrizität, mit wenig Wasser und wirklich unter sehr einfachen Bedingungen leben und glücklich sind, die ihre ganze Zeit damit verbringen, etwas aufzubauen, den Tag und auch die Sonne genießen -, also ich finde, das läßt einen nachdenken über das eigene Leben: das Leben in der Stadt oder auf dem Land, wie wir auf die Uhr sehen, Termine haben. Muß man unaufhörlich Wasser benutzen oder nicht, eine Lampe anmachen oder nicht? Das läßt einen nachdenken, wenn man nach Hause zurückkommt.

Tristan: Darüber, wie die Gesellschaft beschaffen ist, in der wir leben.

Camille: Die Frage des Konsums auch. Wenn du in einen Supermarkt gehst, nachdem du in La ZAD warst, dann sind das zwei völlig verschiedene Welten, die dennoch parallel zueinander existieren, ohne daß sie eine Verbindung miteinander haben.

SB: Derzeit ist die gesellschaftsverändernde linke Politik relativ im Niedergang begriffen. Ist für euch vorstellbar, daß auf die Weise, wie der Widerstand hier stattfindet, und durch das, was hier vertreten wird, so etwas wie eine neue emanzipatorische oder linke Politik geschaffen werden könnte?

Tristan: Das ist ein bißchen schwierig, weil die Linke zur Zeit für den Flughafen ist.[1]

Julie: Ja, das ist eher die Linke.

Camille: Eigentlich ist die Frage, ob eine Bewegung wie diese hier die Gesellschaft im Ganzen verändern kann durch einen neuen Ansatz.

SB: Im Moment kann man den Eindruck haben, daß es mehr Menschen gibt, die ökologischen Bewegungen beitreten oder auch dem Kampf gegen die Globalisierung und daß die Ideen der Linken, die man früher gehabt hat, sich vielleicht ein wenig auf dem Rückzug befinden.

Camille: Ja, ein bißchen, weil die Linke von heute das Flughafenprojekt auf den Weg gebracht hat. Sie unterstützt das Flughafenprojekt auf politischer Ebene. Also denke ich, daß die Leute, die hier sind und dagegen kämpfen, sich nicht in der aktuellen Politik wiederfinden, sei sie nun links oder rechts. Für sie ist das ein bißchen dasselbe. Und man sieht, daß alle möglichen Formen politischer Ansätze entstehen, daß man sich vielleicht eher regional orientiert und weniger international, weniger auf Geld ausrichtet und mehr auf gegenseitige Hilfe und so weiter. Vielleicht muß man das als einen Kampf sehen, der sich auf eine Utopie richtet, aber möglicherweise ist es das Vorfeld von etwas. Ich weiß es nicht. Schön wäre es!

Tristan: Einige ziehen durchaus eine Parallele zwischen der Bewegung gegen den Flughafen und den Mobilisierungen, wie sie in Larzac geschehen sind. Ich weiß nicht, ob Ihnen der Kontext etwas sagt, aber das hier ist ein Beispiel, von dem man denkt, daß es ein neues Larzac werden und die Linke gegen die Parti socialiste und die anderen führenden, wirtschaftsnahen Parteien zusammenschließen könnte. Ich glaube, es gibt viele Menschen, die ihre Hoffnung und ihr Bestreben darauf setzen.

Demonstrationszug in La ZAD - Foto: © 2013 by Schattenblick

Vielfalt des Protestes
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Wie seht ihr das Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung? Ist das eine Bewegung, die wirklich auch die Bevölkerung hier erreicht oder sind es eher wenige Leute, die sich mit ihr solidarisieren, während die anderen dem eher skeptisch gegenüberstehen?

Tristan: Vielleicht müßte man das die Leute fragen, die hier leben. Wir haben keinen Kontakt zu den Bauern, weil wir nur kurz hier sind.

Julie: Aber der Aufruf zum Beispiel zu diesem Wochenende kam von Bauern und La ZAD gemeinsam. Er kam von einer Organisation, die mehrere bäuerliche Organisationen umfaßt, von COPAIN 44. Sie hat dieses Wochenende organisiert. Das zeigt also auch, daß es das Bedürfnis gibt, mit den Leuten von La ZAD gemeinsam über den Kampf etwas zu bewerkstelligen. Den Eindruck habe ich schon. Ich weiß nicht, ob es darüber hinaus noch Kontakte gibt.

Julien: Mir ist gestern im Laufe des Abends nach unserer Ankunft schon aufgefallen, daß es doch eine gewisse Unterstützung gibt von seiten der Bauern. Schließlich haben sie ihren Hof hier und das Land, das sie bewirtschaften, und wissen sehr genau, daß sie woanders hinmüssen, wenn es hier einen Flughafen gibt.

Julie: Ja. Es gibt auch viele Lebensmittelspenden einfach so, habe ich den Eindruck.

Julien: Ja. Und es geht darum, sein Leben zu ändern; es entsteht eine eigene Wirtschaft.

Julie: Ich glaube auch, daß es unterschiedliche Ansätze gibt.

Tristan: Es gibt verschiedene Strukturen, die parallel existieren, so daß jeder nach seinen eigenen Möglichkeiten und eigenen Strategien arbeitet. Ich glaube, es gibt zum einen Organisationen, die die Bauern der Zone zusammenschließen, und eine wesentlich informellere Verbindung der Gruppe von Menschen, die die Zone besetzen. Es gibt auch eine Vereinigung der regionalen Volksvertreter, die gegen das Projekt sind, unter anderem auch Leute, die im Departementsrat mit der Parti socialiste im Bündnis stehen, die aber schon seit langer Zeit gegen den Flughafen sind - die gewählten Grünen nämlich. Das ist heikel, weil sie zusammen mit den Sozialisten die Mehrheit bilden. Ohne die Grünen haben diese nicht die Mehrheit in der Region. Die Grünen fanden sich plötzlich in der Lage wieder, von der Tatsache profitieren zu können, daß sie für die Bildung einer Mehrheit unverzichtbar waren. Aber es hat viele geheime Verhandlungen gegeben und Kompromisse, und in Bezug auf den Flughafen wirkt das jetzt wie eine Blockade.

SB: Das heißt, die Grünen sind eigentlich gegen den Flughafen?

Tristan: Die Grünen sind alle gegen das Flughafenprojekt, aber da sie das Bündnis mit der PS eingegangen sind, ist das schwierig.

Julie: Während des Präsidentschaftswahlkampfs im letzten Jahr gab es ein Abkommen zwischen der PS und den Grünen, und darin gab es einige Punkte, in denen sie nicht übereinstimmten. Beim dem Flughafen war das beispielsweise der Fall. Sie hatten behauptet, sie würden sich mit dem Projekt nie einverstanden erklären. Aber am Ende sind sie die Allianz eingegangen.

SB: Wir bedanken uns für dieses Gespräch.

Hüttendorf in La ZAD - Foto: © 2013 by Schattenblick

Treffpunkt La Chateigne
Foto: © 2013 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] gemeint ist hier die sozialistische Partei, PS, von Hollande


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22. Mai 2013