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INTERVIEW/049: Wendland frei trotz alledem - Erbgut ziviler Widerstand ...    Horst Wiese im Gespräch (SB)


Ein Veteran der Bäuerlichen Notgemeinschaft im Wendland erzählt

Interview in Gedelitz nahe Gorleben am 23. August 2014



Horst Wiese, Jahrgang 1935, ist einer der Veteranen des bäuerlichen Widerstands im Wendland. Der Landwirt und Gastwirt hatte vor 54 Jahren in Gedelitz, heute eineinhalb Kilometer Luftlinie von dem Gorlebener Atommüllzwischenlager und der Endlagererkundungsstätte entfernt, von seinen Eltern eine Gastwirtschaft übernommen. Kurz vor dem Ortsausgangsschild gelegen, ist sie dank Horst Wiese und seiner Frau Marie-Louise allen Atomkraftgegnern wohlbekannt. Hier startete nach monatelanger Vorbereitung 1979 der legendäre Treck von mehr als hundert Traktoren nach Hannover, das angrenzende Gelände bot Zeltlagern Platz, auf dem Hof wurden alternative Verfahren der Strom- und Wärmeerzeugung entwickelt, die Gaststätte war Ausgangs- und Endpunkt zahlreicher Demonstrationen und Aktionen.

Am Rande des Free Flow Festivals in Gedelitz beantwortete Horst Wiese dem Schattenblick einige Fragen zu seinen reichhaltigen Erinnerungen an die Anfänge der Anti-Atomkraft-Bewegung im Wendland, zur Bäuerlichen Notgemeinschaft, zu den Auseinandersetzungen mit der Polizei und zur Tradition des Widerstands in seiner Familie.

Im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Horst Wiese
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Könntest du aus deiner Erinnerung erzählen, wie das damals mit der Anti-Atomkraft-Bewegung hier im Wendland angefangen hat?

Horst Wiese: Im Jahr 1979 begann hier die Standortbenennung, aber es war schon vorher klar, daß der Staat einen Standort für die Lagerung der radioaktiven Abfälle gesucht hat. Allerdings haben wir nicht geglaubt, dafür in Frage zu kommen, weil das Risiko hier so nahe der Grenze doch ziemlich hoch war. Wir haben jedoch falsch gelegen. Denn die wollten die radioaktiven Abfälle möglichst weit weg von den Ballungsgebieten in weniger dicht bevölkerten Regionen loswerden und hatten daher den Salzstock zur Endlagerung vorrangig ins Auge gefaßt, zumal er viel Platz bietet. Überhaupt wurden die Untersuchungen schon zehn Jahre vor der Standortbenennung vorgenommen, wovon wir aber nichts geahnt haben. Dazu sind sie mit elektro-tektonischen Meßgeräten quer durch die Landschaft gezogen und haben dabei den Salzstock vermessen.

Als dann die Standortbenennung kam, fielen wir natürlich aus allen Wolken. Das war noch unter der Regierung Albrecht. Wir haben daraufhin eine Eigentümergesellschaft in Gatow gegründet, um uns zunächst zu informieren und notfalls Gegenmaßnahmen zu ergreifen. In der Folge sind einige Dinge vorgefallen. So hat man uns unter Druck gesetzt, unsere Grundstücke bis zu einem bestimmten Termin zu verkaufen. Es hieß, bis dahin würden wir pro Quadratmeter noch die volle Summe von 3,50 bis 4 Mark bekommen, danach erheblich weniger, nämlich nur noch eine Mark pro Quadratmeter. Das war schon ein ziemlicher Unterschied. Aus Unsicherheit darüber, ob wir als Gemeinschaft überhaupt die Handhabe hätten, uns dagegen aufzulehnen, fielen die ersten auch schon ab.

Mit der Zeit scherten noch weitere aus, als sie erkannten, daß sie für die Waldflächen hier gewaltige Geldmengen kriegen und damit andernorts wie zum Beispiel in Schleswig-Holstein bessere Flächen kaufen könnten. Selbst der Graf hätte seinerzeit noch die Möglichkeit gehabt, für den Preis, den man ihm hier bot, ein größeres Gut in Amerika zu erwerben. Andere ließen sich von den Geldangeboten allerdings nicht beeindrucken, denn wir sagten uns, erstens kaufen sie das Land hier viel zu billig. In den Ballungs- und Industriegebieten wurde pro Quadratmeter zwölf und fünfzehn Mark gezahlt. Angesichts des Umstands, daß dies die gefährlichste Industrie auf der Welt ist, sollte man keine Angst haben, 20 Mark pro Quadratmeter zu fordern. Das war die eine Seite, die uns zusammenhielt, und zweitens gab es einige, zu denen ich auch gehörte, die dieses weiträumige Land als ihre Heimat ansahen und den Wald, die Umgebung und die Nähe zur Elbe liebten. Wir hingen an unserer Heimat, und das Geld war uns daher gleichgültig. Hinzu kam, daß von dem Verkaufspreis ja noch die Grunderwerbssteuer oder schlechthin Steuern abgingen. Man hatte uns zwar versprochen, daß wir für das Geld keine Steuern zahlen sollten, aber da hatten wir nur mit dem Kopf geschüttelt und uns gesagt, darauf wird sich der Fiskus niemals einlassen.

Im Laufe der Zeit bildeten sich Fronten zwischen denen, die die Heimat wertschätzten und bleiben wollten, und jenen, die vielleicht ohnehin über ihre Verhältnisse gelebt und Belastungen auf ihren Grundstücken hatten. Sie sahen im Verkauf eine Möglichkeit, gut aus dieser Sache herauszukommen. Ich selbst habe das nie so verbittert gesehen, auch der Graf nicht, aber er soll Androhungen bekommen haben. Ich weiß nicht, was da im einzelnen vorgefallen ist. Vor allen Dingen hat die Gräfin gesagt: Wenn du das Land verkaufst, lasse ich mich scheiden. Sie hat ganz konsequent Stellung bezogen. Wir anderen ja auch. Dieses viele Geld hat selbst die Familien gespalten. Der Vater wollte nicht verkaufen, aber der Sohn schon. Bei mir war das nicht so. Mit denen, die wie ich dachten, hatten wir im nachhinein ein recht enges und freundschaftliches Verhältnis, was vorher gar nicht so ausgeprägt war. Jedenfalls sind auf diesem Wege wirkliche Freundschaften entstanden.

SB: Auf der einen Seite gab es eure Bäuerliche Notgemeinschaft, wie sie später hieß, und auf der anderen Seite die Atomkraftgegner, die von außen zugezogen waren oder nur zeitweise hier lebten. Wie war die Beziehung untereinander?

HW: Die Bäuerliche Notgemeinschaft ist dann recht bald aus einer großen Demo entstanden, die von Gedelitz aus nach Hannover gezogen ist. Um überhaupt einen Ansprechpartner zu haben oder eine Telefonkette aufstellen zu können für Demonstrationen, die hier heimlich abliefen, wurde die Bäuerliche Notgemeinschaft gebildet. Sie schuf eine Verbindung im gesamten Kreis. So ähnlich lief das auch bei der Bürgerinitiative ab, die ebenfalls Telefonketten unterhielt, aber anfangs einen schlechteren Ruf hatte. Daß man uns nicht mit irgendwelchen Leuten in einen Topf schmeißen und sagen konnte, das sind alles langhaarige Spinner, trug zur Gründung der Bäuerlichen Notgemeinschaft mit bei. Für die Leute aus der BI waren wir vor allem die Treckerhelden, die mit ihren Traktoren zu Demos fuhren. Dabei kam es zu ziemlich harten Auseinandersetzungen mit der Polizei. Weil das Polizeiaufgebot nicht reichte, wurde der Bundesgrenzschutz hinzugezogen, zumal es sich hier um einen grenznahen Bereich handelte. Und die gingen nicht gerade zimperlich vor. So ist es manchmal zu wüsten Schlägereien gekommen.

Auf jeden Fall haben sie nicht bloß zugeguckt, wenn wir eine Demo machten oder eine Straße blockierten. Wenn ein Castorbehälter kam, sind wir mit den Schleppern auf die Straße gefahren, haben sie dort stehenlassen und sind dann abgehauen. Daraufhin sind die Polizei und der BGS mit einem Hubschrauber gekommen und haben sämtlichen Schleppern die Reifen kaputtgestochen. Solche Sachen, die sehr an die Substanz gingen, sind schon passiert. Daher war es alles andere als leicht, den Widerstand hier aufrechtzuerhalten, zumal man immer wieder versucht hat, die Leute, die sich gegen Gorleben stemmten, zu kriminalisieren. Wenn ich oben auf dem Berg gepflügt habe, fuhren ständig Polizisten vorbei. Die Polizei selber hat das von sich gewiesen und gesagt, das seien private Schutzmannschaften gewesen, die versucht haben, uns etwas unterzuschieben.

Eingang Gasthaus Wiese - Foto: © 2014 by Schattenblick

Widerstand hat einen Namen
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Wie kamen die Polizisten, die normalerweise hier ihren Dienst versahen und die man aus dem Alltag kannte, mit der Situation vor Ort zurecht?

HW: Die hiesigen Polizisten konnte man zum Schluß gar nicht mehr einsetzen, eben weil sie uns kannten und dies hier ihre Heimat war. Sie wollten uns nicht in den Rücken fallen. Deshalb haben sie von weither Polizei heranholen müssen, die dann hier dazwischengeschlagen hat. Trotz alledem sind auch Freundschaften entstanden. Bei einer Demo sollten sie aufräumen. Ein Polizist aus Nordrhein-Westfalen oder Baden kam auf mich zu, und ich bin dann abgehauen. Bei mir war noch jemand anderer, der etwas abgekriegt hatte. Um ihn zu schützen und damit er nicht verprügelt wurde, habe ich ihn ins Auto reingeschoben. Wir sind dann im Sautempo In Richtung Gorleben gefahren, aber ein Polizeiwagen war uns auf den Fersen. Kurz vor Gorleben habe ich den anderen aus dem Wagen gelassen, damit er im Wald flüchten konnte. Dann kam der Polizist mit vorgehaltener Waffe auf mich zu. Zwischen uns entwickelte sich ein Gespräch, und schließlich sagte er zu mir: Wenn so etwas bei uns laufen sollte, würden wir uns genauso wehren. Mehr durfte er nicht sagen, aber nachher hat er seine Eltern hierher zum Urlaub geschickt und gesagt, hier sind anständige Leute, denen man vertrauen kann. Solche Bekanntschaften und Freundschaften hat es auch gegeben. Deshalb wäre dieser Standort auf Dauer nicht zu halten gewesen.

Nun war ja geplant, hier das größte nukleare Entsorgungszentrum Europas zu bauen, mit Wiederaufbereitungsanlage und allem Drum und Dran. Erst durch unseren Kampf und die Einsicht von Ernst Albrecht, der sich die Auseinandersetzungen hier vor Ort angesehen und gesagt hat, gegen den Widerstand der Bevölkerung lasse ich nichts bauen, konnte das verhindert werden. Das hat er durchaus wörtlich gemeint und den Bau der Wiederaufbereitungsanlage schließlich zurückgezogen. Aber weil die Pläne schon weit fortgeschritten waren, konnten sie nicht anders, als das Zwischenlager bauen zu lassen. Dennoch haben wir um jeden Baum gekämpft. Leute sind in die Bäume geklettert und haben Nägel in den Stamm geschlagen, damit man sie nicht absägen konnte. Begleitet wurde das mit großen Polizeieinsätzen. Zu der Zeit ging die Polizei noch vergleichsweise human vor. Gegen heftigen Widerstand wurden die Bäume schließlich abgerodet, worauf der Aufbau des Zwischenlagers begann.

Als nachher das Endlagersuchgesetz verabschiedet wurde, begannen die Untersuchungen im Salzstock auf seine Endlagertauglichkeit, was wieder unter massivem Widerstand geschah. Aber letztendlich konnte man nur wenig dagegen sagen. Schließlich haben wir alle Strom mit verbraucht, das muß man ehrlicherweise zugeben. Als die Sache mit dem Atomstrom begann, hatte keiner darüber nachgedacht, was hinterher mit den Abfällen geschehen sollte. Schließlich wurde die Gefährdung durch den Atommüll bekannt. Wir Bauern konnten das nicht wissen und wurden erst von Wissenschaftlern und Professoren aufgeklärt, die uns die nötigen Informationen gegeben haben. Dadurch sind wir wach geworden und haben uns dann mit Händen und Füßen gewehrt.

Nachher hat die Bundesregierung eingeräumt, daß die BI Lüchow-Dannenberg ein Bundesverdienstkreuz verdient hätte, weil sie uns vor der größten Fehlinvestition in der Geschichte der Bundesrepublik mit dem Bau der gewaltigen Wiederaufbereitungsanlage bewahrt hat. Um den Widerstand zu schwächen, wurden wir als Bauern und als Bäuerliche Notgemeinschaft nach Frankreich, Karlsruhe und Jülich herumgefahren. Überall hat man uns einzureden versucht, wie sauber und sicher sie arbeiten. Viel gravierender war jedoch, daß sie das Plutonium hinterher nochmal verbrennen und so in den Nutzkreislauf einbeziehen wollten. Zu diesem Zweck sollte der Schnelle Brüter in Kalkar gebaut werden. Was für aberwitzige Geschichten wurden uns in Karlsruhe aufgetischt: Wenn der Schnelle Brüter gebaut würde, wäre das Plutonium weg und der radioaktive Abfall kein Thema mehr.

Das ließ mir keine Ruhe, und so erwiderte ich darauf: Hören Sie mal, so etwas gibt es gar nicht, daß etwas total von der Erde verschwindet. Es bleibt immer etwas zurück. Wenn ich Holz verbrenne, bleibt Asche über, und wenn ich die Asche ins Wasser werfe, ist sie noch immer da. Was bleibt also über, wenn ihr das Plutonium nochmal verbrennt? Darauf kamen drei oder vier Leute auf mich zu und wollten mir meine Zweifel kleinreden. Ich ließ mich aber von ihnen nicht beeinflussen und habe mit Nachdruck nachgefragt. Aber man gab uns keine Antwort. Die mußten wir uns dann hinterher selber von anderer Seite besorgen.

Wenn Plutonium nochmal verbrannt wird, geht es in den gasförmigen Zustand über und gelangt so in die Atmosphäre. In der Stratosphäre schwirren Edelgase herum, und wenn das Americium hinzukommt, entsteht eine Verbindung, die den sauren Regen auslöst. Eine Forstfachhochschule in Holzminden hat festgestellt, daß der saure Regen das deutsche Mittelgebirge in einem Streifen bis in die Tschechei angegriffen hat. Erst hatte man die Autoabgase dafür verantwortlich gemacht, aber wenn das stimmen würde, dürfte an keiner Autobahn mehr ein gesunder Baum stehen. In Holzminden erklärte man uns, daß durch Abgase aus dem Forschungszentrum in Karlsruhe, wo radioaktive Experimente gemacht werden, saurer Regen entsteht, der dann über die Landschaft hinweggeht. Das waren alles ausreichende Gründe und Argumente, die unseren Verdacht bestätigt haben. Hinterher kam die Katastrophe in Tschernobyl, aber schon vorher gab es eine Beinahe-Kernschmelze auf Three Mile Island, und zuletzt geschah der verheerende Reaktorunfall in Japan. All diese Katastrophen zeigen uns, daß wir in unserer Argumentation auf alle Fälle richtiggelegen haben. Es ist nur schade, daß es so weit kommen mußte.

SB: Du bist bei deinem Widerstand gegen die Atomindustrie viele Risiken eingegangen. Hast du in irgendeiner Form Unterstützung und Anerkennung dafür in deinem Umfeld gefunden?

HW: Im Laufe der Zeit wurden zwar immer mehr Schweinereien aufgedeckt, aber inzwischen haben sich die Wogen sehr geglättet. Man kriegt kaum noch etwas zu hören. Keiner kommt und sagt, ihr habt recht gehabt, wir haben falsch gelegen. Man akzeptiert uns, und im stillen sehen es jetzt alle ein. Aber es ist traurig, daß die Atomindustrie in unserem eigentlich schönen Deutschland soviel Macht hat. Man erwartet von uns, daß wir mit dem Atommüll umzugehen lernen. Leider haben wir keine Lösung anzubieten, die ideal wäre. Ein gegen uns gerichteter Vorwurf lautete denn auch, daß die Franzosen und Engländer, weil in ihren Ländern eine größere Akzeptanz für den Atomstrom seitens der Bevölkerung vorläge, das große Geschäft machen würden. Auf der Linie solcher Argumentationen sollte unser Widerstand kaputtgemacht werden. Uns bedrückt, daß der Widerstand in unserem Nachbarland Frankreich so brutal niedergeknüppelt worden ist. Im Vergleich dazu war alles, was wir hier erlebt haben, eher harmlos. Wir hatten einmal eine Gruppe aus Frankreich hier bei uns zu Gast. Gleich am zweiten Tag haben sie sich mit der Polizei eine Schlägerei geliefert, so daß wir heilfroh waren, als sie wieder nach Hause gefahren sind.

Horst Wiese lacht - Foto: © 2014 by Schattenblick

Es war schon eine schöne Zeit ...
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Am 3. Mai 1980 wurde die Republik Freies Wendland ausgerufen, die allerdings nur für einen Monat bestand. Sie hatte sich unter anderem das Ziel gesetzt, alternative Lebensformen zu praktizieren. Wie hast du diese Zeit persönlich erlebt?

HW: Zu der Zeit hatte ich Studenten von der Universität in einem großen Zeltlager auf meinem Hof. Einer von ihnen stellte die kritische Frage: Ihr seid gegen Atom, aber wie stellt ihr euch die Stromversorgung vor? Ich erwiderte: Dann müssen wir eben in eine andere Richtung gehen. Daraufhin haben wir auf dem Hof eine kleine Windkraftanlage gebaut. Erstaunlicherweise waren wir damit so erfolgreich, daß die großen Windkraftanlagen von heute nach diesem System konstruiert werden. Auch Wasser mußten wir selbst warm machen. Also haben wir die Ställe ausgemistet und den Mist auf einen Haufen gefahren, eine Plastikfolie rübergelegt und das Ganze mit Kraut abgedeckt. Daraufhin haben wir im Kreis einen PE-Schlauch reingelegt und ihn dann an die Duschen angeschlossen. Als der Misthaufen zu gären anfing, konnten wir das Wasser auf diese Weise aufwärmen. Im Misthaufen findet im Grunde eine leichte Verbrennung statt. Mist verbrennt organisch. Der Misthaufen versorgte uns für vier bis fünf Wochen mit Warmwasser. Länger war auch nicht nötig, weil die Studenten dann wieder zurück mußten. Aber in dieser Zeit hatten wir heißes Wasser und alle konnten duschen und abwaschen. Schläuche in den Sand auszulegen und das Wasser über den Sonnenschein zu erhitzen, war nicht ergiebig genug, da die Sonne nachts nicht scheint, aber der Misthaufen lieferte kontinuierlich Verbrennungswärme. Mit der Solaranlage kamen wir jedoch an eine Grenze, weil wir die Solarzellen nicht selber bauen konnten. Dennoch haben wir die Idee ein bißchen angeschoben und dafür gesorgt, daß die Industrie diese Anlagen schließlich gebaut hat.

Wir haben viele Experimente unternommen, darunter auch eines mit einer kleinen Biogasanlage. Seinerzeit wurde Biogas nicht sonderlich gefördert. Viel Geld haben wir daher nicht bekommen, aber zumindest Zuspruch. Als wir die Modellanlage fertiggestellt hatten, kam Forschungsminister Volker Hauff auf den Hof. Wir führten ein sehr gutes Gespräch. Er wollte etwas in die Wege leiten und hat uns auch einen Zuschuß versprochen, aber als er nach Bonn zurückkehrte, war man dort nicht sonderlich glücklich über seine Pläne. Vier Wochen später mußte er gehen. Allerdings wurden die Zusagen, die er uns gemacht hatte, eingehalten, aber in der Sache ist nichts weiter unternommen worden. In dem Moment war uns erst richtig klargeworden, wie groß der Einfluß der Industrie auf die Regierung ist und mit welchem Gegner wir es zu tun haben. Die alternative Landwirtschaft war die Grundlage unseres Widerstands, und dazu mußten wir eine vernünftige Energieversorgung, eine vernünftige Düngung auf den Feldern und dann eine vernünftige Lebensform und Ernährung auf die Beine stellen. Es wurde in dieser Form auch entwickelt. Mir persönlich war eine vernünftige Grundlage immer wichtig, weil wir dann nicht so schnell zu Kreuze kriechen bzw. unsere Meinung ändern brauchten. Die Studenten kamen für das Zeltlager alle Jahre wieder. Es war schon eine schöne Zeit.

SB: Das hört sich so an, als sei der Widerstand im Wendland, an dem viele engagierte Leute beteiligt waren, nur noch Geschichte.

HW: Ja, das ist das alte Lied: Not macht erfinderisch und schweißt zusammen, aber wenn die Not nachläßt, lassen auch solche Verbindungen nach. Wenn wir Alten uns hin und wieder treffen, haben wir immer guten Gesprächsstoff. Aber ansonsten bin ich gar nicht traurig, daß der Widerstand nicht mehr so notwendig ist. Wir wissen jetzt, daß der Salzstock ausgebaut worden ist, und haben erfahren, daß es in der Asse schiefgelaufen ist. Uns betrübt, daß sie den Salzstock Gorleben trotzdem nicht aufgegeben haben. Das ist ärgerlich. Wir wissen alle, daß hochradioaktive Materialien im Salzstock nicht eingelagert werden können. Ob er für dioxinhaltige Endprodukte taugt, ist ebenso fraglich, denn wenn sich Dioxin auflöst, kann es ins Grundwasser geraten. Salz ist aggressiv. Metallbehälter kann man daher nicht nehmen. Jetzt führen sie mit Beton Experimente durch. Auf ewig hält das alles nicht. Man hat nicht aufgehört, Abfälle dieser Art zu erzeugen. Es entsteht sogar immer mehr hochgiftiger Abfall. Man hofft darauf, daß man den Abfall vielleicht in 30, 40 Jahren noch verwerten könnte, was heute jedoch nicht der Fall ist. Das Atomgeschäft floriert, aber die Gefahr ist zu groß, daß ein Meiler irgendwann einmal auseinanderfliegt. Man hat uns früher gesagt, in 1000 Jahren könnte so etwas vielleicht einmal passieren. Aber die Unfälle haben sich schon in den ersten Jahren der Atomverstromung ereignet. Es zeigt sich eben, daß das alles Fehldiagnosen waren. Die ganze Geschichte basiert auf Lügen, Verdummung und Falschinformation.

SB: Kannst du dir vorstellen, daß deine Enkelkinder das gleiche oder etwas ähnliches machen würden, was du schon gemacht hast, wenn Gorleben wieder in die engere Auswahl kommen sollte?

HW: Ich glaube, sie würden noch mehr machen. Bei meinem Sohn, der mich in all den Jahren immer unterstützt hat, bin ich mir sogar sicher. Ich selber hatte einmal ein Verfahren wegen Nötigung am Hals. Als die hier Testbohrungen gemacht haben, wußten wir natürlich, worauf das hinaus läuft. Also sind wir mit unseren Treckern hingefahren und haben die in Lüchow eingekreist, damit sie nicht an die Arbeit gehen konnten. Von den 50 Eigentümern der Schlepper wurden sieben angeklagt und verurteilt. Die BI hat uns dann vorbehaltlos mit Geld unter die Arme gegriffen.

Als sie hier den Salzstock weiter ausbauen wollten, habe ich versucht, ein Grundstück auf dem Gorlebener Moor zu erwerben. Das Moor liegt mitten auf dem Salzstock. Auf der einen Seite sind die Ländereien des Grafen und auf der anderen die Gorlebener Flächen. Früher hatte ich einmal einen Großteil des Moors gepachtet und bewirtschaftet. Wir sagten uns, wenn wir einen Teil der Fläche kaufen, können sie nicht weiterbauen. Das Moor gehörte einem Landwirt aus Gorleben, der heute nicht mehr lebt. Um das Geld dafür aufzubringen, hatten wir eine Sammelaktion im ganzen Bundesgebiet veranstaltet, und ehe wir uns versahen, hatten wir über eine Million, das zehn- oder zwanzigfache von dem, was die Fläche eigentlich wert war, zusammen. Jedenfalls kriegte ich einen Koffer voll Geld und sollte die Fläche kaufen. In der Zwischenzeit hatten die Atombefürworter Wind von der Sache bekommen und alles darangesetzt, selbst die Fläche zu kaufen. Das heißt, diejenigen, die von der Atomwirtschaft im Dorf profitiert hätten, setzten den Besitzer unter Druck. Wenn er das Land an mich verkaufen würde, hätten sie kein Geld gekriegt. Schließlich ist er weich geworden und hat dann an sie verkauft. Und ich stand mit meinem Koffer voll Geld da und konnte nichts machen. Unsere Rechtsanwälte haben versucht, das Geld zurückzugeben, aber die Spende war anonym. Und so ist eben ein Riesengrundstock entstanden für die BI. Mit diesem Geld sind die Rechtsansprüche und Klagen und vieles andere mehr finanziert worden.

SB: Hat dir deine Familie während der Zeit der harten
Auseinandersetzungen den Rücken gestärkt?

HW: Ja, auch meine Kinder waren wütend, weil hier ein Endlager entstehen sollte. Ich glaube, daß es einen gewaltigen Aufstand geben wird, wenn sie wirklich das Risiko eingehen sollten, hier ihren hochradioaktiven Müll einzubuddeln. Denn es ist klar, daß die Radioaktivität irgendwann wieder an die Oberfläche kommt, da die Flüssigkeit, die schon jetzt im Salzstock ist, verstrahlt wird. Ich will hoffen, daß die Vernunft siegt und man die Einlagerung in Salz nicht riskiert. Ich bilde mir ein, daß eine Endlagerung in Granit günstiger wäre, weil Granit nicht so aggressiv ist wie Salz. Auch Ton ist vielleicht günstiger. Aber es muß gewährleistet sein, daß der Atommüll nicht mit Grundwasser in Berührung kommt. Granit oder Ton bieten noch am ehesten diese Gewährleistung, weil die Gebinde nicht so schnell zerfallen wie im Salz, auch in Hinblick darauf, daß man eines Tages vielleicht etwas erfindet, was besser ist und der Atommüll dann rückholbar wäre.

SB: Horst, vielen Dank für dieses aufschlußreiche Gespräch.

Ortsausgangsschild Gedelitz - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick


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9. September 2014