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INTERVIEW/027: Planspiel Stadtbereinigung - Okkupation auf leisen Sohlen - Gespräch mit Flo vom AKU (SB)


Interview mit Flo vom Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg am 29. Mai 2013



Im Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg (AKU) werden "kritische Töne zu Stadtentwicklungsprozessen in Hamburg-Wilhelmsburg" [1] laut. Dies betrifft insbesondere die Internationale Bauaustellung (IBA), mit deren Auftakt 2007 das Hamburger Stadtentwicklungs- und Gentrifizierungsprojekt "Sprung über die Elbe" angeschoben werden sollte und die mit dem Präsentationsjahr 2013 ihren Höhepunkt und Abschluß findet, sowie die Internationale Gartenschau (igs), ein exemplarisches Beispiel für die Zurichtung natürlichen Wildwuchses auf die Kontroll- und Verwertungsinteressen sozialräumlicher Organisation. Flo gehört dem AKU an und beantwortete dem Schattenblick einige Fragen zum Stand der Entwicklung in Wilhelmsburg nach der Eröffnung beider Events wie den Aktivitäten des Arbeitskreises.

Im Gespräch - Foto: © 2013 by Schattenblick

Flo vom Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg (AKU)
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Flo, könntest du etwas zum Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg sagen? Seit wann gibt es euch, und wie habt ihr euch zusammengetan?

Flo: Den Arbeitskreis Umstrukturierung gibt es in dieser Form seit fünf Jahren. Es hat damit angefangen, daß eine Gruppe Leute sich überlegt hat, was eigentlich in diesem Stadtteil geschieht und wie dies zu verstehen ist. Unser Anspruch bestand darin, dies zuerst einmal selbst herauszufinden und einzuschätzen, um die Entwicklung schnell zu kommentieren und zu kritisieren. Denn uns war eigentlich sofort klar, daß wir mit unserer Kritik alleine dastehen und auch von anderer Seite her wenig zu erwarten war. Daher war es wichtig, die Verhältnisse erst einmal zu analysieren. Zudem haben wir versucht, dieser Entwicklung in Zusammenarbeit mit Betroffenen - es handelt sich vorwiegend um MieterInnen - etwas entgegenzusetzen. Erste Kontakte wurden geknüpft, als die erste Sanierungseinheit im Weltquartier losging und es zu Auseinandersetzungen um mietrechtlich aus zweifelhaften Gründen gekündigte Mietverträge kam. Jetzt in der zweiten Phase haben wir es vor allem mit der Wohnungsbaugesellschaft GAGFAH zu tun.

SB: War die Internationale Bauausstellung (IBA) eine Art Initialmoment für euch, weil die Umstrukturierung der Stadt damit richtig losging?

F: Genau. Damals haben die Medien auch das Thema IBA stark aufgegriffen, so daß sehr präsent war, daß jetzt hier in Wilhelmsburg etwas anderes geschehen soll.

SB: Ist die GAGFAH auch die Trägerin der Wohnungen, die im Reiherstiegviertel saniert werden?

F: Nein, die GAGFAH ist vor allem im Bahnhofs- und Korallus-Viertel aktiv. Die Wohnungen im Reiherstiegviertel sind das zentrale IBA-Projekt. Das Weltquartier war die erste sichtbare Baumaßnahme der IBA, die nicht zufällig in Form der stadteigenen SAGA durchgeführt wurde. Die ersten Investoren der IBA waren lange Zeit städtische Unternehmen, so daß es Jahre gedauert hat, bis tatsächlich private Akteure aufgetreten sind. Deswegen war die SAGA damals so prominent. Das sogenannte Weltquartier besteht vor allem aus SAGA-Wohnungen. Ein großer Teil der Wohnungen im Reiherstiegviertel wie überhaupt in Wilhelmsburg wie eigentlich in ganz Hamburg gehört der SAGA. Und ein ganz kleiner Teil davon wurde mit großer öffentlicher Beachtung saniert und umgestaltet.

BSU-Zentrale und Bauarbeiten im Weltquartier 29.04.2013 - Foto: © 2013 by Schattenblick BSU-Zentrale und Bauarbeiten im Weltquartier 29.04.2013 - Foto: © 2013 by Schattenblick BSU-Zentrale und Bauarbeiten im Weltquartier 29.04.2013 - Foto: © 2013 by Schattenblick BSU-Zentrale und Bauarbeiten im Weltquartier 29.04.2013 - Foto: © 2013 by Schattenblick

IBA-Impressionen - Postmoderne Planungszentrale, unwirtliche Peripherie
Fotos: © 2013 by Schattenblick

SB: Bei unserem Besuch im Weltquartier heute machte das Viertel den Eindruck einer riesigen Baustelle. Die Luft war voller Staub, die Baumaschinen machten sehr viel Lärm. Sollte der Umbau des Weltquartiers zur IBA nicht abgeschlossen sein?

F: Die Umbauten sind bisher nur zu einem geringen Teil fertiggestellt worden. Es gibt verschiedene Sanierungsstufen, von denen die erste bereits seit zwei Jahren fertig ist. Da wurde saniert, während die Leute in den Objekten wohnen bleiben konnten, unter reger Anteilnahme der Medien, die eine regelrechte Weltquartier-Show daraus machten. Die Bewohner der betroffenen Häuser hatten ganz andere Probleme, Stichwort: Mietrechtsverletzungen. Bereits während der Sanierung wurde deutlich, daß die SAGA sich nicht an ihre Zusagen hielt. Zudem wurde versucht, die Mietverträge derjenigen, die Umsetzwohnungen bekommen hatten und anschließend in ihre alten Wohnungen zurückziehen wollten, zu kündigen - mit dem Ziel, neue Verträge zu anderen Bedingungen abzuschließen. Ein Unding, weshalb sich viele mitrechtlich beraten ließen. Allerdings haben wir bis auf einige Fälle nur zu wenigen dieser betroffenen Mieter Kontakt. Es handelt sich vor allem um diejenigen, die nicht zurückziehen können, weil ihre Wohnungen vergrößert wurden und dadurch wesentlich teurer geworden sind. Zum Teil sind es auch Hartz-4-Empfänger, deren alte Wohnungen nun nicht mehr in die für sie gültigen Bemessungsgrenzen fallen. Diese Betroffenen wollen wir ausfindig machen, weil ihre Fälle für ein modellhaftes Projekt besonders interessant sind. Die Medienberichterstattung hierüber ist spärlich, als ob dieses Thema nicht an die große Glocke gehängt werden soll.

SB: Ist der Arbeitskreis Umstrukturierung mit der Kampagne IBA? Nigs DA! assoziiert?

F: Wir sind ein Teil von IBA? Nigs DA!. Die Kampagne wurde während eines größeren Treffens, bei dem sich verschiedene Leute aus Wilhelmsburg zusammensetzten und diskutierten, ins Leben gerufen.

SB: Wie ist es um die Resonanz in der Bevölkerung auf die IBA? Nigs Da!-Kampagne bestellt?

F: Mit unserer Kampagne haben wir, denke ich, nicht wenige Menschen erreichen können und die Probleme beim Namen genannt. Immerhin schreiben die Medien seitdem, daß die Bauausstellung "umkämpft" und "umstritten" ist, daß es Gegenstimmen und große Demonstrationen gibt. Bei der Gartenschau gelang uns das weniger öffentlichkeitswirksam, aber bei der IBA ganz gut. Auch überregionale Medien berichten von den Problemen der betroffenen Mieter und auch von den Demonstrationen. In Hamburger Medien wurde die Kritik meinem Eindruck nach zu einem großen Teil durchaus freudig aufgegriffen. In der Bevölkerung sind die Reaktionen unterschiedlich, aber ich habe eigentlich immer das Gefühl, daß es viel Zuspruch zu unseren Aktionen gibt.

SB: Wie ich in einschlägigen Blogs gelesen habe, erheben manche alteingesessenen Wilhelmsburger den Vorwurf, daß da Leute kommen, die gar nicht im Stadtteil aufgewachsen sind und jetzt ihre politischen Ziele auf ihrem Rücken austragen. Habt ihr auch solche Kritik an eurer Kampagne vernommen?

F: Natürlich gibt es Reibungspunkte. Gerade in Wilhelmsburg erscheint es den Alteingessenen wichtig, daß man nur dann als Wilhelmsburger gilt, wenn man dort schon sehr lange wohnt. Diesen Vorwurf gab es. In der IBA? Nigs Da!-Kampagne allerdings arbeiten wir mit Initiativen wie den Engagierten Wilhelmsburgern, mit denen wir eine ganz enge Zusammenarbeit während der Kampagne hatten, und anderen zusammen, die dafür stehen, schon immer in Wilhelmsburg gewohnt zu haben. Das denke ich, hat derartigen Vorwürfen ein wenig den Wind aus den Segeln genommen.

Containerlager und Wohngebäude - Foto: © 2013 by Schattenblick

Arbeiten und Leben in Wilhelmsburg
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Die Engagierten Wilhelmsburger haben hauptsächlich, wie ich es verstanden habe, ein Interesse an der Verkehrsinfrastruktur. Weißt du, wie diese Initiative zu IBA und igs steht?

F: Die alteingesessenen Wilhelmsburger sind sich eher bei der Frage der Verkehrsinfrastruktur einig, in anderen Fragen kann das ganz unterschiedlich sein. Sicherlich gab es bei der Zusammenarbeit inhaltliche Differenzen, und die engagierten Wilhelmsburger sind auch nicht Teil von IBA? Nigs Da!. Doch die Zusammenarbeit kann ja auch funktionieren, wenn man sich nicht in allen Punkten einig ist.

SB: In Hamburg gibt es eine relativ starke Recht-auf-Stadt-Bewegung. Wie verläuft die Zusammenarbeit zwischen ihr und den AktivistInnen in Wilhelmsburg?

F: Aus unserer Sicht haben die Hamburger Recht-auf-Stadt-Bewegten die Chance, sich mehr auf die Kampagne gegen IBA und igs zu beziehen, ein wenig verpaßt. Es ist schließlich ein großes Event, das inhaltlich Möglichkeiten der Auseinandersetzung bietet, gerade etwa bei den Stadt-Utopien, die von Seiten der IBA entwickelt wurden. Zum Teil gab es natürlich Berührungspunkte mit einigen Gruppen, die sich auch an IBA? Nigs Da! beteiligt haben. Sie haben auch zur Demonstration aufgerufen und sind gemeinsam von der Innenstadt nach Wilhelmsburg zur Demo gefahren. So etwas gab es alles, es hätte natürlich mehr sein können, das mag aber auch an unserem Wilhelmsburg-zentrierten Blick liegen. Wir erhoffen uns eben immer mehr, als letztendlich eintritt.

SB: Auf der Demo zur Eröffnung der IBA konnte man Transparente [3] sehen, auf denen kritisiert wurde, daß KünstlerInnen, die sich für die IBA haben einkaufen lassen, jetzt wieder auf Gentrifizierungskritik umschwenken. Setzt sich das Stadt-Marketing nicht mehr so gut durch, oder was könnten die Gründe dafür sein, daß sich auch im Kulturbereich Widerstand gegen diese Entwicklung regt?

F: Ich weiß nicht, ob ich das so gut beantworten kann. Mein Eindruck wäre, daß die von Kunst und Kultur getragene starke Werbung für die IBA in der Anfangszeit wirklich Aufmerksamkeit erregte, insbesondere die Kunst- und Kultursommer. Doch es gab auch KünstlerInnen, die da nicht mitgemacht haben. So gibt es einen offenen Brief der italienischen Gruppe Museo Aero Solar [4], die sich dieser Vereinnahmung verweigerte. Doch diese KünstlerInnen waren eher in der Minderzahl. Seit die kritischen Stimmen lauter werden, versuchen sich allerdings einige KünstlerInnen von ihrem Engagement für die IBA zu distanzieren. Ich denke, daß dies auch ein Erfolg unserer Kampagnen ist. Doch sind derartige Kulturoffensiven immer noch ein Teil dieser Events und werden es wohl auch bleiben.

SB: IBA und igs sind nun vollständig im Gange. Hast Du den Eindruck, daß sich der Anspruch der Macher dieser Shows, die Massen anzuziehen, erfüllt hat?

F: Das ist unterschiedlich. Zur igs gab es vor kurzem den taz-Artikel "80 Gärten ohne Gäste" [5]. Ich denke, die sind nahe dran am Negativ-Besucherrekord für Gartenschauen. Das mag am Wetter, aber auch an den krassen Eintrittspreisen liegen. Das mag auch daran liegen, daß eine Gartenschau immer, um sie durchzusetzen, unglaubliche Besucherzahlen vorgibt und dann nur die Hälfte erreicht. Das müßte man einmal mit anderen Gartenschauen vergleichen. Es ist schon absehbar, daß da nicht so viele Leute hingehen werden. Die IBA gibt an, daß sie mehr Besucher als erwartet hat, allerdings ist fraglich, ob dort überhaupt mit einem solchen Massenansturm gerechnet wurde. Die IBA ist auch nicht so sehr auf diese Ausstellung angewiesen, weil es eigentlich darum gar nicht geht.

SB: Was meinst du, was der hauptsächliche Zweck der IBA ist?

F: Ich denke, es geht erst einmal um eine Neubeschreibung des Stadtteils. An diesem Wandel haben sie jahrelang gearbeitet, bevor sie sich entschieden, was sie am besten ausstellen, um über den Stadtteil eine neue Geschichte zu erzählen, die das bisherige Image vergessen läßt. Das ist ihnen über die Zeit erstaunlich gut gelungen. Viele Interessenten besichtigen tatsächlich diese Häuser, die fast schon absurd isoliert in der Mitte dieser Insel herumstehen. Natürlich müssen sich die Leute auf einer Bauausstellung auch etwas angucken können. Aber ich denke, daß diese Bauten nicht wirklich mit dem in Verbindung stehen, was die IBA da tut. Sonst wäre es wahrscheinlich gar nicht so schlimm, wenn irgendwo ein paar neue Gebäude stehen.

SB: Das ganze ist ja eingebettet in das große Konzept des "Sprungs über die Elbe". Habt ihr euch gefragt, was dieses Konzept im größeren Rahmen stadtpolitisch bedeutet, auch über die naheliegende Option hinaus, daß die Stadt natürlich ihre Grundstücke aufwerten will?

F: Hierzu haben wir mehrere Ideen. Am meisten befürchte ich, daß damit auch ein neuer Umgang mit den sogenannten Problemvierteln einer Stadt erprobt wird. Die Vorstellung, aus dem alten Wilhelmsburg einen völlig neuen Vorzeige-Stadtteil zu machen, wo neue Leute hinziehen, schien vor Jahren noch absurd zu sein. Das ist schon ein sehr ehrgeiziger Plan gewesen. Inzwischen kann man sich kaum mehr vorstellen, daß daraus ein ganz normales Quartier entsteht. Es geht um Normalisierung, es geht darum, ein Problemviertel anders zu beschreiben, und zwar auf eine bevölkerungspolitische Art und Weise. Als Problem wird die Konzentration von Menschen mit weniger Ressourcen ausgemacht, und es wird davon ausgegangen, daß mit einer Veränderung dieser Konzentration auch die Verhältnisse anders werden. So wird nicht mehr beansprucht, die Menschen zu unterstützen und ihnen zu einer besseren Lebenssituation zu verhelfen, sondern man will lediglich die Zusammensetzung der Bevölkerung verändern. Dies wird, obwohl kein Konzept vorhanden ist, wie das eigentlich funktionieren soll, mit der Behauptung getan, daß dies keine Verdrängungseffekte zur Folge hätte.

Letztlich wird eine offene Verdrängungspolitik gefahren, die auch als solche zu erkennen ist. Wir hatten letztens einen Stadt-Geographen bei einer Veranstaltung zu Gast, der das so offen gesagt hat, wie wir es in der Diskussion kaum tun: Na klar ist das ein Verdrängungsprogramm, es geht darum, diese Bevölkerungsmischung strukturell zu verändern.

SB: Gibt es in Wilhelmsburg Ansätze einer selbstorganisierten Gegenbewegung, die versucht, ihre Straße, ihr Viertel selbstbestimmt zu gestalten?

F: Es gibt eine traditionelle Bürgerbewegunge. Die gehört eher einem Bürgertum an, das über mehr Ressourcen verfügt, das weiß und deutsch und damit auf eine bestimmte Weise positioniert ist. Auf eine bestimmte Art gehören wir als AKU ja auch dazu.

Es gibt noch andere Formen der Selbstorganisation, die aber weniger wahrgenommen werden. Als wir angefangen haben, uns mit dem GAGFAH-Konflikt zu beschäftigen, sind wir dauernd auf Versuche getroffen, sich selbst zu organisieren. Es gibt diese Netzwerke durchaus, doch sie treten nicht so sehr in Erscheinung.

SB: Habt ihr auch zur Eröffnung der igs zu einer Demonstration aufgerufen?

F: Ja, es waren aber nur kleine Kundgebungen. Es war relativ schnell klar, daß dieses Thema nicht so groß werden würde. Während die IBA sich ganz gut als Fokus der Anti-Gentrifizierungsbewegung geeignet hat, funktionierte dies bei der igs nicht, obwohl es gute Gründe dafür gibt, sie in diesen Kontext zu stellen. Anders als bei der IBA hat die an der igs geübte Kritik so nicht funktioniert. Die Kritik an der Gartenschau geht eher in Richtung Naturzerstörung. Gartenschauen als Stadtentwicklungsinstrumente mobilisieren irgendwie nicht, dementsprechend waren die Proteste kleiner. Zudem hat es in Strömen geregnet, vom Wetter her war es eine Katastrophe und die Medien waren in weit geringerem Maße präsent als bei der IBA-Eröffnung.

SB: Wenn man den kilometerlangen Zaun sieht, der das Gelände der igs umgibt, dann wird greifbar, daß hier ein großes Gebiet dem öffentlichen Zugang entzogen wird. Wer nicht das Geld für den Eintritt hinlegen will, kann das Gelände nicht begehen. Einen so langen Zaun mitten in der Stadt aufzustellen ist eigentlich ein Eklat für sich.

F: Das ganze Gelände ist bereits seit anderthalb Jahren gesperrt, und das wird auch im nächsten Jahr so bleiben. Das ist wirklich eine lange Zeit. Ein riesiges Gelände, das öffentlich zugänglich und auch bereits ein Park war, bleibt entgegen der Propaganda der igs einfach abgesperrt. Das geht eigentlich nur in Wilhelmsburg. Wenn man das in Altona probieren würde, wäre was los (lacht).

SB: Ist es nicht schwierig, eine Gartenbauausstellung zu kritisieren, wenn dort alles so schön grün ist? Wie sieht eure Kritik an dieser Form der Nutzung städtischen Raums aus?

F: Es geht darum, wie mit öffentlichem Raum umgegangen wird, speziell mit öffentlichem Grün. Als wir anfingen, uns mit dem Thema zu beschäftigen, wurden auf dem für die igs vorgesehenen Gelände 5000 Bäume gefällt - und dies, weil dort eine Gartenschau gebaut wird. Aus biologischer Sicht ist das katastrophal. Große Flächen wurden planiert und anschließend verbaut. Zuvor wurde sehr viel öffentliche Fläche einfach privatisiert. Auf großen Teilen des Gartenschaugeländes sind Hallen errichtet worden. Von den Flächen, auf denen sich vorher ein Park befand, sind viele verkauft und auch noch eingezäunt worden.

Die Fläche, auf der nun Gebäude stehen, die ganze Wilhelmsburger Neue Mitte, war ursprünglich einmal Park. Diese vormals allgemein zugänglichen Flächen sind nun größtenteils umzäunt. Da stellt sich die Frage, wie lange das Gelände abgezäunt bleibt und was damit gemacht wird. Auch Planten und Blomen wird nachts geschlossen. Mit dieser Vorgehensweise hat man kontrollierte oder kontrollierbare Räume geschaffen, die auf eine bestimmte Art nutzbar sein sollen oder bestimmte Nutzungen nahelegen. Dieser Ausnahmezustand auf Zeit ist ja ohnehin Konzept in Wilhelmsburg. Hier wird auf breiter Fläche geprobt, soviel Ausnahmezustand wie möglich zu erzeugen, um dann das durchzusetzen, was schon immer angedacht und für notwendig befunden worden ist. Dadurch werden viele Hürden außer Kraft gesetzt, die normalerweise bei Bauanträgen eingehalten werden müssen.

SB: Ihr habt gemeinsam das Buch "Unternehmen Wilhelmsburg" [6] herausgegeben und macht auch Veranstaltungen. Wie verläuft dieser Teil eurer Öffentlichkeitsarbeit?

F: Gerade die Veranstaltungen laufen erstaunlich gut. Wir hatten im April und Mai mehrere Veranstaltungen, im Schnitt waren immer etwa 80 sehr unterschiedliche Leute da, es war immer ziemlich voll. Wir hatten ein paar Koryphäen wie Andrej Holm eingeladen. Bei den meisten Veranstaltungen entstanden kontroverse Diskussionen, was Teil des Konzepts ist. So haben wir ReferentInnen aus einem breiten Spektrum eingeladen, auch wenn wir mit ihnen nicht einer Meinung sind. Als es letzte Woche um Verdrängung ging, war uns im Vorfeld klar, daß es unterschiedliche Ansichten geben würde. Genauso ist es auch gekommen. Auch mit Thomas Pohl, den wir eingeladen hatten, stimmen wir nicht zu hundert Prozent überein, sonst hätten wir es auch selber machen können. Unser Ziel, eine Diskussion ins Leben zu rufen, hat meinem Eindruck nach bisher ganz gut funktioniert.

SB: Euer Buch "Unternehmen Wilhelmsburg" ist relativ anspruchsvoll geschrieben, so daß es vom theoretischen Niveau her nicht für jeden sofort verständlich ist. Fragt ihr euch auch, wie größere Teile der Bevölkerung zu erreichen sind, oder verlegt ihr euch mehr auf die Diskursebene?

F: Mit dem Buch haben wir natürlich auf die Diskursebene gezielt. Wir wollten damit diesen ganzen Veröffentlichungen, diesem Pressewahnsinn, der rund um diese Eröffnung passiert, etwas entgegensetzen. Es ging darum, eine kritische Veröffentlichung, von der wir bisher nicht gesehen haben, daß es sie gibt, genau dann zu bringen, wenn sie auch interessant ist, und zwar auf einer Ebene, auf der bislang kein Widerspruch artikuliert wurde. Wir sind in die Themen so eingearbeitet, daß es nahe lag, ein Buch zu machen, um eine Diskussion anzustoßen.

SB: Was habt ihr für die Zukunft vor, wenn dieses Präsentationsjahr vorbei ist? Wollt ihr über diese städtische Event-Offensive hinaus beim Thema bleiben?

F: Ich denke, wenn wir ehrlich sind, werden wir uns auf jeden Fall neu aufstellen müssen und neue Vorgehensweisen entwickeln, weil wir uns schon stark an der Stadtentwicklung, wie sie gerade jetzt passiert, abgearbeitet haben. Es gibt sicherlich einiges, was weiterlaufen wird, aber das sieht dann vielleicht anders aus. Die Auseinandersetzungen um die GAGFAH werden wahrscheinlich nicht vorbei sein, und auch andere Themen werden immer wieder aufkommen. Zudem wird seitens der Stadt versucht, die Zukunftskonferenz zu wiederholen, und dann gibt es noch einen selbstorganisierten Prozeß zur Zukunft Elbinsel. Wer da wie mitmacht, wird sich noch zeigen.

SB: Flo, vielen Dank dafür, daß du die Entwicklung in Wilhelmsburg noch einmal zusammengefaßt hast.

Spitze der Elbphilharmonie von Wilhelmsburg aus - Foto: © 2013 by Schattenblick

Elbphilharmonie bis in den letzten Winkel Hamburgs
Foto: © 2013 by Schattenblick

Fußnoten:

[1] http://akuwilhelmsburg.blogsport.eu/

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0012.html

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0013.html

[4] http://www.rechtaufstadt.net/5584/museo-aero-solar-sagt-not-our-name-iba

[5] http://www.taz.de/!116779/

[6] http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar608.html

Künftige Veranstaltungen des AKU:
http://akuwilhelmsburg.blogsport.eu/

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