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INTERVIEW/169: Naturbegriffe - Fluchten ...     Ute Koczy im Gespräch (SB)


Ute Koczy gehört dem Vorstand des Vereins urgewald an, der Kampagnen gegen die Finanzierung umweltzerstörender Projekte organisiert. Beim International Rights of Nature Tribunal, das am 7. und 8. November 2017 in Bonn abgehalten wurde, fungierte die Politikerin der Grünen als eine von neun RichterInnen. Dort war sie für den Fall des Braunkohletagebaus, der die Existenz des verbliebenen Hambacher Forstes bedroht, zuständig. Während einer kurzen Pause im umfassenden Arbeitsprogramm des Tribunals beantwortete sie dem Schattenblick einige Fragen.



Am Rednerpult - Foto: © 2017 by Schattenblick

Ute Koczy
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Frau Koczy, wie ist es dazu gekommen, daß Sie zur Richterin am International Rights of Nature Tribunal berufen wurden?

UK: Im Rahmen meiner langjährigen Aktivitäten zum Yasuni-Nationalpark und auch der OCP-Pipeline in Ecuador stand ich in Kontakt mit dem Sekretariat des Tribunals. Natalia Greene hat sich an mich erinnert und den Vorschlag gemacht, daß ich von deutscher Seite her als Richterin fungieren soll. Sie hat dann auch den Hambacher Forst als einen der zu verhandelnden Fälle vorgeschlagen.

SB: Jutta Kill hat vor dem Tribunal deutliche Kritik an dem Wald- und Klimaschutzkonzept REDD+ geübt. Es wird jedoch auch von einigen Nichtregierungsorganisationen unterstützt. Wie ist Ihre Position dazu?

UK: Die Absicht hinter REDD+ ist schon sehr gut, weil man vorhat, den Wald zu erhalten. Das Problem ist, daß dies in den sozialen Gemeinden anders aufgefaßt wird, weil etwas von außen in sie hineingetragen wird, was der Gemeinschaft vor Ort nicht viel nützt. Deswegen ist meine Haltung dazu kritisch. Es gibt durchaus Bereiche, wo es funktionieren kann, aber man muß aufpassen, daß man mit REDD+ nicht die sozialen Strukturen vollends zerstört. Dann hat es seinen Sinn verloren, und man sollte tunlichst die Finger davon lassen. Dieses Instrument kann mißbraucht werden, deswegen bin ich auch sehr vorsichtig im Umgang mit ihm. Ich nehme die berechtigte Kritik, daß bestimmte Gruppen nicht davon profitieren können, durchaus ernst.

Insgesamt gesehen ist dieses Konzept "Rechte der Natur" etwas, das wir in Deutschland erst verstehen müssen. Es ist etwas Neues und Ungewöhnliches, hat aber meiner Meinung nach durchaus das Zeug dazu, unsere Idee vom Umgang mit der Natur vom Kopf auf die Füße zu stellen. Unser Ansatz geht davon aus, daß man die Natur kaufen und umwandeln kann, bis man daraus vielleicht irgend etwas Neues macht. Dem steht dieses Tribunal jedoch entgegen. Es vertritt die Ansicht, daß man in dem Augenblick, wo die Natur verändert und geschädigt wird, im Grunde genommen das Kostbarste zerstört, was man hat. Und deswegen muß man die Natur als Subjekt verteidigen. Man darf sich nicht zurücklehnen, sondern muß wirklich dafür kämpfen. Wir sind jetzt beim Hambacher Forst und sagen, daß die Zerstörung, die unwiederbringliche Auslöschung dieses Waldes, eigentlich nicht hart genug bestraft wird.

SB: Wie kann Natur als vom Menschen selbst geschaffene Kategorie zum Subjekt einer Rechtsprechung werden, bei der sich normalerweise Menschen gegenüberstehen, die erst bestimmte Kriterien erfüllen müssen, um überhaupt für sich selbst sprechen zu können? Wer nicht als mündig erachtet wird, kann vor Gericht nicht in eigener Sache aktiv werden. Nimmt das Tribunal im Falle der Natur so etwas wie die Rolle eines Stellvertreters ein?

UK: Ja, auf jeden Fall ist es eine Stellvertreterposition, weil Natur, ein Wald, ein Baum, Tiere sich nicht selber verteidigen können, vor allem, weil wir in Deutschland keine indigenen Gemeinschaften haben, die noch in den Wäldern und sehr nah mit der Natur leben. Das ist in Ländern des andinen Raums oder auch in den asiatischen Wäldern noch ganz anders. Weil es bei uns keine Menschen mehr gibt, die dafür stehen, nimmt niemand ihre Interessen wahr. Deswegen sind wir aufgefordert zu lernen, daß Menschen auf anderen Kontinenten noch eine tiefe Verbundenheit zum Wasser, zum Boden, zu den Bäumen und Pflanzen haben, so daß sie tatsächlich für die Natur sprechen können. Ich finde schon, daß man aufpassen muß, da nicht zuviel hineinzulesen. Man muß eigentlich nur wissen, daß wir, wenn wir der Natur zugestehen, daß sie lebt und schon seit Jahrtausenden existiert, ihr mit viel mehr Respekt und Scheu entgegentreten sollten.

Das Konzept, einfach eine Straße hindurchzubauen und Lebensräume unterzupflügen, die Natur in die Form zu bringen, die wir gerade brauchen, ist an eine Grenze geraten. Wir sind mit dem, wie wir Natur gebrauchen, im Grunde genommen dabei, uns selber ein Grab zu schaufeln. Wenn es keine Wildnis in der Natur, wenn es keine freie Entfaltung von Naturräumen mehr gibt, haben wir auch keinen Artenschutz und keinen natürlichen Schutz mehr. Das kann letztlich dazu führen, daß wir keine Ressourcen mehr für das eigene Leben haben. Deswegen ist der Schutz der Natur auch ein Schutz der Menschen. Von daher kann man vielleicht sagen, ja, die Rechte der Natur müssen wir unbedingt unterstützen und viel mehr aufgreifen, weil es möglicherweise die letzte Hürde ist, noch Dinge zu verändern, bevor zahlreiche Arten, Pflanzen und Tiere, endgültig von der Erde verschwinden.

SB: Können Sie aus Ihrer Sicht schildern, wie stark die auf Klimaschutz orientierten NGOs beim Weltklimagipfel COP 23 präsent sind? Üben sie irgendeinen nennenswerten Einfluß aus oder sind sie lediglich am Rande dabei?

UK: Ja, sie haben Einfluß, aber sie sitzen trotzdem zu weit weg von den Zentren der Macht. Das ist schon so. Die Debatte um Klimaschutz wurde nicht zuletzt von den Nichtregierungsorganisationen vorangetrieben. urgewald zum Beispiel hat in den letzten Wochen eine Coal Exit List [1] vorgelegt, mit der man darauf hinweisen kann, welche Fonds und Finanzsysteme Kohle finanzieren. Mit dieser Coal Exit List legt urgewald eine revolutionäre Basis vor, aus der klar hervorgeht, daß unser Finanzsystem aus der Kohle aussteigen muß. Aus den Unternehmen und Fonds, die auf der Liste aufgeführt sind, muß man sich zurückziehen. Deswegen leistet urgewald einen wichtigen Beitrag zur Cop 23.

SB: Frau Koczy, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] https://urgewald.org/presse/klimagipfel-bonn-veroeffentlichung


Bisher im Schattenblick unter BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT zum International Rights of Nature Tribunal in Bonn erschienen:

BERICHT/107: Naturbegriffe - die immer gleichen Absichten ... (SB)
BERICHT/106: Naturbegriffe - unzureichend im Blick ... (SB)
BERICHT/105: Naturbegriffe - im Kreisverkehr ... (SB)

INTERVIEW/168: Naturbegriffe - Fundamentaler Widerstand ...     Kandi Mossett im Gespräch (SB)
INTERVIEW/167: Naturbegriffe - Universalitätsargumente ...     Linda Sheehan im Gespräch (SB)


18. Januar 2018


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