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INTERVIEW/167: Naturbegriffe - Universalitätsargumente ...     Linda Sheehan im Gespräch (SB)


Die Rechts- und Politikwissenschaftlerin Linda Sheehan ist Exekutivdirektorin der Organisation Planet Pledge, ein Projekt der Leonardo DiCaprio Foundation. Während sie dort globale Investments und philantrophische Lösungen zur Begrenzung des Klimawandels entwickelt, war sie zuvor insbesondere beim ökologischen Schutz der kalifornischen Küstengewässer aktiv. Beim International Rights of Nature Tribunal am 7. und 8. November 2017 in Bonn fungierte sie neben Ramiro Ávila als Anklägerin. Am Rande des Tribunals beantwortete Linda Sheehan dem Schattenblick einige Fragen.


Am Rednerpult auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

Linda Sheehan
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Frau Sheehan, Sie fungieren als Anklägerin. Orientiert sich das International Rights of Nature Tribunal am herkömmlichen Gerichtswesen oder beruft es sich auf andere Rechtstraditionen?

Linda Sheehan (SL): Wir haben uns am Vorbild des Permanenten Völkertribunals orientiert, das sich auf die Tradition der Russell-Tribunale beruft, die in den frühen 1960er Jahren von Bertrand Russell und einigen KollegInnen ins Leben gerufen wurden. Informationen zur Entstehungsgeschichte des Tribunals sind auch auf der Webseite der Global Alliance for the Rights of Nature [1] einsehbar. Das Russell-Tribunal wurde gegründet, um den Vietnamkrieg zu untersuchen und Menschen eine Plattform zu verschaffen, auf der sie über Entwicklungen sprechen konnten, die ihrer Ansicht nach den Tatbestand von Kriegsverbrechen erfüllten und über die nicht vor einem traditionellen Strafgericht verhandelt werden konnte, weil die geltenden Gesetze das Begehen jener Verbrechen deckten.

Für uns ist es eine Möglichkeit, geltendes Recht zum Diskussionsgegenstand zu machen. Das gilt auf für einige Fälle, in denen die Rechte der Natur bereits durch geltende Gesetze geschützt werden, doch deren Verletzung in den betreffenden Ländern womöglich nicht verfolgt wird.

SB: Inwiefern kann die Natur selbst Rechtssubjekt sein. Hat es das in der Rechtsgeschichte schon gegeben?

LS: Die inhärenten Rechte der Natur werden auf gleiche Weise begründet wie die inhärenten Rechte der Menschen, durch die Tatsache unserer Existenz hier auf der Erde. Als die Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte nach dem Zweiten Weltkrieg verabschiedeten, kamen die Mitglieder des UN-Komitees, das den Entwurf verfaßte, darin überein, daß die Menschenrechte nicht von einem Präsidenten, König oder sonstigen Weltführer gewährt werden, sondern existieren, weil wir auf dieser Erde existieren.

Wenn wir dies glauben, was meiner Ansicht nach die meisten von uns tun, dann existieren die inhärenten Recht der Natur logischerweise, weil die Natur existiert. So, wie diese Rechte relevant für das Bedürfnis sind, auf der Erde zu überleben, zu existieren und zu wachsen, so sind unsere Menschenrechte auf die Fähigkeit ausgerichtet, als Menschen zu existieren, zu wachsen und sich nach bestem Vermögen zu entwickeln. Gleiches gilt für die Natur. Wenn wir die Rechte der Natur verletzen, schaden wir auch uns selbst und den Menschenrechten.

SB: Ist es dann vorstellbar, daß sich jemand auf die Rechte der Natur beruft und sie dahingehend auslegt, daß die ihr zugehörigen Tiere nicht getötet und verbraucht werden dürfen?

LS: Wir versuchen nicht, aus Wölfen Vegetarier zu machen. Die Frage lautet, was wir tun müssen, um die Beziehungen zu erkennen, in der wir und alles Leben zueinander stehen, um zu versuchen, diese Beziehungen in all unseren Entscheidungen zu respektieren. Wenn unser Überleben die Natur beeinflußt, indem es beispielsweise auf der Existenz eines bestimmten Tieres beruht und wir es bis an die Grenze der Ausrottung jagen, dann werden die Tiere wie die Menschen davon negativ beeinflußt. Diese Beziehung haben wir nicht respektiert. Wenn wir jedoch, wie viele indigene Menschen, in Harmonie mit der Natur leben und wir einer Spezies nicht mehr nehmen als das, was sie benötigt, um sich selbst zu erhalten und zu entwickeln, dann können wir in Harmonie miteinander leben. Unserem Ernährungsbedürfnis ist damit gedient, denn die Natur hat sich zu diesem Zweck entwickelt. Das Ungleichgewicht wurde zum Teil dadurch geschaffen, daß Menschen etwas zu benötigen glauben, bei dem es sich in Wirklichkeit um bloßes Verlangen handelt. Die Natur braucht, was sie braucht. Wir denken, wir brauchen, wonach uns verlangt, das müssen wir ändern und transformieren.

SB: Sind die Rechte der Natur erstmals in Cochabamba 2010 deklariert worden?

LS: Im April 2010 sind etwa 35.000 Menschen in Cochabamba in Bolivien zusammengekommen, weil sich insbesondere im Globalen Süden viele auf der Weltklimakonferenz, die im Jahr zuvor in Kopenhagen stattfand, an den Rand gedrängt fühlten. So entschlossen sie sich, einen eigenen Klimagipfel der Völker abzuhalten. Dort sollte es um die Rechte von Mutter Natur gehen, und jeder ist dazu eingeladen und besitzt eine Stimme. Die 35.000 Menschen, die sich trafen, um über den Klimwandel und die Rechte von Mutter Erde zu beraten, repräsentierten gut hundert Länder. Daraus ging mit den Stimmen aller Beteiligten nach dem Vorbild der Universal Declaration of Human Rights (UDHR) die Universal Declaration on the Rights of Mother Earth (UDRME) hervor. Damit sollte ein Gespräch darüber in Gang gesetzt werden, nicht nur was unsere Rechte, sondern auch was unsere Pflichten und Aufgaben hinsichtlich der natürlichen Welt sind. Sie wurden in Form dieser Universalen Deklaration niedergeschrieben, um uns daran zu erinnern, daß Rechte nicht nur das betreffen, was wir bekommen, sondern auch das, was unsere Verantwortung gegenüber anderen Menschen und der Natur umfaßt.

SB: Inwiefern kann man indigene Rechte als eine Art Gegenrecht zum Rechtswesen der weißen Kolonisatoren verstehen?

LS: In einem übergeordneten Sinn geht es darum sich jedesmal, wenn wir eine Entscheidung treffen, zu fragen, ob wir damit die zwischen Menschen wie zwischen Menschen und der Natur entstehenden Beziehungen respektieren. Indigene Rechte respektieren im großen und ganzen die wachsenden Beziehungen zwischen sich und der Natur. Der Kolonialismus dagegen steht für eine Geschichte der Gewalt und Unterdrückung, daher ist es keine respektvolle Beziehung. Wenn man sich also fragt, ob eine Handlung unser Verhältnis zu Menschen und zur Natur respektiert, und zu dem Schluß gelangt, daß dies nicht der Fall ist, stellt sich die Frage, was man statt dessen tun kann.

SB: Was motiviert Sie, sich in diesem Kampf zu engagieren, zumal Ihre Tätigkeit wahrscheinlich nicht zu den am besten bezahlten Jobs anwaltlicher Art gehört?

LS: Ich arbeite seit 20 Jahren im Bereich des Umweltrechts mit diversen Non-Profit-Organisationen insbesondere in Kalifornien zusammen. Ich habe häufig am Entwurf von Gesetzen in der Legislative dieses Staates gearbeitet, der über eine der fortschrittlichsten Umweltgesetzgebungen der Welt verfügt. Meine hochkompetenten KollegInnen und ich haben viele Erfolge erzielt, mußten aber schließlich erkennen, daß wir an Boden verloren. Klimawandel, Artensterben, das Verschwinden von Flüssen usw. - ich mußte mich schließlich selber fragen, wie es dazu kommt, daß wir bei unserer Arbeit das Beste geben und dennoch verlieren. Was ist das Problem?

Das Problem besteht in den Regeln. Es gibt Umweltschutzgesetze, die immer noch an wirtschaftlichen Maßstäben orientiert sind, wie wir heute im Vortrag über die Finanzialisierung der Natur hören konnten. Die Ökonomisierung der Natur ist wichtiger, als unsere Beziehungen zu ihr zu respektieren. Ich werde motiviert durch die Wahrheit dessen, was ein gutes Verhalten uns selbst, unseren Kinder und der Natur gegenüber bedingt. Diese Beziehungen anzuerkennen und in geltendes Recht zu gießen wird unser Wirtschaftssystem dahingehend verändern, daß wir uns ihrer bewußter werden und sie in all unseren Entscheidungen berücksichtigen. Wenn wir dies nicht tun, richten wir einfach nur Schaden an. Und ich möchte lieber jemand sein, der Mensch und Natur Gutes tut, das motiviert mich.

SB: Frau Sheehan, vielen Dank für das Gespräch.


Linda Sheehan am Rednerpult auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

"Erdanwältin" am International Rights of Nature Tribunal
Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnote:

[1] https://therightsofnature.org/a-tribunal-for-earth-why-it-matters/


9. Januar 2018


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