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INTERVIEW/131: Klimacamp im Rheinland - Rechtsschutz ...    Aktivist Peter im Gespräch (SB)



Gespräch am 25. August 2017 im Klimacamp Rheinland

Das "Legal Team für Alle" ist ein Antirepressionszusammenschluß, der während des Klimacamps aktiv war. Ihm gehörten Menschen an, die sich über den Umgang mit möglichen rechtlichen Folgen Gedanken gemacht und Erfahrung damit hatten. Er vermittelte Informationen über mögliche Folgen von Aktionen und stand allen während und auch nach den Aktionstagen beratend und unterstützend zur Seite. Dabei war er auch mit Laienverteidigerinnen, solidarischen Anwälten und anderen unterstützenden Personen und Strukturen im Kontakt.

Das "Legal Team" war in allen Camps erreichbar, wo es rechtliche Fragen beantwortete und Workshops zu den Themen rechtliche Basics, Polizeikontakt, Unterlassungserklärungen und auch einen Austausch über Repressionserfahrungen anbot. Im Vorfeld des Klimacamps war eine aktualisierte, ausführliche Broschüre zu Strafrecht, Zivilrecht, Personalienabgabe und einigem mehr erstellt worden, die viele Handlungsoptionen aufzeigte und den Bezugsrahmen der Rechtslage darstellte. [1]

Der Aktivist Peter beantwortete dem Schattenblick einige Fragen zur Arbeitsweise des Legal Teams, zu den getroffenen Vorkehrungen, zur Verschärfung repressiver Maßnahmen und zu den Folgen der neuen Polizeigesetze.


Viele weiße Schutzanzüge auf Wäscheleinen - Foto: © 2017 by Schattenblick

Brutstätte "passiver Bewaffnung"?
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Peter, in welchem Zusammenhang bist du hier im Klimacamp aktiv?

Peter (P): Ich gehöre dem "Legal Team für Alle" an, auch bekannt als Ermittlungsausschuß, der hier auf dem Klimacamp alle Akteure, die Aktionen machen, mit juristischem Know how unterstützt.

SB: Ihr habt offensichtlich umfangreiche Vorkehrungen getroffen, falls es zu Gewahrsamnahmen kommt, wenn Leute in Aktionen gehen. Ihr beratet sie, wie sie sich am günstigsten verhalten, und vergebt auch Nummern, die sie sich aufschreiben. Außerdem füllen sie Formulare aus, nach welchen Kriterien mit ihnen umgegangen werden soll. Könntest du das näher erläutern?

P: Das Klimacamp und die Aktionen von "Ende Gelände" sind seit einigen Jahren auch ein Labor für Techniken der Antirepression in der Szene geworden. Es gibt ja diese Entwicklung, daß die massenhafte Verweigerung von Personalien, die vor fünf, sechs, sieben Jahren noch schwerste Konflikte in Rechtshilfekreisen ausgelöst hätte, hier in einem Ausschnitt der linken Szene inzwischen gut etabliert ist. Sie ist zwar angesichts ihrer Vor- und Nachteile nicht frei von Kontroversen, hat sich aber gerade im Kontext von "Ende Gelände" als allgemeine Ansicht gut bewährt, so daß das immer mehr Leute machen. Das stellt natürlich Anforderungen an unsere Arbeit als Ermittlungsausschuß. Normalerweise ruft jemand, der sich in Haft befindet, bei uns an und sagt seinen Namen, damit im Zweifelsfall ein Anwalt vermittelt werden kann. Das geht nun natürlich nicht, wenn man anonym bleibt, da die Polizei bei diesem Anruf danebensitzt. Deswegen sind wir inzwischen soweit, daß wir vielen tausend Aktivistinnen und Aktivisten eine individuelle Nummer zuteilen, unter der wir sie in unserer Datenbank führen. Das bringt logistische Herausforderungen mit sich, wie auch andere Gruppen vor solchen Herausforderungen stehen und viele Erfahrungen sammeln, auf welche Weise solche Proteste funktionieren können.

SB: Das heißt dann, daß unter dieser Nummer beispielsweise eingetragen wird, ob man einen Anwalt und wenn ja welchen haben möchte?

P: Uns reicht, daß Menschen erst einmal eine persönliche Nummer haben, damit wir jeden Fall individuell verfolgen können, niemals jemand vergessen wird, und wir uns treffen, wenn der Anwalt kommt. Wir bieten aber auch an, daß Menschen uns weitere Informationen hinterlassen können, wenn jemand kontaktiert werden muß, beispielsweise wenn man am übernächsten Tag auf Arbeit erscheinen müßte oder so etwas. Oder wenn jemand eine medizinische Situation hat, die wir kennen sollten. Auch das nehmen wir auf, wenn Leute uns das mitteilen, und bemühen uns, sie bestmöglich zu unterstützen, eben auch, um ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. Die meisten landen ja nicht in Gewahrsam, aber wir wollen, daß die Leute eine Chance haben, sich damit zu beschäftigen. Sie wissen, daß Vorkehrungen getroffen sind, und fühlen sich dann auch ermächtigt, in die Aktion zu gehen, und das merken wir auch. Das ist sehr interessant, es politisieren sich ja viele Leute neu, wir machen auch Workshops zum Rechtlichen. Es gibt immer wieder so ein Moment, daß die Leute schlucken, wenn sie hören, was Polizei tun kann, weil beispielsweise die Abnahme von Fingerabdrücken im Zweifel mit erheblicher Gewalt durchgesetzt wird. Am Ende gehen sie aber trotzdem raus zu der Aktion, und das ist etwas, was unsere Arbeit auch menschlich so spannend macht.

SB: Wenn Vorkehrungen getroffen werden, daß man sich beispielsweise die Fingerkuppen verklebt - gibt das der Polizei Anlaß, zusätzlich mit strafverschärfenden Mitteln zu drohen oder diese anzuwenden?

P: Nein, in keiner Weise. Es gehört zum guten Recht, wenn man in einem Strafverfahren beschuldigt ist, seine eigenen Interessen wahrzunehmen, auch indem man nicht kooperiert, nicht die Wahrheit sagt, etc. Die Technik, die Fingerkuppen zu verkleben, was im Umfeld des Hambacher Forstes schon länger praktiziert wird, ist sicher nichts, was die Polizeibehörden sehr freut, aber juristisch ist das kein Grund, anders gegen die Leute vorzugehen.

SB: Wie erlebt ihr das während der Aktionen, hat das Ausmaß der Repressionen zugenommen? Wir befinden uns ja in dem Post-G20-Gipfel-Klima, wo die Schrauben angezogen werden und gleichzeitig eine härtere Gangart gegen Links angeschlagen wird.

P: Das zeigt sich an anderen Orten noch stärker, ich denke jetzt nur an das Verbot von indymedia.linksunten, was ja genau in diese Zeit hier fällt. Hier ist es so, daß die Leute Gesetze übertreten, die das Eigentum von RWE schützen. Die Polizei versucht, sie daran zu hindern, indem sie Gewalt wie Schlagstock und Pfefferspray anwendet, das Repertoire, das man von solchen Protestaktionen kennt. Das ist schlimm, wir hatten auch gestern wieder Leute im Krankenhaus durch Polizeianwendung. Das ist ganz klar zu verurteilen. Wie die Leute ganz konkret behandelt werden, hängt von den jeweiligen Situationen ab. Manchen Fingern wurde übler mitgespielt als anderen. Bisher haben wir noch keinen Fall, in dem wir sagen, das sprengt das Maß an Polizeigewalt, die wir als Linke in Deutschland bisher bei unseren Protesten einkalkulieren müssen. Das macht es nicht gut, aber bislang erleben wir noch keine krasse Hysterie auf seiten der Sicherheitsbehörden. Aber wir sind jetzt auch erst in der Mitte der Aktionstage und werden sehen, wie es weitergeht.

SB: Vor kurzem wurden neue Gesetze zum angeblichen Schutz der Polizei erlassen, die die Strafschwelle für Aktivisten herabgesetzt haben. Wie ist das aus deiner Sicht politisch einzuschätzen?

P: Wenn wir darüber reden, was nach G20 anders geworden ist, müssen wir feststellen, daß sich nicht sehr viel verändert hat. In den Monaten vor G20 wurden in einem Eiltempo repressive Gesetze durchgedrückt, was die Öffentlichkeit größtenteils nicht realisiert hat. Darunter sind Gesetze, die schon jetzt oder zukünftig die Form des Widerstands, wie er hier von den meisten praktiziert wird, deutlich in Frage stellen. Es ist jetzt zum Beispiel so, daß die Polizei noch nicht die Möglichkeit hat, wenn Leute anonym sind, Fingerabdrücke mit den Daten aus den Pässen abzugleichen, die in den Einwohnermeldeämtern liegen. Es ist aber schon beschlossen, daß sich das zukünftig ändern wird. Das heißt, diese massenhafte Anonymität, die jetzt noch die Leute schützt, muß dann zumindest diskutiert und auf ihre Tauglichkeit überprüft werden. Daneben gibt es vieldiskutierte Verschärfungen des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, die zu der völlig absurden Situation führen, daß eine aggressive Bewegung in den Körper eines Polizisten, selbst wenn ihn diese in keiner Weise verletzt, eine Mindeststrafe von drei Monaten Haft auf Bewährung nach sich zieht. Einen Polizisten mit einem Strohsack zur Seite zu drücken, was bei solchen Massenaktionen nichts Ungewöhnliches ist, wird jetzt plötzlich mit einer Haftstrafe bedroht. Wir werden sehr aufmerksam beobachten müssen, wie diese Aktionstage zu Ende gehen. Gibt es Versuche, Leute in U-Haft zu stecken, werden im Nachhinein etwa Leute zu Bewährungsstrafen verurteilt? Hoffentlich nicht. Es kann auch sein, daß Leute mit solchen Dingen gut wegkommen. Wir müssen beurteilen, ob bestimmte Formen des zivilen Ungehorsams noch adäquat oder die Verhältnisse so repressiv geworden sind, daß wir über andere Aktionsformen sprechen müssen.

SB: Gibt es im Falle des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte auch kollektive Strafen, die auf eine ganze Gruppe angewendet werden können?

P: Es ist tatsächlich so, daß Widerstand leisten gegen den Beamten, also sich losreißen, wenn man festgehalten wird, oder etwas in der Art, bisher mit einer hohen Geldstrafe geahndet wurde. In einer Gruppe muß man mit einer Bewährungsstrafe rechnen. Da man in solchen Situationen fast immer in einer Gruppe agiert, werden Möglichkeiten des zivilen Ungehorsams, der in Auseinandersetzungen mit der Polizei gerät, selbst wenn diese sehr niedrigschwellig sind, in Frage gestellt. Das beobachten wir als Ermittlungsausschuß, und da wird die Bewegung als Ganzes gefordert sein, ein Resümee zu ziehen, wenn sich der Pulverdampf ein bißchen gelegt hat.

SB: Ist damit auch das Versammlungsrecht in Frage gestellt?

P: Das muß man sehen. Das Strafrecht eröffnet Möglichkeiten, das Versammlungsrecht zu beschneiden, wenn diese Möglichkeiten ausgeweitet werden. Das Versammlungsrecht bleibt ein gutes Werkzeug in unseren Händen, obgleich es in der Praxis oft eingeschränkt wird. Aber wenn das noch weiter zunimmt, müssen wir wirklich sehen, welchen Wert dieses Grundrecht noch hat.

SB: Peter, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnote:

[1] http://www.klimacamp-im-rheinland.de/campleben/strukturen/legal-team/


Berichte und Interviews zum Klimacamp 2017 im Rheinland im Schattenblick unter:
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