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HINTERGRUND/145: Vorurteile und Armut erschweren den Kampf gegen Aids


die zeitung - terre des hommes, 4. Quartal 2008

"Junge Mädchen können Aids heilen"
Vorurteile und Armut erschweren den Kampf gegen Aids

Von Nadja Jacubowski/Urte Tegtmeyer


HERAUSFORDERUNG AIDS

Die Immunschwäche Aids betraf anfänglich hauptsächlich homo- und bisexuelle Männer. Das gefährliche Virus wurde unter anderem durch den Tod von Prominenten wie Rock Hudson und Freddy Mercury der Allgemeinheit ein Begriff. Aids wurde 1981 als eigenständige Krankheit deklariert. Homo- und bisexuelle Männer galten damals vor allem wegen häufig wechselnder Geschlechtspartner als Gruppe mit dem höchsten Risiko. Inzwischen sind jedoch Frauen und junge Mädchen diejenigen, die sich am häufigsten anstecken. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Die Abhängigkeit von jungen Mädchen und Frauen spielt eine zentrale Rolle. Viele dieser Frauen trauen sich nicht, beim Geschlechtsverkehr auf ein Kondom zu bestehen. Dadurch stecken sich die jungen Mädchen und Frauen nicht nur selber mit dem HI-Virus an, sondern geben es - wenn sie sich nicht rechtzeitig behandeln lassen - auch an ihre Kinder weiter. Derzeit nehmen nur 33 Prozent der schwangeren HIV-Positiven das Medikament Nevirapin ein, das eine Übertragung des HI-Virus auf das Neugeborene verhindern kann. Ein weiterer Grund ist die mangelnde Aufklärung. Obwohl viele Gebernationen große Summen in den Kampf gegen Aids stecken, ist die Ansteckung mit dem HI-Virus immer noch ein Tabuthema. Viele Jugendliche sind nicht in der Lage, einfache Fragen über Aids zu beantworten. Auch der Umgang mit der Krankheit ist schwierig. Viele HIV-Infizierte trauen sich nicht darüber zu sprechen, weil sie befürchten, dass Angehörige, Nachbarn und Freunde mit dem Finger auf sie zeigen und sie ausgrenzen würden.
Mehr Geld allein wird nicht ausreichen, damit HIV/Aids-Prävention bei Männern und Frauen gleichermaßen wirksam wird.
Besonders die heranwachsenden Mädchen und Jungen müssen umfassend über die Immunschwäche informiert werden. Denn allzu oft sind sie schon von dem Virus betroffen, müssen aber unbedingt verhindern, dass sich dieses weiter verbreitet.


Sie sind jung, sie sind arm, sie sind häufig Opfer von Schleppern und Kinderhändlern. Junge Frauen, eigentlich noch Mädchen, die man immer wieder in Bordellen in Asien, Afrika und Lateinamerika sieht. So wie Rosana aus Mosambik. Die junge Frau war schwanger und HIV-positiv, als sie in Südafrika aus einem Bordell befreit wurde. Im "Kulaya Healing Center" hat sie zunächst Unterschlupf gefunden. Hier kann sie mit Mitarbeitern des terre des hommes-Projektpartners ihre Erlebnisse aufarbeiten, sich überhaupt austauschen über ihre Zeit als Zwangsprostituierte in einem Bordell.


HIV und Zwangsprostitution

Dass immer wieder Mädchen Opfer von Verschleppung und Zwangsprostitution werden, hat viele Gründe. Zu allererst Armut: Familien, die nicht genug zu essen haben, sind anfälliger für die scheinheiligen Versprechungen der Kinderhändler. Viele Eltern denken, dass ihre Kinder eine Arbeit bekommen, Geld verdienen, vielleicht sogar bald wieder nach Hause kommen. Das Gegenteil ist der Fall. Kinder werden verschleppt, sexuell missbraucht, in die Zwangsprostitution getrieben. Ohne Rechte, ohne Geld, ohne Chance auf Flucht.

Rund eine Million Kinder und Jugendliche werden jährlich sexuell ausgebeutet. Vor allem Mädchen sind gefährdet. Weil sie abhängig sind von den Erwachsenen, nimmt sie niemand ernst, wenn sie ein Kondom beim Sex fordern. Das macht sie besonders anfällig für HIV.

Zum einen, weil sie aufgrund ihrer Physis besonders leicht verletzt werden können. Zum anderen, weil sie häufig Geschlechtsverkehr mit älteren Männern haben. Da diese Männer durch ihre vielen Sexualpartnerinnen mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit HIV-positiv sind, ist die Ansteckungsgefahr für diese jungen Mädchen sehr groß.

Auch außerhalb des Prostitutionsmilieus kann sich der Altersunterschied gravierend auswirken. Bei diesen sogenannten sugar-daddy-Beziehungen haben die älteren Männer gegenüber den jungen Mädchen immer das Sagen. Auch hier fließt Geld und die jugendlichen Opfer sind nicht in der Position, auf geschützten Sexualverkehr zu bestehen. Die "sugar daddys" suchen sogar häufig den Kontakt zu jungen Mädchen, weil viele die Vorstellung haben, dass junge Frauen HIV-negativ sind. Geschlechtsverkehr mit einer Jungfrau, so die irrige Annahme, heile die eigene HIV-Infektion.


Kinderehen

Armut ist auch der Hauptgrund, warum viele Eltern ihre Töchter im Teenageralter verheiraten. Vor allem dort, wo ein Brautpreis für Mädchen gezahlt wird. In Indien werden 50 Prozent aller Mädchen bereits verheiratet, bevor sie 18 Jahre alt sind. In Nepal sind es 60 Prozent, in Niger 76 Prozent. In den Entwicklungsländern ist jedes siebte Mädchen bei seiner Heirat jünger als 15 Jahre. Die Ehemänner sind meist deutlich älter und deutlich häufiger mit dem HI-Virus infiziert als unverheiratete Sexualpartner von Gleichaltrigen. Wenn Mädchen früh verheiratet werden, können sie nicht mehr zur Schule gehen, werden von Informationsquellen abgeschnitten und verlieren dadurch ihre Freundinnen. Von ihnen wird erwartet, dass sie schnell schwanger werden und Kinder bekommen. Allerdings sterben viele dieser jungen Mütter wegen Komplikationen während der Schwangerschaft oder Geburt. Der große Altersunterschied zwischen den Eheleuten, die meistens niedrige Bildung der Mädchen, ihre mangelnde sexuelle Aufklärung sowie der niedrige soziale und wirtschaftliche Status von Frauen und Mädchen sind der Grund für ein großes Machtgefälle innerhalb der Zweierbeziehung. Die jungen Ehefrauen sind ihren Männern damit schutzlos ausgeliefert.


Arbeitsmigration der Ehemänner

In vielen Gegenden Afrikas, Asiens und Lateinamerikas sind die Männer gezwungen, ihre Familie und ihr Zuhause zu verlassen, um woanders Geld zu verdienen. Als Bergarbeiter, LKW-Fahrer, Soldaten und Seefahrer sind diese Männer viel unterwegs. Und haben reichlich Kontakt zur Sexindustrie. Bei LKW-Fahrern in Asien zum Beispiel gehört es zum "guten Ton", an Rastplätzen Sex mit Prostituierten zu haben. Der Verkehr ist meistens ungeschützt. Viele dieser mobilen Arbeiter sind HIV-positiv und stecken zu Hause dann die eigene Ehefrau an. Deshalb ist es wichtig, Männer und Jungen stärker in Aufklärungsmaßnahmen einzubinden. In Kamerun beträgt zum Beispiel die Infektionsrate unter Männern, die im letzten Jahr mehr als 31 Tage nicht zu Hause waren 7,6 Prozent im Vergleich zu 1,4 Prozent bei Männern, die durchweg am Wohnort blieben.


Katastrophen

Naturkatastrophen und Konflikte erhöhen die Verbreitung von HIV und Aids. In kriegerischen Auseinandersetzungen wird sexuelle Gewalt gegen Mädchen oftmals als strategisches Mittel eingesetzt. Beispielsweise während des Bürgerkrieges in Angola: In den Rebellencamps der UNITA wurden junge Mädchen wie Ehefrauen der Krieger behandelt - ohne irgendwelche Rechte zu haben. Neben der Gefahr, sich mit HIV anzustecken, finden sich diese jungen Frauen nach dem Ende des Bürgerkrieges nicht im Alltag zurecht, können weder lesen noch schreiben. terre des hommes unterstützt in einem Vorort der Hauptstadt Luanda ein Zentrum für Opfer der gewaltsamen Auseinandersetzungen. Die Mädchen aus den Camps werden hier in allen Belangen des täglichen Lebens unterstützt.

Im Falle von Katastrophen kommt es häufig zu großen Flüchtlingsströmen. Die Menschen werden dann auf engem Raum in Flüchtlingslagern untergebracht. Diese Ausnahmesituation und die Enge führen schnell zu Rücksichtslosigkeit. Gewalt gegenüber Frauen und Kindern und Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung, werden aber kaum wahrgenommen, weil die ganze Aufmerksamkeit auf die Beschaffung von Nahrung und Unterkünften gerichtet ist.

Die Grundproblematik ist, dass Frauen aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung nicht in der Position sind, mit den Männern über geschützten Sexualverkehr zu verhandeln. Daraus resultiert die hohe HIV-Infektionsrate von Mädchen und Frauen. Der Ansatz aller Projektarbeit muss deshalb sein, die Frauenrechte in der Gesellschaft stärker zu verankern und einen Schwerpunkt auf die Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu legen. Ein ambitioniertes Ziel, dessen Verwirklichung noch lange nicht in Sicht ist, das aber gerade deswegen viel Einsatz erfordert.


ZAHLEN UND FAKTEN

2,1 Millionen Kinder unter 15 Jahren sind HIV-positiv.

Derzeit leben rund 15 Millionen Kinder weltweit ohne Eltern, weil diese aufgrund der Immunschwäche gestorben sind. Von diesen Kindern leben allein 123 Millionen im südlichen Afrika. Bis 2010 werden schätzungsweise 20 Millionen Kinder durch Aids zu Waisen werden.

2007 haben sich ca. 370.000 Kinder in den Entwicklungs- und Schwellenländern mit dem HI-Virus angesteckt - meistens über ihre Mütter bei Schwangerschaft, Geburt oder beim Stillen.

2007 starben 270.000 Kinder an den Folgen von Aids.

Jedes 2. HIV-positive Kind wird ohne Behandlung nicht einmal zwei Jahre alt.

Teure Medikamente erschwerten lange Zelt die Behandlung der HIV-Infektion. Inzwischen ist in vielen Ländern der Zugang zu billigen und teilweise kostenlosen Medikamenten deutlich einfacher.


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Quelle:
die zeitung, 4. Quartal 2008, S. 4
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2009