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HINTERGRUND/155: Die UN-Kinderrechtskonvention wird 20 Jahre alt


die zeitung - terre des hommes, 4. Quartal 2009

Lorbeeren für Laura?
Die UN-Kinderrechtskonvention wird 20 Jahre alt

Von Peter Strack


Darf die 13-jährige Laura aus Holland mit Erlaubnis der Eltern alleine auf eine Weltumseglung gehen? Diese Frage beschäftigte im August die internationale Presse. Kein internationales Aufsehen erregte zu gleicher Zeit die Vergewaltigung einer 14-jährigen Kolumbianerin bei einem bewaffneten Überfall von Paramilitärs auf das Schulungszentrum einer terre des hommes-Partnerorganisation in Pava. Solche Gewalt ist alltäglich im Norden Kolumbiens. Sie soll soziale Organisationen einschüchtern oder Familien in die Flucht treiben. Denn für ihr Land interessieren sich Exporteure von Agrotreibstoffen.


Beide Fälle machen die Herausforderungen und Grenzen der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen deutlich, die in diesem Jahr ihren 20-jährigen Geburtstag feiert: Das kolumbianische Mädchen erlebt schmerzhaft, wie wenig Schutz ihr die Konvention gewährt, und auch dem niederländischen Gericht, das Lauras Fall zu verhandeln hatte, hilft sie nicht viel weiter. Die Konvention betont nämlich, dass Kinder mehr als Persönlichkeiten zu betrachten sind, die Rechte haben, denn als Objekte besonderer Fürsorge. Und sie hat einen ganzheitlichen Ansatz, der nicht zwischen wichtigen oder unwichtigen Rechten unterscheidet. Wem also den Vorzug geben: Dem Schutz vor möglichen Gefahren oder dem Respekt vor Lauras Willen, mit der Seereise Erfahrungen und Lorbeeren für das Guiness-Buch der Rekorde zu sammeln?


KINDERRECHTSKONVENTION

Garatien der UN-Kinderrechtskonvention für alle unter 18-Jährigen

- Versorgungsrechte wie das Recht auf Nahrung, Wasser, Wohnung oder
   medizinische Betreuung.
- Entwicklungsrechte, wie das Recht auf Bildung, Freizeit, ein gesundes Lebensumfeld,
   Gedanken- und Religionsfeiheit
- Schutzrecht vor Ausbeutung, Missbrauch, Gewalt, willkürlicher Trennung von der Familie
- Beteiligungsrechte, wie das Recht sich zu organisieren, mit seiner Meinung Gehör zu finden
   oder informiert zu werden.

Die Konvention wird ergänzt durch Zusatzprotokolle. Eines gegen Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderpornograpie, das andere gegen die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten.


UN-Mechanismen zur Umsetzung der Konvention

Alle fünf Jahre müssen die Staaten dem UN-Ausschuss für Kinderrechte über die Umsetzung der Konvention berichten. Diese Berichte werden von Nicht-Regierungsorganisationen oder Verbänden in sogenannten Schattenberichten ergänzt. Zusammen mit Ergebnissen von Anhörungen bilden sie die Grundlage für Empfehlungen des Ausschusses, deren Umsetzung Gegenstand der Folgeberichte ist. Laut Beschluss des UN-Menschenrechtsrats im Juni ist nun geplant, ein Individualbeschwerderecht für Kinder einzuführen, deren Rechte massiv verletzt werden, ohne dass der eigene Staat einschreitet.

Ausführliche Information zur Konvention und vertiefende Texte siehe
www.tdh.de/Kinderrechte



Vom Nutzen einer Konvention

Ein Blick auf die Zahlen lässt die Antwort auf die Frage nach dem Nutzen der Kinderrechtskonvention ebenso offen: Wäre die Kindersterblichkeit weltweit auch ohne die Konvention so stark zurückgegangen? Hätte die Kinderarmut in Deutschland ohne sie vielleicht noch stärker zugenommen?

Zumindest hat die Konvention vielerorts Kindern die Möglichkeit eröffnet mitzureden. "Als zum Weltkindergipfel 2002 zum ersten Mal Kinder und Jugendliche als junge Lobbyisten vor der UN-Generalversammlung sprachen, war das für uns ein Meilenstein, auch wenn die Entscheidungen von Erwachsenen getroffen wurden", erinnert sich Marian Brehmer, der damals als Zehnjähriger in New York dabei war. Fünf Jahre später war Brehmer erneut in New York. "Doch auf dem Nachfolgetreffen, gingen die Politiker auf unsere Forderungen kaum ein", kritisiert das Mitglied des terre des hommes-Jugendteams aus Melle in Niedersachsen. Das Kinderrechtskomitee der Vereinten Nationen selbst sieht Handlungsbedarf bei der systematischen Einbeziehung von Kindern in politische Entscheidungen und fordert hier eine "neue demokratische Dynamik".


Kinderrechte praktisch: Beispiel Kolumbien

Dass die Kinderrechtskonvention auch als juristisches Instrument hilfreich ist, davon ist Diana Teresa Sierra vom terre des hommes-Partner Humanidad Vigente, einem Anwaltskollektiv in Kolumbien, überzeugt. "In allen Gerichtsverfahren zitieren wir die Bestimmungen der Konvention. Das gibt den Fällen mehr Gewicht", beteuert die Rechtsanwältin. Erst jüngst seien in einem von Humanidad Vigente angestrengten Verfahren zehn Jahre nach einem Massaker in der Erdölstadt Barrancabermeja die Mörder dreier Kinder verurteilt worden. Die UN-Kinderrechtskommission hatte zuvor die hohe Straflosigkeit in Kolumbien angeprangert.

Auch sogenannte Schattenberichte an die UNO nutzt Humanidad Vigente als Instrument. So seien drei staatliche Pilotprojekte gegen Zwangsrekrutierung und zum Schutz von Kindern vor staatlicher Willkür auf den Weg gebracht worden. Angeordnet hatte sie das kolumbianische Verfassungsgericht als Reaktion auf einen solchen Bericht von 2006.


Defizite In Deutschland

Auch in Deutschland müsste mehr für Kinderrechte getan werden, sagt Beate Schmidt-Behlau, die terre des hommes in der Arbeitsgruppe Kinderrechte im "Forum Menschenrechte" vertritt. Vielen sind die Rechte nicht einmal bekannt. Nötig ist eine wirksame Grundsicherung zur Bekämpfung der Kinderarmut. Das Schulrecht muss etwa zur besseren Integration von Kindern mit Behinderungen an die Anforderungen der UN-Konvention angepasst werden, und dringend der Vorbehalt abgeschafft werden, mit dem die Bundesrepublik sich bei der Ratifikation der Konvention 1992 die Möglichkeit offen gehalten hat, ausländerrechtliche Bestimmungen über die Kinderrechte zu stellen.

Zu begrüßen ist, dass sich die Bundesregierung endlich der Initiative zur Einführung eines sogenannten Individualbeschwerderechts angeschlossen hat. Kinder sollen sich an die UNO wenden können, wenn Staaten ihre Rechte nicht schützen. Doch solange innenpolitische oder wirtschaftspolitische Interessen Vorrang vor Menschenrechten haben, und trotz EU-Leitlinie zu Kinderrechten Überfälle wie die in Pava bei den Wirtschaftsverhandlungen mit Kolumbien keine Rolle spielen, wird die UN-Kinderrechtskonvention nur als Orientierungsrahmen und Denkanstoß Lorbeeren ernten können. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.


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Auch wir sind gefordert

Danuta Sacher ist seit Mai dieses Jahres hauptamtliche Geschäftsführerin von terre des hommes. Wir fragten sie zur Bedeutung der Kinderrechtskonvention.

FRAGE: terre des hommes hilft Kindern in Not. Ist der Kinderrechtsansatz der Konvention da nicht etwas abstrakt und fern der alltäglichen Probleme?

DANUTA SACHER: Ganz und gar nicht, er hilft vielmehr, unsere Mittel langfristig wirksamer einzusetzen und auch, die Staaten bei ihrer Verantwortung zu packen. Ein Beispiel aus der peruanischen Wüstenstadt Ica, wo viele Kinder erhebliche gesundheitliche und schulische Probleme haben. Früher hätten wir vielleicht für ein paar Jahre eine Gesundheitsversorgung und Nachhilfe in einem Viertel finanzieren können. Die Ortsgruppe der von terre des hommes unterstützten Organisation arbeitender Kinder MNNATSOP hat aber nun viel mehr erreicht: Im städtischen Haushalt 2010 wurden die Gelder für ein Zentrum bereitgestellt, in dem 3.000 Kinder künftig psychologische. gesundheitliche und juristische Unterstützung bekommen und mit Hilfe einer Bibliothek auch ihre Hausaufgaben besser erledigen können.

FRAGE: Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus für Ihre Arbeit?

DANUTA SACHER: Die Kinderrechtskonvention markiert eine Art Leitlinie für unsere Arbeit. Auf dem letzten Strategietreffen, der sogenannten Delegiertenkonferenz, haben deshalb Kollegen, Projektpartner und Ehrenamtliche von terre des hommes beschlossen, vom 20. Jahrestag der Konvention an bis zu ihrem 25-jährigen Jubiläum im Jahr 2014 die Fortschritte bei der Durchsetzung der Kinderrechte genau zu beobachten. Dort, wo es Rückschritte gibt oder unnötig langsam vorangeht, wie etwa bei Flüchtlingskindern in Deutschland, will terre des hommes den Kinderrechten gezielt Nachdruck verleihen.

FRAGE: Manche Projektpartner von terre des hommes halten die Konvention für sehr westlich geprägt. Schwächt das nicht ihre Legitimität?

DANUTA SACHER: Sicher gibt es noch die ein oder andere kulturelle Schlagseite. Aber die Konvention ist keine Bibel und ein Kind ihrer Zeit, sie muss weiter interpretiert und konkretisiert werden. Beim Thema Kindersoldaten hat terre des hommes sich beispielsweise erfolgreich dafür einsetzen können, das Mindestrekrutierungsalter durch ein Zusatzprotokoll auf 18 Jahre zu erhöhen. Wichtig scheinen mir auch die Umweltthemen und die soziale und politische Beteiligung von Kindern, bei denen die Konvention noch schwach entwickelt ist.

FRAGE: Da kommt auf die Regierenden ja noch ein ganzer Strauß von Erwartungen zu.

DANUTA SACHER: Nicht nur auf die Staaten, auch auf uns selbst, denn es handelt sich nicht um Wohltaten, sondern um Grundrechte, die Kindern nicht vorenthalten werden dürfen. Deshalb hat terre des hommes beschlossen, in den Projekten und in der eigenen Organisation die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen weiter zu stärken.


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Quelle:
die zeitung, 4. Quartal 2009, S. 3
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
Ruppenkampstraße 11a, 49084 Osnabrück,
Tel.: 0541/71 01-0, Fax: 05 41/70 72 33
E-Mail: info@tdh.de
Internet: www.tdh.de

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4 Mal jährlich. Der Verkaufspreis wird durch Spenden
abgegolten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2010