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HINTERGRUND/156: Steine aus Kinderhandel - Produziert wird auch für den deutschen Markt


die zeitung - terre des hommes, 4. Quartal 2009

Steine aus Kinderhandel
Produziert wird auch für den deutschen Markt

Von Michael Heuer


Mehr als 126 Millionen Kinder unter 15 Jahren arbeiten Tag für Tag unter gefährlichen und ausbeuterischen Bedingungen. Zum Beispiel in Indien. Dort findet man arbeitende Kinder auf Plantagen, in Edelsteinschleifereien oder im Erztagebau. In einigen Bundesstaaten schuften Kinder unter unmenschlichen Bedingungen in Natursteinbrüchen. Ein Teil der Marmor-, Granit- und Sandsteine ist für den deutschen Markt bestimmt.


Die Sonne brennt erbarmungslos, der Lärm ist unerträglich. Die Luft ist voller Steinstaub und macht das Atmen schwer. Alltag in einem der zahllosen Steinbrüche im indischen Bundesstaat Rajasthan. Ein Knochenjob für die Frauen und Männer.

Viele bezahlen die Arbeit mit ihrer Gesundheit. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei knapp über 35 Jahren. Nicht nur für Erwachsene ist die Arbeit hart und gefährlich. Auch Kinder schuften in den Steinbrüchen. Sie bearbeiten mit primitivsten Werkzeugen Steine, schleppen Felsbrocken oder Gesteinsreste. Die Jüngsten sind nicht einmal zwölf Jahre alt. Aus Mangel an Betreuungsmöglichkeiten bringen Eltern sogar Kleinkinder mit in die Steinbrüche.

Die Arbeit in den Steinbrüchen ist lebensgefährlich. Sicherheitsvorschriften oder Schutzkleidung gibt es nicht. Immer wieder kommt es zu tödlichen Unfällen. Die Kinder arbeiten für einen Hungerlohn. Eine von terre des hommes in Auftrag gegebene Studie zeigt weitere Details des Lebensalltages: Viele Familien, die in den Steinbrüchen arbeiten, sind Migranten aus noch ärmeren Regionen Indiens. Doch auch hier in Rajasthan sind die Chancen auf ein besseres Leben gering. Es gibt kaum Alternativen zur Arbeit in den Steinbrüchen. Die meisten Familien leben in provisorischen Zelten oder Bretterbuden direkt am Rande der Steinbrüche. Die hygienischen Verhältnisse sind katastrophal, sauberes Trinkwasser gibt es kaum. Außerdem fehlt es an Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern. Tag ein, Tag aus sind die Menschen schutzlos dem Staub ausgesetzt. Das quarzhaltige Gemisch setzt sich in den Lungen fest. Silikose (Steinstaublunge) ist eine weit verbreitete Krankheit.

Die Gewinnung von Natursteinen ist nach der Landwirtschaft einer der wichtigsten Wirtschafszweige in Rajasthan. Man schätzt, dass fast 290.000 Menschen in Steinbrüchen arbeiten. Genaue Angaben über die Zahl arbeitender Kinder gibt es nicht. Zwar ist nach indischen Gesetzen die Kinderarbeit in Steinbrüchen verboten, doch gibt es kaum wirksame und flächendeckende Kontrollen. Viele Steinbrüche werden zudem illegal betrieben. Mit Marmor, Sandsteinen und Granit lassen sich gute Geschäfte machen, denn die Nachfrage aus dem Ausland nach preisgünstigen Natursteinen ist groß. Der Wirtschaftsboom in China hat die Nachfrage zusätzlich angefeuert: Zwischen 2001 und 2006 steigerte Indien seine Ausfuhren dorthin um 194 Prozent. Doch nur ein Teil der Natursteine ist für den Binnenmarkt bestimmt. Nach der Weiterverarbeitung in China wird ein Großteil der Ware als chinesisches Produkt umdeklariert und weiter nach Europa exportiert, zum Beispiel nach Deutschland. Und so findet man hierzulande nicht nur Direktimporte aus Indien, sondern auch Ware aus Rajasthan, allerdings mit dem Herkunftsnachweis "Made in China". Für Verbraucher und Händler ist nicht zu erkennen, unter welchen Bedingungen die Steine abgebaut wurden. Schon gar nicht, ob sie aus Kinderhand stammen. Mittlerweile gibt es aber in Deutschland zwei Zertifikate, mit denen Steine ohne Kinder- und Sklavenarbeit gesiegelt werden.


Fair gehandelte Steine

Der Verein Xertifix will mit dem gleichnamigen Siegel sicherstellen, dass Steine ohne ausbeuterische Kinder- und Sklavenarbeit produziert und verkauft werden. Regelmäßig kontrollieren unabhängige Prüfer die Produzenten, deren Ware das Siegel trägt. Auch einige Steinmetze unterstützen in Deutschland den Verkauf fair gehandelter Steine. Auf der Homepage von Xertifix findet sich eine Liste aller deutschen Händler, bei denen es gesiegelte Steine zu kaufen gibt. Mit "win-win Fair Stone" wurde ein internationaler Standard für Natursteine eingeführt. Auch hier gelten strenge soziale Kriterien. Unternehmen können Fair Stone beitreten, indem sie eine schriftliche Erklärung unterzeichnen, mit der sie die Beschäftigung von Kindern ausschließen und die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards garantieren. Die Erklärung bezieht sowohl Exporteure wie auch Händler ein. Unabhängige Prüfer führen auch hier regelmäßige Kontrollen durch, um die Einhaltung der Standards sicherzustellen.


Kommunale Verantwortung

Bund, Länder und Kommunen in Deutschland geben pro Jahr 360 Milliarden Euro für öffentliche Beschaffungen aus. Darunter sind auch Produkte, in denen Kinderarbeit stecken kann. Dazu gehören Baumaterialien für die Gestaltung von Gebäuden und öffentlichen Plätzen sowie Verbrauchsgüter wie Kaffee, Tee, Orangensaft oder Blumen. In vielen Städten und Gemeinden engagieren sich Menschenrechtsaktivisten, Umwelt- und Dritte-Welt-Gruppen für eine faire öffentliche Beschaffungspolitik. In Neuss, Bonn, München und anderen Städten waren ehrenamtliche terre des hommes-Gruppen mit ihrem Einsatz für eine faire kommunale Beschaffung erfolgreich. Dass diese Städte ihre Ausschreibungs- und Beschaffungspraxis änderten, wurde auch durch terre des hommes-Einflussnahme auf entsprechende Verordnungen und auf Beschlüsse des Deutschen Bundestages möglich. Galten früher ausschließlich Kostengesichtspunkte als Kriterium, so dürfen Städte und Kommunen nun auch ökologische und soziale Kriterien bei der Auswahl zugrunde legen. So kann der Kauf von Steinen aus Kinderhand ausgeschlossen werden.


Alternativen für Kinderarbeiter

Doch im Mittelpunkt steht die Situation der Arbeiter und insbesondere der Kinderarbeiter in den Steinbrüchen. Deshalb engagieren sich terre des hommes-Partner für bessere Arbeitsbedingungen in den Steinbrüchen und für ein Verbot der ausbeuterischen Kinderarbeit. Sie kümmern sich vor Ort darum, dass Jungen und Mädchen medizinisch versorgt und Kleinkinder betreut werden. Und sie sorgen dafür, dass die Kinder die Möglichkeit bekommen, eine Schule zu besuchen. Nur so haben sie eine Chance auf eine bessere Zukunft.

Das Geschäft mit den Natursteinen zeigt einerseits die wirtschaftliche Verflechtung im Zeitalter der Globalisierung. Das Beispiel zeigt aber auch, dass in Zeiten der Globalisierung sehr wohl die Chance zur Gestaltung besteht: Als Verbraucher und Unternehmen durch die Übernahme politischer Verantwortung und mit einer Spende kann etwas getan werden, um die Ausbeutung von Kindern zu stoppen.


Weitere Informationen:
Homepage von Xertifix:
www.xertifix.de
Homepage von Fair Stone:
fairstone.win--win.de


DATEN UND FAKTEN

Verwendung von Natursteinen

Granit
Grabsteine auf Friedhöfen, Straßenbau: Pflasterstein, Bordstein, Schotter (mehrheitlich aus China), Bahnbau als Schotter, Hochbau als Außenwandverkleidung und Bodenbelag. Wandverkleidung, Treppenbelag, Innenverkleidung, Tisch- und Küchenplatte, Gartenbau: Pflasterstein, Rabattenstein, Brunnen

Marmor
Bodenbelag, Wandplatten, Treppenstufen

Sandstein
Baustein, Werkstein, Dekostein, Baumaterial, Bodenbeläge. Treppenstufen


Die größten Produzenten von Marmor und Granit             
 Angaben in 1.000 Tonnen

2002
2004
2006
2007
2008
China
Indien
Iran
Türkei
Italien
18.000
12.523
9.311
3.150
10.110
20.600
15.528
10.400
7.725
10.884
21.500
19.000
11.045
9.400
10.555
22.000
21.500
11.100
9.500
10.048
21.000
21.000
11.000
10.000
9.500

Deutsche Importe von Natursteinen aus Indien (1)         
Angaben in 1.000 Tonnen

2003
2004
2005
2006
2007
2008 (2)
Steine und Erden
Waren aus Stein
59
38
70
47
58
53
67
55
73
66
69    
66    

(1) »Steine und Erden« umfasst neben Kies, Sand etc. auch unbearbeitete Steine.
»Waren aus Stein« bestehen aus fertigen Endprodukten.

(2) Aufgrund der Weltwirtschaftskrise ging die Nachfrage nach Natursteinen
2008 auch in Deutschland leicht zurück.

Quelle: Südwind e.V. Institut für Ökonomie und Ökumene


*


Quelle:
die zeitung, 4. Quartal 2009, S. 4
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
Ruppenkampstraße 11a, 49084 Osnabrück,
Tel.: 0541/71 01-0, Fax: 05 41/70 72 33
E-Mail: info@tdh.de
Internet: www.tdh.de

die zeitung - terre des hommes erscheint
4 Mal jährlich. Der Verkaufspreis wird durch Spenden
abgegolten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2010