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INTERVIEW/041: Flucht der Fremden - Weltbürger, Weltmusik ... Tornado Rosenberg im Gespräch (SB)


Interview im Hamburger Museum für Völkerkunde am 20. November 2013



Der Sinto Tornado Rosenberg entstammt einer weitverzweigten, in vielen verschiedenen Ländern lebenden Musikerfamilie. Am 20. November gestaltete sein Trio das musikalische Rahmenprogramm des im Hamburger Museum für Völkerkunde veranstalteten Menschenrechtssalons zum Thema "Eines Rechtsstaates nicht würdig - Diskriminierung und Abschiebung der Roma und Sinti". In der Podiumsdiskussion schilderte Rosenberg auf die ihm eigene, mit ironischen Seitenhieben und bildhaften Anekdoten gewürzte Art seine Erfahrungen mit antiziganistischer Diskriminierung. Nach der Veranstaltung hatte der Schattenblick Gelegenheit, dem Musiker einige ergänzende Fragen zu stellen.

Auf dem Podium - Foto: © 2013 by Schattenblick

Tornado Rosenberg Trio
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick: Herr Rosenberg, Ihre Familie steht in einer langen Musiktradition. Könnten Sie uns etwas darüber erzählen?

Tornado Rosenberg: Ich bin in Hamburg geboren und habe 1962 in Finkenwerder die große Flut miterlebt. Damals war ich sechs Jahre alt. Mein Vater war Gitarrist und mit einem Geiger befreundet, der im Sissi-Orchester spielte, das im Film "Sissi" mit Romy Schneider mitwirkte. Mein Vater hatte mir schon mit fünf Jahren das Gitarrespielen beigebracht. Er war übrigens auch der Gitarrenlehrer von Freddy Quinn, den er in der Haifischbar kennengelernt hatte. Er und Freddy haben sich angefreundet und zusammen auch ein bißchen Musik gemacht. Ich bin also mit der Musik großgeworden. Mit sieben oder acht Jahren habe ich im Sissi-Orchester gespielt. Wir sind durch ganz Deutschland getourt. In der Osterstraße haben wir unsere erste LP eingespielt.

SB: Anfang der 80er Jahre haben Sie zusammen mit Rudko Kawczynski das Duo Z gebildet. Vorhin haben Sie mit einem gewissen ironischen Unterton ein Lied über das Zigeunerleben gesungen, was ein wenig an "Lustig wär das Zigeunerleben" vom Duo Z erinnerte. Haben sie damals im wesentlichen Unterhaltungsmusik gemacht oder auch politische Themen aufgegriffen?

TR: Nein, unsere Lieder waren schon sehr politisch. Die KZ-Opfer mußten ja beweisen, daß sie im KZ gewesen sind. Wir sind sogar in den Hungerstreik getreten, um an die Akten heranzukommen. Durch den Hungerstreik konnten wir schließlich beweisen, daß wir Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik waren. Unser Anliegen bestand darin, durch politische Lieder, aber im Grunde auf eine sehr ironische Weise auf die Verfolgung der Sinti und Roma unter dem Hakenkreuz aufmerksam zu machen. Wir haben trotzdem versucht, den Leuten nicht zu sehr auf den Schlips zu treten.

SB: Erleben Sie heute noch ähnliche Formen von Ausgrenzung und Rassismus wie in der Nachkriegszeit oder in den 60er Jahren der Bundesrepublik?

TR: Das ist leider so, auch wenn es zum Glück nur von einer Minderheit ausgeht. Aber es gibt immer noch Leute, die meinen, daß es keine negativen Gesetze gegen Zigeuner gegeben hat oder gibt und wir tatsächlich in einer humanen Demokratie leben.

SB: Sie benutzen selbst das Wort "Zigeuner". Im politisch korrekten Sprachgebrauch hier in Deutschland spricht man statt dessen von Sinti und Roma. Ist das Ihrem Selbstverständnis nach nicht adäquat?

TR: Jein, der Name ist sehr umstritten. Einerseits bin ich dagegen, daß man uns Zigeuner nennt, weil Zigeuner etwas Negatives ausdrückt. Das Wort bedeutet im Grunde "ziehender Gauner". Daher gefällt mir der Ausdruck eigentlich nicht. Aber in der Musik spricht man von ungarischen Zigeunern, ohne daß da ein Vorurteil mitschwingt. Ich will Ihnen einmal eine Geschichte erzählen, in der es umgekehrt war: In Eimsbüttel gibt es die Kneipe "Kurze Ecke". Dort hatten wir einmal einen Videoclip gemacht. Nun saß im Raum eine Dame, die so nebenbei bemerkte, daß sie nicht mit aufs Video rauf wollte. In einem abfälligen Ton sagte sie, du bist ja ein Zigeuner. Darauf erwiderte ich: Verzeihen Sie, ich möchte nicht, daß Sie Zigeuner zu mir sagen. Sie sollen mich bei meinem Namen nennen. Solange Sie nicht wissen, wie ich heiße, möchte ich auch nicht, daß Sie mich duzen. Sie müssen mich erst nach meinem Namen fragen. Ich heiße Tornado Rosenberg. Ich muß ja nicht unbedingt mit einem Schild und der Aufschrift "Ich bin ein Zigeuner" durch die Gegend laufen.

SB: Ist es Ihrer Ansicht nach notwendig, von Sinti und Roma als von zwei verschiedenen Volksstämmen zu sprechen?

TR: Einerseits ja, weil es wie bei den Preußen und Bayern einen großen Unterschied macht. So ist das auch bei den Sinti und Roma. Die Sinti haben andere Sitten und eine ganz andere Kultur, auch wenn die Sprache in mancherlei Hinsicht fast gleich ist, aber andererseits wieder so unterschiedlich sein kann, daß man kein Wort versteht. Die Kultur der Roma und Sinti ist schon ein bißchen anders.

SB: Sind in Ungarn, Rumänien, Bulgarien, der Slowakei und der Tschechischen Republik in allererster Linie Roma von den Übergriffen betroffen oder leben dort auch viele Sinti?

TR: Nein, dort sind eher die Roma betroffen. Das gilt auch für die Musiker in Ungarn. Es sind Roma, die dort ungarische Musik machen, aber dennoch unter den Diskriminierungen leiden. So dürfen sie zum Beispiel ihre Sprache nicht sprechen. Auch in Bulgarien und Rumänien ist es ihnen verboten. Dort sprechen sie überwiegend Ungarisch. Einmal habe ich mich mit denen unterhalten wollen, aber es ging leider nur über einen Dolmetscher. Aber sie machen ungarische Zigeunermusik. Da ist der Ausdruck Zigeuner nicht anstößig. Ganz im Gegenteil gehört es einfach dazu. Ich denke, das Problem liegt bei dem Menschen, der das Wort Zigeuner ausspricht. Wenn er sein Vorurteil aufgeräumt hat, ist es einfacher für ihn, Zigeuner zu sagen. Dann klingt das Wort auch ganz anders.

SB: Bei dem Lied "Lustig wär das Zigeunerleben" werden die Vorurteile über Zigeuner auf die Spitze genommen. Reizt es Sie, gegen dieses Klischee vorzugehen, weil es Ihre Lebensrealität verkennt?

TR: Na klar. Wenn ich höre, wie negativ selbst ein SPD-Abgeordneter die Zigeuner darstellt, dann sage ich mir, da muß etwas passieren. Ich weiß nicht, woher er seine Informationen nimmt. Wenn solche Leute darauf beharren, sich ein falsches Bild zu machen, dann wird es mir langsam auch zu viel, wenn sie von Zigeunern wie von Kriminellen sprechen.

SB: Es gibt aber auch andere Bilder, die mit dem Begriff assoziiert werden, wie zum Beispiel die nomadisierende Lebensweise, auch wenn die meisten Sinti und Roma inzwischen seßhaft geworden sind. Was kann daran schlecht sein, wenn Menschen durch die Welt ziehen?

TR: Mein Vater ist mit uns und dem Musikorchester von Sissi ab und zu im Sommer, natürlich nicht im Winter, deutschlandweit durch die Städte gereist. Wir haben in jeder Stadt Musik gemacht. Natürlich haben wir vorher beim Bürgermeister angefragt, ob wir mit zehn oder zwanzig Wohnwagen kommen können. Dann haben wir dort kampiert und Musik am Lagerfeuer gemacht. Das war für uns das Schönste, was es gibt. Ich glaube, da spielt sich das Leben ab. So bin ich eigentlich großgeworden. Seitdem das nicht mehr so ist, merke ich, daß ich gar nicht richtig lebe, sondern nur noch ein Stadtleben führe. Oder man wird von einer Stadt in die nächste gejagt, um ein Konzert zu geben, ohne daß man je zur Ruhe kommt. Die Menschen sitzen heute nur noch in Wohnungen. Selbst im Sommer können sie am Strand nicht frei und unbeschwert sitzen. Es ist nicht mehr so wie früher. Ich glaube, es liegt an der Industrialisierung.

SB: Paradoxerweise wird nicht nur in Deutschland, sondern überhaupt in Europa ein sehr hoher Wert auf Mobilität gelegt. In erster Linie geht es natürlich darum, daß die Menschen ihre Arbeitskraft überall zur Verfügung stellen, damit das wirtschaftliche Getriebe gut läuft. Dennoch wird mit Begriffen wie fahrendes Volk oder Zigeuner ein negatives Bild von Menschen erweckt, die durch die Welt ziehen und nicht seßhaft sein möchten. Wie erklären Sie sich den Widerspruch, daß die moderne Welt einerseits auf hohe Flexibilität setzt, aber andererseits Menschen, wie zum Beispiel die Travellers in England, aufgrund ihrer ungebundenen Lebensform diskriminiert werden?

TR: Ich kenne die Travellers, weil ich eine Zeitlang in England gelebt und dort meinen Freund Freddy kennengelernt habe. Die Situation ist dort genauso wie in Frankreich, wenn ich an die Sinti denke, die am Straßenrand leben. Das macht keinen großen Unterschied. Auch hier in Deutschland haben Zigeuner in den 50er, 60er und 70er Jahren noch so gelebt. Ich sage jetzt bewußt Zigeuner, weil das Wort für manche Leute immer noch einen kriminellen Beiklang hat. Und solange es solche Leute gibt, möchte ich nicht, daß sie den Begriff mißbrauchen. Das hat eine lange Geschichte.

Schon vor dem Dritten Reich galten Zigeuner als vogelfrei. Mein Großvater mütterlicherseits war Kammerjäger gewesen. Er war in den Dörfern zu den Leuten gegangen und hatte ganz normal seinen Beruf ausgeübt. Als Kammerjäger hat er sein Geld verdient und war auch gern gesehen. Aber leider nicht bei denen, die eine negative Ansicht von Zigeunern haben, daß wir kriminell seien und Kinder klauen würden. Das ist alles Quatsch. Ich habe meine Mutter einmal gefragt, ob an den Geschichten etwas dran ist, daß zum Beispiel Wäsche von der Leine genommen worden sei. Sie sagte, Nein, aber Hühner hätte sie ab und zu mitgehen lassen, beziehungsweise seien sie ihr eher zugelaufen (lacht).

SB: Gibt es in Ihrer Familie oder bei den Sinti insgesamt ein politisches Interesse daran, gegen die Diskriminierung auch im Rahmen sozialer Proteste vorzugehen?

TR: Eher von Seiten der Jüngeren. Meine Mutter möchte damit nichts zu tun haben. Sie hat noch das Bild vom Dritten Reich im Kopf und auch keine gute Meinung von der heutigen Politik. Gleichzeitig sagt sie aber, daß sie die Guten von den Bösen unterscheiden kann und nicht alle Deutschen über einen Kamm scheren möchte. Meine Mutter hat auch deutsche Freunde. Sie hat sogar einen Sohn adoptiert. Für mich ist meine Mutter immer ein gutes Vorbild gewesen. Sie hat mir gezeigt, wie man Menschen begegnen soll. Man muß vor allem aufgeschlossen sein. Ein Beispiel dazu: Die Tochter meines Bruders ist 16 Jahre alt und spricht perfekt Portugiesisch, Spanisch, Polnisch, Englisch und Deutsch sowieso. Auch ich bin mit der deutschen Kultur großgeworden. Väterlicherseits sind wir seit dem 16. Jahrhundert in Deutschland. Mein Großvater ist in Soest in Westfalen, mein Vater in Ratzeburg bei Mölln und ich selbst im Elim-Krankenhaus in Eimsbüttel geboren worden. Ich kenne die deutsche Mentalität und fühle mich hier heimisch. Ich bin einerseits Deutscher, Hamburger, Eimsbütteler und andererseits natürlich auch Sinti. Ich bin unterdessen auch mit der jüdischen Tradition großgeworden. Mein Urgroßvater kam aus Tirol, und daher habe ich auch die Tiroler Musik kennengelernt. Ich habe selbst Schrammelmusik gespielt. So gesehen bin ich multikulturell aufgewachsen. Meine Mutter ist übrigens im heutigen Polen geboren. Schon ihre Mutter sprach perfekt Deutsch. Ich habe kein Problem damit, wo jemand herkommt. Man kann sich manchmal aber auch ein Problem daraus machen.

SB: In welcher Sprache haben Sie das Lied zum Abschluß Ihres Bühnenprogramms gesungen?

TR: Das war Romanes, aber mit einem russischen Dialekt. Der Schauspieler Yul Brynner war Ehrenpräsident der International Romani-Union und hatte auch Lieder in dieser Sprache gesungen. Auf YouTube gibt es einige Videoclips von ihm, in denen er russische Zigeunerlieder singt. Aber dieser Dialekt ist sehr schwer zu verstehen. Selbst meine Mutter, die nun wirklich sprachbegabt ist, hat Schwierigkeiten damit.

SB: Die Musik, die Sie und Ihre Kollegen vortragen, geht eigentlich über den jazzartigen Stil Django-Reinhardts hinaus. Inwiefern knüpfen Sie noch an seine Tradition an?

TR: Ich mag die 20er-, 30er-Jahre-Musik von Django sehr. Ich bin eher ein traditioneller Gitarrist und versuche, seine Musik fortzusetzen, denn es gibt immer weniger Leute, die diese Musik hören. Wenn wir sie spielen, dann ist es ziemlich exklusiv. Aber so zu spielen ist sehr kompliziert.

SB: Sie hatten auf der Bühne eine Veranstaltung im nächsten Jahr angekündigt. Worum geht es dabei?

TR: Am 16. Mai organisiere ich zusammen mit Pastor Alexander Röder eine Gedenkfeier zum 60. Todestag Django Reinhardts. Bei dieser Veranstaltung, die wie in den Vorjahren in der Krypta von St. Michaelis stattfindet, soll es auch um die Swing-Musik gehen, die in Deutschland von 1933 bis 1945 verboten war.

SB: Herr Rosenberg, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

Beiträge zum Menschenrechtssalon am 20. November 2013 im Hamburger Museum für Völkerkunde im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT:

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2. Januar 2014