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INTERVIEW/120: Deutsch-arabisches Kultur- und Integrationszentrum - Ehrenamtlich zugepackt ...    Frank Lundbeck im Gespräch (SB)


Aufeinander zugehen und Berührungsängste abbauen

Interview bei der Vereinsgründung am 17. März 2016 in Hamburg-Altona


Bei der Gründungssitzung des Deutsch-arabischen Kultur- und Integrationszentrums in Hamburg meisterte der Jurist Frank Lundbeck die Aufgabe, den Prozeß der Vereinsgründung in die dafür erforderlichen prozessualen Bahnen zu lenken und dies auch noch in einem angemessenen zeitlichen Rahmen zu tun, bravourös. Nach der unter großem Eifer aller Beteiligten erfolgreich absolvierten Sitzung beantwortete Frank Lundbeck dem Schattenblick einige Fragen zu seinem bürgerschaftlichen und humanitären Engagement.


Im Gespräch - Foto: © 2016 by Schattenblick

Frank Lundbeck
Foto: © 2016 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Herr Lundbeck, wo sind Sie in der Flüchtlingsarbeit aktiv?

Frank Lundbeck (FL): Mein ehrenamtliches Hauptaufgabenfeld ist die Stadtteilarbeit in Barmbek Süd. In diesem Zusammenhang arbeitet Herr Fathi Abu Toboul bei uns als Mitglied im Sprecherteam des Stadtteilrates Barmbek-Süd mit. Zur Erläuterung: Der Stadtteilrat ist ein überparteiliches Bürgergremium, das während stadtentwicklungspolitischer Maßnahmen in einem Teil von Barmbek-Süd entstanden ist und seit mehreren Jahren für ganz Barmbek-Süd mit über 33.000 Einwohnern arbeitet. Natürlich versuchen wir im Stadtteilrat, alle Felder gut abzudecken, sei es bei der Bebauung von Grundstücken, der Anlage eines neuen Fußweges oder den Inhalten von Bebauungsplänen; eben auch viele Graswurzelgeschichten, die für die Menschen wichtig sind. Herr Toboul ist für den Bereich Integration zuständig. Ich persönlich arbeite jetzt seit vier Jahren in dem Hamburg weiten Projekt "Dialog in Deutsch" der Hamburger Bücherhallen mit; dabei bieten ehrenamtlich tätige Muttersprachler Gesprächsrunden für MigrantInnen an, die schon Deutsch gelernt haben, aber kaum Gelegenheit haben, sich auf Deutsch zu unterhalten. Unsere TeilnehmerInnen kommen aus der ganzen Welt.

Seit kurzem gebe ich vor einem völlig anderen Berufshintergrund Deutschunterricht in einer neuen Folgeunterkunft für Flüchtlinge in unserer Nachbarschaft; überwiegend geht es um Flüchtlinge aus Afghanistan und Syrien, deren Aufenthaltsstatus ihnen noch keine bezahlten Deutschkurse durch Fachkräfte ermöglicht. Dabei bemühen wir uns um eine Differenzierung nach dem unterschiedlichen Stand der Vorkenntnisse. Richtig schwierig wird es bei Analphabeten; hier hoffen wir auf eine besondere Fortbildung, an der wir in Kürze teilnehmen können.

SB: Im Grunde handelt es sich bei der Aufnahme von Flüchtlingen durchaus um eine Staatsaufgabe. Jetzt wird auch sehr viel auf Freiwilligenarbeit gesetzt. Müsste da nicht gegebenenfalls mehr Geld fließen, um Honorarkräfte für wichtige Aufgaben zu engagieren?

FL: Dazu gibt es ein entschiedenes Sowohl-als-Auch. Den Deutschunterricht in einer Flüchtlingsunterkunft mache ich ganz bewusst ohne Bezahlung, weil ich den Flüchtlingen möglichst nahe kommen möchte. Da reichen mir Informationen aus zweiter oder dritter Hand nicht. Das kann durchaus belastend sein, wenn wir Einzelschicksale mitbekommen. Viele andere Leute suchen wie ich den direkten Kontakt im Rahmen der Initiative "Welcome to Barmbek" mit einem Internet-Verteiler von zuletzt 1.300 ehrenamtlichen HelferInnen, die sich in verschiedenen Arbeitsgruppen und für sieben Unterkünfte organisiert haben. Neben Deutsch sind das u.a. Kinderbetreuung, Begleitung zu Ärzten, Ämtern, Schulen und Kindergärten, Cafés, Sport- und Internetangebote. Durch diese Kontakte können wir zugleich als Multiplikatoren im Kreis von Bekannten und Nachbarn wirken. Denn Vorurteile scheinen ja ganz besonders dort zu herrschen, wo Menschen keine Kontakte zu Flüchtlingen oder Migranten haben und dann aus Angst auf pauschale Vorurteile hereinfallen. Ich halte diesen Einsatz von ehrenamtlichen Helfern für unverzichtbar, weil wir nicht nur zielgerichtet auf ein Ziel, das Erlernen der deutschen Sprache, hin arbeiten, sondern uns mehr nach den Bedürfnissen und Wünschen der Flüchtlinge richten können. Das können staatlich bezahlte Kräfte nicht in dieser Breite leisten.

Richtig ist, dass professionelle Integrationskurse mit Deutschunterricht und Informationen über unser demokratisches Staatswesen von staatlich bezahlten Fachleuten durchgeführt werden müssen. Auch bestimmte andere Themen gehören nicht in die Hände von Nicht-Fachleuten. Dies gilt vor allem für die Behandlungen von Belastungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen, aber auch bei Erwachsenen, die sie in ihren Heimatländern oder auf der Flucht erlitten haben. Hier ist es dringend erforderlich, dass Fachleute frühzeitig eingreifen können. Vorrangig ist auch eine Verbesserung der allgemeinen ärztlichen Versorgung. Auf diesen Feldern muss sich der Staat früher und stärker engagieren. Dies gilt auch für den Bau von Unterkünften. Die augenblickliche Situation ist in Teilen nicht akzeptabel. Wenn z.B. eine große Gruppe von Flüchtlingen in einer einzigen Halle leben muss, in der nur Vorhänge eine Trennung zwischen Männern und Frauen ermöglichen oder bestenfalls größere Familien ein Extraabteil mit aufgespannten Tüchern bekommen. So etwas kann nur gutgehen, wenn Leitung und Beschäftigte der Einrichtung sehr professionell und zugewandt arbeiten. Mittelfristig geht es natürlich um die Aufstockung des Wohnungsbaus sowohl für die hiesige Bevölkerung als auch für die Flüchtlinge. Das erfordert selbstverständlich große finanzielle und logistische Anstrengungen von Bund, Ländern und Kommunen.

SB: Die Aufnahme von Flüchtlingen wird auch von Wirtschaftsvertretern und Demografen befürwortet, da junge und engagierte Menschen für die Arbeitsgesellschaft gebraucht werden. Wäre das nicht erst recht ein Grund zu sagen, dass man alles dazu Erforderliche tut?

FL: Die Wirtschaft will in erster Linie Arbeitskräfte, die gut Deutsch sprechen und nach Möglichkeit schon eine Ausbildung mitbringen, damit man sie hier mit wenig eigenem Aufwand sofort einsetzen kann. Aber allein das Erlernen der deutschen Sprache dauert seine Zeit. Im Moment warte ich jedoch darauf, dass sich die Unternehmen entsprechend einbringen und die Flüchtlinge qualifizieren. Das ginge zum Teil auch schon parallel zu den Deutschkursen, z.B. über Praktika. Ich habe viele Flüchtlinge mit großer Bereitschaft und unglaublichem Arbeitseinsatz getroffen. Da könnten gerade die Betriebe und Wirtschaftsbranchen, die laut nach Arbeitskräften geschrien haben, ihren Teil leisten. Da nur abzuwarten, bis die fertigen Arbeitskräfte vom Staat geliefert werden, ist zu kurz gedacht und wird so nicht funktionieren.

SB: Die Forderung, die Fluchtgründe zu beseitigen, ist allgegenwärtig. Nun wurde der Krieg in Syrien nicht unwesentlich von westlichen Staaten mitverursacht. Wird das Ihrer Ansicht nach ausreichend in der gesellschaftlichen Debatte reflektiert?

FL: Das wird schon ausreichend reflektiert. Aber die Zusammenhänge sind ausgesprochen kompliziert und müssten in ihren zeitlichen Abläufen und Zusammenhängen aufgebröselt und hinterfragt werden. Den Medienforderungen nach einfachen Darstellungen dieser hochkomplexen Zusammenhänge wird man so nicht gerecht. Aber es ist klar, dass die Irakkriege und die weiteren Fehler danach - auch im Umgang mit Syrien - wesentlich zu der heutigen Situation beigetragen haben. Diese Fehler lassen sich nur langsam - wenn überhaupt - beseitigen. Wir müssen alle mit der heutigen Situation klar kommen; Jammern darüber, was heute wäre, wenn nicht damals..., kann allenfalls dabei helfen, die bereits gemachten Fehler nach Möglichkeit nicht zu wiederholen. Aber nicht einmal danach sieht es aus, wenn man die Lage im Stellvertreter-Krieg zwischen dem Iran und Saudi-Arabien im Jemen betrachtet. Die Fluchtgründe zu beseitigen, heißt im Augenblick fast nur, die Flüchtlinge in- und außerhalb von Syrien und dem Irak wirtschaftlich und mit Schulen so zu versorgen, dass sie nicht aus Sorge um die Ausbildung ihrer Kinder und aus Hunger weiterziehen. Das bedeutet nach meiner Meinung, dass allen Nachbarländern, die Flüchtlinge aufgenommen haben, wirtschaftlich geholfen werden muss; nicht nur der Türkei, sondern auch Jordanien und dem Libanon. Möglicherweise wurde die Chance zu einer vernünftigen Regelung der Flüchtlingskrise verspielt, weil man zu sehr auf die Türkei gesetzt hat. Ich habe damit wirklich Probleme, denn die Türkei ist so weit weg von einem Eintritt in die Europäische Union wie schon lange nicht mehr. Unter Erdogan hat sich das deutlich verschlechtert.

SB: Das Angebot des heute gegründeten Deutsch-arabischen Flüchtlings- und Integrationszentrums richtet sich an arabische Migrantinnen und Migranten, aber nicht nur an sie. Wie sinnvoll ist es, solche Strukturen kulturell oder sprachraummäßig zu strukturieren?

FL: Wenn Initiativen solche Strukturen aufbauen wollen, müssen sie ihre Ziele selbst bestimmen und gegebenenfalls nach ihren sprachlichen und sonstigen Ressourcen auch einschränken. Der Verein hat sich hier offen aufgestellt, aber auch deutlich gemacht, dass die Priorität bei den Flüchtlingen aus den arabischen Ländern liegt. Natürlich sind Strukturen erst einmal hilfreich. Vermutlich kommen wir irgendwann in die Situation, dass sich unterschiedliche Strukturen mit nicht identischen Zielen in die Quere kommen; ich vermute, dass sich solche Widersprüche bereits finden lassen. Daher muss es oberstes Ziel sein, den Menschen in ihrer heutigen Situation beim Einleben und beim Verstehen unserer Gesellschaft zu helfen; da müssen eigennützige eigene Ziele der Helfer zurückstehen, - auch wenn ich nicht weiß, wie das wirklich objektiv geprüft werden kann; aber im Zuge von Anträgen auf staatliche Gelder müssten solche Hintergründe auffallen.

SB: Wie beurteilen Sie die Entwicklung von der freizügigen Aufnahme der syrischen Kriegsflüchtlinge durch die Bundeskanzlerin bis zu der ebenfalls von der Bundesregierung mitinitiierten Blockade der Balkanroute und der Abschottung der EU-Außengrenzen inklusive der Ausweisung der Türkei als sicherer Drittstaat?

FL: Ich fand und finde die großherzige Aufnahme insbesondere der syrischen Kriegsflüchtlinge bewundernswert; auch wenn dabei Menschen aus Staaten ohne einen solchen Krieg sich als Syrer ausgegeben haben und ohne eigene Fluchtgründe ausreisen müssen. Unser Land kann diese große Zahl an Syrern verkraften und auch dann integrieren, wenn eine Rückkehr nach Syrien länger dauert als erhofft. Der Deal mit der Türkei hat aber für mich mehr als einen Hauch von "Rettet die Kanzlerin-Aktion", mit der eine rechtsstaatlich einwandfreie Prüfung individueller Asylgründe außerhalb Deutschlands kaum noch möglich ist. Wenn die Länder auf der Balkanroute teilweise nur noch Syrer durchgelassen haben, werden Menschen aus anderen Staaten, die in großer Not z.B. aus Afghanistan, Irak oder Iran zur Rettung ihres Lebens geflohen sind, einfach abgewiesen. Würde ihr Anliegen in einem europäischen Land mit einem arbeitenden Rechtssystem geprüft, müssten viele Menschen berücksichtigt werden. Dieses negative Ergebnis hat auch die Blockade der Balkanroute, bei der jeder der handelnden Staaten sich durch Entscheidungen anderer Länder dazu genötigt sieht, - von Mazedonien bis Österreich. Zwei traurige Systeme, die der Wahrung der Menschenwürde in Europa nicht gerecht werden.

SB: Herr Lundbeck, vielen Dank für das Gespräch.


Frank Lundbeck bei der Vereinsgründung - Foto: © 2016 by Schattenblick

Eine interkulturelle Begegnung moderieren und strukturieren
Foto: © 2016 by Schattenblick


Gründung des Deutsch-arabischen Kultur- und Integrationszentrums in Hamburg-Altona im Schattenblick
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24. Mai 2016


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