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INTERVIEW/144: Klimagegengipfel - die auf der Strecke bleiben ...     Barbara Unmüßig im Gespräch (SB)



Zum Auftakt des People's Climate Summit in Bonn fand am 3. November als erster Höhepunkt des Alternativen Gipfels unter reger Beteiligung des zahlreich erschienenen Publikums eine Veranstaltung zum Thema "Klimagerechtigkeit global" statt. Barbara Unmüßig [1] (Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung), die als Moderatorin auf dem Podium durch den Abend führte, verfolgt seit 1989 die globalen Klimaverhandlungen. Ihre Bilanz des Ringens um eine UN-Rahmenkonvention und deren Umsetzung fällt zwangsläufig düster aus. Wenngleich das Klimaabkommen 1992 beschlossen wurde und 1995 in Kyoto konkrete Zielvorgaben folgten, sind auf politischer Ebene die notwendigen Schritte nicht eingeleitet worden. Die Treibhausgasemissionen steigen dramatisch an, 2016 war die CO2-Konzentration in der Atmosphäre so hoch wie zuletzt vor 800.000 Jahren. Die wirtschaftlichen Eliten und politischen Entscheidungsträger verweigern sich der Erkenntnis, daß wir Menschen das Klimasystem massiv verändern und unsere Lebensgrundlagen auf diesem Planeten zerstören. Auch das Pariser Klimaabkommen hat keine Trendumkehr eingeleitet. Über Paris wird gern geredet, doch wir haben nichts auf dem Tisch liegen, was uns in eine Welt führt, deren Erwärmung unter 2 Grad bliebe.

Dabei wissen wir schon lange, daß unter dem Klimawandel vor allem Menschen im globalen Süden leiden, die am wenigsten zu ihm beigetragen haben. Sie sind massiv von Dürren, Überschwemmungen und Stürmen betroffen, längst werden auch mehr und mehr Menschen im Norden in Mitleidenschaft gezogen. Sollten die Brände in Kalifornien nicht Warnung genug sein, eine regelrechte Schockwirkung auslösen? Entgegen der Politik der US-Regierung sind in den Bundesstaaten sehr viele Initiativen von unten aktiv. Dies belegt, daß Menschen überall auf der Welt längst begriffen haben, was auf dem Spiel steht und welche Konsequenzen zu ziehen sind: Wir im reichen Norden sind diejenigen, die dringend und radikal Emissionen reduzieren müssen, so Barbara Unmüßig. Bei der Podiumsdiskussion werde deshalb die Gerechtigkeitsfrage gestellt: Wir dürfen die ökologischen Themen nie von der sozialen Frage trennen. Der People's Climate Summit soll denjenigen Stimme und Gehör geben, die bei den Klimaverhandlungen von den politischen Entscheidungsträgern übergangen werden.

Referentinnen und Referenten des Podiums waren Saul Luciano Lliuya (Bergführer, Kläger gegen RWE, Peru), Makereta Waqavonovono (Anwältin, Fidschi), Carroll Muffet (Center for International Environmental Law (CIEL), USA), Kwami Kpondzo (Friends of the Earth International, Togo), Nguy Thi Khanh (GreenID, Vietnam) und Teresa Anderson (ActionAid International, UK). Der Abend wurde mit einem Auftritt der Pacific Climate Warriors abgerundet.

Im Anschluß an die Podiumsdiskussion beantwortete Barbara Unmüßig dem Schattenblick einige Fragen.


Bei der Moderation auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

Barbara Unmüßig
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Wir haben gerade die Auftaktveranstaltung des People's Climate Summit mit internationalen Gästen erlebt, zu der sehr viele Menschen gekommen sind. Du warst als Moderatorin auf dem Podium angefordert, die Veranstaltung auf einen guten Weg zu bringen. Wie fällt dein erstes Fazit aus?

Barbara Unmüßig (BU): Ich bin sehr glücklich über den Auftakt des People's Climate Summit. Erstens haben wir hier wirklich ganz, ganz tolle Gäste aus allen Regionen der Welt, die ihre Perspektive einbringen, was es bedeutet, von Klimawandel betroffen zu sein. Wir hatten Gäste von den Fidschi-Inseln, die unterzugehen drohen, die längst unter Klimawandel und Meeresanstieg leiden, vor allem aber Zyklonen, auch höheren Temperaturen, Wasserknappheit - all das ist hier ganz deutlich zur Sprache gekommen. Genauso haben wir von unserem peruanischen Gast, der gegen RWE klagt, erfahren, was es bedeutet, in der Andenregion zu leben, die von der Gletscherschmelze und damit auf längere Sicht ebenfalls von Wasserknappheit und anderen Problemen betroffen ist. Wir haben gehört, was es bedeutet, in Regionen Westafrikas zu leben, wo die Erdölerschließung und -förderung ungebrochen weitergeht. Wir haben aus Vietnam gehört, was es bedeutet, in einem Land zu leben, das 50.000 Megawatt Kohlekraftwerke plant, und wie sich die Menschen dort engagieren.

Eine solche Veranstaltung macht Mut, nicht nur, weil wir von Betroffenen von den Folgen des Klimawandels aus erster Hand hören, sondern weil überall auf der Welt Menschen gegen den Klimawandel kämpfen und sich verschiedene Strategien überlegen: Kampf gegen Kohlekraftwerke, Kampf gegen Abholzung, Kampf gegen die Erschließung fossiler Rohstoffe. Und manche dieser Kämpfe sind ja durchaus erfolgreich wie der in Vietnam, wo es gelingt, ein Umdenken herbeizuführen, daß Kohle nicht der Energiemix der Zukunft ist. Von daher war das ein schöner Auftakt, der verschiedene Facetten dessen gezeigt hat, worum es geht: Sowohl im Kampf der Betroffenen gegen die Folgen von Klimawandel als auch, daß es darum gehen muß, insgesamt die Wirtschaftspolitiken zu ändern in den Ländern des globalen Südens wie auch bei uns, wo noch immer fossile Energie der Hauptenergieträger ist.

SB: Wenn man an die Jahrhunderte kolonialer Abhängigkeit und antikolonialer Kämpfe denkt - wäre dieser Kampf gegen den Klimawandel deines Erachtens eine neue Form, ein altes Problem aufzugreifen?

BU: Ich finde, daß unsere Gäste auf dem Podium aus verschiedenen Regionen durchaus betont haben, daß der Norden eine neue Form des Kolonialismus praktiziert: Ihr habt euer fossiles Entwicklungsmodell vorangetrieben, habt damit auch Wohlstand erzeugt, und wir ernten jetzt die Folgen. Ich habe aber das Gefühl, daß die Mehrheit der Leute einfach sagt, es sind unsere Kämpfe vor Ort, wir müssen uns überlegen, wie wir unsere Regierungen dazu bringen, Klimawandel ernstzunehmen in mehrerlei Hinsicht, nämlich kein Einstieg in fossile Energie oder deren Stopp und Einstieg in Erneuerbare. Das ist auch für die Länder des Südens absolut zentral. Und dann muß es darum gehen, das haben ja mehrere Podiumsteilnehmerinnen betont, daß der Norden zahlen muß für die Schäden, die entstehen. Das ist definitiv eine Forderung, die ich unterstütze, daß Schäden, die durch Klimawandel entstehen, kompensiert werden müssen, und der Norden, der die Probleme verursacht, in der Verantwortung steht. Ob man das antikoloniale Kämpfe nennen kann, wäre ein Thema für sich. Auf jeden Fall ist es eine Form, die Menschen im Norden daran zu erinnern, daß sie die Verantwortung dafür tragen, was im globalen Süden passiert. Klimaanpassung und Umsteuerung der Ökonomien kostet auch im globalen Süden Geld, und dafür soll es ja auch aus dem Green Climate Fund oder im Kontext von ökologischen Schulden Kompensation und Geldtransfer geben.

SB: Welche Machtmittel haben die ärmeren Länder des globalen Südens, solche Forderungen auch tatsächlich durchzusetzen?

BU: Für mich sind die ärmeren Länder des Südens nicht einfach nur Opfer. Sie tun ja immer noch alles, um nachholende Entwicklung zu betreiben auf einem Entwicklungspfad, von dem klar ist, daß wir ihn uns einfach nicht leisten können. Wenn zwölf Länder weltweit überhaupt erst in die Kohleproduktion und in die Kohleverstromung einsteigen, dann ist das für mich ein falscher Weg. Heute stehen Mittel zur Verfügung, Energie über Erneuerbare zu erzeugen. Es wäre auch eine Chance für die Länder des globalen Südens, sich nicht erneut von Importen aus dem Norden abhängig zu machen, sondern arbeitsplatzschaffende Maßnahmen zu ergreifen im ökologischen Landbau, bei den erneuerbaren Energien. Da sehe ich die Regierungen im Süden auch als in der Verantwortung stehend, für ihre Bevölkerung das Richtige zu tun, nämlich beispielsweise nicht in agroindustrielle Landwirtschaft einzusteigen, die den Klimawandel noch verschärfen würde, sondern gleich auf andere und naturverträgliche Formen von Landwirtschaft zu setzen. Wenn es um Regierungen geht, ist für mich daher der Terminus "Opfer" gar nicht angemessen, weil ich erlebe, wie auch die Regierungen in Schwellen- und Entwicklungsländern ganz massiv in fossile Infrastruktur, in Straßen, in agroindustrielle Landwirtschaft für ihre Entwicklung einsteigen. Das ist definitiv der falsche Weg. Etwas anderes ist es, daß ich solidarisch mit jenen bin, die heute vom Klimawandel betroffen sind. Sie brauchen in der Tat unsere Solidarität, auch unsere finanzielle Unterstützung, um sich anpassen zu können oder für Schäden kompensiert zu werden.

SB: Beim UN-Klimagipfel COP 23 sitzen die Vertreter der Fidschi-Inseln mit denen der maßgeblichen Täterländer zusammen. Wie schätzt du diese problematische Situation ein?

BU: Die Inselstaaten haben sich schon lange, im Grunde seit es die Klimaverhandlungen gibt, immer wieder in neuen Koalitionen zusammengeschlossen, weil sie weltweit, ob im Pazifik oder im Atlantik und anderswo, die Hauptbetroffenen sind. Ihre Bevölkerungen sind diejenigen, die am meisten bedroht sind. Das Problem ist jedoch, daß Klimaverhandlungen extrem vermachtet sind, und natürlich diese Inselstaaten, auch wenn sie in der UNO eine Stimme haben, ununterbrochen untergebuttert werden. Ihre Anliegen werden nicht gehört, ihre real existierende Bedrohung führt einfach nicht zu einer Übernahme der Verantwortung im Norden, endlich umzusteuern. Deswegen müssen wir uns die Klimaverhandlungen als vermachtete Veranstaltungen vorstellen, in denen die kleinen Inselstaaten und Länder, die vom Klimawandel unmittelbar betroffen sind, eben auch in diesen asymmetrischen Verhältnissen nicht die Stimme und das Gehör haben, das sie bräuchten. Die kleinen Inselstaaten kämpfen um das Überleben ihrer Bevölkerung. Wir erleben ja schon, daß Menschen von den Inseln auswandern müssen und damit auch neue Migrationsströme erzeugt werden. Deswegen sind die kleinen Inselstaaten immer auch ein wichtiger Broker in den Verhandlungen und sozusagen ein bißchen auch das Gewissen, aber sie setzen sich leider angesichts der Dominanz der Industrieländer wie Australien, Kanada, Deutschland, der Vormacht Europas und der USA nicht wirklich durch.

SB: In Deutschland finden derzeit die Sondierungsgespräche zur Bildung einer Regierungskoalition statt. Wie bewertest du den bisherigen Verlauf der Verhandlungen, insbesondere was die Frage des Kohleausstiegs betrifft?

BU: Es ist erschütternd, wenn in solchen Sondierungsverhandlungen der Minimalkonsens vorherrscht, daß man irgend etwas zum Klimawandel tun möchte oder sich zu den Pariser Klimazielen bekennt. Das alarmiert mich, denn wir haben hier einen Vertrag ausgehandelt, den Deutschland ratifiziert hat. Deutschland hat ein nationales Klimaziel, nämlich bis 2020 40 Prozent der CO2-Emissionen zu reduzieren, und hier geht es ja darum, die Sondierenden dazu zu bringen, sich mit der Frage zu konfrontieren, wie sie sich konkretes Handeln vorstellen. Das geht nur über den Kohleausstieg, das geht nur mit einer Abkehr von der Braunkohle. Wir werden sehen, wie das Ergebnis ausfällt.

SB: Vielen Dank für dieses Gespräch.


Gut besetzter Veranstaltungssaal in der Campusmensa Bonn-Poppelsdorf - Foto: © 2017 by Schattenblick

"Klimagerechtigkeit global" auf dem People's Climate Summit
Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnote:


[1] Die Politologin Barbara Unmüßig war wissenschaftliche Mitarbeiterin bei den grünen Abgeordneten Uschi Eid (1985-1987) und Ludger Volmer (1987-1990) im Bundestag. Ab den 90er Jahren arbeitete sie ausschließlich mit und für NGOs. Anläßlich des Gipfels in Rio de Janeiro 1992 zu Umwelt & Entwicklung (UNCED) hat sie als Leiterin der Projektstelle die deutschen Umwelt- und Entwicklungsorganisationen vorbereitet und koordiniert. 1992 war sie Gründungsmitglied und bis 2002 die Sprecherin des Forums Umwelt & Entwicklung. In dieser Zeit hat sie zahlreiche internationale Netzwerke initiiert und an globalen Foren und Konferenzen teilgenommen. Bereits 1990 gründete sie die Organisation Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung e.V. (WEED). Bis heute ist sie Mitherausgeberin des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung. 2000 war sie Mitgründerin des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR) und von 2001-2016 Mitglied im Kuratorium.

Bereits in den 90er Jahren begann Barbara Unmüßig, sich ehrenamtlich für den Aufbau und die Arbeit der Heinrich-Böll-Stiftung zu engagieren. Sie gehörte seit 1996 der Mitgliederversammlung an und war von 1996 bis 2001 Aufsichtsratsvorsitzende. Im Mai 2002 wurde sie zum Vorstand gewählt und leitete zunächst mit Ralf Fücks und seit Juli 2017 gemeinsam mit Ellen Ueberschär die Stiftung. Regelmäßig bringt sie sich in die Debatte über Strategie und Programm von Bündnis 90/Die Grünen ein, so beispielsweise zu Fragen der globalen Gerechtigkeit, Umwelt- und Klimapolitik, Geschlechterpolitik sowie Entwicklungspolitik. Sie hat zahlreiche Buch- und Zeitschriftenbeiträge veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Lili Fuhr und Thomas Fatheuer das Buch "Kritik der Grünen Ökonomie".

https://www.boell.de/de

Bisher im Schattenblick unter BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT zum People's Climate Summit (PCS) in Bonn, mit dem kategorischen Titel Klimagegengipfel versehen, erschienen:

BERICHT/097: Klimagegengipfel - Demo der Gemäßigten ... (SB)
INTERVIEW/135: Klimagegengipfel - Kafkaeske Weisheiten ...     Uwe Hiksch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/136: Klimagegengipfel - Störfall Wirtschaft und Energie ...     Dipti Bathnagar im Gespräch (SB)
INTERVIEW/139: Klimagegengipfel - nur noch wenig Zeit ...     Franziska Buch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/140: Klimagegengipfel - agrarindustrielle Fleischproduktion abschaffen ...     Matthias Ebner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/142: Klimagegengipfel - Eskalation und Gegenwehr ...     Jonas Baliani (Ende Gelände) im Gespräch (SB)
INTERVIEW/143: Klimagegengipfel - wider besseren Wissens ...     Makereta Waqavonovono im Gespräch (SB)


20. November 2017


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