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INTERVIEW/069: Aufbruchtage - palaverdemokratisch ...    Christopher Laumanns im Gespräch (SB)


Zusammenarbeit im Organisationsteam zugleich Teil der Zukunftsvision

Interview am 6. September 2014 an der Universität Leipzig



Christopher Laumanns studierte Philosophie und Politikwissenschaften an den Universitäten Heidelberg und Granada, Spanien. Er beschäftigte sich bereits während seines Studiums eingehend mit wirtschaftlichen Themen und engagierte sich ehrenamtlich in verschiedenen sozialen Bewegungen, insbesondere zur freien Bildung, zum Recht auf Stadt und zur Erhaltung der Umwelt. Er hat das Konzeptwerk Neue Ökonomie e.V. in Leipzig mitgegründet, das als unabhängiger und gemeinnütziger Think Tank Entwürfe für eine soziale, ökologische und demokratische Wirtschaft entwickelt und verbreitet. [1]

Zusammen mit etwa 70 anderen meist ehrenamtlichen Mitstreiterinnen und Mitstreitern hat Laumanns die Vierte Internationale Degrowth-Konferenz für Ökologische Nachhaltigkeit und Soziale Gleichheit organisiert, die vom 2. bis 6. September 2014 an der Universität Leipzig stattfand. Er koordinierte die Öffentlichkeitsarbeit der Konferenz und war einer ihrer beiden PressesprecherInnen. [2] Zum Abschluß der Konferenz beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zur Arbeitsweise des Organisationsteams, zum Antikapitalismus in der Degrowth-Bewegung und zum Selbstbewußtsein der jungen Basis.

Im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Christopher Laumanns
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Christopher, ihr habt im Namen einer Bewegung, die für die Abschaffung entfremdeter Arbeit kämpft, selber enorm viel Zeit und Mühe investiert, um diese Konferenz zu organisieren. Wie verträgt sich euer Arbeitsaufwand mit der Allgemeinforderung, daß Menschen nicht so viel arbeiten sollten?

Christopher Laumanns: Entfremdete Arbeit bedeutet, daß der Arbeiter mit dem Produkt nichts zu tun hat. Das war bei uns nicht der Fall gewesen, denn das Produkt hat extrem viel mit uns als Personen zu tun. Sicherlich hat es immens viel Arbeit gekostet, aber man muß dabei die Arbeitsbedingungen, die Länge der Arbeit und die Bezahlung berücksichtigen. So waren die physischen Arbeitsbedingungen in den Räumen der Autodidaktischen Initiative hervorragend und der emotionale Umgang untereinander sehr achtsam. Natürlich mußten wir den Monat vor Konferenzbeginn viele Stunden abreißen, aber davor hatten wir mit 20 bis 30 Stunden die Woche eine alles in allem überschaubare Zeit gehabt. Daß es am Ende enger wurde, lag wohl auch daran, wie der Reichtum in der Gesellschaft verteilt ist. So ist es für solche Projekte sehr schwer, Gelder für Stellen zu generieren. Dadurch konnten nur wenige Leute bezahlt werden, auf denen dann viel Arbeit gelastet hat. Das hat einerseits sicherlich auch mit den Logiken zu tun, die wir im Kopf haben, aber andererseits auch mit den Rahmenbedingungen, die es zu verändern gilt.

SB: Ihr habt praktisch bei Null angefangen, weil ihr kein Profiteam seid, das sich schon vorher Kompetenzen angeeignet hatte. Wie habt ihr es geschafft, als Kollektiv zu arbeiten, ohne daß neue Hierarchien entstehen?

CL: Ich würde nicht sagen, daß keine Hierarchien entstanden sind. Schließlich gibt es auch in basisdemokratischen Gruppen welche. Die Aufgabe besteht dann darin, sie transparent zu machen und so zu gestalten, daß sie, selbst wenn sie in einer bestimmten Situation unvermeidbar sind, in Zukunft wieder abgebaut werden können oder daß man die Rollen wechseln kann. Daß wir es als Gruppe geschafft haben, in anderthalb Jahren ohne eine einzige Mehrheitsabstimmung auszukommen und sämtliche Entscheidungen im Konsens zu treffen, hatte sicherlich damit zu tun, daß wir uns am Anfang relativ stark ausstrukturierte Organisationsformen überlegt haben, wie die einzelnen Arbeitsgruppen untereinander kommunizieren können. Es gab zu Beginn einen Vorschlag und der wurde einstimmig angenommen. Hinzu kam, daß wir eine sehr gute Moderatorin hatten, die für ein förderliches Klima gesorgt hat. Für uns war es am wichtigsten, das Projekt gemeinsam weiterzubringen und nicht die eigene Meinung durchzuboxen. Das hat eine Achtsamkeit untereinander und eine Konsensorientierung in der Gruppe geschaffen. So war unsere Art des Zusammenarbeitens zugleich Teil der Zukunftsvision, für die wir kämpfen.

SB: In deinem Vortrag hast du zwischen Postwachstum und Degrowth insofern unterschieden, als daß Degrowth den Gedanken des Antikapitalismus mit auf die Agenda gesetzt hat. Warum ist dir das so wichtig?

CL: Die Grundpfeiler unseres Wirtschaftssystems sind einerseits Konkurrenz und andererseits Privateigentum, auch das Privateigentum an Geld. Wenn man viel Geld besitzt, so geht die Logik des Systems, kann man daraus noch mehr Geld machen. Zum Teil ist das notwendig, weil man im Wettbewerb mit anderen steht. Tut man es nicht, dann machen es die anderen und können einen mit dem Preis für ihre Produkte unterbieten. Es ist nicht so, daß die Unternehmer das rein aus Habgier machen, sondern weil sie systemischen Zwängen unterworfen sind. Das steht natürlich dem Ziel, den Naturverbrauch zu reduzieren und ein gutes Leben für alle Menschen zu ermöglichen, diametral entgegen. Das Geld in den Händen von wenigen ist zugleich die Grundbewegung ihres Wirtschaftens, aus einer bestimmten Geldmenge eine größere zu machen. Wenn man sehr wenig Geld hat, dann reicht es eben nur zur Deckung der materiellen Grundbedürfnisse. Dadurch bleiben die Ungleichheiten groß oder werden sogar noch erweitert. Zudem muß man bedenken, daß jeder Dollar oder Euro, der investiert wird, mit einem CO2-Abdruck verbunden ist.

SB: Die Antiglobalisierungsbewegung war wesentlich militanter als die Degrowth-Bewegung, wie sie im Moment jedenfalls in Erscheinung tritt. Hältst du Degrowth für eine Fort- bzw. Weiterentwicklung der Antiglobalisierungsbewegung?

CL: Nein, ich glaube, es ist schon ein anderes Spektrum, das da hinzukommt. Es gibt sicherlich Überschneidungen, so daß man nicht sagen kann, daß es sich um zwei getrennte Bewegungen handelt. Mangelnde Militanz schafft allerdings eine hohe Achtsamkeit für Menschen und setzt so die Konzentration frei, um Alternativen aufzubauen. Das ist auch wichtig, weil dadurch einerseits die Sicherheit und der Lernraum entstehen, um uns weiterzuentwickeln, und daraus andererseits die Inspiration kommt, daß eine andere Welt möglich ist. Die Globalisierungsbewegung hat die Konzentration auf konkrete Kämpfe gebündelt und wollte die Dinge verhindern, die ein gutes Leben unmöglich machen. Wenn ich mir einen Gemeinschaftsgarten anlege und tolle Beziehungen mit den Nachbarn aufbaue, dann bringt das nichts, wenn all das von einem Braunkohlebagger weggeschaufelt wird. Deswegen muß man beide Seiten miteinander verbinden.

SB: Wie seid ihr bei der Themenwahl vorgegangen und wo habt ihr die Grenzen der Bewegung gesteckt und damit entschieden, welche Leute, Ideen oder Strömungen ihr nicht dabeihaben wollt?

CL: Uns war von vornherein klar, daß rechte Ideologien oder auch Verschwörungstheoretisches ausgeschlossen werden sollten. Im Fall von Meinhard Miegel haben wir jedoch wirklich kontrovers diskutiert. Einige Leute in der Gruppe wollten ihn dabeihaben, weil er interessante Artikel schreibt, während andere sich gegen ihn ausgesprochen haben, weil er ein Lobbyist sei und für die Abschaffung des Sozialstaates einstehe. Am Ende haben wir uns dafür entschieden, ihn einzuladen, damit er seine Ideen präsentieren kann. Leider hat er im Endeffekt aus zeitlichen Gründen abgesagt. Es war auf jeden Fall eine spannende Diskussion im Vorbereitungsteam, und ich bin sehr froh, daß wir ihn eingeladen haben, weil ich finde, daß alle Ideen, sofern sie nicht reaktionär und menschenverachtend sind, es wert sein sollten, vorgestellt zu werden.

SB: Die Grünen haben mit ihrem Entwurf des Kapitalismus einen Weg eingeschlagen, der sie von ihrem ursprünglichen Ansatz sehr weit weggeführt hat. Die Degrowth-Bewegung ist ebenfalls sehr breit aufgestellt. Besteht nicht die Gefahr, daß sich in der Zukunft ein mehr oder minder einflußreicher Flügel ausbildet, der dann in eine ganz andere Richtung marschiert?

CL: Ich denke, Degrowth ist sehr offen für ganz verschiedene Richtungen. Deswegen betonen wir auch immer wieder, daß ein gutes Leben für alle oberste Priorität hat. Degrowth ist, was auch schon hier auf der Konferenz gesagt wurde, ein "missile word" - ein Wort, das anstößt und dadurch eine Debatte auslöst. Das bedeutet aber nicht, daß damit eine positive Richtung per se vorgegeben wäre. Erst wenn man das gute Leben für alle in den Blick nimmt, wird eine Entwicklung wie der grüne Kapitalismus ausgeschlossen, der im Endeffekt auf eine Rücksichtslosigkeit gegenüber großen Teilen der Weltbevölkerung hinausläuft und ökologisch ohnehin nicht funktionieren kann.

SB: Der Kongreß war fachlich sehr kompetent und hat viele Informationen geliefert. Zugleich waren sehr viele junge Leute hier, die kritische Fragen aufgeworfen haben. Wie geht ihr mit dem Widerspruch zwischen prominenten Profis und einer jungen Basisbewegung um?

CL: Ich war gestern in einer Gesprächsrunde mit Leuten, die schon sehr lange im klima-aktivistischen und politischen Bereich tätig sind. Einige sind sogar Berater bei der UN. Jedenfalls haben alle unter sich geredet, bis ich irgendwann gesagt habe: Ich finde es toll, was ihr sagt, und lerne sehr viel dabei, aber ich habe das Gefühl, hier sprechen nur die Älteren und Erfahreneren. Dennoch denke ich, daß wir alle etwas dazu beitragen können, weil sich jeder Überlegungen zu dieser Frage gemacht hat. Im ersten Moment waren sie ziemlich perplex, aber dann haben sie sich gefreut, daß jemand selbstbewußt auftritt und sagt, laßt uns alle gemeinsam diskutieren.

SB: Die Teilnehmerzahl der Konferenz war erstaunlich hoch. Es wurde auch schon der Vorschlag ins Spiel gebracht, künftig mehrere und vielleicht auch kleinere Veranstaltungen zu organisieren. Gibt es von der Organisation her so etwas wie ein Größenproblem, daß ab einem bestimmten Umfang die Möglichkeit, daß sich Leute untereinander begegnen und austauschen können, nicht mehr gegeben ist?

CL: Ich denke schon, daß unsere sozialen Gebilde weitaus größer sind als diese Konferenz. Im Vergleich zu Veranstaltungen aus anderen Bereichen ist das hier noch sehr klein. Man denke da an Festivals und dergleichen, die jedoch nicht so stark auf Austausch und Wissenserzeugung angelegt sind. Ich könnte nicht sagen, wo die Grenze liegen sollte, aber ich persönlich würde nichts Größeres mehr organisieren wollen. Der Austausch im kleinen findet ohnehin die ganze Zeit statt. Dennoch halte ich es für wichtig, gelegentlich auch größere Zusammenkünfte zu organisieren, damit möglichst viele Leute inspiriert werden und die Medien einen Anlaß haben, um über das Thema zu berichten. Ich denke, durch das Zusammenkommen und wieder Auseinandergehen entstehen viele neue Kontakte und Ideen, die dann in Projekte münden könnten.

SB: Christopher, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnoten:

[1] http://www.konzeptwerk-neue-oekonomie.org/das-team/christopher-laumanns/

[2] http://programme.leipzig.degrowth.org/de/degrowth2014/public/speakers/207


Bisherige Beiträge zur Degrowth-Konferenz in Leipzig im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT:

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19. Dezember 2014


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