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INTERVIEW/025: Megacities - Produktivität des Elends (SB)


Interview mit Prof. Dr. Bettina Gransow am 15. April 2013 in Bonn



Die Sinologin Prof. Dr. Bettina Gransow lehrt am Ostasiatischen Seminar an der Freien Universität Berlin und forscht zu verschiedenen Themenbereichen, die die Arbeitsmigration und Megastadtentwicklung in China betreffen. So untersuchte sie im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms "Megacities - Megachallenge: Informal Dynamics of Global Change" "Muster der Bildung von Migrantengemeinschaften im megaurbanen Perlflußdelta/China - Verschränkungen von informeller Dynamik, Regierbarkeit und globalem Wandel". Am Rande des abschließenden Kongresses zu diesem internationalen und interdisziplinären Forschungsprogramm beantwortete sie dem Schattenblick einige Fragen.


Schattenblick: Frau Gransow, auf welche Weise sind Sie an dem Forschungsprojekt "Megacities - Megachallenges" beteiligt?

Bettina Gransow: Ich beschäftige mich hauptsächlich mit Migrantensiedlungen und habe schon vor vielen Jahren damit angefangen, solche Siedlungen in Peking, Shanghai und Guangzhou zu vergleichen. Über diesen Weg bin ich überhaupt zu diesem Forschungsprojekt gekommen, weil mich der Zusammenhang mit der Megastadt-Entwicklung angesprochen hat. Das Perlflußdelta stellt insbesondere in Guangzhou mit den Urban Villages eine ganz besonders interessante Konstellation dar.

Wir hatten den Schwerpunkt innerhalb dieses Projektes vor allen Dingen auf Gesundheit gelegt und daher zunächst angefangen, Migranten in den Urban Villages über ihre Gesundheitssituation zu befragen. Man muß wissen, daß Migranten in den Städten keine Versicherung haben. In China ist das Gesundheitssystem spezifiziert, das heißt, es gibt ein ländliches und ein städtisches Gesundheitssystem. Die Nutzung der guten Kliniken in den Städten ist für die Migranten unbezahlbar teuer. Es heißt zwar, daß Migranten, wenn sie krank werden oder einen Unfall haben, nach Hause gehen, aber ich habe mich immer gefragt, was tatsächlich passiert, falls jemand beispielsweise vom Gerüst fällt, denn die Unfallquote ist hoch. In der Regel kommen die Betroffenen erst einmal in ein Krankenhaus und erhalten eine Erstversorgung.

Und damit fängt das Problem auch schon an. Wer bezahlt die Behandlung? Das ist ein ganz wichtiger Punkt, weshalb auch die Migranten-NGOs entstanden sind, von denen ich heute im Vortrag gesprochen habe. Es geht darum, Unterstützung leisten zu können, denn in der Tat gehen nicht alle Migranten wieder aufs Land zurück, wenn sie eine Berufskrankheit oder einen Betriebsunfall erleiden. Das hängt nicht unwesentlich davon ab, ob sie noch fähig sind zu arbeiten. Wenn man nicht mehr arbeiten kann, dann geht man für gewöhnlich wieder nach Hause zurück, aber wenn man noch irgendwie arbeitsfähig ist, bleibt man in der Stadt, weil der Unfall selber wieder Kosten verursacht. Das ist zum Teil ein dramatischer Prozeß. Im Perlflußdelta kommt es vor allem zu Handverletzungen, weshalb die Kliniken eigene chirurgische Abteilungen für diese Fälle eingerichtet haben. Wegen der anfallenden Kosten für die Operation müssen sich die Betroffenen oft bei ihren Familien oder Verwandten verschulden und dann zusehen, wie sie das wieder zurückzahlen können und daher dringend nach einer anderen Arbeit suchen, die dann unter Umständen noch gefährlicher ist.

Wir haben es also nicht nur mit einmaligen Berufsunfällen zu tun, sondern mit mehrfachen. Mir war die Dramatik der Situation zuvor nicht so klar gewesen, weil darüber ziemlich wenig bekannt ist. Es gibt eine ganze Menge Ansätze, um diese Probleme zu beheben. Ein wichtiger Schritt war das einheitliche Sozialversicherungsgesetz, das im Sommer 2011 in Kraft getreten ist. Es enthält einen Passus, demzufolge die Sozialversicherung erst einmal in Vorleistung tritt, wenn der Betrieb nicht zahlt. Allerdings weiß das kaum jemand. Das heißt, die Mittel sind vorhanden und werden auch an die lokalen Stellen überwiesen, aber die Informationen dringen oft nicht bis zu den Betroffenen durch. So hat man für das erste Jahr von 2011 bis 2012 festgestellt, daß die bereitgestellten Gelder überhaupt nicht ausgeschöpft worden sind.

SB: Wie verhält es sich mit der Verantwortlichkeit der Unternehmen, die schließlich von der billigen Arbeitskraft profitieren? Werden sie in die Pflicht eingebunden, bei Arbeitsunfällen notfalls finanziell einzuspringen?

BG: Eigentlich schon. Seit 2008 gibt es ein neues Arbeitsvertragsgesetz. In dieses Gesetz sind auch die Migranten eingebunden, aber de facto spielt es immer eine Rolle, ob ein Vertrag vorhanden ist oder nicht. Vielfach wurde eben kein Vertrag abgeschlossen. Das gilt vor allen Dingen für die kleineren Betriebe, die paternalistisch organisiert sind. Kommt es dort zu einem Unfall, werden die medizinischen Kosten für die Behandlung in der Regel übernommen, aber eigentlich fangen die Konflikte nach dem Arbeitsausfall mit der Frage nach Kompensation in einem viel relevanteren Ausmaß an. Wir haben uns in diesem Zusammenhang die Arbeitskonflikte genauer angeschaut, bei denen es eher um Kompensationsfragen als um die unmittelbaren Kosten für die Erstversorgung geht. Gerade bei den Handverletzungen muß es auch eine längerfristige Versorgung und Reha-Maßnahmen geben. Letztere stecken noch ganz in den Anfängen. Man kann sie zwar in Anspruch nehmen, und es werden auch zunehmend Reha-Kliniken eingerichtet. Das Problem ist aber, daß bei den Betroffenen manchmal die Befürchtung besteht, daß mit der Inanspruchnahme einer Reha-Maßnahme, die sehr lange dauert, möglicherweise die Kompensation geringer ausfällt. Denn in China gibt es ein zehngradiges System, mit dem die Eingeschränktheit der Arbeitsfähigkeit eingestuft wird.

SB: Der chinesische Staat müßte im Grunde ein starkes Eigeninteresse daran haben, die Arbeitskraft der Migranten bzw. Wanderarbeiter zu erhalten. Die arbeitende Bevölkerung ist schließlich sein Kapital. Ist die neuere Sozialgesetzgebung ein Ausdruck dessen, daß der Staat sich auch um die Lebensqualität der Arbeitsbevölkerung sorgt?

BG: Von seiten des Zentralstaates wird eine ganze Menge unternommen. Was die Sozialgesetzgebung betrifft, so werden die Ausführungsbestimmungen jedoch auf lokaler Ebene umgesetzt. In manchen Gegenden im Perlflußdelta wie zum Beispiel in Dongguan existieren sehr enge Beziehungen zwischen der Lokalregierung und den Unternehmern. Natürlich möchte man die Unternehmer nicht vergrätzen, und das bedeutet, daß die Lokalregierung die staatlichen Maßnahmen längst nicht in dem erforderlichen Maße unterstützt.

SB: Ein wichtiger Aspekt dieser Konferenz war der große Widerspruch zwischen dem ländlichen und dem urbanen China, zwischen dem Osten und dem Westen und zwischen Landwirtschaft und Industriearbeit. Welche Rolle spielt diese spezielle Diskrepanz, die sich in gewisser Weise auch dadurch verschärft, daß die industrielle Entwicklung sehr viel schnelleres Wachstum erzeugt als der Agrarsektor, im gesellschaftspolitischen Kurs Chinas?

BG: Es gibt immer bestimmte Phasen. 2006 war die Politik stärker auf eine Entwicklung auf dem Land ausgerichtet, um eben diese Diskrepanz zu verringern, was aber nur bedingt gegriffen hat, während der gegenwärtige Trend eher die Urbanisierungspolitik vorantreibt. Dabei entsteht das große Problem, daß die Migranten in erster Linie als ökonomische Arbeitskräfte gesehen werden. Zwar sollen sie langfristig in die Städte integriert werden, aber in diesem Punkt treten immer wieder die Unterschiede zwischen der Politik der Zentralregierung und den Interessen der Städte hervor. Gerade die großen Städte spielen als ökonomische Akteure eine immer stärkere Rolle und haben durch die politische Dezentralisierung mehr Macht und Möglichkeiten bekommen. So führt beispielsweise Guangzhou jetzt eine Einwanderungspolitik ein, die dem kanadischen Punktesystem ähnelt, um darüber hochqualifizierte Kräfte anzuziehen, aber die normalen Wanderarbeiter sind in aller Regel eben nicht so gut qualifiziert. Für sie ist es natürlich sehr schwer, über dieses Punktesystem in die Stadt hineinzukommen.

Hier finden demzufolge auf der lokalen Ebene starke Ausgrenzungsprozesse statt. Man will die Leute als Arbeitskräfte haben, aber nicht als Personen, die Wohnraum auch für ihre Familien brauchen. Wohnen ist ein großes Problem in China. In den Städten gibt es inzwischen sehr viele Eigentumswohnungen, die aber für die einfachen Arbeiter kaum erschwinglich sind. Das ist auch eine Frage der Registrierung. Man kann als Migrant eine städtische Registrierung bekommen und sich auch eine Wohnung kaufen, aber man darf dann vielleicht seine Eltern nicht nachholen. Es ist eine eingeschränkte Registrierung. Durch diese komplizierten Verhältnisse werden praktisch neue Probleme geschaffen, die aber letzten Endes auf eine Ausgrenzung auf vielfältigen Ebenen hinauslaufen.

SB: China ist als Nationalstaat sehr stark zentralistisch organisiert, wenn aber der lokale und regionale Einfluß der Städte auf derartige Vorgänge zunimmt und sie in immer größerem Ausmaß eigenständig agieren, könnte es in letzter Konsequenz bedeuten, daß sich sezessionistische Tendenzen entwickeln, die den Staat in seiner Integrität bedrohen. Wie geht die chinesische Politik damit um, wenn sie einerseits die Marktkräfte in ihrer Eigendynamik entfesseln will, um auf der anderen Seite als globaler Akteur schlagkräftiger zu werden?

BG: Einerseits wird eine Obsession mit dem Begriff der Stabilität getrieben, was sicherlich damit zusammenhängt, daß in diesem riesigen Land sehr unterschiedliche Provinzen existieren, die zudem auseinanderstreben. In diesem Dezentralisierungsprozeß sind nicht nur Provinzen, sondern auch einzelne Städte gestärkt worden. Auf der anderen Seite gibt es aber auch die Strategie, zunächst einmal bestimmte Experimente in einzelnen Provinzen durchzuführen. Dazu gehören zum Beispiel die NGO-Registrierungsregelungen. Wenn diese, wie es gerade in der Provinz Guangdong geschieht, gelockert werden, schaut man sich an, wie das funktioniert und wo die Probleme liegen, bevor man es unter Umständen auf andere Gebiete ausweitet. Insofern, denke ich, versucht man, gewisse Erfahrungen zu sammeln, da man mit einem so großen Land flexibel umgehen muß. Anders würde es gar nicht gehen. Allerdings gibt es dann auch wieder sehr harte Maßnahmen, wo aus der Befürchtung heraus durchgegriffen wird, daß das Land auseinanderbrechen könnte. Andererseits wird in Teilbereichen der Wissenschaft, aber auch in der Politik ein Reflexionsprozeß darüber geführt, daß auf diese Weise keine langfristige Stabilität zu erreichen ist, sondern man viel stärker durch gesetzliche Initiativen im Bereich der Arbeit und sozialen Sicherung wie deren Finanzierung und Umsetzung auf die schwierigen demographischen Trends reagieren muß. Dieses Wissen gibt es bereits, aber man kann sich sicherlich gut vorstellen, wie schwierig es ist, zu einer entsprechenden Umsetzung zu kommen.

SB: Glauben Sie, daß die Rolle der NGOs, die in gewisser Weise soziale Leistungen erbringen, für die üblicherweise der Staat zuständig wäre, ein tragfähiges Modell ist, um sozialstaatliche Defizite der Marktwirtschaft zu kompensieren?

BG: Ich denke, man muß da unterscheiden zwischen den NGOs, die allgemeine Serviceleistungen im Bereich von Wohlfahrt erbringen, und den speziellen Migranten-NGOs. Die Service-NGOs werden in hohem Maße gestärkt, weil man über sie versucht, Lasten des Staates abzuwälzen oder Vertragsverhältnisse zu bilden, wie das auch in vielen anderen Ländern üblich ist. Möglicherweise wird Hongkong ein bißchen als Modell dafür gesehen. Auf der anderen Seite haben die Migranten-NGOs meiner Meinung nach weit mehr Potential, die Integration von Migranten in die Städte zu bewerkstelligen, als es genutzt wird. Offenbar bestehen starke Ängste, daß sich das mit Unruhen oder Streikbewegungen verbinden könnte.

SB: Lassen sich die Migranten-NGOs möglicherweise schon als rudimentäre gewerkschaftliche Organisationsformen verstehen?

BG: Im Perlflußdelta wird, sobald sich irgend etwas in diese Richtung entwickelt, sofort abgewürgt. In anderen Provinzen gibt es eher jene Art von NGOs, die mehr wie Gewerkschaften oder Zusatz-Gewerkschaften handeln. Dies ist auch ein Problem auf Seiten der offiziellen Gewerkschaften, die sich in Guangdong gerade in einem Prozeß der Öffnung befinden und eigentlich sehr viel stärker Kollektivverhandlungen betreiben wollen und jetzt befürchten, daß ihnen das Ansehen dieser NGOs in die Quere kommen könnte. Es gibt auch Ansätze, die mehr auf eine Kooperation abzielen, wenn sich zum Beispiel die Migranten-NGOs mit den Gewerkschaften zu einer Plattform zusammenschließen, so daß die Gewerkschaften bestimmte Dienstleistungen auslagern und von diesen NGOs erfüllen lassen könnten, was ich persönlich für eine ganz sinnvolle Konstruktion halte. Dagegen gibt es jedoch viele Widerstände sowohl von politischer als auch von Gewerkschaftsseite her.

SB: Kann man die Gewerkschaften in dem von ihnen geschilderten Sinne als Unterorganisationen der Regierungspartei KPCh begreifen?

BG: Ja, sie sollen alle Interessen vertreten, die der Arbeiter, des Staates und der Unternehmen. Natürlich funktioniert das nicht, und daher versuchen sie, sich aus diesem Dilemma herauszubewegen.

SB: Bedenkt man die häufigen Verletzungen von Wanderarbeitern oder die hohe Todeszahl von Minenarbeitern, bekommt man den Eindruck, es in China teilweise mit frühkapitalistischen Formen der Ausbeutung von Arbeit zu tun zu haben. Dagegen leisten die Arbeiter offenbar Widerstand, wie die hohe Zahl kollektiver Protestaktionen belegt. Gibt es Ihrer Ansicht nach tatsächlich eine Entwicklung, daß politische Veränderungen in China von unten erzwungen werden oder wird das doch eher über die administrative Ebene ausgesteuert?

BG: Ich denke, daß diese Streikbewegungen durchaus Auswirkungen gehabt haben. Man ist damit relativ vorsichtig umgegangen und hat auch vergleichsweise wenig eingegriffen. Es finden schließlich ständig irgendwelche kleinen Streiks und Aktionen statt, die in einem weiteren Sinne natürlich auch politischen Einfluß ausüben, aber darin sind diese Migranten-NGOs jetzt nicht involviert. In dem Kommentar vorhin ist Liang Zei noch einmal auf die Serie von Selbstmorden bei Foxconn zu sprechen gekommen, die es übrigens nicht nur bei Foxconn, sondern auch bei anderen Firmen gibt. Foxconn hat dann eine NGO damit beauftragt, eine Art psychologischer Beratung anzubieten. Ich hatte diese NGO auf einer NGO-Messe getroffen, die 2011 zum ersten Mal organisiert wurde und wo sich Hunderte von NGOs, aber vor allen Dingen auch Firmen mit CSR-Projekten präsentieren. Die Migranten-NGOs sind dort allerdings nicht vertreten. Damals hatte ich mit Vertretern dieser Foxconn-NGO über die Angelegenheit gesprochen. Sie bieten praktisch psychologische Beratung seitens der Firma an, aber ich hatte nicht den Eindruck, daß da jetzt besonders in die Tiefe gegangen wird hinsichtlich der Probleme, die bei Foxconn vor allem auf das sehr harsche Management zurückzuführen sind. So werden etwa Migranten, in der Regel sehr junge Leute, oft auch Interns, die von Berufsschulen kommen, systematisch voneinander getrennt. Arbeiter, die aus den gleichen Gegenden kommen, dürfen nicht im gleichen Wohnheim leben und nicht in den gleichen Schichten arbeiten. Da findet wirklich eine systematische Isolationspolitik statt.

SB: Man hört in den hiesigen Medien von diesen gigantischen Fabriken in den Sonderwirtschaftszonen, wo die arbeitende Bevölkerung teilweise unter kasernierten Bedingungen lebt. Trifft das tatsächlich zu?

BG: Ja, wobei das Management sehr unterschiedlich ist. Es heißt, die westlichen Firmen seien besser als die taiwanesischen, koreanischen und japanischen Unternehmen. Ich glaube, etwa in dieser Reihenfolge wird es im allgemeinen eingeteilt. Man darf schließlich nicht alles über einen Kamm scheren.

SB: Sie sprachen in Ihrem Vortrag auch von den Auswirkungen, die die Strukturierung des Raumes auf den einzelnen Menschen, in dem Fall hauptsächlich auf den Arbeiter, hat. Gibt es von der Seite der Stadtentwicklung und -planung her konkrete Strategien, mit denen versucht wird, die Arbeiter auch auf diese Weise für die Anforderungen zuzurichten, die an sie gestellt werden?

BG: Von seiten der Planung sind Industrien, wie in anderen Städten auch, aus dem Zentrum ausgelagert und an den Stadtrand verlegt worden. Das spielt in der Stadtplanung eine wichtige Rolle, aber eine Zielsetzung bezogen auf die Arbeiterviertel gibt es kaum. Das ist eigentlich das Hauptproblem für die Arbeiter, die nicht in Wohnheimen, sondern oft in diesen Urban Villages leben, die jetzt im großen Stil abgerissen werden. Die Arbeiter weichen dann auf weiter entfernt liegende Urban Villages aus, aber im Grunde genommen ist ein sozialer Wohnungsbau perspektivisch unbedingt nötig. Leider passiert in dieser Hinsicht sehr wenig. Es gibt zwar ein Paket, das für den sozialen Wohnungsbau geschnürt worden ist, aber dieses betrifft in erster Linie städtische ärmere Schichten und weniger die Migranten. Da besteht dringender Bedarf.

SB: Wie bewerten Sie die Rolle der deutschen Wissenschaft in diesem Megacity-Projekt in bezug auf beratende und vielleicht auch kritische Positionen gegenüber dem, was in China passiert?

BG: Zunächst einmal muß man die Verhältnisse kennenlernen, um sie richtig beurteilen zu können. Man kann da nicht einfach mit eigenen Konzepten herangehen und meinen, Empfehlungen geben zu können. Es ist natürlich auch wichtig, daß man das in enger Kooperation mit der chinesischen Forschung macht, also nicht einfach ignoriert, was es dort an Ansätzen gibt. Für mich ist es sehr interessant, daß auf vielen chinesischen Konferenzen für den Bereich Migration relativ oft sowohl Vertreter der Wissenschaft, NGO-Vertreter wie auch Medienvertreter anwesend sind. Von daher ist die Kommunikation zwischen den verschiedenen Gruppen, die mit diesen Entwicklungsfragen befaßt sind, einschließlich der Medien, stärker als bei uns üblich. Das halte ich, da es um praktische Lösungen geht, für eine gute Sache. In dem Punkt könnten wir hier auch etwas von der dortigen Situation lernen.

SB: Frau Dr. Gransow, vielen Dank für das ausführliche Gespräch.


Bisherige Beiträge zum Kolloquium "Megacities - Megachallenge" im Schattenblick unter INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT

BERICHT/015: Megacities - Rauburbane Sammelpunkte (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0015.html

BERICHT/016: Megacities - Evolution der Umlast (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0016.html

BERICHT/017: Megacities - Marktaufbruch der Sieger und Verlierer (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0017.html

INTERVIEW/015: Megacities - Über den Tellerrand - Prof. Dr. Frauke Kraas im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0015.html

INTERVIEW/016: Megacities - Forschungsselbstzweck Überleben - Dr. Johannes Karte im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0016.html

INTERVIEW/019: Megacities - Freiheit, Gleichheit, Forschung (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0019.html

INTERVIEW/020: Megacities - Konstruktdynamische Prozesse (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri20.html

INTERVIEW/022: Megacities - Fehlverteilung urban - Benjamin Etzold im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri22.html

INTERVIEW/023: Megacities - Elendsverteilungsvariante Dhaka (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri23.html

INTERVIEW/024: Megacities - Projekt interdisziplinär gelungen (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri24.html


8. Juni 2013