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HINTERGRUND/138: Indien - Konferenz arbeitender Kinder


die zeitung - terre des hommes, I. Quartal 2008

"Man hat uns die Kindheit gestohlen"
Indien: Konferenz arbeitender Kinder

Von Michael Heuer


Es sind nur noch wenige Minuten, dann hat Sonal ihren großen Auftritt. Angespannt folgt sie den Worten des Mannes am anderen Ende des Saales. Ihre Nervosität steigt. "Wir müssen", sagt der Sprecher unter dem Beifall der Anwesenden, "die Eltern davon überzeugen, dass sie ihre Kinder zur Schule schicken." Jetzt ist Sonal an der Reihe. Entschlossen geht sie nach vorn und ergreift das Mikrophon.

Sonal ist 13 Jahre alt und Teilnehmerin der Konferenz arbeitender Kinder Indiens. Im November vergangenen Jahres trafen sich auf Einladung der Initiative "Kampagne gegen Kinderarbeit" (CACL) in Bhubaneswar mehr als 1.000 Kinder. Es war bereits die vierte Veranstaltung dieser Art, bei der die Betroffenen die Gelegenheit nutzten, Politikern, Fachleuten und Journalisten über ihre Situation zu berichteten. Neben dem Erfahrungsaustausch ging es den Kindern auch um die Entwicklung von Forderungen. Sonal hat bereits an den vorherigen Treffen teilgenommen, doch noch immer ist sie aufgeregt, wenn sie vor so vielen Menschen reden soll.

Das Mädchen arbeitet seit seinem achten Lebensjahr; anfangs in einer Fabrik für Kunststoffseile, anschließend in einer Diamanten-Schleiferei. Früher hat sie die Schule besucht. Doch als ihr Vater erkrankte, musste sie als älteste von sechs Kindern hellen, die Familie zu ernähren. Irgendwann bekam sie Kontakt zu Gleichaltrigen, die sich regelmäßig zu einem Kinderforum trafen. Diese Einrichtungen, Balsena genannt, ermöglichen Kindern die politische Beteiligung am Gemeindeleben. In vielen Dörfern und Städten Indiens gibt es bereits solche Foren. Im Jahre 2003 wurde Sonal erstmals als Regionalvertreterin zur ersten nationalen Konferenz gegen Kinderarbeit eingeladen.

Sonal erzählt von den Arbeitsbedingungen in der Schleiferei. Sie erhält viel Beifall. Seit dem ersten Treffen arbeitender Kinder hat sich einiges geändert. Mittlerweile berichten indische Medien ausführlicher über die Ausbeutung von Kindern. Der indische Staat hat per Gesetz bestimmte Tätigkeiten für Kinder untersagt. Auf Druck der Kampagne gegen Kinderarbeit wurden neue Bestimmungen erlassen, die Kinder unter 14 Jahren besser vor Ausbeutung schützen sollen. Neu aufgenommen wurde zum Beispiel das Verbot der Kinderarbeit in Restaurants und Hotels.


"Bildung ist mein Recht"

Die Ausbeutung von Kindern ist auch in Indien verboten. Auch gilt die allgemeine Schulpflicht. "Der Staat", so sagt Sonal, "kümmert sich aber zu wenig darum, dass die Gesetze eingehalten werden." Diesen Vorwurf müssen sich die anwesenden Politiker und Minister auf der Konferenz noch häufiger anhören. Und sie werden mit Forderungen konfrontiert. So solle der Staat nicht nur die Ausbeutung bekämpfen, sondern den Kindern, die durch die schwere Arbeit geschädigt wurden, bei der Überwindung der traumatischen Erfahrungen helfen. Eine bessere Unterstützung der Familien soll ferner dazu beitragen, die Kinderarbeit einzudämmen.

Damit Kinder und Jugendliche eine Alternative haben, müssten die Schul- und Ausbildungsangebote verbessert werden, so eine weitere Forderung. "Education is my birth right" - Bildung ist von Geburt an mein Recht - haben Kinder auf ein Transparent geschrieben. Ein Motto, das sich später auch in der Abschlusserklärung der Konferenz wiederfinden wird. "Aber Kinder", sagt Sonal, "müssen auch beteiligt werden, wenn es um die Einrichtung von Schulen geht. Und wir wollen mitreden, wenn es darum geht, was wir lernen sollen."

Lediglich drei Tage dauerte die Konferenz in Bhubaneswar, doch die Kinder hoffen, dass sie nicht nur ihnen in Erinnerungen bleiben wird. Oder, um es mit den Worten eines Teilnehmers zu sagen: "Auf dieser Konferenz hatten wir die Möglichkeit, über unsere Rechte zu sprechen. Das wird vielleicht Millionen anderen Kindern helfen, denen man, wie uns, durch die Arbeit die Kindheit gestohlen hat."


Vorschläge

Aus den Forderungen der Kinder und Jugendlichen auf dem 3. Weltkongress für Kinderrechte in Barcelona, November 2001

Mehr Möglichkeiten für Kinder gehört und respektiert zu werden
Beteiligung von Kindern an der Formulierung und anschließend an der Auswertung sozialpolitischer Programme
Bildung eines nationalen und Internationalen Konsultationsgremiums mit Kindern
Mehr Berichte über Kinderbeteiligung in den Massenmedien
Nutzung von Schule zur Beteiligung von Kindern in ihrem Umfeld
Mehr Geld zur Fortbildung von Kindern in Betelligungsmöglichkeiten

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Quelle:
die zeitung, I. Quartal 2008, S. 5
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. August 2008