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INTERVIEW/162: Klimagegengipfel - der Rechtsweg zur Not ...     Carroll Muffett im Gespräch (SB)


Carroll Muffett ist Präsident und Vorstandsvorsitzender des in Washington DC ansässigen Center for International Environmental Law (CIEL). Die Nonprofit-Organisation verfolgt das Ziel, eine gerechte und nachhaltige Gesellschaft zu etablieren, und will dies mit Hilfe des Umweltrechts und der Menschenrechte erreichen. Muffett war zuvor als Executive Director des Climate Law & Policy Projects und als Deputy Campaigns Director bei Greenpeace aktiv. Dort war er insbesondere mit der Durchführung von Kampagnen gegen den Klimwandel und zum Erhalt der Wälder tätig. Für letzteres hat er sich auch bei der Organisation Defenders of Wildlife eingesetzt, wo er an der Etablierung internationaler Schutzvorschriften für aufgrund ihres hohen Handelswertes besonders bedrohte Baumarten wie Mahagoni beteiligt war.


Auf dem Podium im Wissenschaftszentrum Bonn - Foto: © 2017 by Schattenblick

Carroll Muffett
Foto: © 2017 by Schattenblick

Am 3. November war Carroll Muffett bei der Auftaktveranstaltung des People's Climate Summit (PCS) in der Campusmensa in Bonn-Poppelsdorf auf dem Podium präsent. Er wurde dort von Barbara Unmüßig, Ko-Vorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung, zum Thema des Abends, der Schaffung globaler Klimagerechtigkeit auch unter dem Gesichtspunkt der rechtlichen Haftung dafür verantwortlicher Akteure, befragt.

Der Anwalt bewertet die Ergebnisse des Paris-Abkommens hinsichtlich des Zieles der Klimagerechtigkeit eher skeptisch. Nicht nur, daß einzelne Staaten zu wenig und dies auch noch zu spät täten, um die deklarierten Ziele der Begrenzung der Erderwärmung zu erreichen. Es sei auch ein großer Unterschied, ob man sich auf die Schwelle von 1,5 oder 2 Grad Celsius Erwärmung im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung einige. Diese Differenz bemesse sich ganz konkret in Menschenleben, in der Mißachtung von Menschenrechten und der Zerstörung menschlicher Lebensverhältnisse. Man brauche nur auf die katastrophalen Entwicklungen zu schauen, die sich bereits beim Überschreiten der Ein-Grad-Schwelle einstellen, um sich davon ein Bild zu machen.

Als maßgebliche Verursacher des Klimawandels nannte Muffett die Produzenten fossiler Brennstoffe. Hole man Öl, Gas und Kohle nicht aus der Erde, dann würden sie auch nicht verbrannt. Die großen Unternehmen in diesem Sektor hätten einen weit größeren Einfluß auf Entscheidungen, die das Leben der Menschen betreffen, als diese selbst. Seiner Organisation gehe es darum, diese Unternehmen zur Rechenschaft zu ziehen, um ihre klimaschädlichen Geschäftspraktiken abzustellen. Die dabei zur Anwendung gelangenden Rechtsmittel seien immer dann von besonderer Bedeutung, wenn sich der politische Prozeß als unzureichend für die Bewältigung drängender Probleme erweise. Die sozialen Bewegungen hätten lange darauf gewartet, daß die Politik ihrer Verantwortung gerecht wird, nun habe man keine Zeit mehr zu warten.

Muffett bezichtigt privatwirtschaftliche Unternehmen, schon seit 70 Jahren über den drohenden Klimawandel und die negative Rolle, die fossile Energieträger dabei spielen, Bescheid zu wissen. Unter Berufung auf CIEL vorliegende Dokumente erklärte er, daß ExxonMobil den Klimawandel schon 1957 erforscht habe. Ein Jahr darauf sei die gesamte Ölindustrie als Gruppe aktiv geworden, ihre Forschungen so auszurichten, daß die Menschen keinen Grund hätten, gegen Umweltzerstörung aktiv zu werden. 1968 seien diese Unternehmen auf eindringliche Weise von ihren eigenen Wissenschaftlern daran erinnert worden, daß ihre Erkenntnisse zum Klimawandel triftig sind und die Konzerne nach einer Lösung für das Problem suchen sollten.


Auf dem Podium mit Mikro - Foto: © 2017 by Schattenblick

Barbara Unmüßig befragt Carroll Muffett
Foto: © 2017 by Schattenblick

Dennoch sei der Rechtsweg in diesem Bereich langsam, unsicher und teuer. Sofern es bessere Möglichkeiten gebe, auf die Entwicklung Einfluß zu nehmen, empfehle es sich, diese auch in Anspruch zu nehmen. Zudem bestehe die Gefahr, daß nationale Gerichte bei der Urteilsfindung nicht mehr unabhängig entschieden. In diesem Fall versuche CIEL, sich an Menschenrechtsorgane oder andere Institutionen internationalen Rechts zu wenden. Zu empfehlen sei der juristische Weg wiederum, weil die dabei verhandelten Fragen nicht mehr als politische Forderungen, sondern als Rechtsfälle in Erscheinung treten. Diese Strategie habe den Vorteil, daß jeder vor Gericht verhandelte Fall neue Möglichkeiten eröffne, Umweltprobleme als Rechtsfragen zu adressieren.

Die Beendigung der Förderung und des Verbrauches fossiler Energie sei für die Investoren mit hohem finanziellen Risiko behaftet. Das eröffne zusätzliche Möglichkeiten, die Einstellung fossiler Energieproduktion mit Rechtsmitteln zu forcieren, was wiederum die Neigung, in diesen Bereich zu investieren, verringere. Umweltrecht sei alles andere als eine singuläre Aktivität, es umfasse vielmehr eine breite Palette von Möglichkeiten der Kampagnenarbeit und des Aktivismus.

Im Anschluß an die Podiumsdiskussion beantwortete Carroll Muffett dem Schattenblick einige weiterführende Fragen.


Carroll Muffett im Vortrag - Foto: © 2017 by Schattenblick

Umweltrecht kurz gefaßt
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Muffett, richtet sich Ihre Arbeit beim Center for International Environmental Law vor allem gegen den Lobbyismus großer Unternehmen, oder wen ziehen Sie sonst als Verursacher des Klimawandels zur Verantwortung?

Carroll Muffett (CM): Wir kämpfen nicht nur gegen den Lobbyismus. Wir haben es mit einem umfassenden Feld der Straflosigkeit von Unternehmen und der korporatistischen Kontrolle von Politik zu tun. Infolgedessen werden Probleme, mit denen wir als Gesellschaft buchstäblich seit Jahrzehnten konfrontiert sind, nicht angefaßt. Der Klimawandel ist ein solcher Fall. Einer unserer zentralen Angriffspunkte ist eine Gruppe korporatistischer Akteure, denen wir mit großer Stichhaltigkeit zu jedem Zeitpunkt während der letzten sechs Dekaden nachweisen können, wie lange sie schon über den Klimawandel, ihre spezifische Beteiligung an der Entstehung des Problems und ihre Verantwortung, diese Informationen öffentlich zu machen, Bescheid wissen. Statt dessen engagierten sie sich jahrelang aktiv und ganz offen in Desinformationskampagnen, mit Hilfe derer der Klimawandel geleugnet wurde. Darauf die allgemeine Aufmerksamkeit zu lenken, um die Gerichte und politischen Institutionen zu bewegen, daran etwas zu ändern, ist unser Ziel.

SB: Wie ausgeglichen ist das Verhältnis zwischen den Organisationen, die mit rechtlichen Mitteln gegen das Fortschreiten des Klimawandels vorzugehen versuchen, und den von Ihnen gerichtlich zur Verantwortung gezogenen Verursachern?

CM: Wenn man die Geschichte der rechtlichen Auseinandersetzungen mit der Tabakindustrie Revue passieren läßt, dann stellt man fest, daß es in den ersten Jahren dieses Rechtsstreites immer dasselbe war - die Kläger verloren die von ihnen angestrengten Verfahren. Das ging 30 Jahre lang so. Es dauerte 30 Jahre, bis ein Richter schließlich urteilte, daß die Zigarettenindustrie unangemessen gehandelt hat.

Der Unterschied zwischen damals und heute besteht darin, daß wir es heute mit Klägern zu tun haben, die vor Gericht über eindeutige Beweise für unternehmerisches Fehlverhalten verfügen. Weshalb wir dennoch nicht so erfolgreich sind, wie wir sein könnten, liegt daran, daß das Erheben einer Klage der Erstellung einer vollständigen Beweiskette bedarf, die den Zusammenhang zwischen identifizierbaren Klägern mit spezifischer Betroffenheit und identifizierbaren Angeklagten, denen man nachweisen kann, daß sie zur Entstehung dieser Schädigungen beigetragen haben, konkret herstellen kann. Für eine sehr lange Zeit war die Klimawissenschaft in ihren Ergebnissen zu allgemein, um das leisten zu können.

So konnten wir zeigen, daß CO2 zum Klimawandel beiträgt, wir konnten Einflüsse auf das Klima auf nationaler, manchmal auch auf regionaler Ebene belegen. Es gelang jedoch nur selten, den Nachweis im Detail zu führen, daß eine einzelne Person spezifisch durch den Klimawandel geschädigt wurde. Der Fall Saúl gegen RWE [2] ist ein Beispiel dafür, daß inzwischen immer mehr Kläger in der Lage sind, den konkreten wissenschaftlichen Nachweis zu erbringen, wie der Klimawandel sie ganz persönlich in Mitleidenschaft zieht. Das gilt auch für die Vereinigten Staaten. Zahlreiche Städte klagen dort inzwischen gegen große fossilistische Unternehmen wegen des klimabedingten Anstiegs des Meeresspiegels auf Kompensation der Gegenmaßnahmen, die sie zu ihrem Schutz ergreifen müssen.

So hat man eine identifizierbare Gruppe von Klägern und eine identifizierbare Gruppe von Angeklagten. Der große Durchbruch, der sich in den letzten zwei Jahren ereignet hat, ist, daß der wissenschaftliche Nachweis des kausalen Zusammenhanges zwischen den CO2-Emissionen bestimmter Unternehmen und bestimmten Folgen des Klimawandels wie dem Anstieg des Meeresspiegels oder der zunehmenden Häufigkeit und Intensität von Stürmen vor Gericht immer öfter anerkannt wird. Auch wenn es so aussieht, daß die jüngere Geschichte des Klimawandels von Niederlagen bestimmt ist, wurden viele der großen Schlachten bereits gewonnen. Klimawandel wird nicht mehr nur als Angelegenheit der Politik betrachtet, sondern davon betroffene Menschen ziehen vor Gericht und haben dort einen guten Stand. Zudem erkennen die Gerichte immer häufiger an, daß auch Regierungen Verantwortung für den Kampf gegen den Klimawandel tragen. Das betrifft nicht zuletzt die Aufgabe der Regierungen, auf regulative Weise in die Geschäfte der Verursacher des Klimawandels einzugreifen. Es gab viele Herausforderungen, aber wir sehen zugleich den realen Beginn einer neuen und sich schnell entwickelnden Rechtspraxis auf diesem Gebiet.

SB: In welchem Ausmaß mischen sich politische Akteure in die Zuständigkeiten der Gerichte ein?

CM: Hier einige jüngere Beispiele aus dem US-Kontext. Als der Generalstaatsanwalt des Staates New Yorks Ermittlungen gegen ExxonMobil anordnete und viele Organisationen inklusive meiner darauf hinwiesen, was diese Unternehmen bereits über den Klimawandel wußten, lud der Vorsitzende des Wissenschaftsausschusses im Abgeordnetenhaus, Lamar Smith, den Generalstaatsanwalt vor, um die von ihm initiierten Ermittlungen gegen ExxonMobil zu stoppen. Jeff Sessions, damals Senator und heute US-Justizminister, griff ebenfalls in staatliche Ermittlungen ein. Auch der frühere Justizminister Oklahomas und heutige Chef der US-Umweltschutzbehörde Environmental Protection Agency (EPA), Scott Pruitt, versuchte Ermittlungen zu verhindern.

Es stimmt also, wir sehen, wie politische Kräfte versuchen, in juristische Vorgänge einzugreifen. Trotz alledem stellten wir fest, daß sich der juristische Fortschritt im großen und ganzen auch durch diese Eingriffe nicht aufhalten läßt. Das ist nicht überall so, aber es bleibt ein gangbarer Weg.

SB: Was sagen Sie zur besonders kontraproduktiven Klimaschutzpolitik der amtierenden US-Regierung?

CM: Die Trump-Regierung beweist, warum wir die Gerichte brauchen. Wir können der Exekutive oder dem Kongreß nicht zutrauen, diese Probleme auf angemessene Weise in Angriff zu nehmen. Während des letzten Jahres haben wir immer wieder gesehen, daß die Gerichte bereit sind, gegen die Trump-Regierung aufzustehen und zu erklären: Was ihr tut, ist falsch, was ihr tut, ist illegal, was ihr tut, ist ein Verletzung geltenden Rechts!

Ist es ein perfektes System? Absolut nicht. Kann sich die Trump-Regierung in die Angelegenheiten der Justiz einmischen? Absolut. Aber insbesondere im Fall dieser Regierung ist der Rechtsweg und das Einschalten der Gerichte eine unserer stärksten Möglichkeiten, um tatsächlich voranzukommen, anstatt sich permanent in der Defensive zu befinden.

SB: Herr Muffett, vielen Dank für das Gespräch.


Eingang zur Mensa mit Leuchtschrift - Foto: © 2017 by Schattenblick

Auftaktveranstaltung zum People's Climate Summit in der Campusmensa in Bonn-Poppelsdorf
Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] http://www.ciel.org/about-us/ciel-staff/carroll-muffett-president-and-ceo/

[2] https://germanwatch.org/der-fall-huaraz


Bisher im Schattenblick unter BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT zum People's Climate Summit (PCS) in Bonn, mit dem kategorischen Titel Klimagegengipfel versehen, erschienen:

BERICHT/097: Klimagegengipfel - Demo der Gemäßigten ... (SB)
BERICHT/101: Klimagegengipfel - Kernenergie schon gar nicht ... (SB)
BERICHT/102: Klimagegengipfel - Erdgas, keine Option ... (SB)
BERICHT/103: Klimagegengipfel - gemeinsam marschieren, getrennt schlagen ... (SB)

INTERVIEW/135: Klimagegengipfel - Kafkaeske Weisheiten ...     Uwe Hiksch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/136: Klimagegengipfel - Störfall Wirtschaft und Energie ...     Dipti Bathnagar im Gespräch (SB)
INTERVIEW/139: Klimagegengipfel - nur noch wenig Zeit ...     Franziska Buch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/140: Klimagegengipfel - agrarindustrielle Fleischproduktion abschaffen ...     Matthias Ebner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/142: Klimagegengipfel - Eskalation und Gegenwehr ...     Jonas Baliani (Ende Gelände) im Gespräch (SB)
INTERVIEW/143: Klimagegengipfel - wider besseren Wissens ...     Makereta Waqavonovono im Gespräch (SB)
INTERVIEW/144: Klimagegengipfel - die auf der Strecke bleiben ...     Barbara Unmüßig im Gespräch (SB)
INTERVIEW/145: Klimagegengipfel - integrative Linksdiskussion ...     Dagmar Enkelmann im Gespräch (SB)
INTERVIEW/146: Klimagegengipfel - Antikernkraft und der lange Marsch ...     Don't-Nuke-the-Climate!-Aktive im Gespräch (SB)
INTERVIEW/147: Klimagegengipfel - umgelastet ...     Titi Soentoro im Gespräch (SB)
INTERVIEW/148: Klimagegengipfel - Flucht, Gewalt und Frauenelend ...     Samantha Hargreaves im Gespräch (SB)
INTERVIEW/149: Klimagegengipfel - demokratische Ergebnisnot ...     Sean Sweeney im Gespräch (SB)
INTERVIEW/150: Klimagegengipfel - Gas geordert, Stopp gefordert ...     Frida Kieninger und Andy Gheorghiu im Gespräch (SB)
INTERVIEW/151: Klimagegengipfel - Front aller Orten ...     Nataanii Means und Rafael Gonzales im Gespräch (SB)
INTERVIEW/152: Klimagegengipfel - Demokratie nur von unten ...     Magdalena Heuwieser im Gespräch (SB)
INTERVIEW/153: Klimagegengipfel - Laßt euch nicht täuschen ...     Doris Linzmeier im Gespräch (SB)
INTERVIEW/154: Klimagegengipfel - Selbstverteidigung ...     Tetet Lauron im Gespräch (SB)
INTERVIEW/155: Klimagegengipfel - gestutzte Sozial- und Umweltrechte ...     Dr. Roberto Ferdinand im Gespräch (SB)
INTERVIEW/156: Klimagegengipfel - milch- und fleischemittierte Heimlichkeit ...     Shefali Sharma im Gespräch (SB)
INTERVIEW/157: Klimagegengipfel - Kolonie der Finalstrategien ...     Jesús Vásquez im Gespräch (SB)
INTERVIEW/158: Klimagegengipfel - auf der eigenen Scholle stehen ...     Aktivist Flip im Gespräch (SB)
INTERVIEW/159: Klimagegengipfel - zwei Beine für jeden Schritt ...     Lydinyda Nacpil im Gespräch (SB)
INTERVIEW/160: Klimagegengipfel - Fraß und Öde vor die Tür gekehrt ...     Peter Donatus im Gespräch (SB)
INTERVIEW/161: Klimagegengipfel - schöpfen mit Bedacht ...     Tom Goldtooth im Gespräch (SB)


13. Dezember 2017


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