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INTERVIEW/038: Flucht der Fremden - Ratschlag ohne Folgen, Peggy Parnass im Gespräch (SB)


Interview im Hamburger Museum für Völkerkunde am 20. November 2013



Peggy Parnass ist ein Beispiel dafür, daß es keinen zwingenden Grund dafür gibt, "altersmilde" zu werden und mit dem Kämpfen aufzuhören. Die für ihre Gerichtsreportagen und andere Arbeiten mehrfach ausgezeichnete Autorin und Schauspielerin ist der NS-Vernichtungspolitik durch einen Kindertransport entgangen, hat aber beide Eltern im Holocaust verloren. Ihr Eintreten für Menschenrechte und den Schutz schwacher und verletzlicher Minderheiten zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Leben. Am Rande eines Menschenrechtssalons im Hamburger Museum für Völkerkunde, der unter dem Thema "Eines Rechtsstaates nicht würdig - Diskriminierung und Abschiebung der Roma und Sinti" stand, war Zeit für einige Reflexionen zum Stand der gesellschaftlichen Entwicklung und ihres persönlichen Umgangs damit.

Im Hamburger Museum für Völkerkunde - Foto: © 2013 by Schattenblick

Freundinnen - Peggy Parnass, Mariane Pöschel, Sylvia Wempner (v.l.n.r.)
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick: Frau Parnass, Sie sind seit jeher ein politisch denkender Mensch. Auf dieser Veranstaltung geht es zu einem großen Teil um die Abschiebung von Roma auf den westlichen Balkan. Die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg gegen Jugoslawien hat allerdings nur eine Nebenrolle gespielt, obwohl das deutsche Militär mitverantwortlich dafür war, daß die Roma unter den Augen der NATO aus dem Kosovo vertrieben wurden. Wie würden Sie diesen Zusammenhang beurteilen?

Peggy Parnass: Ich kann mich über die große Politik und die tausend Vorwände für eine militärische Intervention und auch die Art, Leute zu ködern, in Kriege reinzugehen, zu morden oder sich verkrüppeln und umbringen zu lassen, nicht äußern. Ich bin gegen jeden Krieg, egal welchen. Was mir an diesem Abend jedoch durch den Kopf geht, ist, daß sich die Sinti und Roma auseinanderdividieren. Offensichtlich besteht zwischen ihnen eine Art von Konkurrenzkampf. Ich weiß nicht auf welcher Ebene und ich verstehe es auch nicht. Es ist offenbar wie bei uns Linken, wo auch häufig gegeneinander konkurriert wird, anstatt daß man sich zusammentut, wenn man schon im groben gemeinsame Ziele hat. Ist es nicht wichtiger, daß man sich gegenseitig verstärkt, als sich kaputtzumachen, nur um selber besser dazustehen? Denn in Wirklichkeit steht man dann ja schlechter da. Das ist so unendlich dumm.

SB: Wenn Sie auf die Nachkriegszeit zurückblicken, wie bewerten Sie das politische und gesellschaftliche Geschehen heutzutage?

PP: Durch die 68er Jahre hat sich etliches verändert. Vieles ist lockerer und lässiger geworden, auch ein bißchen aufgeschlossener und lebendiger, vor allem dadurch, daß jetzt so viele Nichtdeutsche hier leben. Dadurch hat sich alles erheblich verbessert.

SB: Auf dem heutigen Menschenrechtssalon, der doch Anlaß zur Gesellschaftskritik bietet, sind allerdings nicht eben viele Besucherinnen und Besucher zugegen?

PP: Das finde ich sehr bedauerlich. Ich bin vorhin noch herausgerannt, um zu sehen, ob nicht noch jemand kommt. Ich kann es gar nicht fassen, daß so wenige Leute hier sind. Das Thema ist doch sehr interessant, aber wo bleiben die Interessierten?

SB: Könnte es sein, daß das schwindende Interesse an diesen Fragen mit dem gesellschaftlichen Klima zu tun hat, das insgesamt kälter wird?

PP: Das würde umgekehrt heißen, daß vor zehn, zwanzig oder dreißig Jahren mehr Leute gekommen wären. Aber das glaube ich nicht. Heute abend war viel von Vorurteilen die Rede, als ob es nur darum ginge. Natürlich ist gestohlen worden und es wird auch aggressiv gebettelt, aber wenn Menschen nicht arbeiten und sich selber ernähren dürfen, weil ihnen etwas Elementares untersagt wird, dann bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als zuzusehen, irgendwie an etwas herankommen, um nicht zu verhungern. Man müßte für andere Bedingungen sorgen, wenn man möchte, daß die Leute sich anders verhalten. Das geht auch anderen Flüchtlingen hier so. Diese Arbeitsverbote sind völlig absurd und zudem dumm und schädlich, nicht nur für die, die hierherkommen. Es ist keinem damit gedient, daß sie hier nicht tätig werden können. Das ist tödlich für das Selbstbewußtsein und gleichermaßen für den Staat, dem mehr damit gedient ist, daß sich die Leute, die noch bei Kräften sind, in die Gesellschaft einbringen, als daß sie behelfsmäßig versorgt werden.

SB: Sie sind viele Jahre als Journalistin und Autorin tätig gewesen. Schreiben Sie heute noch?

PP: Ja sicher. Mich interessiert, wie immer, alles. Aber ich habe keine Plattform bzw. keine Zeitschrift mehr. Wenn ich zurückblicke, habe ich 17 Jahre für konkret geschrieben. Das ist jetzt vorbei.

SB: Gibt es einen Grund dafür, daß Sie bei konkret nicht mehr veröffentlichen?

PP: Ja, Gremliza hat sich mit mir verkracht. Ich wurde ja geschätzt, weil ich so kritisch bin, aber es kommt immer darauf an, gegen wen ich kritisch bin.

SB: Hatten Sie politische Differenzen?

PP: Ja, wir hatten Differenzen. Ich wäre von mir aus nicht gegangen. Die konkret war mir sehr, sehr wichtig. Die Plattform, auf der ich stand, war der Boden unter meinen Füßen, und der ist nun weg. Aber natürlich spreche ich weiter, rede weiter, bringe mich überall ein, wo es mir wichtig ist.

SB: Hat sich die publizistische Landschaft in Deutschland Ihrer Ansicht nach politisch weiter geöffnet, oder würden Sie eher sagen, daß sie bornierter und enger geworden ist?

PP: Sie ist sehr viel enger geworden. So haben mir Kollegen vom Stern gesagt, daß es ihnen unmöglich wäre, mit mir ein langes Gespräch zu führen. Ich habe nicht für den Stern geschrieben, aber sie haben mich über Jahre immer gern zitiert.

Aber ich kann mir vorstellen, daß die Entwicklung auch wieder weiter nach links driften wird. Naturgemäß hört man uns Linken, wenn die Zeiten schlechter werden, wieder ein bißchen mehr zu.

SB: Wie sieht Ihr politisches Engagement heutzutage aus?

PP: Ich wohne in der Langen Reihe in St. Georg, wo die Mietpreise förmlich explodieren. Als ich gehört habe, daß sich die Preise für die Buchhandlung und den Kräuterladen quasi über Nacht verdrei- oder vervierfacht hatten, haben wir sieben Monate um unsere Buchhandlung gekämpft. Mehr als 800 Leute haben mehrfach demonstriert. Wir haben Lesungen auf der Straße veranstaltet und ich habe außerdem Reden gehalten. Es gab sogar einen Beitrag im Fernsehen darüber, aber dieser Wucherer hat am Ende dennoch gewonnen. Wir mußten raus. Es gibt immer wieder Gründe, sich einzuschalten, aber ich finde es dennoch furchtbar, daß meistens die anderen gewinnen. Ich habe demonstriert, obwohl ich sehr unsportlich bin. Lange Wanderungen mache ich nur auf Demos, immer wieder und immer weiter, und ganz selten haben wir irgend etwas erkämpfen können. Aber trotztdem ist das für mich kein Grund aufzuhören.

SB: Da braucht man viel Mut für die Zukunft.

PP: Mut gehört dazu, aber auch Kraft. Natürlich ist es leichter zu kämpfen, wenn man Erfolg hat. Ganz erfolglos sind wir ja nicht. Für Schwule habe ich etliches erkämpft, auch für das Recht auf Abtreibung, aber eben für vieles auch nicht. Alice Schwarzer hat erkämpft, wogegen ich gekämpft habe, nämlich daß Frauen Soldatinnen werden dürfen.

SB: Alice Schwarzer hat eine für ehemalige 68er, die heute Positionen vertreten, gegen die sie früher opponierten, nicht untypische Karriere gemacht. Andere Beispiele dafür sind Josef Fischer und der Chefredakteur der Welt, Thomas Schmid.

PP: Rechts verdient es sich eben besser.

SB: Sie haben nächste Woche einen Auftritt im Polittbüro?

PP: Ja, am Dienstag, den 26. November, werden Burkhart Klaußner, der ein großartiger Schauspieler ist, und ich einen gemeinsamen Abend im Polittbüro am Steindamm 45 veranstalten. Es wird ein recht buntes Programm geben. Burkhard und ich werden meine Texte lesen. Er hat sich schon ausgebeten, meine weichen, also persönlichen Texte lesen zu dürfen, während ich die härteren Texte vortragen soll. Er wird dazu auch singen, denn er ist auch ein hervorragender Sänger und gibt Konzerte. Vielleicht werde ich auch ein bißchen mitsingen.

SB: Frau Parnass, vielen Dank und viel Erfolg.

20. Dezember 2013