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INTERVIEW/149: Klimagegengipfel - demokratische Ergebnisnot ...     Sean Sweeney im Gespräch (SB)


Dr. Sean Sweeney ist der Direktor des International Program for Labor, Climate and Environment, Murphy Institute, City University of New York, und weltweiter Koordinator von Trade Unions for Energy Democracy (TUED) [1]. Bei TUED handelt es sich um ein globales Netzwerk von Gewerkschaften aus zahlreichen Ländern, die sich für eine demokratische Kontrolle des Energiesektors einsetzen. Um die Klimakatastrophe abzuwenden, den Energiemangel in vielen Regionen der Welt zu beheben, Landraub und Vertreibung von Menschen zu beenden wie auch die Angriffe auf Rechte und Schutz der Arbeiter zurückzuweisen, ist eine Allianz zwischen Arbeiter- und Umweltbewegung unverzichtbar, so das Credo dieses Netzwerks.

Auf dem People's Climate Summit in Bonn war die zweite Podiumsdiskussion am 4. November dem Thema "Leave it in the Ground: Das fossile Zeitalter beenden" gewidmet [2]. Zu den Referentinnen und Referenten gehörte auch Sean Sweeney, der angesichts der Konfrontation zwischen Klimabewegung und Beschäftigten der fossilistischen Stromerzeugung sowie den Gewerkschaften Position bezog. Im Anschluß an die Veranstaltung beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.



Im Interview - Foto: © 2017 by Schattenblick

Sean Sweeney
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sie haben bei der Podiumsdiskussion vorgeschlagen, den gesamten Energiesektor unter lokale Kontrolle der Bevölkerung zu bringen? Wie könnte das herbeigeführt werden?

Sean Sweeney (SS): Es gibt in UK eine Bewegung, die sich die Forderung auf die Fahnen geschrieben hat, den Energiesektor wieder unter öffentliche Kontrolle der Bevölkerung vor Ort zu bringen. In dieser Bewegung wird eine Diskussion darüber geführt, was das prinzipiell und im einzelnen bedeutet. Einige Leute sind der Auffassung, daß erneuerbare Energien eine insgesamt dezentralisierte Kontrolle zulassen. Andere weisen diese Vorstellung als naiv zurück, weil lokale Einheiten ihres Erachtens in ein nationales oder gar kontinentales Energiesystem integriert sein müssen. Das erfordere umfassende Planungsprozesse und eine Aussteuerung des gesamten Komplexes. Meiner Einschätzung nach handelt es sich um eine gesunde und zugewandte Debatte darüber, wieviel lokale Kontrolle wichtig und möglich ist und welcher Anteil demgegenüber auf die traditionelle zentralisierte Weise organisiert werden muß. Diese Diskussion wird geführt und ist noch nicht abgeschlossen. Einigkeit herrscht darüber, daß der Ansatz gescheitert ist, den Wechsel zu erneuerbaren Energien den Märkten zu überlassen. Und das gilt nicht nur für die Erneuerbaren, sondern generell für den gesamten bestehenden Energiesektor, weil diese Herangehensweise die Energieanbieter in ihrer ablehnenden Haltung den Erneuerbaren gegenüber bestärkt.

SB: Der Energiesektor gehört zur kritischen Infrastruktur der Gesellschaft. Wie würde der Nationalstaat Ihres Erachtens auf Bestrebungen reagieren, einen derart wichtigen Sektor zu dezentralisieren und unter lokale Kontrolle zu bringen?

SS: Den Energiesektor in lokale Kontrolle zurückzuholen wird nicht ohne Konflikte möglich sein. Es wird unvermeidlich zu politischen Auseinandersetzungen wie auch zu Kontroversen zwischen zentralisierten und nationalen Institutionen und Körperschaften kommen. Dieser Kampf findet jedoch längst statt. Verschiedene Formen der Energieerzeugung kämpfen heftig und auf eine sehr negative Weise gegeneinander. Und selbst innerhalb des Sektors der Erneuerbaren kommt es zu Auseinandersetzungen beispielsweise zwischen den Anwendern des Solarstroms und der Photovoltaik auf der einen und den Produzenten dieser Technologie auf der anderen Seite. Die Anwender fordern billige Technologie aus chinesischer Produktion, während die Hersteller Photovoltaik an den Standorten hier in Deutschland und anderswo in Europa produzieren wollen. Sie im Krieg untereinander zu sehen schafft nicht gerade ein angenehmes Umfeld, und diese Zerwürfnisse führen zu sehr inadäquaten Standards der Anwendung erneuerbarer Energien.

SB: Wir haben heute abend auch über die Gewerkschaften gesprochen, die hier in Deutschland traditionell in hohem Maße integriert und mit politischen Parteien wie auch staatlichen Interessen verflochten sind. Woran ließe sich unter diesen oder anderen Umständen die Stärke und Kampfkraft einer Gewerkschaft bemessen?

SS: Was diese spezielle Frage betrifft, verfügen die deutschen Gewerkschaften in der Tat über institutionellen Einfluß. Die Stärke der Gewerkschaften ist jedoch weltweit, und das gilt auch für Deutschland, rückläufig. Es gibt nur wenige Länder, in denen der Einfluß der Gewerkschaften wächst. Angesichts des ökonomischen Erfolgs des Modells Deutschland mag dieser Niedergang weniger ins Auge stechen als anderswo. In ideologischer Hinsicht, also mit Blick auf das Verständnis, an welchem Punkt wir historisch und hinsichtlich der ökologischen Problematik des Klimawandels angelangt sind, fallen die deutschen Gewerkschaften meines Erachtens hinter den aktuellen Stand zurück. Das gilt wiederum für die meisten Gewerkschaften weltweit, da sich nur wenige an vorderster Front der notwendigen Auseinandersetzungen positionieren. Es gibt ein neues Narrativ von Klasse und Klima, das in gewerkschaftlichen Kreisen aufgetaucht ist, doch in Deutschland kommt es bislang nur sehr langsam voran. Ich hoffe sehr, daß sich das künftig ändert.

SB: Warum fällt den Gewerkschaften eine Kurskorrektur so schwer? Liegen dem eher ökonomische Gründe zugrunde oder ist es in erster Linie ein Problem des Festhaltens an überkommenen Prinzipien und Vorstellungen?

SS: Wir haben in den letzten zwanzig Jahren eine Segmentierung des Arbeitsmarkts erlebt, der sich in gering bezahlte informelle Arbeitskräfte auf der einen und gut bezahlte privilegierte Beschäftigte auf der anderen Seite gespalten hat. Die Gewerkschaften haben zwar versucht, die prekär Beschäftigten des Niedriglohnsektors zu organisieren, waren dabei aber nicht sehr erfolgreich. Das ist in erster Linie darauf zurückzuführen, daß es in diesem Sektor in der Regel keinen ständigen Arbeitgeber gibt, den man mit Forderungen adressieren, und keinen festen Arbeitsplatz, an dem man die Beschäftigten organisieren könnte. Viele Menschen haben überhaupt keinen Arbeitsplatz im traditionellen Sinn mehr, sondern arbeiten zu Hause oder in einem Coffee Shop. Gewerkschaftsversammlungen sind heutzutage europaweit im Normalfall Zusammenkünfte einer älteren Generation von über 50- oder 60jährigen, so daß es ihnen an der Lebendigkeit und Kampfbereitschaft der aufstrebenden jüngeren Bewegungen fehlt. Dennoch glaube ich an die Möglichkeit, daß neue Ideen auch die Gewerkschaftsbewegung erreichen und sich zumindest ein Teil der Gewerkschaften diesen neuen Ansätzen öffnet und sie sich zu eigen macht.

SB: Tadzio Müller hat auf dem Podium argumentiert, daß es nicht sein Problem sei, die Interessen der Beschäftigten im Tagebau oder im Kohlekraftwerk zu verteidigen. Können Sie dieses Argument akzeptieren?

SS: Nein, ich kann dieses Argument nicht akzeptieren. Selbst wenn diese Beschäftigten teilweise privilegiert sind und rückwärtsgewandte Auffassungen vertreten, gehören sie doch in mancherlei Hinsicht der Arbeiterklasse an. Man findet unter ihnen radikale, aber ebenso sehr konservative Leute. Die Umweltbewegung und Klimagerechtigkeitsbewegung sollte meines Erachtens mit einfallsreicheren Herangehensweisen das Vertrauen dieser Menschen gewinnen. Wenn Arbeiter ihre Jobs in einem Kohlekraftwerk verteidigen, wäre es sehr bedeutsam, wenn die Klimabewegung ihnen zur Seite stehen und argumentieren würde, wir unterstützen die Arbeiter, aber nicht die Kohleindustrie. Wir unterstützen die Rechte dieser Arbeiter. Wenn sie ihre Jobs nicht behalten können, müssen sie doch ihre Einkünfte behalten, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können und ihren Lebensstandard zu halten. Warum können Unternehmen Kohlenstoff profitträchtig vermarkten, aber Arbeiter, die nicht länger in dieser Sparte beschäftigt werden, keine Kompensation dafür erhalten, daß sie die Atmosphäre des Planeten nicht länger vergiften? Wir brauchen also kreative politische Herangehensweisen. Das Problem der Mainstream-Umweltbewegungen besteht in aller Regel darin, daß sie die Strategie praktizieren, jede Schließung einer Kohlegrube, eines Kohlekraftwerks oder eines Gaskraftwerks als einen weiteren Sieg zu feiern, der sie ihrem Ziel automatisch näherbringt. Wenn dies jedoch das Potential untergräbt, eine wirklich starke Bewegung herauszubilden, handelt es sich lediglich um einen vorübergehenden Erfolg ohne langfristige Strategie. Was ich vorschlage, ist nicht einfach, aber ich halte diese Herangehensweise, der ein anderes Konzept zugrunde liegt, für unverzichtbar.

SB: Die Klimagerechtigkeitsbewegung ist relativ jung und mit dem Konzept einer Arbeiterklasse so wenig vertraut, daß sie es in der Regel überhaupt nicht thematisiert. Warum ist es aus Ihrer Sicht dennoch so wichtig, mit der Arbeiterklasse und deren Interessen zu argumentieren?

SS: Ein Grund ist aus meiner Sicht, daß die Arbeiterklasse numerisch noch immer die Mehrheit der Bevölkerung stellt. Sie hat nach wie vor das Potential, den Konzernen das Leben schwer zu machen, sofern sie sich dazu entschließt. Der Kern der Unternehmensmacht hat sich natürlich von großen industriellen Fabriken hin zu Telekommunikationsnetzwerken und IT-Unternehmen verschoben, aber die Macht als solche existiert weiterhin. Wir müssen als Klimabewegung unsererseits Gegenmacht aufbauen. Wir können protestieren und demonstrieren, aber letzten Endes kommen wir nicht darum herum, industrielle Macht zu entfalten, um die Schließung jener Produktionszweige zu erwirken, die maßgeblich dazu beitragen, die ökologische Katastrophe völlig außer Kontrolle laufen zu lassen. Wir brauchen diesen Grad an Militanz.

SB: Herr Sweeney, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnoten:

[1] http://unionsforenergydemocracy.org

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0103.html


Bisher im Schattenblick unter BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT zum People's Climate Summit (PCS) in Bonn, mit dem kategorischen Titel Klimagegengipfel versehen, erschienen:

BERICHT/097: Klimagegengipfel - Demo der Gemäßigten ... (SB)
BERICHT/101: Klimagegengipfel - Kernenergie schon gar nicht ... (SB)
BERICHT/102: Klimagegengipfel - Erdgas, keine Option ... (SB)

INTERVIEW/135: Klimagegengipfel - Kafkaeske Weisheiten ...     Uwe Hiksch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/136: Klimagegengipfel - Störfall Wirtschaft und Energie ...     Dipti Bathnagar im Gespräch (SB)
INTERVIEW/139: Klimagegengipfel - nur noch wenig Zeit ...     Franziska Buch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/140: Klimagegengipfel - agrarindustrielle Fleischproduktion abschaffen ...     Matthias Ebner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/142: Klimagegengipfel - Eskalation und Gegenwehr ...     Jonas Baliani (Ende Gelände) im Gespräch (SB)
INTERVIEW/143: Klimagegengipfel - wider besseren Wissens ...     Makereta Waqavonovono im Gespräch (SB)
INTERVIEW/144: Klimagegengipfel - die auf der Strecke bleiben ...     Barbara Unmüßig im Gespräch (SB)
INTERVIEW/145: Klimagegengipfel - integrative Linksdiskussion ...     Dagmar Enkelmann im Gespräch (SB)
INTERVIEW/146: Klimagegengipfel - Antikernkraft und der lange Marsch ...     Don't-Nuke-the-Climate!-Aktive im Gespräch (SB)
INTERVIEW/147: Klimagegengipfel - umgelastet ...     Titi Soentoro im Gespräch (SB)

29. November 2017


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