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HINTERGRUND/140: Straßenkinder - Einmal Gosse, immer Gosse?


die zeitung - terre des hommes, 3. Quartal 2008

Ein mal Gosse, immer Gosse?
Hilfen müssen früh stattfinden und verlässlich sein

Von Uwe Britten


Grit beginnt in diesem Herbst ein Studium an einer Kunsthochschule. Nach ihrer Ausbildung als Schreinerin hat die heute 27-Jährige zwei Jahre lang in Museen in München und Berlin gelernt, Kunstwerke zu restaurieren. Eine vielversprechende Perspektive, wenn man bedenkt, dass Grit mit 16 Jahren von zu Hause weggelaufen ist, phasenweise obdachlos war, dann in besetzten Häusern in Berlin lebte. Dazu kamen ernsthafte Drogenprobleme, wie sie selbst erzählt: "Die letzte Zeit damals in Berlin war ich wochenlang ohne Unterbrechung auf LSD und hab meine Umgebung nicht mehr erkannt. Die Menschen hatten schreckliche Grimassen. Es war der Horror."

Ein ungewöhnliches Beispiel einer Straßenkind-Karriere. Viele sind nach ihrer Weglauf-Phase weit über zehn Jahre damit beschäftigt, wenigstens einigermaßen wieder im bürgerlichen Leben anzukommen. Unter großer Anstrengung muss der Schulabschluss nachgeholt, bei Bewerbungen um eine Ausbildungsstelle muss der Lebenslauf erklärt werden. Auch Gefängnisaufenthalte oder Entzugszeiten in Drogeneinrichtungen tragen zu Stigmatisierung und Ablehnung bei. Und schließlich gibt es jene, die die Zeit auf der Straße nicht überleben.


Hilfen machen Karriere

Jugendlichen zu helfen, die von Obdachlosigkeit bedroht sind, ist nicht einfach. Die zuständigen Einrichtungen in den meisten Kommunen sind personell unterbesetzt, die Nachfrage nach betreutem Wohnen für Jugendliche ist größer als das Angebot an Plätzen. Dazu kommt meistens die Komplexität der Probleme. Ein Zimmer zur Verfügung zu stellen, ist immer erst der Anfang eines langen Klärungsprozesses. Welche Probleme muss der junge Mensch unverzüglich lösen? Hat er vielleicht Schulden, wie kann er zu seinem Unterhalt beitragen? Was soll sich mittelfristig verändern? Soll ein Schulabschluss nachgeholt oder die Beziehung zu den Eltern verbessert werden? Und schließlich: Wie soll die Lebensperspektive hinsichtlich Beruf, Wohnung oder Partnerschaft aussehen? Sozialarbeiter, die einen Ausweg aus solchen Problembergen finden müssen, sind nicht zu beneiden.

Doch Lösungen sind möglich. Es gibt inzwischen eine Fülle von Beispielen, die zeigen, dass bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die früh genug Hilfen erhalten, Eskalationen verhindert werden können. Wichtig ist eine betreuerische, manchmal auch psychotherapeutische Unterstützung, die zunächst nach den Fähigkeiten der Jugendlichen sucht, um diese gezielt zu fördern. Denn mit ihrem Selbstvertrauen und ihrer sozialen Kompetenz ist es meistens nicht weit her. Diese psychosozialen Hilfen müssen verlässlich und längerfristig angelegt sein. Denn wer schon in Kindertagen keine zuverlässigen Bezugspersonen um sich hatte und Beziehungen nur als brüchig erlebt hat, kann eins nicht gebrauchen: ständig wechselnde Betreuungspersonen. Vor allem dann nicht, wenn diese sich weniger um ihn als um Förderrichtlinien und die eigenen Finanzierung kümmern müssen.


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Quelle:
die zeitung, 3. Quartal 2008, S. 5
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Oktober 2008